05-30-2023, 05:05 PM
Der Saal füllte sich nicht nur mit Menschen, sondern auch mit dem Geruch ihrer Ausdünstungen. Diese rangen mit dem Aroma verschiedener Tabaksorten. Eine feinere Nase konnte dabei die Dominanz von Seetabak herausrichen. Diese zur Zigarilloherstellung genutzte Alkenform hatte einen markanten Geruch. Die Reklame sprach von Meeresbrise, die unpoetische Wahrheit lag eher bei Brackwasser. Allemal ließ der Redner nicht lange auf sich warten. Der Mann, der mit einer kleinen Entourage wie alle anderen durch den Haupteingang kam, war wenig spektakulär. Das sich um besagten Bruder Renold handelte, erkannte man nur daran, dass hinter ihm die große Saaltür geschlossen wurde. Ein hoch aufgeschossener Kerl. Dünn, aber dabei nicht schwächlich wirkend. Eher die Sorte drahtig und schnell. Zumindest war er das vielleicht gewesen, denn jetzt stützte er sich auf einen Spazierstock. Sein Schädel war haarlos. Wenn rasiert, dann so gründlich, dass sich kein Schatten nachwachsender Stoppeln zeigte. Das Gesicht war auf freundliche Weise nichtssagend. Jemand, dessen Lächeln man in der Menge überrascht erwiderte und den man dann gleich wieder vergaß. Das Markanteste waren vielleicht noch die Augen, die eine Spur zu groß und dunkel wirkten. Die Nase, lang und schmal, die Lippen sehr dünn. Die Wangen etwas eingefallen. Neben diesen natürlichen Attributen waren an den sichtbaren Partien von Hals und Brust frische Wundverbände zu sehen. Auch im Gesicht ließen sich blutige Male ausmachen. Zusammen mit dem Stock, auf dem er zum Podium stakste, ließ die Erkenntnis zu, dass er in den Kämpfen eine sehr aktive Rolle gespielt hatte. Renold blieb hier und dort stehen, um Hände zu schütteln oder ein paar Worte mit Anwesenden zu wechseln. Dann trat er an das Rednerpult und lächelte. Ein Glas Wasser wurde ihn von einem eifrigen Helfer hingestellt und das Mikrofon auf der passenden Höhe arretiert.
Danke… Er umklammerte den Rand des Rednerpultes, lehnte sich vor und blickte in die Masse der Anwesenden.
Meine Freunde… Bürger, Genossen, Kameraden, Brüder und Schwestern. Seine Stimme war tief und wohlklingend.
Ganz gleich wie ich euch anspreche oder wie ihr angesprochen werden wollt. Ganz gleich, welcher Hintergrund euch vor dem Aufstand, vor dem großen Wandel geprägt hat. Wir alle hier sind Gefährten des Schicksals, Zeugen einer großen Zeit, großer Ereignisse.
Solche Ereignisse können Angst machen. Ich war erst heute Morgen an der Viertelgrenze Richtung 443. Ich habe sie gesehen, die schwarzen Horden der Arbites, wie sie auf friedliche Demonstranten einknüppelten.
Und ja, das macht Angst.
Wenn man aber einmal durch diesen Schleier der Furcht hindurch sieht und hinter die starren Masken der Arbitratioren und PVS- Polizisten blickt, dann erkennt man, dass die es sind, denen die Angst in die verzerrten Fratzen gedruckt steht. Warum wollen sie denn in unser Viertel? Warum sind sie gerade hier so vehement, wo ihre Stadt doch an allen Ecken und Enden unter dem Aufstand der Rechtschaffenden, der Geknechteten erzittert? Warum, frage ich euch?
Die wolln den Baneblade! Kam es aus einer der hinteren Reihen. Bruder Renold ließ den ausgestreckten Zeigefinger in die ungefähre Richtung des Rufers schnellen.
Ganz genau! Die wollen den scheiß Baneblade. Gejohle von den Anwesenden.
