Zeitenwende

[Cassian Khline]

Erst Renolds Ausruf brachte Cassian wieder ins hier und jetzt. Sein Gehirn war von der Hexerei Sorayas vollkommen beeinflusst worden. Ein erschreckende Erkenntnis, hatte man sie beim Arbites doch auf ihre Willensstärke hin ausgewählt und gedrillt. Er musste wirklich allerhöchste Vorsicht ihr gegenüber wallten lassen.
Erst jetzt konnte sein Verstand Renolds Aussage vollkommen verarbeiten und mit Schrecken feststellen, dass sie einen Erste Reihplatz für die Fahrt in die Hölle gewonnen hatten.
Für das was als nächstes folgte brauchten die beiden Männer keine Worte. Irgendwie mussten sie die Kontrolle über den Schweber zurückgewinnen und sicher zu Boden bringen. Der Flug in die Wüste war Geschichte. Und mit etwas Pech sie bald auch.
Renold zog Gus aus dem Fahrersitz und ließ mit angewiderten Blick die noch dampfende Leiche unsanft zu Boden fallen. Für Sentimilitäten war vorest keine Zeit. Nachdem er kurz Gus Rückstände von seinen Händen auf dem Mantel abgewischt hatte, ließ sich der Prediger auf den Pilotensitz fallen und versuchte einen Überblick über die Konsolen zu bekommen. Was war wofür zuständig und was davon funktionierte überhaupt noch?
Cassian war derweil nicht untätig geblieben und hatte due zusammengesunkene Soraya auf den Beifahrersitz verfrachtet. Hier war zum Glück der Gurt noch unbeschädigt und die Rebellin wurde angeschnallt. Zu ihrer eigenen Siherheit band Cassian sie noch zusätzlich mit ihrer Jacke am Sitz fest. Den der Fahrtwind, der ihnen entgegenschlug war mörderisch.
Über den Lärm des Windes, des Schwebers, des Windes und des Verkehrs brüllte er Renold noch zu, dass er das Sanitätszeug aus dem Laderaum holen würde, aber der Angesprochene schien das Gerufene in keinster Form wahrzunehmen.
Der Weg in den Laderaum gestaltete sich aufgrund ihres Beinahesturzfluges schwieriger als gedacht und Cassian wurde von den Schwankungen des Transporters hin und her geworfen. Auf halbem Weg machte schließlich eine Pause, lehnte sich mit dem Rücken gegen die eine Seitenwand und stemmte ein Bein gegen die ihm gegenüberliegende. Dieser kurze Moment des Alleinseins musste genutzt werden. Er lud seine Flinte mit neuen Schrottgeschossen nach, holte den Schalldämpfer aus seinem Rucksack und schraubte ihn auf seine KM2P13. Als letztes kramte er in der Innentasche seiner Jacke herum, bis sich seine Hand um den vertrauten Gegenstand legte. Der Peilsender befand sich in einem schlichten Metallgehäuse von unauffälliger Gestalt, damit Unwissende nicht gleich einschätzen konnten, wofür er gedacht war. Cassians Daumen fuhr prüfend über die glatte Oberfläche, bis er den Druckpunkt gefunden hatte und den Sender aktivierte. Sie mochten den Sinkflug, oder war es vielleicht schon ein Absturz, möglicherweise nicht überleben, aber das Arbites würde trotzdem den kleinen Quälgeist unaufhörlich piepend vorfinden können. Gegen physische Gewalt und chemische Einflüsse war er gut geschützt und sein Signal stark genug, dass selbst Störsender ihn schwerlich an der Arbeit hindern konnten. Das Arbites verwendete nur die beste Technik, die der Mars zu bieten hatte.
Nachdem alle Vorbereitungen so abgeschlossen waren, ging, oder eher schwankte, Cassian in den Laderaum hinein durch dessen aufgerissenes Dach der Fahrtwind ohrenbetäubend heulte.
Pedwarsky hielt hier noch die Stellung und zielte mit ihrem Gewehr auf das Loch in den Himmel, scheinbar in Erwartung, dass die Maschine jederzeit wieder zurückkehren konnte.
Seine Rückkehr schien sie zuerst gar nicht zu bemerken. Cassians Pistole wog schwer in seinem Achselholster, genauso wie der Drang die sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Bei dem Lärm, der sie umgab, würden Soraya und Renold die Pistole gar nicht hören können. Schalldämpfer sei Dank. Ein loses Ende kappen, wenn das Schicksal es ihm auf dem Präsentierteller anreichte. Pedwarsky war für seine weiteren Ermittlungen unwichtig.
