11-25-2011, 01:14 AM
südwestlich des Palastes
In einer aufgewirbelten Sandwolke kam der Schweber zum stehen. Pestor schob die Schweißerbrille von den Augen auf die Stirn, legte den rechten Arm auf die breite Rückenlehne der vorderen Sitzbank und als sich der Staub langsam legte ließ er seinen Blick an dem über fünfzig Stockwerke hohen Bauwerk gen Himmel wandern.
Dat is 's. Wie konnt' ich das hier nur all die Zeit übersehn und wieso hat niemand, den ich gefragt hab, von diesem Bau gewusst?!
Na ja, sieh dich ma' um!
Hier is … niemand.
Danach drehte er den Kopf über die rechte Schulter nach hinten, nahm einen Zug von der Zigarette und sagte:
Das wird unser neues Heim. Was sagt ihr dazu, heh? sie blieben ihm die Antwort schuldig.
Auf der hinteren Rückbank saßen zwei mumifizierte Leichen mit den Füßen auf dem Polster. Eine Mutter die ihr Kind, vielleicht im Grundschulalter, im linken Arm hielt und mit dem Anderen eine abwehrende Pose innehatte. Die Augenhöhlen waren leer und das Nichts starrte aus ihnen heraus, die Münder aufgerissen zu einem stummen Schrei der Verzweiflung. Ein dünnes, grün-bläuliches Pilzgeflecht überzog ihre ledrigen Häute und gab ihnen ein schon fast mystisches Äußeres, als würden sie jeden Moment zu neuem Leben erwachen.
Es war nur ein kleiner Umweg gewesen die Beiden und noch ein paar andere Bedeutungslosigkeiten aus der kleinen Kammer unter der Stadt zu holen. Der Seuchenjünger stieg aus und schlenderte an der Fahrerseite nach hinten. Im Fußraum zwischen den sich gegenüberliegenden Sitzgelegenheiten der Beifahrer lag das alte Maschinengewehr, welches er noch aus der Zeit der Belagerung durch Al Chalik hatte.
Zuerst wurde sich des Parkers entledigt, dann eine sonnengewärmte Flasche Wasser geleert, im Anschluss wurden, mit den routinierten Handgriffen eines Soldaten, die treue Seuchenschleuder und der Revolver überprüft. Ein Magazin für das Sturmgewehr und insgesamt vierundzwanzig Schuss für den Geind mussten reichen wenn der Gurt, mit zweihundertfünfzig stählernen Freuden, sein letztes Geschoss hergegeben hatte.
Gut Schatz, ich lass den Rucksack hier. Pass du auf den Wag'n auf. Ich bin bald zurück.
Is' dir eigentlich klar dass du dich hart an 'er Grenze zum Irrsinn bewegst?
Sagte die Stimme in mei'm Kopf,
Was?!
Ach nix, er ging grinsend weiter.
Es schien als wäre schon lange niemand mehr hier gewesen und die Wüste hatte begonnen sich ihr altes Territorium zurück zu erobern. Was auch immer unter der hellbraunen-gelblichen Decke lag würde der Sand so schnell nicht mehr hergeben.
Der Gebäudekomplex, auf dessen Haupteingang, welcher im Osten lag, sich Pestor zu bewegte, basierte auf einem über zweihundert Meter in die Höhe ragenden turmartigen Hauptgebäude von gut fünfzig Schritt Breite, mit weit ausgedehnten Seitenanbauten. Das obere Drittel des Turmes verjüngte sich dreimal stufenweise und die spitze krönten drei Kreise in Form eines Dreiecks.
Auch hier, in der Wüste, hatte die Gotik ihre Spuren hinterlassen, wenn auch nicht so deutlich wie in anderen Städten. Auffällig waren die über zwanzig Meter hohen, aber kaum vier Meter breiten Fenster, im unteren Teil des Bauwerkes, welche erst in einer Höhe von fünf Metern begannen und das eindrucksvolle Gebäude auch einmal komplett umrundeten in einem Abstand von dem Viertel ihrer eigenen Breite. Doch zeigten diese Windaugen hier keine Heiligen des Imperiums sondern verschiedenste Kreaturen mit den Segnungen der Götter.
An den beiden äußeren Ecken, der zwei Anbauten, befand sich jeweils ein Turm von fast hundert Metern Höhe, jeder der vier Türme trug das Zeichen von einem der vier Götter.
