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Altstadt, Vicus Harmonia, Planquadrat C66
#3
Egnatius strauchelte durch die Perforationen, die zu früheren, besseren Zeiten von der Bevölkerung liebevoll „Verschlungenheit der schönen und schnöden Überraschungen und Entdeckungen“ genannt worden war. Vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten waren die urigen verwinkelten Seitensträßchen und Gässchen des Viertels ein beliebter Anlaufpunkt für die nostalgischen Einwohner oder Fernwelttouristen gewesen, die sich an der vertrackten Errrichtungsweise, welche sich hier im Laufe der voranschreitenden Bebauung des Kontinents und der Ausbreitung dieser Megalopolis entwickelte, stumpfsinnig ergötzt hatten. Die endlosen engen Passagen hatten es ihnen angetan mit all ihren kleinen Detailgeschäften, lautstarken Basaren und den ungezählten Cafés, die hinter jeder Ecke und in jeder Nische kauerten, in Erwartung das ihr Angebot die stromernden Massen zum Ausgeben ihrer Crediteinheiten bewog. Damals hatte sich Gohmor und Koron III noch in der Blüte seines Reifungsprozesses befunden, hatte die beinahe unüberwindbaren Schwierigkeiten einer Existenz als Randwelt von sich geschüttelt und war aufgestiegen zu neuer eigenständiger Größe. Alles hätte fabelhaft weiter vonstatten gehen können, wären da nicht die unseligen Zwistigkeiten des wankenden Elementes Mensch gewesen und dessen Trieb nach steter Mehrung der Macht.

Wer wusste schon was aus dem Fetus hätte werden können, wenn er sich letztlich nicht selbst zerfleischt hätte. Winzige, zerbrechliche Geschöpfe, lebend in majestätischen Türmen und massiven architektonischen Wunderwerken, deren Träume und Wahnvorstellungen ihnen schließlich über den Kopf gestiegen waren, hatten die Knöpfe gedrückt die all das schöne Leben beendete, denn ihnen waren die kleinen, unentdeckten und ungesehenen Dinge des wahren Daseins fremd, begriffen mutmaßlich nicht einmal was sie mit ihren immensen Entscheidungen für Verheerungen und Zerstörungen anrichteten. Eben jene waren es die Koron, das grüne Juwel einst, in die farblose, trostlose Basaltkugel verwandelten, die sie nun heute noch großflächig ist. Wo früher fröhliches Kindergeschrei, das Plätschern öffentlich stehender Brunnen, die Anpreisungen der Händler oder das Gekeife jugendlicher Verliebter durch die schmalen Durchgänge der sich aneinanderschmiegenden Häuser ertönte, heulte heute nur noch ein klagender Wind durch die zerfallenden Ruinen der Wohnhabitate, kreischten degenerierte Kreationen der widernatürlichen Schöpfung aus den finsteren Tiefen der Kanalisation oder leeren Behausungen, jaulten die Jetbikes irgendwelcher Mord und Vergewaltigertrupps über den eingestürzten Dächern oder das immerwährende Grollen des verhangenen Firmaments hallte durch die Straßen, hin und wieder vermischt mit dem gequälten Schrei eines unbekannten Opfers.

Von all den wundervollen Materien des verblichenen Perfektums wusste Egnatius eigentlich nichts, allerhöchstens hatte er mal das ein oder andere Fitzelchen jener grandiosen Epoche seines Heimatplanten von einem alten Kauz, einem selbsternannten Prediger oder Geschichtenerzähler vernommen, welche mit ihrem Wissen um alte literarischen Kuriosa sich ein paar Schekel vom Pöbel erhofften, doch aufs Essentielle reduziert, hätte sich der Mann in seinem bemitleidenswerten Zustand gewiss eh nicht für die Hintergründe der Gegend interessiert, durch die ihn seine wackligen Füße soeben trugen. Er hatte genug damit zu tun seinen Mageninhalt bei sich zu behalten, seine Augen auf einen Punkt vor sich zu fokussieren oder seine Gleichgewichtsstörungen zu kompensieren damit er nicht im nächsten Moment stolperte und sich noch während des Sturzes mit seinen verdauten Nahrungsrückständen besudelte.
Er fühlte sich hundeelend und hatte bedeutende Schwierigkeiten seinem strapazierten Hirn auch nur eine logische Abwicklung abzuverlangen. Lediglich die Urneigung zum Überleben stiftete ihn an immerzu weiterzutaumeln bis er jemanden finden würde der sich seiner erbarmte… wenn es so jemanden überhaupt gab.