Schwer legte sich seine linke Hand auf die Schulter der Widerstandskämpferin und ließ sich nervös zusammenzucken und sich ihm zuwenden. Noch war es nicht so weit. Noch war nicht bekannt, wo und wie sie landen würden. Und für den Fall der Fälle war es besser ein Gewehr mehr an seiner Seite zu wissen. Sein Anblick beruhigte sie wieder aber seine gebrüllten Versuche ihr die Lage im Cockpit zu erklären gingen in Fahrtwind und Fahrzeuglärm einfach unter.
Da aufgrund der Lautstärke die Kommunikation so gut wie unmöglich war, gab Cassian seine Versuche mit ihr zu sprechen auf und deutete einfach auf die Box, in der sich die Geschosse für den Raketenwerfer befanden. Die junge Frau nickte ihn an und begann mit ihrer Aufgabe. Cassian selbst griff sich die Sanitätstasche und warf sie sich über die Schulter. Hoffentlich konnte er darin etwas finden, um Soraya später außer Gefecht zu setzen bis der Arbites da war. Ihre momentane Erschöpfung würde nicht ewig anhalten.
Dann begaben sich die beiden auf den schwankenden Rückweg und versuchten den Halt zu bewahren, der so gut wie gar nicht mehr vorhanden war.
Im Cockpit hatte sich nicht viel geändert. Der Wind pfiff durch das Loch in der Frontscheibe, Soraya hing mehr als das sie saß in ihrem Sitz und Renold versuchte weiterhin irgendwie die Kontrolle über ihren Schweber zu behalten. Dass sie nur sanken und nicht abstürzten, sprach für den Erfolg seiner Bemühungen. Unendlich weit würden sie damit aber trotzdem nicht kommen. Es blieb nur zu hoffen, dass er nach einer geeigneten Landemöglichkeit Ausschau hielt. Renold nickte den Beiden zu war aber aus offensichtlichen Gründen zu sehr beschäftigt, als dass er ihnen etwas sagen konnte. Pedwarsky blickte den zu Tode geschmorten Gus mit Entsetzen an und versuchte die Situation zu verarbeiten, die sich vor ihren Augen abspielte. Der Fahrtwind der ihnen dank des abrasierten Teils der Fahrkabine ungehindert ins Gesicht schlug, Der Sinkflug vorbei an hupenden Fahrzeugen und scheinbar endlos hohen Canyonwänden aus Plastahl und Beton. Die eigene Winzigkeit und Sterblichkeit so vor Augen geführt zu bekommen.
Sie hatten dafür keine Zeit. Der Arbites verstaute die Sanitätstasche, indem er sie unter Sorayas Sitzplatz verstaute und schob Pedwarsky grob in eine Ecke, in der sie halbwegs sicher war. So sicher wie man unangeschnallt in einem rapide sinkenden Schwebetransporter sein konnte dessen Dach fehlte. Anschließend drückte er ihr noch den Werfer in die Hand, damit sie auf ihn aufpasste. Vielleicht brauchten sie ihn noch einmal. Bei dem Roboter konnten sie sich nicht zu sicher sein, wie sich gezeigt hatte.
Anschließend suchte Cassian einen sicheren Platz, ließ sich nieder, schloss seine Augen und konzentrierte sich auf sich selbst. Vor langer Zeit während seiner Ausbildung eingeübte Atemtechniken halfen ihm dabei sich zu beruhigen und alles um sich herum auszublenden. Tief und langsam einatmen. Sich nur auf sich selbst konzentrieren, den von Schmerz und Adrenalin hochgeputschten Körper ignorieren. Langsam und kontrolliert ausatmen. Das mächtigste Werkzeug, dass er auf Terra der Menschheit geschenkt hatte, war Willensstärke. Tief und langsam einatmen. Mochte das Fleisch schwach werden und seinen Dienst versagen, der Geist blieb. Langsam und kontrolliert ausatmen. Der menschliche Wille konnte einen durch alle Schrecken hindurchtragen und obsiegen lassen. Tief und langsam einatmen. Geist über Körper. Langsam und kontrolliert ausatmen. Lautlos formten seine Lippen die Litanei des Glaubens, während sich sein Geist abschirmte. Schicht um Schicht baute er seinen Schutzpanzer aus reiner Willenskraft um seinen Verstand herum auf. Sorgfältig. Methodisch. Keine Lücke lassend. Nach der Landung musste er bereit sein jederzeit loszuschlagen und Soraya außer Gefecht zu setzen, ohne sie zu töten. Bis dahin würde er der Dinge harren.