Der ist ihnen nämlich von einer Brücke gefallen. Gelächter und Pfiffe.
Überlegt euch das, Freunde. Sie setzen ihren ganzen Unterdrückungsapperat in Bewegung, all die kleinen Schweinchen und Schmeißfliegen, um einen albernen, elenden Riesenpanzer zu bergen.
Das sind nämlich ihre Symbole und ihre Götzen. Maschinen und Dinger aus Ketten und Kanonen, Stahl und Rohren, die Dreck in die Luft kotzen.
Dinger, die zerstören und töten, zerquetschen.
Dinger, die alles nur kaputt machen können. Mit gekrümmten Fingern tat er, als würde er ein imaginäres Objekt zerdrücken.
Das ist ihr Gott. Nicht der Imperator auf Terra, oh nein… Sie verehren die Zerstörung und den Tod. Ihre Stärke nährt sich aus Dingen, die sie laden können, aus Panzerplatten, mit denen sie sich ummanteln können.
Aber was sind sie darunter, frage ich euch?
Ängstliche Kinder mit verkümmerten, schwarzen kleinen Herzen.
Ich hasse sie für das was sie uns antun.
Aber sie tun mir auch Leid. Er ließ eine kurze Pause, als bedachte er diese Bemitleidenswerten mit einer angedeuteten Schweigeminute.
Unser Symbol sind die Menschen, seid ihr alle, wie ihr hier versammelt seid.
Wir erheben uns aus der Dunkelheit und dem Zwielicht der Wohnhabitate, der Fabriken und der unteren Ebenen. Wir kommen aus der Dunkelheit, aber unser Banner ist das Licht. Keine Jahrhunderte alten Fetzen und Standarten, die stolz vom ewigen Morden plärren.
Wir sind hier, wir sind heute und wir lassen uns nicht mehr einschüchtern und nicht mehr niederdrücken. Ihre Schlagstöcke und Elektrowaffen, ihre Gewehre und Panzer mögen Angst machen. Die nackte Furcht aber sitzt auf ihrer Seite, sitzt in ihren Köpfen. Sie fürchten das Licht der Freiheit, das aus uns strahlt und sie blendet.
All ihre Mauern und Panzerplatten konnten ihren Gouverneur und ihre hohen Herrschaften nicht vor dem Zorn des Volkes schützen.
Jetzt versuchen sie neue Mauern aufzubauen. Nicht aus Beton und Stahl, sondern aus Lügen. Sie erzählen uns, ihr Gouverneur würde noch Leben.
Ihr habt die Bilder gesehen, von den Trümmern ihrer sogenannten Ratshalle. Von dem blutigen Tribut, der nach den Dekaden der Unterdrückung jetzt eingefordert wurde. Aber ihr Gouverneur ist diesem Tag der Sühne entgangen? Er allein ist dem Richtschwert entkommen?
Ich bitte euch… für wie dumm halten die uns?
Denken die, wir glauben, das Geplapper ihrer Marinonettenpresse, die uns weismachen will, nur zwei, drei Viertel würden den Aufstand wagen? Ich sage euch, ich kann die nackte Panik in den Augen ihrer dekadenten und perversen Nachrichtensprecher sehen. Sie tropft zwischen jeder Zeile der Systempresse heraus, wie Angstschweiß.
Ihr habt sicher noch nie davon gehört, dass eine Welt sich aus dem Würgegriff des Imperiums befreit hat. Wehe dem, der es versucht. Dann schicken sie die imperiale Armee oder die Space Marines. Genauso laut mit den Händen sprechend, wie mit seiner vollen Baritonstimme, wedelte er theatralisch, wie wenn man eine harnebüschende Schauergeschichte vortrug, die man selbst unmöglich ernst nehmen konnte. Seit unserer Kindheit werden wir mit diesen Märchen vollgestopft, um ja keinen Zweifel keimen zu lassen.
Freie Welten?
