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Ratshalle
#1
In vielerlei Hinsicht war die Ratshalle des Hauses Orsius ein Abbild des Hauses selbst. In Teilen ein beabsichtigtes Spiegelbild, in Teilen ein unbeabsichtigtes. Alle Proportionen waren gewaltig, wie für Riesen geschaffen. Doch wo andere Häuser sich mit barocken Schnörkeln und Zierwerk darin zu übertreffen versuchten dem imperialen Baustil nachzueifern, verzichtete Orsius auf derartiges Schwanzwedeln.
Nackter Beton, kantig und unnachgiebig, war dominant.
Die Beleuchtung fiel spärlich aus und betonte mehr die Düsternis, als dass sie Helligkeit schuf. An den Eingängen, die für Titanen geschaffen schienen, hielten Haussoldaten Wache. Keine gewöhnlichen Kämpfer, sondern die Angehörigen der Ehrenwache, denen man nachsagte durch Mesmerisieren und andere Methoden der Verstandsbeeinflussung, eine automatenhafte Loyalität eingepflanzt zu haben, die Furcht, Geheimnisverrat oder mangelnde Opferbereitschaft unmöglich machte.
Sie trugen die dunkelroten Uniformen des Hauses, Brustplatten aus Messing, exotisch anmutende Laserwaffen und die geschlossenen Varianten der Haushelme, die ihnen das kopflastige Aussehen fremdartiger Insekten verliehen.
Abgesehen von ihnen waren nur noch acht der neun Altvordern und der Hochherzog anwesend. Die gleichsam unbequemen wie langen Ränge aus Holz, welche für die niederen Hausangehörigen vorbehalten waren, lagen verwaist im Halbdunkel.
Tagte die Hausversammlung, so war dies eine Angelegenheit von vielen Tagen, in denen Sitzungen aller, sich mit spezifischen Besprechungen und Beratungen abwechselten, deren Ergebnisse dann allen präsentiert und ausgewertet wurden. Alle Belange des Hauses, wirtschaftlich, politisch und militärisch wurden dabei begutachtet um jene, die etwas zu entscheiden und zu bestimmen hatten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Was jetzt stattfand war dabei das höchste Gremium und der Inhalt dieser Gespräche entschied nicht nur über das Weh und Wohl des Hauses, sondern auch über das Schicksal all jener, die direkt oder indirekt an dem hingen was Orsius tat.
Betrachtete man es genau, war dies ganz Koron 3.
Hochbaron Vladimir Orsius trat an das Rednerpult, welches für gewöhnlich zu den Rängen gedreht stand, sich aber auch zu den Emporen der Altvorderen wenden ließ, wenn es galt nur ihnen Bericht zu erstatten.

Ihr Altvorderen, ihr Stimmen des Gewesenen und des Zukünftigen, ihr Lotsen des Hauses. Spann er die rituelle Anrede, welche die Beratung offiziell eröffnete. Wie ihr alle wisst steht Kardinal Georg Prager unserem Haus wohlgesonnen gegenüber.
Eher den Banketten und Ausfahrten, zu welchen er sich durch unser Haus einladen lässt.
Giftete Trunth von seiner Empore herab und das mechanische Rasseln seiner Beatmungsmaschiene übernahm dabei die Modellierung seiner Stimme.
So ist es Ur-ur Großonkel. Doch ist jeder Schekel, denn wir in diese Stopfgans schieben ein gut investierter Schekel. Unsere Agenten sind in seiner Nähe mehr als reichlich platziert, treten sich fast schon gegenseitig auf die Füße. Dabei sind ihre Dienste kaum von Nöten, denn der Kardinal ist redselig.
Ja, aber nicht nur unserem Haus gegenüber.
Ließ sich eine weibliche Stimme hören, deren jugendlicher Klang ebenso wenig natürlichen Ursprung war, wie die Lungentätigkeit Trunths. Siris und seine Speichellecker haben genug Huren in ihren Reihen, um dem alten Narren jedes Geheimnis aus der Nase zu ziehen.
Und wir etwa nicht?
Lachte ein unglaublich fetter Mann mit einer Stimme so tief, als käme sie aus einem Brunnenschacht. Kein geringerer als Altvorderer Julius Orgastus.
