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Zeitenwende
#77
Die Melderin machte sich wieder davon, nachdem sie ein paar hastige Schlucke aus der dargebotenen Flasche genommen hatte. Wenn sie sich erhofft hatte hier einen smalltalk vom Zaun zu brechen, um Zeit Sympathi oder Momente ohne Beschuss von Zaun zu brechen, so war sie bei Cassian an der falschen Adresse. Entsprechend trollte sie sich wieder. Dem Arbites gab es eine Gelegenheit, in relativer Ruhe das Bild ringsherum aufzunehmen. Die Nebelschwaden, nach Aussage der Melderin auf der anderen Seite der Mauer von einem der Panzer abgefeuert um den Rückzug zu decken, trieben auch über die Schrottmauer. Allerdings nur träge und nicht in so dicken Schwaden, dass es die Sicht für die Rebellen allzusehr verschleierte. Was es doch rüber schaffte, wurde vom Luftstrom aus Richtung der offen liegenden Wunde in der Ebene davon gerissen.
Cassian konnte daher sehen, dass die Truppe, die versuchte, den feststeckenden Panzer aus dem Weg zu schaffen, Erfolg hatte. Mit Muskelkraft und der Hilfe zweier Fahrzeuge schafften sie es die 17 Tonnen nutzlosen Stahl aus der Öffnung zu zerren. Ein guter Teil der Mauer kam dabei zwar herunter, aber es gelang.
Keine Minute zu früh, wie sich zeigte, denn auf der anderen Seite wurde gerade die Hauptattraktion des Tages in Stellung gebracht.
Ein Goliath Bergbaufahrzeug und ein Radlader. Beide waren so modifiziert, dass jeweils eine gewaltige Granate an der Spitze befestigt war. Granaten, die die Rebellen aus dem Baneblade geborgen hatten und die befähigt waren, Gebäude und Bunker zu zerschmettern. Was solche Waffen in einer Wohnebene anrichten vermochten, wusste die inzwischen tote Besatzung des Riesenpanzers bestenfalls in der Theorie. Die neuen Besitzer der Geschoss konnten es allenhalber nur vermuten. Das hinderte sie jedoch nicht, begierig darauf zu sein, diese Macht zu erproben. Um die riesigen Geschosse zu montieren, war die Räum- und Grabeschaufel des Goliaths abmontiert worden. Dem Sattelschlepper hatten die findigen Rebellen ebenfalls die Schaufel genommen und dafür eine Art starren Wagen vorgehängt, auf dem das Geschoss nun ruhte. Alles war mit Seilen und Spanngurten befestigt und hätte wohl auch einer Bande Orks gut angestanden. Diese beiden selbstfahrenden Bomben schickten sich nun an, das Tor zu passieren und ihre Fracht ins Herz der PVS und Arbites zu bohren.
Cassian beobachtete dies alles aus einiger Ferne und sah den Mann nicht, der auf seiner abgewandten Seite an seiner Stellung vorbei eilte.
Der aber sah ihn.
Er blickte zu dem verdeckten Agenten, schickte sich schon an weiterzugehen und hielt dann sinnend inne. Nach kurzem Zögern änderte er die Richtung und kam zu Cassian.
Es war Renold. Er trug seine gelbe Robe nicht, sondern einen schlichten Arbeitsoverall, über dem eine schusssichere Weste lag. Auf dieser war an mehreren Stellen die Imitation eines Rorschachmusters gesprüht, wie auch das sonderbare Ypsilon der Transzendenzkirche. Der Rädelsführer trug eine Reisetasche über der Schulter und eine kleinere am langen Arm. Auch eine Schrotflinte baumelte, durch einen Lederriemen gehalten, an seiner Gestalt. Von der eingeschränkten Bewegung durch seine Verletzung war nichts mehr zu merken.
Bruder, wie schön gerade dich in diesem Getümmel zu sehen. Er musste die Stimme bis fast zum Schreien erheben, um gegen den sie umgebenden Lärm anzukommen. Es geht sich gut an, findest du nicht? Der Sieg ist zum Greifen nahe. Große Zeichen werden hier und heute gesetzt. Von außerhalb der Mauer drang das konzentrierte Trommeln von Schüssen an ihre Ohren. Beide kannten das Geräusch, wenn auch von verschiedenen Seiten. Es war das kontinuierliche Wummern von Arbites “Richter” Schrotflinten, Schema 3.