Dem Hauptportal, gesäumt von zwei riesigen, in Roben mit schweren Kapuzen gehüllte Figuren, fehlte der linke Torflügel, der Rechte hing nur noch an einem rostigen und quietschenden Scharnier. Beide Skulpturen standen auf einem hohen Sockel so dass man ihnen im vorbeigehen nur auf die Füße schauen konnte und erst den Kopf heben musste um ihr Antlitz unter ihrer schweren Tuche zu erspähen nur damit sie einen mit ihrer wahrlich steinernen Miene einschüchterten und jeden mahnten dieses Gebäude wohlüberlegt zu betreten. Auch wenn man den Kopf senkte und ihnen nicht in ihre steinernen Augen sah fühlte man ihre durchdringenden Blick auf sich ruhen.
Kleine Dünen hatten sich bereits an den Mauern und in den Ecken gebildet, in denen sich der Wind gefangen hatte. Ein Teppich aus Sand zeigte durch jenes halboffene Tor in das Innere des Gebäudes und lud den Seuchenjünger ein.
Durch die unzähligen Fenster strömte unerwartet viel Licht in eine Halle welche das gesamte, untere Stockwerk des Gebäudes einnahm. Auf gebaut war die Halle wie ein doppeltes Kirchenschiff welches den Turm in der Mitte hatte und das Kreuzrippengewölbe maß über dreißig Meter in der inneren Höhe, die Decke im Turris war noch einmal zehn Meter höher, nur die unteren drei Etagen des Turmes ragten, mit quadratischem Grundriss, stufenweise aus der Decke und wurden zu beiden Seiten der Anbauten mit je drei Brücken verbunden. Dank der Höhe des Gewölbes war es angenehm kühl im Inneren. Von der untersten, der drei Ebenen, konnte man wohl die gesamte Halle einsehen. Diese standvoll mit hunderten alter, rostiger Bettgestelle, die meisten davon waren kreuz und quer im Raum verteilt, einige waren zu merkwürdigen Pyramiden aufgestapelt, deren Matratzen von allen möglichen Körperflüssigkeiten dunkel verfärbt wurden.
Sand knirschte zwischen Pestors Stiefeln und dem steinernen Boden als er langsam durch den riesigen Saal schritt, niemand war zu sehen doch Geräusche gab es genug in diesen antiken Mauern. Immer wieder schwenkte er das alte, schwere MG von einer Seite zur anderen, doch nichts bewegte sich.
Wohin zu ers', hoch o'r runter?
Es geht imma ers' ma' abwärts, witzelte die Stimme.
Jah, zieh'n wir uns zu ers' die Ka-ta-kom-ben rein.
An den vier Ecken wo der Turris auf die Anbauten traf waren je zwei Aufzugsschächte und ein breites Treppenhaus welches um die um die Aufzüge herum führte.
Auch nach mehrmaligen drücken der Taste wollte sich keiner der Aufzüge in Bewegung versetzten, so blieb nur noch das Treppenhaus. Pestor befestigte die Taschenlampe an der dafür vorgesehenen Halterung der Armaplastweste und begab sich in die Tiefen des Gemäuers.
Sieben Stockwerke führten ihn die Treppen nach unten, nur der Schein der kleinen Lampe herhellte die allumfassende Dunkelheit und je weiter er hinab stieg desto auffällig kühler und feuchter wurde die Luft.
Tja, das is wohl der Tiefpunkt deiner Kariere.
Ja ja, sehr witzig.
Ein langer Gang lag vor ihm, drei Meter breit und ebenso hoch, an der Deck liefen einige Rohre entlang immer wieder tropfte Wasser aus undichten Flanschen und sammelte sich in kleinen Pfützen. Der Aufbau war quadratisch und absolut schlicht gehalten und passte so gar nicht zu der Kunstfertigkeit der großen Halle, es war fast so als würde er sich in einer der Subebenen einer Makropole bewegen.
Hier war es so still dass der Seuchenjünger seinen eigenen Herzschlag und das Rauschen des Blutes hören konnte, nur begleitet vom Träufeln des Wassers.
Labyrinthisch zweigten Gänge und Türen ab ohne ein Schild oder eine Markierung, hier konnte man sich gut verlaufen und nie gefunden werden.
Mehrfach zielte Pestor auf Regungen im Augenwinkel aber es waren nur die tanzenden Schatten, verursacht von seiner Taschenlampe, die den Verstand narrten.
Endlose Minuten in der Dunkelheit mussten vergangen sein aber seine Orientierung verriet ihm dass er sich unter dem südlichen Seitenschiff befunden haben musste als er einen der beiden Heizungs- und Dampfkesselräume fand.