Doch, unsere Konkubinen stehen sogar auf der Favoritenliste des guten Georgs. Seine Vorlieben sind gegen über seinem Vorgängers weniger… nun sagen wir speziell, wodurch bereits ein hübsches Gesicht genügt ihm zum Plaudern zu bringen.
Alles sehr aufschlussreich, lieber Vladimir.
Warf die mädchenhaft klingende Manusia ein und verhehlte ihre Ungeduld nicht. Aber was hat er denn unseren Vögelchen ins Ohr geraunt, dass es diese Zusammenkunft bedingt?
Wie ihr euch alle denken könnt, habe ich diverse Angelegenheiten zu regeln, die zeitlich prekär sind und meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit fordern.

Vergib mir Großcousine. Ich werde ohne Umschweife zum Kern kommen.
Dafür wäre ich dir überaus dankbar.
Wie ihr wisst, ist der Kardinal der persönliche Beichtvater des Gouverneurs. Das beinhaltet neben der Absolution auch gemeinsame Lesungen heiliger Schriften, wie die 21 Betrachtungen des Leben Sepinaus, Der Pfad der Nelken, die Märtyrer der Küste und ähnliche Werke, die zur Selbstreflexion anregen. All dies erfordert einen erheblichen Aufwand, welcher symbolisch für die Ernsthaftigkeit des Glaubens steht, denn der Gouverneur mit den Milliarden seiner Untertanen teilt. Volk und Herrschaft in Demut zum Gottimperator geeint.
Schweigend wurden den Ausführungen des Großherzoges gefolgt, auch wenn eine nachlassende Geduld greifbar in der Luft hing, welche zu schreien schien, er möge auf den Punkt kommen. Wie wir aus absolut vertrauenswürdiger Quelle wissen, konnte der Kardinal dieser seiner Aufgabe seit geraumer Zeit nicht nachkommen.
Was heißt seit geraumer Zeit?
Seit seiner Amtseinführung hat er den Gouverneur nur einmal die Beichte abgenommen und dies ohne ihn zu sehen.
Erkläre das!
Donnerte die Stimme des greisenhaften Raffael de Mundi Orsius, der bis jetzt ein schweigender Zuhörer gewesen war.
Der Kardinal kam seiner Pflicht in einem extra dafür neu angefertigen Beichtstuhl nach, welcher ihn zwar die Stimme des Gouverneurs hören ließ, aber nicht gestatte seiner angesichtig zu werden. Als er insistierte, dass die Absolution nur durch den Kuss auf den Amtsring vor den Augen des Imperators wirksam werden könne, intervenierten die anwesenden Ärzte de Vastaris.
Das ist ein Skandal!
Brüllte Julius Orgastus und seine Stimme, wie auch das Dröhnen seiner niederfahrenden Faust, echoten von den Kahlen Wänden der Kammer zurück.
In der Tat! fuhr Victor gefasst fort.
Der Kardinal protestierte selbstredend gegen so rüde Zurückweisungen durch gewöhnliches Personal, hatte in diesem Moment jedoch nicht die Möglichkeit mehr als eben dies zutun. Später entschuldigte sich seine Frau für das Verhalten der Mediziner, die ihrer Aussage nach nur das Wohl ihres edlen Patienten im Sinn hatten und sich daher vergaßen. Sie sicherte Strafen zu.
Ein Fauxpas sondergleichen, ganz ohne Zweifel. Aber wo liegt die wahre Bedeutung dieser beschämenden kleinen Anekdote?
Sie liegt darin, geliebte Ur- ur Großonkel, dass seit dem immer wieder Begründungen verschiedenster Art vorgeschützt wurden, die ein neuerliches Zusammentreffen des Kardinals und des Gouverneurs entgegen standen.
Um noch genauer zu werden, hat seit fast einem Jahr kein Offizieller, sei es imperialer Abgesandter oder lokaler Amtsträger, den Gouverneur von Angesicht zu Angesicht gesehen.
Alle Welt sieht diesen goldgelockten Weichling tagtäglich.
Oh gewiss. Im Vid oder auch fernmündlich bei Stabs- und Kabinettsbesprechungen. Holoprojektionen, offizielle Schreiben, Ansprachen an das Volk, sicher. Doch leibhaftig hat ihn seit Beginn der Horningkriese niemand mehr zu Augen bekommen.