“Einmal kurz am Hebel ziehn, Verbrecher wirst du liegen sehn.” Lautete eine morbide Beschreibung, die unter den Rekruten verbreitet war. Fertig ausgebildete Arbitratoren bedienten sich freilich solchen Pennälerhumors nicht mehr. Es war der Rhythmus, in dem die Nahkampfwelle der Aufständischen niedergemacht wurde. Der Adeptus hatte vom Versuch abgelassen, Vernunft durch Nachsicht schmackhaft zu machen. Sollte sich das Blatt hier wider erwarten wenden. Er hielt kurz inne, als müsse er noch einmal final überlegen, ob er diesen Uneingeweihten tatsächlich derart ins Vertrauen ziehen sollte. Dann ist es wichtig, dass die Köpfe der Organisation… also die die hier bei uns sind, überleben.
Nicht weil sie den Tod an der Seite ihrer Geschwister scheuen würden. Aber wir dürfen nicht zu viele Brüder und Schwestern verlieren, die sich auf das Lenken und Planen verstehen.
Begreifst du das?
Cassian nickte grimmig.
Gut… wie gesagt, ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren Trümpfen hier noch Tage oder Wochen aushalten können, wenn die erstmal gemerkt haben, wozu wir Willens und fähig sind. Er deutete zu den beiden Selbstmordgeräten aus Fahrzeugen und Riesengeschossen. Aber falls doch etwas schiefgehen sollte, dann brauche ich eine ganz bestimmte Sorte von Leuten.
Leute, die loyal und entschlossen sind, aber nicht so eifrig unserer Sache verschrieben, dass sie den Tod gegen die Unterdrücker dem Leibeswohl ihrer Schutzbefohlenen vorziehen.
Renold hatte den Verdacht, dass seine Worte vielleicht zu kompliziert für den einfachen Mann vor ihm waren. Doch Cassian nickte und gab sein Verstehen zu verstehen. Man hat mir die Aufgabe gegeben, für den Schutz der VIPs zu sorgen. Ich wiederum sehe dich in dieser Rolle. Sollte es also hier den Berg runter gehen, dann bring ein oder zwei vertrauenswürdige Kämpfer mit dir… oder nein, besser noch komm allein. Komm zum Lounge Light. Von da aus sehen wir dann weiter. Er schlug dem Arbites aufmunternd auf die breite Schulter. Vermutlich kommt es nicht so weit. Glaub an die Sache, mein Freund.
Sprachs und verschwand.
Untermalt von den aufheulenden Motoren der beiden Kamikazefahrzeuge, die in diesem Moment durch das freigeräumte Tor fuhren.
Ihr Angriff geschah gleichzeitig mit dem Anrucken und Vorstoßen von inzwischen vier Leman Russ Kampfpanzern. Die klobigen Kolosse zermalmten tote und sterbende Messerkämpfer unter ihren Ketten zu einem roten Schmier. Kaum, dass die verwehende Rauchwand genug zu Sehen erlaubte, um einigermaßen zu zielen, feuerten zwei Panzer ihre Kanonen auf die Stelle ab, wo sie das Feldgeschütz vermuteten. Die Kanone trafen sie zwar nicht, aber es wurde ersichtlich, dass die Barrikade dem Beschuss von Kampfgeschützen nichts entgegen zu setzen hatte. Schrott und Schrapnell ergossen sich über die Verteidiger. Hier und da wurde verzweifelt mit Handfeuerwaffen zurückgeschossen und auch Panzerabwehrraketen flogen zwei Mal. Doch dem Sinnbild menschlichen Militarismus machten solche Angriffe kaum mehr aus, als Regenschauer. Die Effizienz ihrer Hauptwaffen erkennend, deckten sie den Wall nun so schnell mit Granaten ein, wie die Ladeschützen die hungrigen Rohre damit füttern konnten. Was auf und um die Mauer nicht sofort floh, wurde auf Fetzen reduziert. Tatsächlich schaffte es die Mannschaft des Feldgeschützes nicht nur ihre Stellung zu öffnen und einen Schuss abzugeben, bevor die Stellung über ihnen zusammenbrach und Geschütz und Mannschaft unter Schrott und Müll begrub. Das ihr Treffer nicht mehr tat, als den Räumschild eines Russ wegzureißen, erfuhren sie nicht mehr.