Der Raum erstreckte sich über zwei Etagen und war gut zehn Schritt breit und fünfzehn lang, die Kühle der Luft verneinte das Vorhandensein vom, auch nur kleinsten, Glimmen einer Flamme. Alle Manometer standen auf Null oder waren eingerostet auch die Gasleitungen waren ohne Druck und die Kohlebunker waren leer.
Na ja, war ja zu erwart'n. Wat nu?
fall du nich' vorhattest hier einzuzieh'n … ein lauter Knall zerriss die Stille.
Scheiße, was war das? flüsterte Pestor.
Keine Ahnung, sieh doch nach!
Ja, imma ich.
Wer denn sonst?!
Hörbar wurde die Sicherung des MGs entriegelt. Langsam und vorsichtig nährte sich Pestor dem Gang aus dem er gekommen war, kehlige Laute halten durch die Flure, eine Richtung war nicht auszumachen außer: von vorn. Seine Schritte wurden schneller und wiederholt drehte er sich um aber nichts war zu sehen, in dem Moment als er sich wieder zurück wandte, huschte Etwas über die Kreuzung, vier Schritt vor ihm.
Scheiße, da war wirklich was!
Bleib ruhich.
Es wir dich schon nich' umbring'
Ach, nein?!
Wir werden seh'n.
Was es auch war, hinter ihm kam jetzt ein Geräusch, ein Klicken von Metall auf Stein, näher.
der Seuchenjünger suchte sich eine Ecke, mit dem Rücken zur Wand und zielte in den Gang. Zwei, drei Bewegungen konnte er im Halbdunkel ausmachen, zwei auf dem Boden und eine an der Wand, vielleicht zehn Meter vor ihm.
Er drückte den Abzug durch und entfesselte eine Hölle aus Feuer und Stahl. Nicht alle Rohre waren, wie es schien, ohne Dampfdruck und so vernebelte ihm jetzt das Kondensat die Sicht. Aus dieser Nebelwand sprang ihm eine Gestallt mit stählernen glänzenden Klauen entgegen und wurde von einer Salve zerrissen.
Mehrere krallen schabten jetzt über den Boden, zu viele um sie auch nur schätzen zu können und Geschrei nach Blut wurden immer lauter und kamen immerweiter schnell auf ihn zu.
Pestor hastet nun durch die Gänge, das hin und her huschende Licht an seiner Brust machte es ihm schwer zu sehen wo er hin lief, er drehte sich um schoss ein Salve um seine Verfolger auf abstand zu halten und lief dann weiter. Die Gänge wollten kein Ende nehmen und er zweifelte schon daran dass er auf dem richtigen weg sei. An einer Kreuzung ging ihm die Munition für das Maschinengewehr aus als er aus Reflex auf einen Schatten schoss. Treffer oder nicht, es war egal, die Seuchenschleuder kam jetzt zum Einsatz.
An einer hinteren Wand zu seiner Rechten sah er endlich den Treppenaufgang, im vollen Lauf rannte er um die Ecke auf die Stufen zu und verlor auf dem feuchten Boden den Halt unter den Füßen, die war sein Glück denn über ihn sprang eine Kreatur über ihn hinweg und prallte an die gegenüberliegende Mauer. Fast menschlich sah die magere Gestalt aus, mit blasser Haut, einer Metallplatte vor dem Gesicht und Stahlklauen statt Händen, die Beine deformiert und kaum noch für den Aufrechtengang geschaffen, Knochenauswucherungen an Rücken, Becken und Gelenken hatten sie deformiert.
Eine Salve beendete ihr Leben in einer Explosion aus Blut und Knochen.
Pestor sprang wieder auf und stürmte die Stufen hinauf. Dreißig Schuss waren schnell verbraucht wenn man unablässig, sechs Stockwerke lang, auf rasante Verfolger schießen muss, ohne die Gelegenheit richtig zu zielen; das Gewehr war jetzt nur noch ein besserer Knüppel und hing nutzlos auf dem Rücken. Mit dem Revolver in der Hand ging es die letzte Treppe hinauf aber oben wurde er bereits von einem brüllenden Jäger erwartet, als wolle er dem Seuchenjünger entgegen schreien: du wirst hier nicht entkommen! Die erste Kugel traf die Tür, auch die Zweite war nicht besser gezielt; noch drei Meter, das dritte Geschoss bohrte sich in den Unterleib der Kreatur; noch zwei Meter, die nächste Kugel traf den Brustkorb und die Kreatur verstummte schlagartig; noch ein Meter.
Zu langsam! aus nächster nähe schoss ihr Pestor durch die Zähne und sprengte den Hinterkopf mit weg.