Du implizierst ein Verschwinden, eine schwere Krankheit oder bereits den Tod.
Damit aber solltest du vorsichtig sein, mein Junge. Gouverneure, die sich von der Außenwelt abgeschottet haben und nur noch über Sprachrohre kommunizieren gibt es wie Sterne am Himmel. War nicht selbst der irre Cashies Rudo einer von diesen?

Das war er und Terra gebe, dass wir nie wieder mit einem solchen Scheusal gestraft werden. Allerdings gab es selbst in den Tagen dieses paranoiden Wahnsinnigen Agenten aller namhaften Fraktionen, die ihn zumindest leibhaftig sahen.
Bei de Wajari steht sein emporgekommenes Weib vor allen solchen Bemühungen. Sie kommt einen Wachhund gleich, der jedweden Versuch einer Annäherung an den Gouverneur vereitelt.
Wenn es stimmt was du andeutest und der Gouverneur im Sterben liegt oder bereits tot ist, dann wäre Elisabeth Emilia eine Usurpatorin, die ganz Koron 3 als Königin aus den Schatten regiert.
Dann würde es natürlich zu handeln gelten. Die Tore des weißen Palastes einschlagen und die Unterdrückerin der Gerechtigkeit überantworten. Danach Neuwahlen im Adelsrat. Kurz und gut.
Gemach, Gemach, mein lieber Julius.
Ich schätze deine einfache Sicht der Welt ebenso wie alle anderen hier, doch ganz so simpel ist es nicht. Nur einmal angenommen wir nötigen den weißen Palast dazu uns einen klaren Beweis zu liefern, dass der Gouverneur gesund und wohl auf ist und man verweigert uns eben diesen Beweis…

Dann bedeutete das Gesichtsverlust.
De Campo ließ sich hören und als er sich vorbeugte verlieh die Beleuchtung von unten seinem Gesicht das Aussehen eines ausgemergelten Raubvogels. Um die Ehre des Hauses nach einem solchen Begehren zu wahren, müssten wir nach Weigerung Taten sprechen lassen. Ein Putsch!
Eine Wiederherstellung geltenden Rechts.
Nur der Gouverneur tatsächlich tot wäre.
Wäre er das aber nicht, dann fände sich das Haus in der Rolle des Aggressors und des Gesetzesbrechers. Wir wären Freiwild.
Und selbst wenn nicht. Nur einmal angenommen Elisabeth würde auf Widerstand setzen. Wie sähen unsere Chancen aus einen Kampf um Gohmor kurz und schmerzlos zu entscheiden?
Nicht sonderlich gut.
Geht man davon aus, dass sie Siris und deren Lakaienhäuser auf ihrer Seite hat, plus der loyalen PVS- Einheiten, so stünden die Chancen eins zu eins.
Hinzu kommt die Bevölkerung der Stadt. Das Weib ist für die Massen so etwas wie eine Heilige. Generalstreik und Revolte könnten drohen.
Auch ist die Zeit auf ihrer Seite. Würde sich ein Handstreich zu einem Bürgerkrieg auswachsen, so müsste sie nur an richtiger Stelle von einem neuen Krieg der Häuser schreien und das Imperium würde einschreiten und kaum auf die lokale Rechtsprechung Korons schauen.
Mit anderen Worten, dieses Miststück hat uns in eine Sackgasse manövriert.
Zumindest was ein ungestümes Vorgehen angeht
und wenn diese Spekulation der Wahrheit entspricht.


