Zeitenwende

[Cassian Khline]

Es hatte geklappt! Der Peilsender hatte den Absturz überlebt. Warum sonst sollte sonst so ein Schweber hier hergeschickt werden? Cassian frohlockte innerlich, auch wenn er sich äußerlich nichts davon anmerken ließ. Die Zeit der Abrechnung war gekommen.
Aber wie jetzt weitermachen? Einfach heraustreten und darauf warten, dass sich die Arbites abseilten und sie festnahmen? Verlockend einfach, aber unrealistisch. Mit der Aktion würde er sich genau ins Kreuzfeuer begeben. Die Arbites im Schweber wussten nicht genau, wer er war und für Renold und die Anderen war er ein Verräter, den man zum Schweigen bringen musste, bevor man selbst im Feuer der imperialen Gesetzeshüter verging. Denn eine weitere Flucht war nicht möglich und zumindest ein Zeuge nicht mehr unter den Lebenden. 
Und Soraya mit ihren Hexenkräften war immer noch ein Joker. Cassian hatte gesehen, gefühlt, wie sie sie beim Kampf gegen den Roboter verwendet hatte. Hatte gesehen, was für Grenzen ihre Fähigkeiten hatten, aber noch nicht das ganze Spektrum dessen, wozu sie fähig war.
 Soraya war die zentrale Figur in dem ganzen hier. Ihr Verhör bot die Chance mehr über die Struktur der Aufständischen herauszufinden. Aber dafür er musste sie gefangen setzen. Und das war gar nicht so einfach. Renold und Pedwarsky waren beide bewaffnet und mussten daher aus dem Weg geräumt werden. Am wichtigsten aber war zu verhindern, dass Soraya starb. Weder durch ihn selbst noch durch die restlichen Arbites und besonders nicht durch ihre eigene Hand. Während der Ermittlungen der letzten Monate hatte sich nämlich dieses Muster feststellen lassen. Wann immer die Aufständischen sich der Gefahr der Gefangennahme ausgesetzt sahen, warfen sie sich entweder ins Feuer der Sicherheitskräfte oder richteten ihre eigenen Waffen gegen sich selbst. Dieser Fanatismus machte es so schwer mehr über ihre Motive herauszufinden, da sie sich konsequent jeglichem Verhör entzogen.
Also musste er jetzt ins volle Risiko gehen und Fakten schaffen bevor sie die Gelegenheit bekam sich der imperialen Rechtsprechung zu entziehen. Ein letztes, stilles Stoßgebet zu ihm auf Terra und dann ging es los.
Cassian wandte sich an den neben ihn kauernden Renold und gab ihm stumm zu verstehen, dass er ihm den Raketenwerfer übergeben wollte, um ein neues Geschoss aus seinem Gepäck zu holen und ihn damit nachzuladen. Der Priester nickte verstehend und nahm die Waffe an. Diesen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte Cassian und drückte seinem Gegenüber die Mündung seiner Flinte in den Bauch. Einen langen, gequälten Augenblick hatte Renold noch Zeit den Verrat zu verstehen und Cassian überrascht in die Augen blicken zu können. Dann betätigte der Arbitrator auch schon den Abzug und das Krachen der Flinte übertönte jeden Warnruf, den Renold hätte abgeben können.
Alles passierte jetzt gleichzeitig. Der Aufständische ging schwer zu Boden, die beiden Frauen blickten verwirrt in Richtung des so plötzlich ausgebrochenen Feuergefechts und die Scheinwerfer tasteten hektisch den Boden auf der Suche nach der Quelle des Schusses ab.
Pedwarsky reagierte am schnellsten und versuchte umständlich ihr Lasergewehr in der Enge des Busses hochzubringen, aber Cassian hatte immer noch das Überraschungsmoment, die rigorose Arbites Ausbildung und eine handlichere Waffe auf seiner Seite. Routiniert repetierte er die Flinte und schickte dann auch Pedwarsky mit zwei schnellen Salven zu Boden. Blieb nur noch Soraya.