Den beiden Fahrzeugen, die da vor ihnen in den verbleibenden Nebelschwaden herumkurvten, schenkten die Kommandanten nur untergeordnete Aufmerksamkeit. Es mochte wohl sein, dass sie mit Raktenschützen oder ähnlichem besetzt waren. Aber es handelte sich nicht um Gefechtsfahrzeuge und die Laserkanonen und Bolterkuppeln der Sekundärbewaffnung sollten sich damit auseinandersetzen. Das taten sie auch. Der Radlader wurde von einer Lichtlanze aufgespießt und was dann noch übrig war, von schweren Boltern zerrissen. Dass keines der selbst getriebenen Explosiv-Projektile die Banebladegranate traf, grenzte an ein Wunder. Tatsächlich erkannten auch einige der Schützen die Gefahr und gaben sie an ihre Kommandtane weiter. Da war der Goliath aber seinerseits schon besiegt. Das Bergbaugeräut war ein härterer Brocken, hatte dem Beschuss aber ebenfalls nichts entgegenzusetzen. Durchlöchert und Flüssigkeit blutend, blieb es liegen und wurde von den vorrückenden Kampfpanzern passiert. Wie durch ein Wunder war auch hier das Geschoss nicht durch einen unglücklichen Treffer beschädigt oder gar ausgelöst worden. Das Problem war erledigt und die nachrückenden Infanteristen von PVS und Arbites mochten prüfen, ob in den Resten noch etwas zuckte.
Doch falsch!
Der waidwund geschossene Goliath fuhr plötzlich an und rollte nach vorne.  Direkt auf den Leman Russ zu, der ihm in etwa zehn Metern Entfernung seine Flanke bot. Durch den Funkspruch eines anderen Panzers gewarnt, begann sich der Geschützturm des Anvisierten zu drehen, doch zu langsam. Der schwere Bolter in der Seitenkuppel war schneller und schaffte es sogar noch ein paar Schüsse abzugeben. Dann krachte der Goliath in die Seite des Panzers.
Der Aufschlagzünder wurde eingedrückt.
Die Explosion war gewaltig, dass konnten die nicht abstreiten, denen die Trommelfelle platzten, die umgeworfen wurden oder denen es Teile der Kleidung vom Leib fetzte. Die Scheiben im gesammten Straßenzug barsten und ließen einen glitzernden Schnee herabregnen. Der getroffene Leman Russ neigte sich zur Seite und wäre jemand in der Lage gewesen, ihn in diesem Moment zu beobachten, dann hätte es ausgesehen, als würde er kippen.
Das tat er aber nicht.
Er sackte zurück in die Ausgangsposition. Der einzige, direkt von der Explosion des Geschoss getötete Mensch, war der Richtschütze der Bolterkuppel.
Das war absolut nicht die Wirkung, die sich die Rebellen erhofft hatten.
Auch nicht, dass es nicht mit einer einfachen, platzenden Granate getan war.
Denn der entstandene Feuerball verschwand nicht etwa. Er wuchs sich zu einem rosaroten Inferno aus. In diesem spielten rote Spiralen und begannen Funken in allen Farben des Regenbogens zu sprühen. Kleine Kometen rasten nach allen Seiten davon, zischten und tanzten über den Asphalt und blühten in Kaskaden aus Lichtern und Goldregen auf oder teilten sich zu spektakulären Formen und Mustern.
Eine Erklärung ließ sich im Stammblatt AR- 7622/V6 -Dienst der Panzerkräfte / Unterorganisation Superschwere Kampfpanzer und vergleichbare bewegliche Schwerstrukturen- finden. 
Dort war im Bereich -Sonderbestückung: Munition- zu lesen:
Der Kommandant des Superschweren Kampfpanzers hat im Vorfeld einer anberaumten Parade, eines Siegesmarsches oder einer vergleichbaren Ehrenformation, an welcher der Superschwere Kampfpanzer teilnimmt zu prüfen:
-Das alle Gefechtsmunition aus den aktiven Waffen des Superschweren Kampfpanzer entfernt wurden (Siehe hierzu Stammblatt AR- 7622/V6 -Dienst der Panzerkräfte / Unterorganisation Superschwere Kampfpanzer und vergleichbare bewegliche Schwerstrukturen. 
Unterpunkt Sicherheitsprüfung Abschnitt: Waffen und Munition.)
-Das alle Gefechtsmunition aus den internen Magazinen und Lagerbereichen des Superschweren Kampfpanzers entfernt wurden.
-Das alle Übungsmunition aus den aktiven Waffen des Superschweren Kampfpanzers entfernt wurden
-Das alle Übungsmunition aus den internen Magazinen und Lagerbereichen des Superschweren Kampfpanzers entfernt wurden.
-Das zwei Granaten vom Typ R14 -Schema P.S.F.C Pyrotechnicum
Spectaculum Festum Celebrare mitgeführt werden. Diese sind unter allen Umständen nach den Sicherheitsbestimmungen und geltendenen Auflagen von Gefechtsmunition zu handhaben.
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