Wirt fortgesetzt
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#2
Die Zeit seit dem Angriff durch die verdeckten Terroristen und Attentäter war die Zeit der Hallen und Säle. Die erste große Attacke hatte auf eine, wenn nicht gar auf die Halle schlechthin stattgefunden. Auch danach waren Anschläge auf Versammlungen und Zusammenkünfte erfolgt. Wo sich Entscheidungsträger trafen, da konnte wenig Sprengstoff, wenige Magazine oder ein paar scharfe Klingen beachtlichen Schaden anrichten. Es war aber auch die Zeit der Hallen und Säle, weil sich nun einmal Verantwortliche in diesen trafen, um der Sache Herr zu werden. In den großen Gazetten der Stadt stand das übliche Gerede, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Ein Fünkchen Wahrheit, begraben unter einem Geröllberg aus Propaganda. “Es ist nicht gut, aber es könnte noch sehr viel schlimmer sein. Vertraut auf den Gouverneur und die Regierung. Seid standhaft, dann wird alles wie früher.” Hinter den Kulissen und aber, in den Hallen und Sälen, da war man weit weniger gelassen. Die Angriffe konnten die Makropole oder gar den Planeten nicht ins Wanken bringen. Wohl aber erschüttern. Gerade die Angriffe auf die Infrastruktur und Produktion waren beunruhigend. Menschen hatte Gohmor genug. Man hätte jeden Tag tausende töten können und es hätte lange Zeit gedauert, bis dieser Schwund überhaupt bemerkbar wurde. Wenn der Rest der Menschen aber voller Furcht nicht mehr zu ihren Arbeitsstätten ging oder jene Arbeitsstätten zerstört waren, dann konnte dies eine Gefahr bedeuten. Die Moral aufrechtzuerhalten war wichtiger als die Bekämpfung des eigentlichen Feindes. In die Luft fliegende Würdenträger und Entscheider waren eben dieser so wichtigen Moral abträglich. In solch schweren Zeiten kamen den großen Häusern auf Koron seit jeher eine entscheidende Rolle zu. Sie waren die Lenker dieser Welt und leuchtende Vorbilder für ihre Bewohner.
Natürlich nicht alle Häuser.
Die kleinen Familien, die bestenfalls dem Namen nach noch Bedeutung hatten, zählten kaum zur Elite des Planeten. Ihnen waren die Klatschspalten und Seiten der Illustrierten vorbehalten. Die großen Häuser aber waren es, zu denen die verängstigten Menschen ihre Hände flehentlich erhoben und um Anleitung ersuchten. Allen voran natürlich Orsius.
Das gewaltige Orsius, Regierungen und Regime kamen und gingen, Orsius aber war das Fundament, das Rückgrad und der gepanzerte Korpus des Planeten. Es hatte das Erstarken des Chaos überwunden und die permanenten Anfeindungen durch den ewig zweiten Siris. Es hatte sogar die drakonischen Strafmaßnahmen des Imperiums überstanden und es würde auch die jetzige Krise überwinden. Dazu hatte einmal mehr eine hohe und mit Wichtigkeit getünchte Halle eine Rolle zu spielen.
Der Raum war in erster Linie groß. Im Hause Orsius hing man seit jeher dem architektonischen Stil des Finalbrutalismus an. Innen wie außen zeigten sich die Gebäude der Orsius roh und vermeintlich grob. Ohne Verkleidungen oder Verzierungen, bestenfalls ein Banner mit dem minimalistischen Symbol des Adelsgeschlechts. Der Ceramit- und Stahlbeton wurde nicht verputzt und blieb in seiner rohen, unverarbeiteten Form sichtbar.
“Hart und unnachgiebig. Dass sind wir, das kriegt ihr.” Einfache, kraftvolle Linien und Winkel, klare geometrische Formen. Sollte Siris seinen täuschenden Charakter durch Spiegelglas und holografisches Blendwerk aller Welt offenbaren. Die Kraft, Größe und funktionale Zweckmäßigkeit der Orsius ließ sich an geometrischen Klarheit in ihren Bauten ablesen.
Die Decke der Halle verlor sich irgendwo weit oben in dunstiger Schwärze und auch die düsteren Ecken erzeugten den Eindruck immenser Offenheit und weite, Als stünde das zentrale Element des Raumes auf einer unendlichen, schwarzen Ebene. Ein einzelner, ausladender Strahl imitierte Tageslichtes durchschnitt das Dunkel von schräg oben und beleuchtete eben dieses Element. Einen Block ineinander verschachtelter Würfel und Quader aus grauem, angelaufenem Beton. Betrat man die Kammer unbedarft und schritt an den beiden Haussoldaten vorbei, die den Eingang bewachten, so mochte man sich einer kubistischen Skulptur gegenüber wähnen. Einem gewaltigen Kunstwerk zur Verherrlichung des rechten Winkels.
