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Jacks Hütte
#12
Es war seltsam. Still. Gedankenlos. Und doch wieder nicht. Sie war aufgestanden, hatte den beengten Raum jener Hütte verlassen, strich ziellos die verunreinigten Pfade zwischen einzelnen “Blocks” entlang. Es war dies das imperiale Leben. Nicht wie vom göttlichen Imperator aller Menschen verkündet, das Zeitalter ohne Schmerz, ohne Leid, ohne Armut, zumindest waren dies auserlesene Propagandaworte, welche vielerorts, meist in den Kolonien, Tag um Tag, und selbst zu später Abendstunde noch, als ungestopptes Band abliefen. Ihre ignorante, einfachste Form, geistiger Manipulation, möglicherweise sogar effektiv, denn jene welche es betraf, kümmerten sich kaum um das was, wieso und warum, sondern verrichten als arbeitswillige Sklaven zu jedem Sonnenaufgang ihr Werk, zehrten von einem kargen Mittagsmahl in einer verdreckten, meist Kakerlakenverseuchten Kantine, torkelten benommen von irgendwelchen Minengasen, Industrieabfällen oder sonstigen Widrigkeiten lange nach Dämmerung nach Hause, um gerade noch das aktuellste aus dem Sport-, Unterhaltungs- oder Propagandasender zu vernehmen. War es monoton? Nicht für jene, sie meinten es als erfülltes, gutes Leben, natürlich könnte es besser sein, doch auch schlechter. Nur die wenigsten wussten überhaupt was das Chaos ist, wer die angeblich “gesichtlosen” Horden von geknechteten Sklaven waren, welche den sogenannten Göttern loyal ins Verderben folgten. Kannten sie überhaupt einen Unterschied? Gut, Böse? Ordnung, Chaos? War es denn überhaupt wichtig für diese Volksmassen, wem sie dienen durften? Es war ihnen wohl einerlei, vielleicht eine schlichte Religionserziehung, vielleicht das sonntägliche Stoßgebet an seine Heiligkeit zu Terra, ein paar verantwortungslose Fetzen gesprochener, erhaschter Theologie, mehr wussten sie doch gar nicht über den “Erzfeind”. Und natürlich wurde in den höheren Gesellschaften nicht über dieses Moos gesprochen, diesen stinkenden Bodensatz, welcher jeder Makropole zu Grunde lag. Warum auch? Sie waren doch alle nur hoffnungslose Existenzverlierer, mancher hatte nun mal das unbeschreibliche Pech, nicht in den verkuppelten Palästen und unverfälschten Grünanlagen der Oberstadt geboren zu werden, war wohl im früheren Leben schlecht gewesen, oder so was, hatte es gar verdient als Müllmensch oder Mutant aus dem Mutterleib ausgeschieden zu werden, wie das wertlose Exkrement das sie eben waren. Kümmert sich etwa die Spinne darum, weshalb die winzigste Fliege im Netz zuckt? Wohl kaum, so war es also auch hier.

Kinder spielten, entstellte, vernarbte, teilweise mutierte Groteske, etwas das an Hässlichkeit und Unzulänglichkeit kaum zu überbieten war. Und dennoch besaßen sie diese spezielle, den Kindern eigene, Unschuld, diese naive Geisteshaltung, welche eben für alles offen war. Und darin erkannte man doch letztendlich den wahren Wert der Gesellschaft, in ihrer ureigenen Brut. Diese hier waren bescheiden, spielten in einer gallertartigen Pfütze, welche eben erst dem benachbarten Fleischhauer entlaufen war, ranziges Fett, vermischt mit gestocktem Blut, etwas Klärschlamm, gefallenem sauren Regen, welcher sich hier durch die Häuserschluchten bahnte. Ein gutes Dutzend, einseitig mit dem formen und verwerfen matschiger Geschosse beschäftigt. Ein blutjunges, kaum siebenjähriges Geschöpf, Rüssel an stelle einer gewöhnlich geformten Nase, eifrig im backen sogenannter “Schlammkuchen” verwickelt, manch ein dicker Regenwurm fand dabei ein schreckliches Ende zwischen den abstehenden, gekrümmten Zähnen. Die ältere Generation imperialer Gosse gluckste dabei teilnahmslos, starrte böswillig in die Höhe hinauf, legte buntgemischte Karten aus, würfelte an provisorischen Tischen, besoff sich. Alles um diesem Alptraum einer Existenz wenigstens für einige wenige Herzschläge lang zu entgehen, eine hoffnungslose Flucht, welche letzten Endes doch wieder auf den Punkt zurückkehrte, von wo sie begonnen hatte. Vom Schlamm, zum Schlamm. Würden sie einst an Seuche oder Bandenkriegen verrecken, würde man sie einfach in einen Schacht werfen, in einer ungeklärten Pfütze verfaulen oder einfach zum nächsten Metzger schleifen. Dies war auch Imperium, wenngleich eine insgesamt realistischere