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Altes Krankenhaus
#42
Das Krankenhaus war als solches benutzt wurden. Zumindest hatte man scheinbar den Versuch unternommen, es wieder seiner ursprünglichen Funktion zuzuführen.
Nachdem sich die Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, genügte das hereinsickernde Mondlicht um festzustellen, dass es hier keineswegs so finster war, wie der Blick von Außen es hätte vermuten lassen.
Was man hier zu sehen bekam, machte auf befremdliche Weise den Eindruck gerade erst zurückgelassen wurden zu sein und gleichzeitig als würde es hier schon Jahrhunderte liegen. In der riesigen Eingangshalle, die dereinst wohl als Anmeldebereich und Wartezone gedient haben mochte, stand ein transportabler Generator. Stumm und funktionslos wie das Fossil einer prähistorischen Bestie. Daneben gab es einige Feldbetten und medizinische Ausrüstung. Letztere aus Armeebeständen, wie die herumstehenden Transportkisten verrieten. Vieles von der PVS erbeutet, einiges von Fraktionen, die zuletzt im Krieg der Häuser von Bedeutung gewesen waren. Aufgerissene Rationspackungen und Blister für allerlei Arznei lag herum.
Warum man sich entschieden hatte nur den Eingangsbereich zu Behandlung zu nutzen, wo doch ein ganzes, überdimensionales Krankenhaus zu Verfügung stand, das ließ sich aus den zurückgelassenen Relikten nicht ableiten.
Hier immerhin lagen keine Leichen oder Knochen herum.
Jamaar überkam ein sonderbares Bild. Keine Vision, kein Tagtraum, mehr ein Eindruck, wie die Erinnerung eines Fremden. Vor seinem geistigen Auge sah er die Betriebsamkeit, die hier dereinst zuhause gewesen sein musste. Zehn Menschen vom Personal, allein hinter dem Tresen für die Annahme. Ein stetes Kommen und Gehen, Besucher und Angehörige. Jene die auf Behandlung warteten, andere die genesen entlassen werden konnten. Hunderte… Tausende.
Rasankur musste zu seiner Blütezeit eine beeindruckende Mischung aus Chaosglauben und den Bedürfnissen des täglichen Lebens gewesen sein. Dann brach ein unsäglicher Schrecken in diese Erinnerung. Eine Verzweiflung, eine Panik so gewaltig, so kollektiv und allumfassend, dass es befähigt war den einzelnen Verstand als Selbstschutz in den Wahnsinn abdriften zu lassen. Wie ein Keulenschlag.
Dann nichts mehr.
Die Erinnerung des Ortes ebbte ab und wurde von einem sachten Wüstenwind ergriffen, der säuselnd durch die zerschlagenen Fenster hereinwehte. Er trug das Grauen heraus und vermengte es mit all den Schrecknissen, die die Wüste ihre Heimat nannten.
Jamaars Denken war wieder so allein wie er selbst es in der Empfangshalle war. Er durchschritt den Raum. Es schien hier keine psychischen Gefahren zu geben. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Die sonderbare Anwandlung eben, ließ jedoch ahnen, dass es vielleicht eine Bedrohung auf geistiger Ebene gab.
Von wem oder von was diese Bedrohung ausging blieb vorerst verborgen.

Es gab eine ganze Reihe von Aufzugschächten und ein Treppenhaus. Die Verzierungen und dekorativen Elemente waren hier weniger an die Ästhetik des Wüstenvolkes angelehnt, sondern ließen einen leichten imperialen Einschlag erkennen.
Vermutlich war das Gebäude in einer Zeit errichtet wurden, als Rasankur sich zum Zwecke der Tarnung den Anschein gehorsamer Vasallenteure gegeben hatte. Da die Aufzüge funktionsuntüchtig sein würden, blieb nur das Treppenhaus. Dort wiederum musste die Dunkelheit perfekt sein, da doch kein Mondlicht Eingang finden konnte.
Doch nein!
An den Wänden klebte ein schwarzes Geflecht, dass wie Schimmel anmutete. Auf den ersten Schritten war es noch abgestorben und kaum mehr als Stockflecken auf dem Verputz. Nicht verwunderlich, wenn solch ein Gewächs sich der heißen und trockenen Luft ausgesetzt sah. Doch mit jedem Schritt, denn Jamaar in den Treppen Flur hineinwagte, nahm auch der Bewuchs an Vitalität zu.
Das konnte er sehen, weil von diesem ein schwacher lumineszierender Glanz ausging, der gerade genügte, dass Gröbste aus dem Dunkel zu schälen. Der Ursprung des Schimmels schien aus den unteren Stockwerken zu stammen und sich tastend die Treppen herauf zu wagen. Als der Krieger des Nurgel diesen Abwärtsweg wählte, wurde der Befall bereits auf dem zweiten Treppenabsatz geradezu üppig und das sachte Glühen ging in ein kränklich sattes Leuchten über.