Ein zweiter Blick hätte dann jedoch offenbart, dass an den Seiten dieser Würfel Gestalten saßen, wie Zwerge an den Tischen von Riesen. In schwindligen Höhen hockten sie auf, in den Seiten der Quader eingelassenen Sitzgelegenheiten. Jeder in eine rote Robe gekleidet, deren Saum viele Meter lang war. So mutete es an, als wäre die Quaderskultur mit Bannern geschmückt oder würden sich stete Bäche aus Blut über die Kanten der Würfel erstürzen. Hier saßen die führenden Köpfe des Hauses.
Sie waren sich im Rang alle gleich, zumindest dem Schein nach. Die Höhe der ansteigenden Sitze spiegelte eine unausgesprochene aber doch allen bewusste Rangfolge wieder. Der oberste Platz aber, der Platz des Hochbarons war leer. Aus eben diesem Grund hatten sich die verbleibenden acht Altvorderen zusammengefunden. 

Es war Arnulf Orsius der nun mit krächzender Stimme das Wort ergriff. Er war 217 Jahre alt und zählte zu den ältesten, noch aktiven Lenkern des Hauses. Er war auch der Förderer des verstorbenen Vladimir gewesen und nicht wenige sahen in ihm die eigentliche Macht des Hauses. Familie… Freunde. Zwei Dinge die sich keineswegs bedingen mussten. Ich muss nicht extra erwähnen, dass die Trauer um meinen Ur- Urgroßneffen mir am Herzen frisst. Seinen Sitz verwaist zu sehen schmerzt mich über alle Maßen. Doch das Haus braucht einen Groß- einen Hochbaron. Vladimir wusste das und er hätte uns zögerlich gescholten, dass wir nicht längst einen Nachfolger benannt haben. Wir wollen heute also die Kandiaten benennen, die wir als geeignet erachten und nach alter Sitte abstimmen. Das Haus braucht ein Gesicht. Schweigen bedeutete Zustimmung und da die anderen sieben Anwesenden stumm blieben, war dies des Wohlwollens genug Bekundung. Diese geradlinige und verschnörkelte Art Dinge zu besprechen, war eine Stärke des Hauses. Wenig Zeremoniell, geradlinige Protokolle. Die Intrigen und Ränke wurden abseits davon gesponnen. Beginnen wir in alt gewohnter Reihenfolge Aagnolia, dein Kandidat.
Die Angesprochene reckte den Hals und blickte mit weißen, blinden Augen in die ungefähre Richtung Arnulfs.
Ich nominiere Alexandra Eleonora di Corvo-Orsius. Sie ist jung, aber wurde von langer Hand zu einer Führungsrolle erzogen. Jedweder Skrupel ist ihr abtrainiert. Beim Beschneiden ihres charakterlichen Wuchses hat man einige Triebe stehen lassen, um ihr den Anschein von Selbstbestimmung und Emanzipation zu lassen. Diese sehr oberflächlich zu bedienenden Reflexe machen sie leicht lenkbar. Es mag sein, dass sich diese einfache Handhabung mit zunehmendem Alter verwächst, aber  bis dahin ist  in ihr Willfährigkeit mit Befähigung recht angenehm verwoben. 
Zur Kenntnis genommen. Ludwig, dein Kandidat? 
Ich nach jedem Wort mühten sich die künstlichen Lungen ab, einen weiteren Atemzug vom Tod des Greis zu ergaunern, stelle mich selbst zur Wahl. Wie ihr alle  wisst, galt der Armee stets mein ganzes Streben. Ich musste ihre Herabwürdigung nach dem großen Kriegen miterleben und habe seitdem all meine Kraft in den Erhalt und den Ausbau im Rahmen aller Möglichkeiten gesteckt. Nicht selten darüber hinaus. Er ließ offen, ob er damit die Grenzen seiner Kraft oder des gesetzlich Erlaubten meinten. Heute sind wir wie beim Aufstand der Götzendiener einer Bedrohung ausgesetzt, die allein durch das Schwert bezwungen werden kann. Vladimir war ein Großbaron der Wirtschaft, ein Hochbaron des Friedens. Ich kann ein Hochbaron des Krieges sein. Weil ich es sein muss.