Darstellung, als das was die meisten Menschen kannten. Natürlich waren sie alle ignorant, egoistisch und verdorben, von Grund auf, keinen interessierte letztlich wer oder was vor seinen Füßen dahinsiechte, Hauptsache ein nimmersattes Maul weniger zu stopfen, ein Untermensch weniger unter Aufsicht zu stellen. Als ob es hier überhaupt etwas derartiges gab. Jeder war hier Leibeigener und Gesetzloser zu gleich, solange sie nicht die sauber gekleideten Personen weiter oben mit ihrem lästigen Gewinsel, ihrem erbärmlichen, zerschundenen Äußeren oder ihrem üblen Geruch nervten, deren Nasen möglicherweise beleidigten, solange war alles ruhig. Nur nicht aufmucksen, oft genug hatte sie schon von Säuberungsaktionen gegen Unterstädte gehört, zweifellos war dies auch hier einige Male der Fall gewesen, kaum brodelte der Kessel, goss man Salz hinein, schon wurde das Wasser stil. In dieser Situation die breite Masse, der größte Teil einer Makropolwelt. Was kümmerte es sie? Genau betrachtet, war doch jeder dieser heruntergekommenen Kriecher selbst an seiner Existenz schuld, sie könnten sie beenden, kämpfen, sich erheben… doch sie verharrten nur. Viele klagend, wenige stoisch. Rebellion bedeutete ein rasches, gewaltsames Ende… so viel war klar. Doch ein kollektiver, verständlicher Aufstand? Auch dieser würde die Obrigkeit nicht veranlassen ein Mindestmass an Menschlichkeit, Hygiene oder Bildung einzuführen. Sie würden weiterhin verhungern, zumindest jene die noch zucken konnten, während Dreschflegel, Ordnungsstäbe und Repetierschrotflinten schmetterten. Doch was war mit der grundsätzlichen Lehre geschehen? Hatte man nicht allen Bürgern, allen Bewohnern dieser Galaxis einmal gelernt, was Nächstenliebe und Verständnis waren? Vergebene Früchte, welche auf den Feldern einer unbewirtschafteten Welt dahin rotteten.

Und irgendwie war es dann doch seltsam. Der rege Einklang, das schweigende Gemüt, hier herrschten Banden, gesetzlose, ausgestoßene Maden, welche selbst von der Justiz vergessen, dennoch für sie sorgten. Eine lineare Grundstruktur, welche jedes Wesen veranlasste, zu seinen dunklen, archaischen Wurzeln zurückzukehren. Jäger, Sammler, Krieger und Hure. Man fand alles hier. So brachial, grotesk und unvollkommen es klingen mochte, war diese Gesellschaft dennoch nicht maßgeblich anders als jene die über sie herrschte. Vielleicht war gerade diese eine Erkenntnis auch die Quintessenz des Chaos? Diese Form der Macht akzeptierte nicht das bloße Wort, es reichte nicht zu existieren, ohne Kampf wurde man assimiliert, verschlungen, ausgelöscht. Dies hätte keinen Bestand, wäre eine temporäre Zuflucht vor jenen, welche die dunklen Kreuzzüge führten, welche die Götter durch tägliches Blutopfer huldigten. Doch auch hier… trotz des milden Umstandes einer annähernden “Klassenlosigkeit”, regierten wohl auch in den nimmerendenden Reihen der chaotischen Heerscharen, jene die durch göttliche Fingerzeig zu Höherem erhoben worden waren. Horus, Abbadon und die anderen Kinder des “falschen Imperators”. Die Adeptus Astartes herrschten auch hier, so fern vom Licht des heiligen Terra, verloren in den blutigen Stürmen ihrer neuen Heimat, umgeben vom Warp, vom geflossenen, materialisierten Wahnsinn. Wie war dies möglich? Konnte herrschen wer selbst einst zum großen Feind gehörte? Welcher… Verrat war dies, so unbegreiflich, so fremdartig, und dennoch faszinierend… Horus verwundete den “Scheingott” aller Menschen, tötete ihn ja sogar beinahe, fesselte ihn an sein ewiges, goldenes Gefängnis, nur um selbst erschlagen und vergessen zu werden. Und nun? Abbadon… es gab Gerüchte, dunkle Verse, in krankhafter Manie gebrüllte Segnungen, kryptische Überlieferungen… Er, welcher Ketzer, Dämonen und Erwählte gleichermaßen anführte, welcher von allen Götter erhoben, war sterblich. Doch wie? Warum? Ihre Gedanken verfingen sich in einem Netz, dessen einfachste Lösung ihrem geistigen Auge zusehends entglitt. Warum herrschte ein sterblicher, verletzlicher Wurm über alles Leben, wenn doch andere den letzten Schritt vollzogen, sich zu erhabenen Wesen, den Göttern gleich, machten? Obskurer, verräterischer Gedanke und erst da begriff sie, wie weit sie schon gefallen, wie viel sie bereits aus dem Kelch dieser immateriellen Welt getrunken hatte.