Noch immer in voller Bewegung rammte er den Verteidiger der Tür mit der rechten Schulter und schleuderte die Leiche mit hinaus und gegen einige der herumstehenden Betten. Der Seuchenjünger selbst konnte das Gleichgewicht grad noch so halten und holte tief Luft.
Schon lange hatte er sich nicht mehr so sehr über die strahlen der Sonne gefreut. Aber ein wütender Schrei ließ jede Freude aus seiner Miene weichen, zu spät wandte er sich der Tür zu um die Attacke noch abwenden zu können. Die Kreatur riss ihn zu Boden und der Revolver wurde zum Verlust, scharfe Klauen kratzten über seine Armaplastweste und Pestor hatte mühe sie von seinem Gesicht fern zu halten. Ein unüberlegter Schlag traf die Gesichtsplatte und Pestor fluchte vor Schmerzen. Er kassierte Schnitte an den Unterarmen und einen im Gesicht bis er es schaffte seinen linken Fuß gegen den Bauch der Bestie zu stemmen und sie dann mit aller Kraft weg zu schleudern. Ein schneller, hastiger Blick suchte nach dem Geind, fand ihn aber nicht. Mit einer Rolle nach hinten kam er wieder auf die Beine und zog dabei sein Bajonett, die Kreatur stürmte bereits schon wieder auf ihn zu mit ausgestreckten Krallen. Der Kampf war jetzt etwas ausgeglichener und Pestor tauchte unter den Krallen hinweg und schnitt dabei der Bestie über den Bauch, unbeeindruckt hieb sie nach ihm, schnell aber ungezielt. Das Mistvieh war flink und Pestor schaffte es nicht sich in eine günstigere Position zu bringen oder ihm in den Rücken zu fallen. Wild hackte es immer wieder mit seinen krallen nach ihm bis er es schaffte sich den rechten Arm der Kreatur zu greifen und mit einem heftigen Schlag den Ellenbogen zu brechen. Schlaff hing der Arm nun herunter aber die Bestie wollte nicht aufgeben, trotz ihrer Einbuße oder grade deswegen war schlug sie weiter wild nach Pestor. Er musste bemerken das sie schlau genug war um ihre schwache Seite von ihm abzuwenden, aber sein Fuß fand sein Ziel und brach der Bestie das linke Knie. Schmerzen und Unvermögen ließen die Kreatur schließlich auf das gesunde Knie sinken, hilflos stützte sie sich noch mit dem linken Arm ab bis Pestor ihr von hinten die Kehle aufschlitzte und den blutenden Kadaver mit einem Tritt zu Boden beförderte.
Ein Schrein entrann seiner Kehle, unmenschlich, wie von mehreren Stimmen getragen.
Der Rest der Meute wagte sich nicht aus dem Keller heraus, ob es die Sonne oder Pestor war würde er heute Nacht erfahren.
Aus einigen Bettgestellen bastelte sich der Seuchenjünger einen Rahmen, dabei fand sich auch der Revolver wieder an, und hing die Kreatur, mit den Händen nach oben, darin auf und begann damit Bauch und Brustkorb aufzureißen und das Ding auszuweiden.
Selbsterlegtes Fleisch, gegrillt über offenem Feuer, so entspannte er sich gern. Kaum hatte er den ersten Bissen gekostet, schwang eine zögerlich Stimme durch die Halle.
Hallo? Ist hier wer?
Ja, hier isst jemand! brüllte Pestor zurück.
Die Person stand zögerlich im Eingangstor während sich der Seuchenjünger einen Weg durch die Betten bahnte.
Was willst du?!
Am Tor stand eine Frau mittleren Alters, in einfache Gewänder gehüllt.
Wir haben Schüsse gehört und dachten … sie pausierte im Satz und sah sich ihn genauer an bis ihr Gesicht ein leichtes Erstaunen zeigte.
Seid ihr das?
Keine Ahnung. Wer bin ich denn?!
Hier habt meinem Mann geholfen, ohne Eure Hilfe hätter er das Bein bestimmt verloren, Ihr Gesicht hellte sich auf und sie war verleitet ihn zu umarmen unterließ es dann aber doch lieber.
Pestor wollte sich das Blut aus dem Gesicht wischen nur um seinen Anblick nochweiter zu verschlimmern.
Wisst ihr was dies für ein Gebäude hier ist?
Ein schönes Großes? antwortete er flapsig.
Es ist das alte Krankenhaus …
Echt?! Darauf wär' ich nie gekomm', er deutete auf die Betten in der Halle.
