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Der Spiegel der Seele
#11
Ihr positiver Zukunftsglauben das Naradas die Sache alleine schaukeln würde war hinfällig geworden. Ziemlich schnell gewahr sie plötzlich das die Streitigkeit nicht nur zwischen den beiden Rädelsführern ausgetragen und geregelt werden würde, sondern sich auf alle anwesenden Beteiligten ausweitete. Ein Umstand den sie nicht begrüßen konnte, geschweige denn wollte, als sie erkannte das sich ein gegnerischer Rasankuri sie als Kontrahenten ausgeguckt hatte und zielstrebig auf sie zu stampfte. Die Tatsache das er sie um gut eine Haupteslänge überragte, gepaart mit der Gegebenheit das er einen seiner Arme – oder besser ausgedrückt, sein rechter Armauswuchs – beinahe über den Boden schleifte weil er statt einer Hand über eine knochige oder hornartige Entstellung verfügte, versüßte ihr die Aussicht nicht unbedingt. Die Entstellung musste für den Besitzer zwar ein wenig hemmend und behäbig sein, aber einmal geschwungen, so schätzte sie, vermochte er mit dem unteren, spitz zulaufenden Ende uneingeschränkt einen schwerfleischigen Körper samt evolutionären Panzer zu durchstoßen oder ihn mit der Außenseite, über die kleinere Missbildungen in Form von scharfen Zähnen oder Zacken wucherten, problemlos den Wanst aufzuschlitzen.

Ansonsten war der Krieger von nicht übermäßiger kräftiger Statur, wirkte er langgezogen und schlaksig, wenn man diese Begriffe in Bezugnahme auf einen Streiter der Götter überhaupt verwenden konnte. Über seinen haarlosen Schädel dehnte sich die Haut wie angespanntes Pergament, das an den Schläfen, unter den eingefallenen Augen und über der Stirn bereits rissig geworden war und den Eindruck erweckte „abzublättern“. An Gewicht schien er ohnehin kaum etwas zu besitzen, Fleischproportionen, Muskelgewebe oder natürliche Fettablagerungen suchte sie an ihm vergebens, die Brust des gestreckten Rivalen und evident Mutierten war abgemagert und eingedrückt, kantige Rippenbögen zeichneten sich unter der gestrafften Hülle der Haut ab, knorplige Knoten und verstärkte Knochenpartien an Schulter und Becken sahen so aus, als drückten sie nach außen um dort ihren unheiligen Wachstum fortzusetzten. Sein lippenloser Mund offenbarte die Parodie eines Grinsens, zeigte das Innere seines Schlundes doch eckige Stummel und krumme Beißwerkzeuge, die ein vollkommenes Schließen kaum mehr erlaubten. Zähflüssiger Speichel glänzte an seinem hageren Kinn, sielte zwischen den Lücken hervor und pendelte in langen Fäden durch die Luft.
In Gegenüberstellung zu der Mehrheit seiner Kumpane benötigte jener Rasankuri keinen zusätzlichen Schutz welcher ihm von stählernen Rüstungsteilen zugestanden hätte, seine Deformation oder das Geschenk, das die chaotischen Gottheiten ihm bewilligt hatten, reichte aus um aus ihm einen hochgradig gefährlichen Gegner ohne nennenswerte Schwäche auf den ersten Blick zu machen.

Dessen wurde sich auch Ayris aufgeregt bewusst und riss ihr Gewehr empor, kniff ihr linkes Auge zu um mit dem anderen „Maß“ zu nehmen und das auf sie zuhaltende Ungetüm in Knochenmehl zu verwandeln, aber dann zögerte sie. Rings um sie hieben und droschen nur so die nackten Fäuste, flogen die lederbestiefelten oder in Eisen gewandeten Füße oder peitschten faserige Schweife, reptiloide Schwänze oder sonstiges an grotesken Gliedmaßen umher um feindliche Leiber schmerzkrümmend in den Staub der Arena zu senden, doch noch niemand hatte bisher den Versuch unternommen (oder gewagt) eine Waffe des Fernkampfes abzufeuern. Was in Al-Chtan noch normal gewesen war und wo die Munition verbraucht wurde, wo man ihrer habhaft geworden war um die Widersacher des Wüstenstammes in Grund und Boden zu schießen, so kristallisierte sich bei diesem Schiedsgericht doch ein anderer Turnus heraus.
Hier fand kein Fest der Abschlachtung zu Ehren der Blutgötter statt, hier wetteiferte man nur darum welche Seite am Ende noch aufrecht stand und sich somit das Anrecht verdiente Einzug halten zu dürfen. Rondos Vagabunden hatten den Anspruch auf ihr kolossales Schlupfloch vermutlich noch nicht oft verteidigen müssen, denn Rasankur kämpfte erst seit neusten mit einem explosiven Zuwachs an zuströmender Bevölkerung, dank des unheimliches Rufes des schwarzen Drachens, dem so viele Wanderer und Aufgestoßene folgten. Aber das schmälerte nicht ihre Lust sich zu messen und die Gelegenheit auf ein zünftiges Gerangel mit ein paar schnöseligen Draufgängern kam ihnen da wohl nur recht. Ob die Eindringlinge ermattet waren von vorherigen Begebnissen interessierte dabei nicht, Hauptsache es floss Blut und einige dreiste Mäuler wurden gepfropft.