Dann krachte eine zweite Flinte und nun war es Cassian der einen Hammerschlag in seine Magengrube erhielt und schwer gegen die Buswand und in einer Wolke aus Rost zu Boden fiel. Renold war noch am Leben, lag hustend und schwer atmend auf dem Rücken und versuchte seine Waffe zu repetieren. Seine Schussweste hatte ihm das Leben gerettet genauso wie die Inkor Körperpanzerung es jetzt für Cassian getan hatte. Der Arbitrator verfluchte sich dafür Schrot und nicht Flintenlaufgeschosse geladen zu haben und krümmte sich unter den Schmerzen des Treffers zusammen.
Seine Schrotflinte hatte er beim Fallen verloren und angesichts der Gefahr die Renold darstellte auch keine Zeit sich nach ihr zu strecken.
Cassian verschwendete keinen weiteren Gedanken an sie und riss stattdessen die massige Halbautomatik aus ihrem Holster. Ein weiteres Mal krachte es. Die Schrotladung Renolds verfehlte Cassians Kopf um Haaresbreite und stanzte ein harmloses Muster in den Bus. Auf dem Rücken liegend hatte er nicht gut zielen können.
Der Arbites hatte in der Zwischenzeit seine Waffe entsichert und die Pistole ruckte in seiner Hand zurück, als er sie abfeuerte.
Im Vergleich zu den bisherigen Schüssen war das Schnalzen der schallgedämpften KM2P13 beinahe lautlos, als sie Renold ihre Hohlspitzgeschosse entgegenspie. Für genaues Zielen hatte Cassian in seiner derzeitigen Position keine Zeit und feuerte stattdessen so lange bis Renold sich nicht mehr regte.
Den Schmerz niederkämpfend stemmte Cassian sich schwer atmend hoch, blickte auf den niedergestreckten Priester hinab und schoss ihm noch zweimal in den Kopf. Eine reine Sicherheitsmaßnahme bei so jemand zähen wie Renold.
 Jetzt blieb nur noch Soraya mit ihm im Schlachthaus zu dem der Bus verkommen war.
Ihr Angriff überrollte ihn förmlich. Reine, ungezügelte psionische Energie brandete gegen ihn und zwang ihn einen Schritt zurückzugehen. Sein Kopf fühlte sich so an, als ob er in einer Schraubzwinge eingespannt war. Mühsam stemmte er sich gegen ihr Hexenwerk und zwang seinen Körper nach vorne. Die Vorbereitung beim Absturz zahlte sich jetzt aus und der Gedankenschild hielt dem Angriff stand. Zumindest jetzt noch.
Wieder eine Schritt nach vorne sich gegen diese unsichtbare Macht stemmend, die ihm entgegenbrandete.
Cassian merkte, wie Blut aus seiner Nase über seine Lippen lief, wie die Luft aus seiner Lunge gepresst wurde und jeder Knochen in seinem Körper schmerzte.
Sein Verstand brannte und er konnte förmlich spüren, wie seine Synapsen verglühten. Sollte er das hier überleben würde er die nächste Woche auf Knien in der Kapelle des Reviers verbringen und dem Imperator danken. Noch ein Schritt nach vorne. Gegen den Schmerz in seinen Gliedern, wie er ihn bisher noch nicht erlebt hatte. Gegen diese furchterregenden Hexenkräfte.
Mit einem aus Verzweiflung geborenen Urschrei warf der Arbites sich Soraya entgegen und riss sie mit sich zu Boden. Für einen Moment wurde ihr psionischer Angriff unterbrochen und er nutzte ihn, um ihr einen schweren Schlag gegen die Schläfe zu verpassen. Dem folgte gleich ein weiterer und die Frau sank schlagartig in die Umarmung der Ohnmacht.
Für Triumphgefühle blieb ihm aber keine Zeit, weil die Scheinwerfer des Antigravtransporters den Bus inzwischen in ihr grelles, weißes Licht tauchten und seine geblendeten Augen vage die Umrisse von gepanzerten Gestalten ausmachen konnten, die den Bus umstellt und ihre Waffen auf die Insassen gerichtet hatten.
Cassian ließ die Pistole fallen, fiel unendlich erschöpft und blutend auf die Knie und hielt die Hände gut sichtbar in die Höhe. Auf alles, was jetzt folgen würde hatte er keinen Einfluss mehr.