In einer aufgewirbelten Sandwolke kam der Schweber zum stehen. Pestor schob die Schweißerbrille von den Augen auf die Stirn, legte den rechten Arm auf die breite Rückenlehne der vorderen Sitzbank und als sich der Staub langsam legte ließ er seinen Blick an dem über fünfzig Stockwerke hohen Bauwerk gen Himmel wandern.
Dat is 's. Wie konnt' ich das hier nur all die Zeit übersehn und wieso hat niemand, den ich gefragt hab, von diesem Bau gewusst?!
Na ja, sieh dich ma' um!
Hier is … niemand.
Danach drehte er den Kopf über die rechte Schulter nach hinten, nahm einen Zug von der Zigarette und sagte:
Das wird unser neues Heim. Was sagt ihr dazu, heh? sie blieben ihm die Antwort schuldig.
Auf der hinteren Rückbank saßen zwei mumifizierte Leichen mit den Füßen auf dem Polster. Eine Mutter die ihr Kind, vielleicht im Grundschulalter, im linken Arm hielt und mit dem Anderen eine abwehrende Pose innehatte. Die Augenhöhlen waren leer und das Nichts starrte aus ihnen heraus, die Münder aufgerissen zu einem stummen Schrei der Verzweiflung. Ein dünnes, grün-bläuliches Pilzgeflecht überzog ihre ledrigen Häute und gab ihnen ein schon fast mystisches Äußeres, als würden sie jeden Moment zu neuem Leben erwachen.
Es war nur ein kleiner Umweg gewesen die Beiden und noch ein paar andere Bedeutungslosigkeiten aus der kleinen Kammer unter der Stadt zu holen. Der Seuchenjünger stieg aus und schlenderte an der Fahrerseite nach hinten. Im Fußraum zwischen den sich gegenüberliegenden Sitzgelegenheiten der Beifahrer lag das alte Maschinengewehr, welches er noch aus der Zeit der Belagerung durch Al Chalik hatte.
Zuerst wurde sich des Parkers entledigt, dann eine sonnengewärmte Flasche Wasser geleert, im Anschluss wurden, mit den routinierten Handgriffen eines Soldaten, die treue Seuchenschleuder und der Revolver überprüft. Ein Magazin für das Sturmgewehr und insgesamt vierundzwanzig Schuss für den Geind mussten reichen wenn der Gurt, mit zweihundertfünfzig stählernen Freuden, sein letztes Geschoss hergegeben hatte.
Gut Schatz, ich lass den Rucksack hier. Pass du auf den Wag'n auf. Ich bin bald zurück.
Is' dir eigentlich klar dass du dich hart an 'er Grenze zum Irrsinn bewegst?
Sagte die Stimme in mei'm Kopf,
Was?!
Ach nix, er ging grinsend weiter.
Es schien als wäre schon lange niemand mehr hier gewesen und die Wüste hatte begonnen sich ihr altes Territorium zurück zu erobern. Was auch immer unter der hellbraunen-gelblichen Decke lag würde der Sand so schnell nicht mehr hergeben.
Der Gebäudekomplex, auf dessen Haupteingang, welcher im Osten lag, sich Pestor zu bewegte, basierte auf einem über zweihundert Meter in die Höhe ragenden turmartigen Hauptgebäude von gut fünfzig Schritt Breite, mit weit ausgedehnten Seitenanbauten. Das obere Drittel des Turmes verjüngte sich dreimal stufenweise und die spitze krönten drei Kreise in Form eines Dreiecks.
Auch hier, in der Wüste, hatte die Gotik ihre Spuren hinterlassen, wenn auch nicht so deutlich wie in anderen Städten. Auffällig waren die über zwanzig Meter hohen, aber kaum vier Meter breiten Fenster, im unteren Teil des Bauwerkes, welche erst in einer Höhe von fünf Metern begannen und das eindrucksvolle Gebäude auch einmal komplett umrundeten in einem Abstand von dem Viertel ihrer eigenen Breite. Doch zeigten diese Windaugen hier keine Heiligen des Imperiums sondern verschiedenste Kreaturen mit den Segnungen der Götter.
An den beiden äußeren Ecken, der zwei Anbauten, befand sich jeweils ein Turm von fast hundert Metern Höhe, jeder der vier Türme trug das Zeichen von einem der vier Götter.
