10-11-2009, 09:04 PM
Gesichter. Alte, eingefallene, leblose Gesichter. Gesichter welchen durch salzartiges Natron jegliche angenehme Kontur entrissen wurde, kurz nachdem sie mit balsamierendem Weihrauch, Myrrhe und ätherischen Ölen behandelt worden waren. Leere, dunkelschwarze Höhlen herausgerissener Augenpaare, ausdruckslosen, gefrorenen Masken ebenbürtiger den humaner Mimik. Goldene Fäden verliefen in schlangenartigen Mustern sowohl die ausgetrockneten staubspröden Lippen, wie auch die nutzlos gewordenen Lider. Mumifizierung. Uraltes, antikes Brauchtum, eine vergessene Todeskunst, welche unter den frühen Dynastien ihren gesellschaftlichen Zenit erreicht hatte, indem es galt, jeglichen einfachsten Kriegsfürsten in aufwendigster Manier für die kommende Ewigkeit zu balsamieren. Jahrhunderte, jahrtausendelang unterlagen diese nekromantischen Praktiken strengen Kodizes, wurden würdige Akolythen aus zehntausenden Sklaven auserwählt, um das zauberhafte Handwerk zu erlernen, welches den Hohepriestern gestattete die sterblichen Überreste wahrhafter Unsterblichkeit zuzuführen. Sie wussten darum, denn sie waren die Ersten, die Erstgeborenen unter dem neuerstehenden Mond. Die vergangene Welt war archaisch, grausam und rücksichtslos zu ihnen gewesen, ebenso wie zu allen anderen auch, aber zuerst erblickte die selbstgefällige Priesterschaft der alten Stadtstaaten die infame Wahrheit hinter all den tückischen Lügen. Seit Äonen hatte man ihnen gehuldigt, den alten Göttern, noch jahrtausende vor der Ankunft des goldenen Phönix beherrschten sie die Stätten der Wüsteneien, die erhabenen Gebirge und weitläufigen Steppen, sowie die horizontweiten Archipele und abgründigen Ozeane welche alle Landmassen spalteten. Königreiche, sowie theokratische Gottesstaaten, Fürstentümer und Tyranneien, welche den neuen Staatsformen vorangingen wucherten auf der geografischen Landkarte, sowie den topografischen und tektonischen Gesteinsschichten, längst allesamt unter meilendicken Sandgürteln begraben und verschüttet. Dort wo dieser neofeudalen Zeiten mächtige Paläste aus durchsichtigem Glas, verspiegeltem Chrom und witterungsbeständigen Stahl den dämmerungsroten Horizont beherrschten, regierten einstmals piktografischverzierte Monumentalbauten alles Leben und Gedeihen. Auf diesen einstigen sandsteinernen Behemoths vegetierte in den nachfolgenden Zenturien unübersehbare Vitalität, die unterhalb der antiken Stätten von Gohmor, damals noch Shel-an-Gorrmora, See der Würdigen, begrabenen Nekropolen und uralten Tempelanlagen wurden durch die nachrückende Zivilisation beinahe vollkommen ausgelöscht. Jüngste Bauvorhaben, sowie die ursprüngliche Fundierung der neuen Welthauptstadt erschütterten die darunter liegenden mergeligen Massen, sowie veranlassten das angrenzende Meer durch verschiedene Kanäle nachzufließen, was die Kammern gänzlich vernichtete oder wenigstens auf Jahrtausende hin vor jeglichem Blick verbergen würde. Titanische Pfeile welche vor rund zweihundert Jahren die Auferstehung der Makropole preisen und ermöglichen würden, zermalmten das alte Fundament, sowie die Grabpassagen und verschütteten Sakral- und Palastbauten. Ebenso geschah es weiter westlich, in den üppigen Dschungeln von Kan-Rathis, welche dieser Epoche nur noch als Einöde von Vorago bekannt sind. Dort wo sich das heutige Truzt, demokratisches Herz Korons, erhebt, befanden sich einstmals die blutigen Zikkurats der Naja-hedarja Priesterkönige, deren ausgiebiger Opferkult alle angrenzenden Völkerschaften in todesgleichem Terror erstarrten ließ. Unter millennienaltem Humus gebettet, an jener sagenumwobenen Stelle des ersten freien Parlaments, etwa zweieinhalb Kilometer unterhalb der heutigen Seehöhe, befand sich damals die Geburtengrotte der sogenannten Herrn von Naja-hedarja-Rathis, den “Altehrwürdigen des gesegneten Hedarja-Rathis”, des Priesterkaisers. Weiter östlich, dort wo die purpurne Flammenkönigin sich aus den staubigen Dünen Septinanus erhebt, wo einstmals die mächtige Kriegernation der Ras-an-Kuri, der “Gott gewogenen” über weitläufige Steppen und untergehende Stammesstrukturen herrschte, erhebt sich der letzte dieser archaischen Götzenschreine, bis in die heutigen Tage hinein. Das wahrhaftige strukturelle Alter dieser imperatorläsertlichen Kultstätte erschloss sich ihr zum ersten Male. Sie war erheblich älter als zwei Jahrhunderte, erheblich älter als zwei volle Millennien, gewissermaßen fundierte