Von der Tür her erscholl ein Getöse. Die Türen waren verschlossen und verriegelt, wenn die Altvorderen tagten und während die beiden Soldaten im Inneren mehr Zierrat als wirklicher Schutz waren, standen vor dem Eingang zwanzig Mann physisch Wache. Von all den anderen Sicherheitsmaßnahmen ganz zu schweigen. Niemand kam einfach so hereinspazieren. Die Alten sahen sich nervös an, während die beiden Soldaten einige Schritte von der Tür wegtreten und mit ihren verchromten Schmucklasern zielten. Der Stahl glitt schnarrend auseinander und drei Schwarze Dragoner traten ein. Sie trugen keine Feldausrüstung sondern ihre nachtfarbenden Uniformen und schwarzen Barette. Aber sie hielten Waffen in den Händen. Die Dragoner waren die respektierte und gefürchtete Elite des Militärs, aber hier hatten sie unaufgefordert nichts zu suchen. Die beiden Soldaten legten ihre Waffen daher auf die Kämpfer an. Das ihnen dabei nicht wohl war, erkannte man selbst bei ihren geschlossenen Helmen. 
Was hat das zu bedeuten? Verlangte Arnulf zu wissen und stemmte sich mühselig auf seinem Platz in die Höhe. Die Antwort erfolgte in Form einer abstrusen, mechanischen Gestalt. Das Konstrukt war grob Humanoid. Schwarzes Metall mit roten Applikationen. Zwei Arme waren so lang, dass sie fast auf dem Boden schliffen, Auf Höhe der Brust saßen zwei weitere, kleine, durch die Größendifferenz fast schon verkümmert wirkende Arme. Der Kopf oder eher der Bereich, wo der Kopf hätte sitzen müssen, wurde von einem schwarzen, schmucklos monolithischen Block eingenommen. Es war so groß, dass es sich unter der fast vier Meter messenden Tür hindurch ducken musste. Der im Schwarz eines Hirschkäfers schimmernde Körper dieses künstlichen Riesen war wahrlich prunkvolll gearbeitet. Nicht die plumpen Panzerplatten einer Kriegsapparatur, sondern von Meisterhand so geformt, dass sie den Anschein freiliegender Muskeln und Sehnen erzeugte. Der Umstand, dass hinter ihm weitere Dragoner in die Halle drängten, ließ sich vor dem Blickfang des Riesen leicht übersehen. 
Es hat lediglich zu bedeuten, mein lieber Arnulf, dass man vergessen hat, mich über diese Zusammenkunft zu informieren. Die Stimme des mechanischen Wesens schien sich aus dem Knistern von Strom zusammenzusetzen. Ein Geräusch, das den Körper jedes Zuhörers von den Knochen bis in die Zahnfüllungen vibrieren ließ. 
Ein Versehen, wie ich vermute. 
Wie ich hoffe. 
Der einzige Mann, der an diesen Tischen fehlt, hat keinen Kopf mehr auf den Schultern. Diese Worte waren von Gerda Orsius gekommen, deren Courage mit der Zahl ihrer Lebensjahre eher zu, denn abgenommen hatte. 
So in diesem hässlichen Ungetüm also nicht der Kopf von… Sie verschluckte sich an ihren eigenen Worten. War das möglich? Konnte der belebte Schädel von Vladimir in diesem Ding leben? Die Maschine summte staccatoartig. Es dauerte eine gute Weile, bis dieser Laut als das erkannt wurde, was er war. 
Ein Lachen. 
Du fürchtest, der Kopf des unglückseligen Vladimirs könnte hier herumwandern und seinen rechtmäßigen Platz einfordern? 
Unsere Chirurgen sind gut, aber solch ein Wunder vermögen auch sie nicht, Töchterchen. 
Vladimir Orsius hat sich dem Heer der Geister angeschlossen, welches unseren Palast überreichlich bevölkert.
Was also soll diese Scharade? Wer oder was bist du?
Gedult! 
Der Roboter machte eine beschwichtigende Geste mit einem seiner kleinen Arme, was sonderbar menschlich aussah. Vergönnt einem, der selbst fast ein Geist ist, ein bisschen Theatralik für seinen Auftritt. Als wäre dies ein vereinbartes Zeichen gewesen, trugen vier Dragoner einen Körper durch die Tür. Eine Leiche, die sie in einem Feldtragetuch transportierten, mit dem normalerweise Verletzte verbracht wurden. Blut tropfte zu Boden und wurde dort von dem Beton aufgesogen wie von einem Schwamm. Die Altvorderen streckten die Hälse wie Schildkröten, um zu sehen wer dort gebracht wurde. 