Dem Hauptportal, gesäumt von zwei riesigen, in Roben mit schweren Kapuzen gehüllte Figuren, fehlte der linke Torflügel, der Rechte hing nur noch an einem rostigen und quietschenden Scharnier. Beide Skulpturen standen auf einem hohen Sockel so dass man ihnen im vorbeigehen nur auf die Füße schauen konnte und erst den Kopf heben musste um ihr Antlitz unter ihrer schweren Tuche zu erspähen nur damit sie einen mit ihrer wahrlich steinernen Miene einschüchterten und jeden mahnten dieses Gebäude wohlüberlegt zu betreten. Auch wenn man den Kopf senkte und ihnen nicht in ihre steinernen Augen sah fühlte man ihre durchdringenden Blick auf sich ruhen.
Kleine Dünen hatten sich bereits an den Mauern und in den Ecken gebildet, in denen sich der Wind gefangen hatte. Ein Teppich aus Sand zeigte durch jenes halboffene Tor in das Innere des Gebäudes und lud den Seuchenjünger ein.
Durch die unzähligen Fenster strömte unerwartet viel Licht in eine Halle welche das gesamte, untere Stockwerk des Gebäudes einnahm. Auf gebaut war die Halle wie ein doppeltes Kirchenschiff welches den Turm in der Mitte hatte und das Kreuzrippengewölbe maß über dreißig Meter in der inneren Höhe, die Decke im Turris war noch einmal zehn Meter höher, nur die unteren drei Etagen des Turmes ragten, mit quadratischem Grundriss, stufenweise aus der Decke und wurden zu beiden Seiten der Anbauten mit je drei Brücken verbunden. Dank der Höhe des Gewölbes war es angenehm kühl im Inneren. Von der untersten, der drei Ebenen, konnte man wohl die gesamte Halle einsehen. Diese standvoll mit hunderten alter, rostiger Bettgestelle, die meisten davon waren kreuz und quer im Raum verteilt, einige waren zu merkwürdigen Pyramiden aufgestapelt, deren Matratzen von allen möglichen Körperflüssigkeiten dunkel verfärbt wurden.
Sand knirschte zwischen Pestors Stiefeln und dem steinernen Boden als er langsam durch den riesigen Saal schritt, niemand war zu sehen doch Geräusche gab es genug in diesen antiken Mauern. Immer wieder schwenkte er das alte, schwere MG von einer Seite zur anderen, doch nichts bewegte sich.
Wohin zu ers', hoch o'r runter?
Es geht imma ers' ma' abwärts, witzelte die Stimme.
Jah, zieh'n wir uns zu ers' die Ka-ta-kom-ben rein.
An den vier Ecken wo der Turris auf die Anbauten traf waren je zwei Aufzugsschächte und ein breites Treppenhaus welches um die um die Aufzüge herum führte.
Auch nach mehrmaligen drücken der Taste wollte sich keiner der Aufzüge in Bewegung versetzten, so blieb nur noch das Treppenhaus. Pestor befestigte die Taschenlampe an der dafür vorgesehenen Halterung der Armaplastweste und begab sich in die Tiefen des Gemäuers.
Sieben Stockwerke führten ihn die Treppen nach unten, nur der Schein der kleinen Lampe herhellte die allumfassende Dunkelheit und je weiter er hinab stieg desto auffällig kühler und feuchter wurde die Luft.
Tja, das is wohl der Tiefpunkt deiner Kariere.
Ja ja, sehr witzig.
Ein langer Gang lag vor ihm, drei Meter breit und ebenso hoch, an der Deck liefen einige Rohre entlang immer wieder tropfte Wasser aus undichten Flanschen und sammelte sich in kleinen Pfützen. Der Aufbau war quadratisch und absolut schlicht gehalten und passte so gar nicht zu der Kunstfertigkeit der großen Halle, es war fast so als würde er sich in einer der Subebenen einer Makropole bewegen.
Hier war es so still dass der Seuchenjünger seinen eigenen Herzschlag und das Rauschen des Blutes hören konnte, nur begleitet vom Träufeln des Wassers.
Labyrinthisch zweigten Gänge und Türen ab ohne ein Schild oder eine Markierung, hier konnte man sich gut verlaufen und nie gefunden werden.
Mehrfach zielte Pestor auf Regungen im Augenwinkel aber es waren nur die tanzenden Schatten, verursacht von seiner Taschenlampe, die den Verstand narrten.
Endlose Minuten in der Dunkelheit mussten vergangen sein aber seine Orientierung verriet ihm dass er sich unter dem südlichen Seitenschiff befunden haben musste als er einen der beiden Heizungs- und Dampfkesselräume fand.