Der zweifelnde Gedanke erschütterte sein ohnehin schon schwaches Nervenkostüm und ließ ihn über eine rostige Regenrinne stolpern, die quer in der Gasse lag. Gerade noch rechtzeitig fing er mit dem anderen Fuß einen Fall ab und stürzte gegen eine bröckelnde Lehmwand. Die Welt drehte sich vor seinem Sichtfeld und er versuchte sie wieder in geregelte Bahnen zu lenken indem er seinen Hinterkopf gegen die Sandtonmischung stieß. Der Schmerz half tatsächlich den Schwindel zu vertreiben und eine halbe Minute später sah sie wieder normal genug aus um sie weiter beschreiten zu können. Mit abgebrochenen Fingernägeln schob er sich das fettige Haar aus dem erschlafften Gesicht und zwang sich dann entlang der Mauer weiterzugehen. Die Außenschalen der Häuser waren ihm Stütze und Richtungsweiser zugleich und mit ihrer Hilfe gelangte er schließlich an den Rand eines großen Platzes.

Seine erschöpften Augen erblickten ein aufgeräumtes Areal, eine gesäuberte Fläche, frei von dem Schutt und Unrat der überall in der Unterstadt zum gewöhnlichen Blickwinkel gehörte. Die Zuleitungen von fünf Pendelgängen mündeten in den ausgedehnten Bereich, als wären sie Arterien die ein wichtiges Organ versorgten. Rund um den Platz erhoben sich die stummen Gebilde vormaliger Konsumstätten, die scheinbar unbewohnt und der Vergessenheit anheim gefallen waren. Für weitaus größere Beachtung sorgte die erhabene Kunstschöpfung der versinnbildlichen imperialistischen Götterverehrung die sich in großen Umfang und Inspirationsgewalt an der Stirnseite empor schraubte und mit ihrem hochgradigen Triumphbogen, dem ausufernden Kreuzrippengewölbe und den charakteristischen Strebepfeilern jedes lebende Wesen vor Ehrfurcht schauern ließ. Wer dies Mammuton an Baupracht auch errichtet haben mochte, ob es bereits vor der Zeit der Machteinflussnahme des Imperiums Bestand gehabt hatte oder nicht, war in den Annalen des Planeten vergangen, doch war es noch immer ein ehrwürdiger Anblick für die die keine Hoffnungen mehr hegten. Als begännen die Chöre des Himmels zu singen und ihm seine kränkliche Last von den Schultern zu heben, war es Egnatius als schwebe er der Templum entgegen. Zunächst blind für die Gestalten die vor den weit geöffneten Portalflügeln kauerten oder umherschwirrten, dann wie ein Schlafwandler aus den Träumen gerissen und sehend, als ihn jemand bei den Armen packte und in einer Hand eine Glocke zum Klingen brachte um ihn aus seiner Lethargie zu zerren. Das Läuten der Schelle noch in den Ohren schaute er den verständnislos an, der ihn nun Richtung Eingangspforte führte. Ein gutmütiges pummeliges Antlitz lächelte ihn und zielstrebige Arme bugsierten ihn aus dem tristen bewölkten Ödland heraus in ein von Kerzen und Kohlebecken erhitztes Gemäuer.

Sag mir mein Sohn, was fehlt dir? Wie kann ich dir dein Leid nehmen und es auf mich bürden? Ich erblicke viel Schmerz in deinen Augen, Kummer und Beschwerde die du gewisslich nicht verdient hast weder in diesem Leben noch in einem anderen. Was ist dir widerfahren?“ formten die vollen Lippen des freundlichen Mannes schließlich als sie die gigantische Halle betraten und der urtümliche Schatten der Kathedrale über sie fiel.