Die Azazernerin presste knirschend die Zähne aufeinander und haderte mit sich ob sie es tun sollte oder nicht. Immer wieder wollte sich ihr Finger um den Abzug ihres Gewehres biegen und das Scheusal, das da Grimasse schneidend seinen Kurs auf sie gerichtet hatte, per hochenergetischen Lichtstrahl das gefrorene Grinsen auf der Verunstaltung von Gesicht schmelzen, doch irgendwie fehlte ihr der letztlich benötigte Schneid dazu. Nirgendwo zischte ein Laser, kein Projektil verließ krachend eine Mündung und das Donnern von Schrottentladungen blieb ebenso aus. Lediglich das feuchte Klatschen von Fleisch auf Fleisch, Knochen auf Knochen oder Metall auf Metall war zu hören. Sie zerkaute einen Fluch auf ihren Lippen. Wie sollte sie handeln? Im Nahkampf hatte sie keine Chance gegen solch eine arglos verformte unempfindliche Mutation. Ein Schwinger mit seinem säbelzahnartigen Arm und sie wäre zerfetzte Geschichte. Ihr Verstand raste und arbeitete fieberhaft Möglichkeiten zur Ab und Gegenwehr aus während sie anfing rückwärst zu laufen um den Abstand zwischen ihnen so lange wie durchführbar aufrecht zu erhalten. Der Knochenmann ließ sich von ihrer angelegten Waffe nicht aus der Ruhe bringen, Kleinmut äußerte er nicht im Geringsten, als wüsste er bereits dass sie sich nicht traute zu schießen. Seine Furchtlosigkeit entmutigte sie ein wenig, zwang sie aber auch dazu umzudisponieren.

Sie riskierte einen Augenhuscher zur Seite und entdeckte den ekligen Omrek. Der ungewaschene, derbe Kerl zückte soeben einen Schlagstock mit metallenem Kopf. Der Chauffeur ihres Kraftfahrzeugs und einer der obersten Handlanger Naradas‘ widerte sie zutiefst an, aber im Moment war er ihr der liebste Mann der Welt. Eilig wich sie zurück, glitt hinter ihn und grub dabei ihre Finger in seinen schmutzigen Überwurf, den er über seiner leichten bis mittelstarken Rüstung trug. Grunzend drehte er sein kleistriges Gesicht um sie anzuschauen. Wut und Ärger glomm in seinen sonst so naiv glotzenden Pupillen.
Omrek, dort!“ rief sie ihm nur zu, vermied sich die Blöße um Hilfe zu betteln. Ihr Ausruf genügte dass er sich wieder umwandte und dem Mutanten entgegenblickte, der es auf sie abgesehen hatte.
Oh – groß und hässlich, so wie ich sie mag!“ grollte er nur und stob auf den verfehdeten Rasankuri zu. In seiner zweiten Faust tauchte auf einmal ein weiterer Knüppel aus Hartmaterial auf, ein weiterer Knochenbrecher. Zehn Sekunden später waren beide in einen mörderischen Schlagabtausch verwickelt.

Ayris atmete flüchtig auf. Das war ja besser gelaufen als sie erwartet hatte. Aber plötzlich fegte etwas unglaublich schnelles aus dem Nichts heran und traf sie mit immenser Wucht über ihrem linken Ohr. Es war heftig genug um sie benommen taumeln und gegen ein rundliches Säulensegment hinter ihr stürzen zu lassen, an dem sie sich notdürftig festklammerte. Sie spürte warme Feuchtigkeit ihre Haare verkleben. Durch verschleierte Sicht bemerkte sie einen gewandten Krieger der Gegenseite in kupfernen Arm und Beinschienen, der Häute und Fellreste von ordinärem Getier über Brust und Hüfte trug und dazu einen Antlitz verhüllenden Käfighelm. In seinen langfingrigen Händen wog er Kugeln, dunkel wie Obsidian. Der Hund schummelte. Aberwitzig es so harmlos zu bezeichnen wo es doch um Leben und Tod ging. Sie schüttelte die Gedanken nach einem fairen Kampf aus ihrem dröhnenden Kopf und wollte den Schleuderer zu Schlacke verdampfen, stellte aber konsterniert fest dass ihren Fingern das Lasergewehr entfallen war. Hastig ließ sie sich auf Knie und Hände nieder und tastete den Boden nach der Waffe ab, indes über ihr eine zweite Kugel gegen die Säule schmetterte und scharfe Steinsplitter verspritzte die ihr in den Nacken rieselten. Er war schnell, zu schnell. Das Gewehr lag weiter von ihr entfernt als sie gedacht hatte. Sie entschied sich flink um, fand und griff sich den ersten Stein finsteren Ursprungs und warf in von sich. Ein blechernes Tönen, ähnlich dem Schlag eines Gongs, erschallte und befriedigt sah sie ihren Antagonisten schwanken. Aber besiegt war er noch nicht, wie so viele andere ebenfalls nicht…
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