Der Raum erstreckte sich über zwei Etagen und war gut zehn Schritt breit und fünfzehn lang, die Kühle der Luft verneinte das Vorhandensein vom, auch nur kleinsten, Glimmen einer Flamme. Alle Manometer standen auf Null oder waren eingerostet auch die Gasleitungen waren ohne Druck und die Kohlebunker waren leer.
Na ja, war ja zu erwart'n. Wat nu?
fall du nich' vorhattest hier einzuzieh'n … ein lauter Knall zerriss die Stille.
Scheiße, was war das? flüsterte Pestor.
Keine Ahnung, sieh doch nach!
Ja, imma ich.
Wer denn sonst?!
Hörbar wurde die Sicherung des MGs entriegelt. Langsam und vorsichtig nährte sich Pestor dem Gang aus dem er gekommen war, kehlige Laute halten durch die Flure, eine Richtung war nicht auszumachen außer: von vorn. Seine Schritte wurden schneller und wiederholt drehte er sich um aber nichts war zu sehen, in dem Moment als er sich wieder zurück wandte, huschte Etwas über die Kreuzung, vier Schritt vor ihm.
Scheiße, da war wirklich was!
Bleib ruhich.
Es wir dich schon nich' umbring'
Ach, nein?!
Wir werden seh'n.
Was es auch war, hinter ihm kam jetzt ein Geräusch, ein Klicken von Metall auf Stein, näher.
der Seuchenjünger suchte sich eine Ecke, mit dem Rücken zur Wand und zielte in den Gang. Zwei, drei Bewegungen konnte er im Halbdunkel ausmachen, zwei auf dem Boden und eine an der Wand, vielleicht zehn Meter vor ihm.
Er drückte den Abzug durch und entfesselte eine Hölle aus Feuer und Stahl. Nicht alle Rohre waren, wie es schien, ohne Dampfdruck und so vernebelte ihm jetzt das Kondensat die Sicht. Aus dieser Nebelwand sprang ihm eine Gestallt mit stählernen glänzenden Klauen entgegen und wurde von einer Salve zerrissen.
Mehrere krallen schabten jetzt über den Boden, zu viele um sie auch nur schätzen zu können und Geschrei nach Blut wurden immer lauter und kamen immerweiter schnell auf ihn zu.
Pestor hastet nun durch die Gänge, das hin und her huschende Licht an seiner Brust machte es ihm schwer zu sehen wo er hin lief, er drehte sich um schoss ein Salve um seine Verfolger auf abstand zu halten und lief dann weiter. Die Gänge wollten kein Ende nehmen und er zweifelte schon daran dass er auf dem richtigen weg sei. An einer Kreuzung ging ihm die Munition für das Maschinengewehr aus als er aus Reflex auf einen Schatten schoss. Treffer oder nicht, es war egal, die Seuchenschleuder kam jetzt zum Einsatz.
An einer hinteren Wand zu seiner Rechten sah er endlich den Treppenaufgang, im vollen Lauf rannte er um die Ecke auf die Stufen zu und verlor auf dem feuchten Boden den Halt unter den Füßen, die war sein Glück denn über ihn sprang eine Kreatur über ihn hinweg und prallte an die gegenüberliegende Mauer. Fast menschlich sah die magere Gestalt aus, mit blasser Haut, einer Metallplatte vor dem Gesicht und Stahlklauen statt Händen, die Beine deformiert und kaum noch für den Aufrechtengang geschaffen, Knochenauswucherungen an Rücken, Becken und Gelenken hatten sie deformiert.
Eine Salve beendete ihr Leben in einer Explosion aus Blut und Knochen.
Pestor sprang wieder auf und stürmte die Stufen hinauf. Dreißig Schuss waren schnell verbraucht wenn man unablässig, sechs Stockwerke lang, auf rasante Verfolger schießen muss, ohne die Gelegenheit richtig zu zielen; das Gewehr war jetzt nur noch ein besserer Knüppel und hing nutzlos auf dem Rücken. Mit dem Revolver in der Hand ging es die letzte Treppe hinauf aber oben wurde er bereits von einem brüllenden Jäger erwartet, als wolle er dem Seuchenjünger entgegen schreien: du wirst hier nicht entkommen! Die erste Kugel traf die Tür, auch die Zweite war nicht besser gezielt; noch drei Meter, das dritte Geschoss bohrte sich in den Unterleib der Kreatur; noch zwei Meter, die nächste Kugel traf den Brustkorb und die Kreatur verstummte schlagartig; noch ein Meter.
Zu langsam! aus nächster nähe schoss ihr Pestor durch die Zähne und sprengte den Hinterkopf mit weg.