Der unvergängliche Warp kannte ihren Namen, genauso wie er jeden Namen, der jemals gegeben wurde, kannte. Alle Menschen waren durch ihn beeinflusst, berührt und verändert. Sei es durch radikalen Widerstand, wie es jene loyalen Kinder des Gottimperators praktizierten, oder durch bedingungslose Hingabe, wie sie es so viele Male auf der Zuflucht, auf der Blutengel gesehen, miterlebt hatte. Jenes Maß an unbeschreiblichem, abstrakten Wahnsinn, welches auch hinter dem heimtückischen Funkeln brannte, welches der Berserker sein Augenmerk nannte. Doch andere… nicht sehende und dennoch nicht blinde, was war mit ihnen? Menschen wie Jack, jene Kinder, jeglicher Mensch dieser Unterstadt? Was war mit ihnen? Welches Zünglein würden sie sein, jenes auf der Wiegschale der Götter, oder jenes auf der des einen “Gottes”? Auch hier spürte sie die tiefgreifende Emotion, jenes unterbewusste Treiben, welches die Menschen ignorant und stumpf machte, was sie einander vergessen ließ. Auch hier waren sie, die undeutlichen Anzeichen, flüchtigen Eindrücke. Wie sich ein Zyklus von menschenfeindlicher Grausamkeit wiegte, übergehend in die kränkelnde Gesundheit des einzelnen, während sie einander belogen, betrogen und bestahlen, selbst den letzten Bissen vom Mund weg raubten und dennoch ihren niedersten Instinkten sklavisch folge leistend, sich den fleischlichen Genüssen hingaben, wie überall im Universum. So hätte dies im selben Augenblick, Gebärmutter und Richtschwert sein können. Niemand konnte jenen ungeschäftigen Geist der Neutralität wahrlich begreifen, erfüllen, doch jeder wusste das er hier war, das jene Menschen weder das eine noch das andere je schätzen gelernt hatten, sondern vollkommen Frei von derartigen Eindrücken erwachsen waren. Zum Guten oder zum Schlechten, blieb dabei ungeklärt. War nicht der Schlächter des Khorne, Kogan, aus diesem Leib gekrochen, hatte er sich nicht von hier aufgemacht, seine einzige Bestimmung zu finden? Welche ungenutzten Existenzen, welches grenzenlose Potenzial mochte hier schlummern, zwischen Wellblechhütten, Schlammpfützen, Abfall und Fäkalien? Wie viele Krieger im Namen beider verfeindeter Konfessionen mochten von hier einst ausbrechen, um dem lockenden Ruf des Schicksals zu folgen? Dieser kurze Gedanke, jener süßliche Einklang mit dem höheren Bewusstsein, zerbrach jäh, als sie über den eigenen Schatten stürzte. Wer war sie? Eine berechtigte, doch möglicherweise vollkommen törichte Frage, welche zweifellos auf andere Weise hätte gestellt werden müssen. Doch sie forschte, ersann und verstand doch nie. Geboren von einer Mutter, gezeugt von einem Vater, gekleidet, genährt und erzogen durch die imperiale Gesellschaft. Doch von Einsicht beschenkt? Durch das Chaos? Durch den freien Gedanken, welcher urtümlicher Quell und glorifizierteste Inspiration aller großen Philosophen war? Zum ersten Male seit vielen Nächten, besah sie sich selbst wie in einem Spiegel, fühlte sich verändert, reifer… So war etwas geschehen, schleichend, zunächst undeutlich und dann doch recht ersichtlich. Die geistige Grundhaltung, jene gebeugte Seele unter dem Joch falscher Geschichtsschreibung, hatte sich zum höheren Ruhme erhoben, begann zu hinterfragen. Sie fing an wahrlich zu Leben, wie es vom ursprünglichen Schöpfer aller Dinge ersonnen worden war. Dennoch war jenes Gefühl schleichender Veränderung nicht rein metaphysischer Natur…
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[Kein Betreff] - von - 07-16-2008, 08:34 PM
[Kein Betreff] - von - 08-18-2008, 12:21 PM
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