der Hügel auf welchem in späteren Epochen die Stufenpyramide errichtet werden sollte, auf die archaische, längst vergessene Vorzeit zurück, als selbst Eisenerzverwertung noch erstrebenswerter Fortschritt gewesen war. In einem mythischen Zeitalter von Kupfer, Zinn und ersten Bronzearbeiten, als rohes Gold noch göttlichen Status bewahrte und eine schier unüberschaubare Zahl von Pantheons das einfache Gemüt beschwerte, waren es zuerst primitive Kriegerkulte, welche den Menschen hier einen wahrhaftigen Glauben lehrten. Tul-Nar-Arkhan, war jener Unsterbliche welcher als Primorgener voranschritt, der alte Kriegsgott, Vater Bronze, Blutsäufer, Unsterblicher Schlächter, zahlreich waren seinen Namen bereits jener kindlich naiven Tage. Doch allen voran war er der krisengeschüttelten Galaxis der Moderne unter einem verbotenen Namen bekannt, Khorne, Beherrscher des Massakers. Der zeitenlose Hass der Äonen. Zuallererst war es eine Schmiede, kein Tempel, eine primitive, ausgehöhlte Grotte, in welcher man dank vulkanischen Kohlegesteins Bronze in vorgesehenen Bottichen schmolz, formte, hämmerte, löschte und anhand markanter Gesteinsbrocken schliff. Es herrschten keine lobpreisenden Arien oder gutturale Stammesgesänge, allein das besinnungslose Kreischen der Schlachtfelder, sowie der entfesselte Wahnsinn und die unnachgiebige Raserei waren sakral genug, ihm zu huldigen. Dies wussten sie, die Auserwählten wenigen, welche anstelle primitiver Keulen, Steinkeile und Holzspeere bereits bronzene Klingen führen durften. Dies begründete die erste Hochkultur, gewissermaßen, selbst wenn diese Kultur nichts geringeres als ein reiner Todeskult war, aus welchem sich erst Jahrhunderte später namhafte Zivilisation entwickeln konnte. Der Grundstein war die Bronze, die grausame erste Klinge, ersonnen von einem Menschen, dessen Seele erstmals die Quintessenz des Krieges gestreift hatte. Mul’nash, der Bronzene. Sein abgeschlachteter Leichnam erhielt sich über drei Jahrhunderte bar jeglicher Verrottung, sein lebloses Fleisch faulte nicht, nicht einmal im Grabe. Erst nach siebenhundert Jahren, als die Priesterkaste der Götterwiege seinen Leib balsamierte und mumifizierte, sollte jener seine würdige Grabstätte erhalten. Aufgerissene Augen. Keuchen, frostiges Sauerstoffgemisch, verklebtes Blut, Salz an den Zungenstreifen. Angewidert riss sie das beklemmende Schutzvisier herab, schleuderte es mitsamt der dranhängenden “Nabelschnur” hinfort. Nacht, es war Nacht, Mondlicht, fahles, trostloses, melancholisch besinnliches Mondlicht. Schlieren, zerfetztes Material hing von ihren Extremitäten, glitt seidig herab über Schultern, Brust und Taille, erhoben im silbernen Schein stand sie, sinnierend und vollkommen verlassen. Wo stand sie? Im Niemandsland, irgendwo, unbekannter, ferner Kontinent. Zeitlich, unbekannt, nur mondbeschienene Nacht und ein dumpfes, unnahbar leeres Gefühl. Wie fern lag die abendliche Dämmerung zurück? Wie nahe war die morgendliche Röte? Ungewiss. Stimme drangen an ihr Ohr, gedämpfte, tuschelnde Stimmen, höfisch intrigantes Gewinsel. Wie nahe sie wohl sein mochten, nein, es war gleichgültig. Ein Pfad, eine strahlend silberne Straße, vorsichtiger, beinahe badenden Schrittes glitt sie über mehrere künstliche Treppensätze hinab. Barfüßig. Der rieselnde Sand floss kitzelnd zwischen ihre Zehen, kühl und lindernd, genießend strich sie durch eine arglos gewehte Düne. Belebend. Erfrischend. Wenn man nur darum wusste, erfüllte sich selbst die totenstille Wüstenei zu unergründlichem Leben. Winzige, weißschalige Panzerkäfer, welche die Hinterbeine des frühen Morgens streckten, auf das sich der nebelige Tau an ihren Chitinpanzern sammelte und hinab floss zum Rachen. Aasfressende Hautsegler. Skorpionartige Geschöpfe. Sowie verschiedene wasserspeichernde Schlingpflanzen. Lebendig. Heiter, unermüdlich schob sie die weißen Zehenspitzen durch den beigefarbenen Quarz. Was verblieb? Nichts und alles. Zeit verfloss, ungehindert, ungebremst. Wie lange war es wohl schon… sicherlich mehr den zweihundert Atemschöpfungen. Klamme, schroffen Fjorden ähnelnd, ungebändigt, unzivilisiert und wild, erhoben sich rings um sie. Diese Kutsche, diese goldene Sänfte, sowie die seltsamen schwarzen Menschen welche sie umgaben, lagen weit zurück, fast vergessen. Nein, dies war die Wüste, nur die Wüste, die Wüste und die Zeit. Inmitten sie, im eigenen Schatten, den Mond begrüßend. Im Schatten der Zeit.