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Der Spiegel der Seele
#37
Noch in der Nacht zuvor...


Welche Gedanken auch immer durch Naradas Geist gezogen sein mochten, sie beschäftigten ihn so sehr das er ihr abwesenden Blickes die stumpfmatt glänzende Feldflasche reichte die ihr Begehr gewesen war, und die sie verlangenden Fingers unverzüglich ergriff und zu ihren trockenen Lippen führte. Nach der rohen Kost des zweifelhaften Fleisches fühlte sie sich wie ausgedörrt, als wäre jegliches Quäntchen an Flüssigkeit aus ihrem Körper gesaugt worden und hätte nur ein leere Hülle hinterlassen. Das Bedürfnis schwoll an so wie sie die Flasche in der unruhigen Hand hielt und sich deren Inhalt nur vorstellte. Es wallte von ihrem Magen aus, eine ziehende, inständige, stärker werdende Leidenschaft die sich nach Löschung jenes inneren Brandes sehnte, von dem sie nicht einmal wusste was ihn auf einmal entfacht hatte. Nun, eigentlich war das nicht richtig, sie konnte sich doch schon einen Reim darauf machen.
Dies war ihre erste Nahrungsaufnahme seit einer ausgelebten Ewigkeit, dazu eine äußerst intensive und eine von fragwürdiger Herkunft. Des Weiteren war da der Ekel den sie im Angesicht des Fleisches der Palta empfunden hatte, einen Widerwillen den sie meinte zwar unterdrückt zu haben, dem es aber dennoch gelungen war ihr gründlich den Appetit zu verderben und das im Nachhinein. War das die Rache ihres Schlingens? Die Unerbittlichkeit ihrer abgezehrten Organe? Revoltierten ihre Eingeweide gegen das Aufgenommene und beabsichtigten es nicht bei sich zu behalten? Oder lag es wahrhaftig an dem Gegessenen selbst? War es nicht, wie flehentlich vermutet und erhofft, der Kadaver eines Tieres gewesen sondern tatsächlich das Fleisch eines geopferten Menschen der elendig über einem Rost gebraten worden war und anschließend in Stücke gehackt?

Schon die bloße Einbildung genügte um ihr Schwindel zu bescheren. Aus unerfindlichen Gründen wurde ihr heiß, es begann in der Bauchhöhle und breitete sich von dort aus bis in ihre Handinnenflächen. Die Poren sonderten einen Schweiß ab, der kaum Milderung mit sich brachte. Ayris horchte in sich herein. Ihr gefiel nicht was mit ihr geschah. Ihr Kreislauf spielte oft verrückt, kein Wunder bei den Dingen zu dem sie ihn trieb und zwängte, aber das augenblickliche erschien ihr relativ neu obwohl es Entzugserscheinungen nicht gänzlich unähnlich war. Sie bemerkte dass ihr Puls zu rasen anfing, ebenso der Schlag ihres Herzens. Letzteres rannte gegen ihren Brustkorb an als wolle es ihn vor ungebändigter Energie gar durchstoßen. Erschreckenderweise entschärfte sich dieser Zustand nicht, stattdessen wurde es nur noch schlimmer und unkontrollierbarer.
Die Azazernerin bemühte sich darum ihre Gelassenheit und ihren Ruhepol wiederzufinden, doch vergeblich, sie waren fort. Pure Tatkraft kribbelte unter ihrer Haut, das Blut rauschte durch ihre Venen und ihr lebenswichtigstes Organ hämmerte im Takt zu der Rebellion ihres Organismuses. Ihr Blick irrlichterte zu dem dunkelhäutigen Korsaren und wie von selbst aktivierten sich andere, weit urtümlichere Zonen ihres Denkens und Bewusstseins. Sehnsüchtig glitten ihre exaltierten Augen über die Regionen seiner Gestalt die nicht mehr von Rüstung oder Stoffen verdeckt waren, fuhren die Konturen nach und untersuchte die Reinheit des enthüllten Gewebes. Ihr Blick trank sich an seiner Ausstrahlung satt und genoss den imaginären Wahn wie es wohl wäre wenn sie sich ihn Untertan machen und sich an seinem festen, kraftstrotzenden und gesund proportionierten Körper laben könnte…

Die Phase dieses Entgleitens dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, doch sie reichten aus um Ayris geistig heftig aufschrecken zu lassen was sichtbar nur in einem durchdringenden Zusammenzucken ihrer Glieder reflektierte. Naradas schien nichts Ungewöhnliches an ihr diagnostiziert zu haben, denn er wünschte ihr nur noch eine Gute Nacht und instruierte seinem Konstrukt zum Wachmodus überzuwechseln, dann lehnte er sich zurück und verschloss die hellblauen Augen. Aufgeregt beobachtete sie ihn, teils froh darüber das ihm nichts aufgefallen war, teils erschaudernd was plötzlich ins sie gefahren war. So geruhsam wie möglich erwiderte sie die segensreichen Nachtwünsche und ließ ihm seine Ruhe. Die Hitze tobte noch immer wie ein Feuersturm in ihr, dabei waren die Temperaturen des Tages hinab ins Minus gestürzt. Eilig schüttete sie das Wasser der Feldflasche in ihren Mund und trank sie bis auf den letzten Tropfen leer. Es half ein wenig. Als lösche man einen Flächenbrand auf Catachan mit einem lauen Tropenregen. Erst langsam, viel zu langsam setzte die Gegenwirkung ein. Ayris stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Was geschieht hier nur mit mir? Was tue ich mir an? Was tut dieser kranke Ort mir an? Ich bin sowas von im… ach, was bringt’s sich das dauernd zu sagen? Ich bin im chaotischen Herzen der Finsternis, bei den Säulen von Rak’Thamnis, schwachsinnig ernsthaft zu glauben das würde einen unberührt und ohne Makel lassen… Abgespannt strich sie sich über Stirn und Gesichtshälften, spürte die Fieberglut auf der Haut. Einer ihrer Finger verwischte hierbei eine Träne, die ohne ihr Wissen auf ihre Wange gerollt war. Die zarte Spur der Nässe verhieß kaum merkliche und doch wohlige Kühle.
Gönn dir Schlaf bevor du noch vor Wehleidigkeit und an der Ungerechtigkeit des Universums zerfließt. empfahl ihr eine vernunftbegabte Stimme und Ayris gehorchte ihr, suchte sich einen Platz drei Meter von Naradas entfernt, benutzte ihren Rucksack als Kopfstütze und wartete bis die Schwärze des kurzweiligen Vergessens sie übermannte und aus dem Jetzt entführte…
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