Noch immer in voller Bewegung rammte er den Verteidiger der Tür mit der rechten Schulter und schleuderte die Leiche mit hinaus und gegen einige der herumstehenden Betten. Der Seuchenjünger selbst konnte das Gleichgewicht grad noch so halten und holte tief Luft.
Schon lange hatte er sich nicht mehr so sehr über die strahlen der Sonne gefreut. Aber ein wütender Schrei ließ jede Freude aus seiner Miene weichen, zu spät wandte er sich der Tür zu um die Attacke noch abwenden zu können. Die Kreatur riss ihn zu Boden und der Revolver wurde zum Verlust, scharfe Klauen kratzten über seine Armaplastweste und Pestor hatte mühe sie von seinem Gesicht fern zu halten. Ein unüberlegter Schlag traf die Gesichtsplatte und Pestor fluchte vor Schmerzen. Er kassierte Schnitte an den Unterarmen und einen im Gesicht bis er es schaffte seinen linken Fuß gegen den Bauch der Bestie zu stemmen und sie dann mit aller Kraft weg zu schleudern. Ein schneller, hastiger Blick suchte nach dem Geind, fand ihn aber nicht. Mit einer Rolle nach hinten kam er wieder auf die Beine und zog dabei sein Bajonett, die Kreatur stürmte bereits schon wieder auf ihn zu mit ausgestreckten Krallen. Der Kampf war jetzt etwas ausgeglichener und Pestor tauchte unter den Krallen hinweg und schnitt dabei der Bestie über den Bauch, unbeeindruckt hieb sie nach ihm, schnell aber ungezielt. Das Mistvieh war flink und Pestor schaffte es nicht sich in eine günstigere Position zu bringen oder ihm in den Rücken zu fallen. Wild hackte es immer wieder mit seinen krallen nach ihm bis er es schaffte sich den rechten Arm der Kreatur zu greifen und mit einem heftigen Schlag den Ellenbogen zu brechen. Schlaff hing der Arm nun herunter aber die Bestie wollte nicht aufgeben, trotz ihrer Einbuße oder grade deswegen war schlug sie weiter wild nach Pestor. Er musste bemerken das sie schlau genug war um ihre schwache Seite von ihm abzuwenden, aber sein Fuß fand sein Ziel und brach der Bestie das linke Knie. Schmerzen und Unvermögen ließen die Kreatur schließlich auf das gesunde Knie sinken, hilflos stützte sie sich noch mit dem linken Arm ab bis Pestor ihr von hinten die Kehle aufschlitzte und den blutenden Kadaver mit einem Tritt zu Boden beförderte.
Ein Schrein entrann seiner Kehle, unmenschlich, wie von mehreren Stimmen getragen.
Der Rest der Meute wagte sich nicht aus dem Keller heraus, ob es die Sonne oder Pestor war würde er heute Nacht erfahren.
Aus einigen Bettgestellen bastelte sich der Seuchenjünger einen Rahmen, dabei fand sich auch der Revolver wieder an, und hing die Kreatur, mit den Händen nach oben, darin auf und begann damit Bauch und Brustkorb aufzureißen und das Ding auszuweiden.
Selbsterlegtes Fleisch, gegrillt über offenem Feuer, so entspannte er sich gern. Kaum hatte er den ersten Bissen gekostet, schwang eine zögerlich Stimme durch die Halle.
Hallo? Ist hier wer?
Ja, hier isst jemand! brüllte Pestor zurück.
Die Person stand zögerlich im Eingangstor während sich der Seuchenjünger einen Weg durch die Betten bahnte.
Was willst du?!
Am Tor stand eine Frau mittleren Alters, in einfache Gewänder gehüllt.
Wir haben Schüsse gehört und dachten … sie pausierte im Satz und sah sich ihn genauer an bis ihr Gesicht ein leichtes Erstaunen zeigte.
Seid ihr das?
Keine Ahnung. Wer bin ich denn?!
Hier habt meinem Mann geholfen, ohne Eure Hilfe hätter er das Bein bestimmt verloren, Ihr Gesicht hellte sich auf und sie war verleitet ihn zu umarmen unterließ es dann aber doch lieber.
Pestor wollte sich das Blut aus dem Gesicht wischen nur um seinen Anblick nochweiter zu verschlimmern.
Wisst ihr was dies für ein Gebäude hier ist?
Ein schönes Großes? antwortete er flapsig.
Es ist das alte Krankenhaus …
Echt?! Darauf wär' ich nie gekomm', er deutete auf die Betten in der Halle.