Nera Orsius- Dulba. Ein vielversprechender Offizier, der dabei war, die Karriereleiter hinauf zu stürmen. 
Ich verlange…
IHR VERLANGT JETZT EINMAL FÜR FÜNF MINUTEN GAR NICHTS! 
Die unvermittelt in die Höhe schnellende Lautstärke der Elektrostimme fegte wie ein Gewitter über die Anwesenden und brachte sie zum Verstummen. 
Dieser Mann und 54 seiner Spießgesellen haben unser Haus infiltriert und sind erschreckend weit gekommen. Während ihr drei Monate mit Machtspielchen und dem Verschieben von Schachfiguren verbracht habt, hat dieses Geschmeiß Sabotage, Mord und Verrat vorbereitet. Unter euren Augen, liebe Söhne und Töchter, Enkel, Neffen und Nichten, haben sie sich an den Haupttoren, den internen Generatoren und der Luftaufbereitung zu schaffen gemacht. 
Während ihr eure Geheimpolizisten und Spione auf eure Rivalen angesetzt habt. Zu besoffen von der Aussicht auf eine Nachfolge.
Wie könnt ihr es wagen?
Ich wage es, Eckwald Theodor Orisius, Sohn von Miranda di Corvo Orsius und Nex Orsius. Oder vielmehr von Miranda und dem Floristen, der ihr jeden Tag ein Blütendekor bereitete und nach ihrer Schwangerschaft auf überaus unschöne Art und Weise verunglückte. 
Wer...?
Wer? Wer? Wer? Echote die Maschine in fast schon kindlicher Manier. 
Ich bin die Seele dieses Hauses. 
Das Opfer auf dem Altar der Räson. 
Ich war schon alt, als eure Väter und deren Väter noch noch in die Windeln geschissen haben. 
Ich habe dieses Haus aufsteigen und die Gezeiten überdauern sehen. 
Jetzt sehe ich, wie ihr es mit Schwäche und Entschlussverdossenheit zugrunde richtet. Drei Monate ist der Hochbaron tot und weder sitzt ein Hausoberhaupt an der Spitze der Familie, noch verfolgt ihr die Mörder mit der ganzen Härte unserer geballten Faust. 
Der Monolith, der Kopf und Brust in sich vereinte, begann sich aufzufächern. Als würde eine könige Animation Pixel für Pixel auseinander fallen, glitt die unnachgiebig wirkende Struktur zur Seite. Dieser Vorgang hatte etwas sonderbar Irdisches an sich. Als werden feste Dinge flüssig, ohne das sie ihre Substanz wirklich aufgeben würden. Im Inneren dieser seltsam beweglichen Hülle kam ein flüssigkeitsgefüllter Zylinder zum Vorschein. Kränklich gelb beleuchtet und in einer trüben Nährflüssigkeit schwebend, ein Körper. Eine Mumie, kaum mehr als ein mit fleckiger Haut überzogenes Gerippe. Die Arme wie bei einem bestatteten König gekreuzt. Schläuche hielten diesen Leib in einem unansehnlichen Zustand des Unlebens. Die Ruine eines Körpers, grau und verwelkt. Aber die Augen schienen lebhaft und starrten auf die Altvoderen. Diese sahen sich unbehaglich und gleichsam fragend an. Wenn dies die Offenbarung einer Identität sein sollte, so sagte sie ihnen nichts. Nur Arnulf verlor das bisschen Farbe, das er noch im Gesicht hatte. 
Ulrich! 
Murmelte er kaum hörbar. 
Dass der Greis in der Maschine ihn mit ausgeklügelter Sensorik doch verstehen konnte, zeigte sich, als er antwortete. 
Schön zu sehen, dass wenigstens einer von euch noch ein wenig in der Hausgeschichte bewandert ist. 
Ganz recht, ich bin… oder besser war Ulrich Orsius. 
Ältester des Hauses und rechtmäßiger Anwärter auf den Rang des Hochbarons. Der Sarkophag schloss sich wieder mit dem leisen Klicken aufeinander prallender handgroßer Würfel. 
Es ist immer noch eine Wahl. 
Gestattete sich Hans Orsius halblaut zu bemerken. 
Dann wählt! Solange ihr mich als Hochbaron dabei benennt.

wird fortgesetzt
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