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Subsektor 335, Unterebene 12
#33
Die Menge teilte sich vor dem langen Mann.
Nicht etwa auf besonders spektakuläre Weise, nicht wie die Wogen sich vor dem gebrüllten Befehl eines Heiligen geteilt hätten. Vielmehr schien es eine Verkettung von Zufällen zu sein, die der Gestalt zu Pass kamen. Ein junges Pärchen, eben noch in innigster Umarmung, stritt sich wegen einer Nichtigkeit und während er seiner schmollenden Angebeteten nachlief wurde eine Lücke frei. Ein Kleinkind riss sich weinend von der Hand der Mutter los, nachdem es an dem gemächlich schreitenden Mann empor geschaut hatte. Die Mutter eilte ihrem Kind nach und machte den Weg auf die Art passierbar. Der Schlauch eines Frischwasserverkäufers platzte und die Umstehenden sprangen schimpfend zur Seite. Der lange Mann störte sich nicht an der Flut und den keifenden Passanten, er schritt durch die Pfütze. Das das Trinkwasser dabei schlammige Schlieren zog, wo es mit seinen Füßen in Berührung kam, sah niemand. Irgendwo weiter Links griffen zwei Arbites einen jungen Burschen mit Lederjacke und zu Stacheln gegelter Frisur aus der Menge und begannen auf ihn einzuprügeln. Passanten ergötzten sich johlend an dem Spektakel oder schrien, so sie denn um den Schutz vor sich stehender Leute wussten, den Vollstreckern imperialen Rechts Beleidigungen zu. Ein beleibter Geschäftsmann ärgerte sich über ein Sportergebnis im „Guardian“, warf die Zeitung fort und stiefelte schimpfend davon. Er bahnte sich mit den Ellenbogen eine Gasse durch jene, die darauf warteten den Fuß der Statur zu berühren, eine Kerze oder ein Gebetszettel am Sockel zu hinterlassen. Der lange Mann nutzte den so geschaffenen Korridor um auf Lexandro zuzusteuern.
Wie es an heiligen Plätzen üblich war, tummelte sich allerlei buntes Volk. Arbeiter und Angestellte in ihrer schlichten Einheitskleidung, psalmodieren Priester, Soldaten auf Urlaub, Bürger der Mittelschicht, reichere Gläubige, die sich durch die niedrige Zahl der Ebene nicht in ihrer Frömmigkeit bremsen ließen und ihre nervösen Leibwächter im Schlepptau hatten. Ebenenführer, Straßenkünstler, Verkäufer die vom kleinen Imbiss bis zur heiligen Reliquie alles feilboten, Bettler und Taschendiebe. Unter all diesen Variationen menschlicher Daseinsformen nahm sich der lange Mann gewiss sonderbar aus, aber eben auch nicht mehr, als alle möglichen anderen schrägen Figuren.
Seinen Namen hatte er zurecht, denn er war groß.
Zwei Meter maß er mindestens. Dabei wirkten seine Arme schlaksig und trotz seiner Körpermaße irgendwie zu lang. Der Eindruck würde ein wenig abgemildert von der weiten Regenjacke, welche er trug. Ein altmodisches Ding, wie man es in früheren Zeiten bei Hafenarbeitern zu sehen bekommen hatte, welche sich auf diese Weise vor saurem Regen und der giftigen Gischt des Hafenbeckens geschützt hatten. Der Kragen des Ölzeugs war hochgeschlagen und in Verbindung mit der breitkrempigen Mütze, ebenfalls an Hafenarbeiter vergangener Tage gemahnend, lag das Gesicht des langen Mannes fast völlig im Schatten.
Das Licht auf dem Platz kam, im Gegensatz zum Rest der Ebene, aus UV- Lichtlampen und imitierte einigermaßen leidlich die Strahlen der Sonne. Dennoch schafften es die Leuchten nicht den scharf geschnitten Schatten unter der Kapuze zu tilgen. Wenn dies ein Zufall war, dann einer der eigentlich nicht nötig schien. Denn niemand in der Menschenmenge blickte den langen Mann direkt an. Im Gegenteil! Wer nicht durch eine Eingebung oder ein Missgeschick ohnehin gerade seinen Platz verließ, war bemüht überall hinzusehen, nur nicht auf diese sonderbare Person. Einzige Ausnahme davon waren Kinder, welche beim Anblick des Mannes zu weinen begannen oder das Gesicht ängstlich verbargen.
Nun war er fast bei Lexando angelangt. Ein feuchter Geruch mischte sich der Symphonie aus verschiedensten Düften. Etwas was nach modernden Pflanzen und stehenden Gewässern roch, nach unbewegter Luft und Schimmel. Der Geruch wurde mit Parfüm und dem Duft nach Gebratenem durchsetzt, Weihrauch mischte sich darunter und letztlich war es nur ein Eindruck von vielen.
Jetzt ragte er vor Lexandro auf.
Freuet euch! bemühte er eine etwas aus der Mode gekommene Variante der Begrüßung.
Einige Kerzen am Sockel der Statur verloschen, ein bereits reichlich angeheiterter Arbeiter weiter links übergab sich.
Schön das wir uns persönlich treffen. Die Stimme klang noch immer saugend und schmatzend, doch kein Vergleich mehr zu dem Geblubber am Comgerät. Unser kleines fernmüdnliches Gespräch hat mich, wie ich gestehen muss, sehr neugierig auf sie gemacht.

Und siehe, der Böse geht um unter den Menschen, geboren aus den Abgründen seiner eigenen Verwerflichkeit. An den Rändern des Lichts lauert er, hoffend der Blick des Gottkaisers möge ihn übersehen. Da aber wo Begierde, Ehrgeiz, Neid und Wollust ihr Haupt erheben, da gräbt er sich in die Seele der Menschen und verdirbt sie, leitet sie fort vom Licht, das er zu Terra ist und sein wird immer da!

Der kreischende Priester schritt an ihnen vorbei, das Oberteil seiner Kutte herabgezogen und so die blutigen Wunden auf Rücken und Schultern entblößend. Er ließ eine Peitsche auf seine geschundene Haut klatschen.
Siebenhundertsiebenundsiebzig Mal umkreist die heilige Galeta, denn siebenhundertsiebenundsiebzig Mal hat der Böse sie versucht. siebenhundertsiebenundsiebzig Mal wies sie ihn ab und siebenhundertsiebenundsiebzig Wunden schlug er ihr. Die Passanten machten das Zeichen des Adlers, wenn der schreiende Prediger sie passierte. Die Menge schloss sich hinter ihm und das Klatschen der Peitsche und sein Rufen verloren sich im Lärm des Platzes.

Was haltet ihr von einem etwas weniger ermattenden Flecken für unser kleines Geplauder? Etwas dass euren Ansprüchen nach Belebung und anderen Menschen trotz allem gerecht wird. Dort drüben etwa.

Er deutete in Richtung Rand des Platzes. Dies tat er in dem er nach vorn wippte und quasi mit dem Oberkörper zeigte. Auf diese Art wies er auf ein Kaffeehaus, welches über Außenbereich mit Stühlen und Tischen verfügte und besser betuchte Pilger eine Möglichkeit zur Stärkung und Rast gab, während sie den Trubel beobachteten.

Ein kleiner Apéritife für mich und vielleicht etwas Herzhaftes für Sie. Sie scheinen es vertragen zu können.
Ich lade sie ein!
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