Zwei Stockwerke tiefer und er tauchte in eine absonderliche Parallelwelt ein. Den Eingang zu dieser bildete eine halb offenstehende Feuerschutztür, die gänzlich überwuchert war. Der Schimmel war hier dick wie ein Teppich und ein dünner Nebel aus Wassertröpfchen und Sporen hing als grüner Dunst darüber.
Eine schillernde dicke Fliege brummte träge aus der Tür, drehte eine schläfrige Runde und verschwand dann wieder im Inneren. Ganz so als sei sie ein freundlicher Gastgeber, der zum Betreten einlud.
Hinter der Tür wies nichts mehr darauf hin, dass er sich in dem befand, was vielleicht einmal ein Heizungskeller oder ähnliches gewesen sein mochte.
Jamaar wandelte durch ein Biotop des Grotesken und Makabren. Der moosartig grüne Schimmel bedeckte alles wie Gras. Aus diesem Grundelement erhob sich bizarrste Fauna. Pilzkörper und Köpfe in allen erdenklichen Formen und Farben, einige in sachter Bewegung wie Anemonen, von schillerndem Schleim überzogen. In Abständen ragte an langen Stielen leuchtende Früchte in den Raum und mischten dem Grün andere Farben hinzu. Sämiges Sekret topfte von diesen aufgedunsenen Dolden herunter. Insekten umstanden die Leuchtkörper in flimmernden Wolken. Aus schlotartigen Auswüchsen entströmten gelbliche Faulgase. Zwischen Jamaars Füßen schlängelte sich eine fette Made, mit den Beinen eines Tausendfüßlers entlang und verschwand zischen den Trieben eines Gewächses, das sich in seinem Sprießen in einen menschlichen Totenschädel verirrt hatte. Der aufkeimende Stiel hatte die menschlichen Knochen angehoben und über den Boden erhoben. Um das Bizarre noch zu verfeinern, rollte sich unter dem Kiefer ein geschwungener Auswuchs heraus, der einer Zunge zum Verwechseln ähnelte. Als sich eines der langbeinigen Insekten darauf niederließ, rollte sie sich blitzschnell ein und aus dem Inneren des Schädels ertönte ein schmatzendes Geräusch. Überhaupt waren hier, wie schon auf dem Vorplatz des Krankenhauses eine Vielzahl von Knochen verstreut, wenn auch größtenteils unter dem Schimmelteppich verborgen. Aber sie brachen und knirschten unter Jamaars Schritten, als er voran ging.
Auch in diese Parodie des Lebens hier unten, waren die menschlichen Überreste mit verwoben. Die Basis der Schlote bildeten Knochenhaufen. Eine Kreatur, die sich nicht recht entscheiden wollte ob sie Krebs oder Spinne imitierte, nutzte einen skelettierten Kinderbrustkorb als tragbare Behausung.
Die Luft war so dick, dass man sie förmlich greifen konnte. Angefüllt mit Gasen und Gerüchen, die Anhängern anderer Glaubensrichtungen als entsetzlicher Gestank vorgekommen wären. Bewuchs und tierisches Leben war nachgiebig, weich, aufgebläht, gefüllt mit Sekreten und Flüssigkeiten. Ein brütendes Summen lag in dieser kaum atembaren Suppe von Luft. Dieses Summen waren die Geräusche all der hier versammelten Geschöpfe. Es scholl an, wurde leiser und schwoll wieder an. Vernehmlicher mit jedem Schritt, denn der Nurgeljünger machte. Wie ein Pulsschlag, wie das schlagende Herz eines Riesen. Konzentrierte man sich auf die einzelnen Quellen dieser Geräuschkulisse, so konnte man fast meinen das Wispern von hunderten von Stimmen zu vernehmen.
Wer? Wer? Wer? Wer ist es? Schien eine große Ansammlung surrender Motten zu summen, während er ihre Zusammenballung links passierte.
Einer der sich zu uns gesellt, zischte ein Strom austretenden Gases. Einer der mit uns vergeht und neu entsteht. Im Gegensatz zu dem Anflug einer Erinnerung ob in der Halle, war das hier nicht in seinem Kopf. Diese Laute waren so real, wie etwas in dieser absurden Wucherwelt unter einem verdorrten Ort wie dem Krankenhaus nur sein konnte.
Nein! Einer der kommt und die Seele schauen will. Die Seele der Stadt.
Die Seele der Stadt!
Die Seele der Stadt!
Die Seele der Stadt!

Flüsterte alles.
Die Wände des Korridors waren hinter einer Biegung mit Skeletten regelrecht verkrustet, vom Schimmel und anderem unaussprechlichem Bewuchs überwuchert. Die Stimmen schienen jetzt aus den offenstehenden, grinsenden Mundhöhlen zu flüstern.
Wer bist du?
Wohin gehst du?
Was ist dein Begehr?
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