Der kranke Egnatius rang um Worte, seine Zunge hing wie ein totes Stück Belag in seinem Mund. „Ich… ich hatte Durst… unsäglichen Durst…

Ah, ich verstehe“ sagte sein Führer sanftmütig und tätschelte ihm den Oberarm. „Du hattest Bedürfnis nach dem Urstoff ohne welches wir nicht lebensfähig wären und hast nicht aus den gesegneten Teichen getrunken, sondern aus den verdorbenen Quellen die sich überall um uns herum auftun und uns in ihrer schillernden Fülle in Versuchung führen wollen, ist es nicht so?

Egnatius nickte und musste beinahe husten, ihm war so übel. „Ja… ich hatte keine Kraft mehr… auch nichts mehr zu essen… mir wurde alles gleich… wollte nur… das der Durst verschwindet.

Jaja natürlich. Er nagt an einem, bringt einen schier um den Verstand. Der extreme Mangel lässt die Menschen törichtes tun. Das ist meist der Augenblick an dem sie zuschlagen, die bösen Urmächte, die im Verborgenen, hinter den Schleiern lauern. Sie warten immer weißt du... warten dein ganzes Leben auf diesen einen Augenblick der Schwäche und kommen dann hervor um in dein Herz zu kriechen um den Samen der Verlockung zu pflanzen. Sie sind die Sünde.“ erklärte er und strich sich mit der anderen Hand das bläuliche Ornat mit der aufgestickten weißen Rose über dem Herzen glatt. „Aber sei unbesorgt mein Sohn, du bist nun in Sicherheit. Wir, die Heilsspender vom Orden des blutenden Herzens, werden uns deiner Genesung annehmen. Dein Wesen vom Makel der Infizierung reinigen.

Der wohltätige Ordensbruder verließ nun den riesigen Gebets und Lobpreisungssaal und stieg mit ihm eine fackelerleuchtete Wendeltreppe hinunter, die in die unterirdischen Gewölbe des Gotteshauses führte. Der Erkrankte konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und war dem Diener der Himmelskaste unschätzbar dankbar für seinen Beistand. Er hatte gewusst dass es falsch gewesen war aus dem Fluss zu trinken, aber das Verlangen war markiger gewesen. Jetzt zahlte er den Preis dafür. Aber sein Durchhaltevermögen und seine Fürbitten waren nicht umsonst gewesen, sie waren erhört worden und man würde ihm helfen seinen Fehler zu korrigieren. Er würde es schaffen. Weiterleben. Unten angekommen, nuschelte er: „Ich… ich danke euch… ich werde es euch nie vergessen und… euch Gaben darbringen… ganz wie es sich… für einen… frommen Bürger geziemt…

Die Keller die sie als nächstes betraten waren von tiefen Schatten erfüllt die in den Mauervertiefungen und Kreuzgängen hockten wie Ballungszentren von schwarzer Fährnis. Die Pechfackeln, welche hier in geordneten Abständen voneinander den Hauptweg illuminierten, besaßen jedoch nicht die Intensität die undurchdringlichen Barrieren der bespitzelnden Finsternis zu überwinden. Egnatius folgte seinem Fürsorger ohne Bedenken ob der Düsterheit des Ortes, er war viel zu sehr darauf bedacht die nächsten Minuten noch bei Bewusstsein zu bleiben ehe die fressende innere Folter ihm dieses raubte. So sah er die stämmige Gestalt auch nur noch sehr verschwommen, die mit einem Male aus einem der Soge der Dunkelheit auftauchte und plötzlich vor ihnen stand. Die züngelnden Flammen der Fackeln spiegelten sich in starren Augäpfeln, die glänzten wie geschliffener Obsidian.

Natürlich wirst du Gaben darbringen um die Erlösung zu empfangen mein Sohn, Opfergaben…“ säuselte die Stimme des Bruders in einträchtigem Tone, die kein Wässerchen zu trüben vermochte und dann schnitt ein scharfer Silberbogen durch die Luft und befreite den Versehrten von Leiden und Lebensfunken.

(wird fortgesetzt)
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[Kein Betreff] - von - 09-16-2008, 01:00 AM
[Kein Betreff] - von - 09-22-2008, 10:50 PM
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