So etwas gibt es da draußen nicht. Es gibt nur das Imperium oder die ach so bösen Xenovölker.
Unsinn, sage ich.
Unsinn, Unsinn, Unsinn. Bei jeder Wiederholung schlug er vernehmlich mit der flachen Hand auf das Pult. In diesem Universum gibt es natürlich Gefahren und natürlich gibt es dort Schrecken. Aber wisst ihr, was es dort noch gibt?
Die Freiheit!
Ich habe mit jenen gesprochen, die weit höher in unserer Organisation stehen als ich und sie haben mir von der Freiheit vom Joch des Imperiums erzählt. Eine spirituelle, aber auch eine ganz reale, ganz und gar körperliche Freiheit.
Ihr wisst vermutlich, warum man mich Bruder Renold nennt. Nun, ich habe auch einige Geschwister, dass will ich euch sagen. Aber den Bruder habe ich als Titel bekommen, weil ich ein Diener der Kirche der Erneuerung oder, wie einige sagen, der Transzendenz war und bin.
Ja, ich stehe dazu, auch wenn ich die ganzen Lügen kenne, die die über uns verbreiten. Wir hätten Massaker begangen. An Zivilisten, an Frauen und Kindern.
Aber natürlich. Er überbetonte das “natürlich”, um es ad absurdum zu führen. Wir, die wir Jahre lang die Ärmsten der Armen gespeist, gekleidet und versorgt haben, wir töten diese Schutzbefohlenen ganz unvermittelt. Nicht etwa die Bestien, die ihre Bevölkerung seit Jahrhunderten prügeln und abschlachten.
Ja, für wie dumm halten die uns da oben überhaupt? Zustimmung aus den Reihen. Eine schwer zu fassende, eine sehr allgemeine Wut auf das Große und Ganze, auf die, die physisch und gesellschaftlich über den hier Versammelten lebten.
Ich will euch von meiner Schwester erzählen. Ihr Name war Evolet und wenn sie auch nicht direkt mit mir verwandt war, war sie mir doch nah, als hätten wir an der selben Mutterbrust gelegen. Auch sie war stark im Glauben an die Transzendenz. Sie war überzeugt davon, dass wir Menschen Hass, Gier, Machtstreben und unsere Kleinlichkeit abstreifen können und in der Transzendenz einem höheren Gut dienen können. Mit diesem Glauben im Herzen waren wir am Tag des großen Angriffes bei den Menschen. Natürlich hat man uns in diese Pläne nicht eingeweiht. Das war auch gar nicht nötig, da wir auf die Weitsicht und die Weisheit unserer großen Denker und Planer vertrauen konnten und können. Unsere Aufgabe war es, bei den Menschen zu sein. Sie zu beruhigen und zu führen, wenn die Stunde des Umbruchs endlich erfolgt. Und genau das taten wir. Wir brachten unseren Mitbürgern die große Transzendenz näher, als sie erschüttert und erschrocken waren. Als sie die Ereignisse noch nicht richtig einzuschätzen wussten. Wir taten das gute Werk der Dinge, die da kommen. Warum aber, fragt ihr mich jetzt vielleicht, stehst du dann heute alleine vor uns Renold? Seine Stimme zitterte und der Schmerz darin schien nicht gespielt zu sein. Die… er deutete nach oben, haben sie mir, haben sie uns genommen.
Ein Konvoi der PVS- Unterdrücker fuhr vorbei und von der Ladefläche eines LKWs haben sie geschossen. Einfach so. Sie konnten nicht erkennen, wer wir waren oder auch nur ausmachen, wo in einer Gruppe von Bürgern wie uns aufhielten. Sie haben einfach in die Menge geschossen. Evolet wurde getroffen, einige Umstehende und ich. Doch wo ich meine Verletzung überlebte, starb meine Schwester an jenem Tag.
In meinen Armen. Er haderte sichtlich mit sich. Den Kopf gesenkt und die Hände um den Rand des Pultes geklammert.
Lass es raus, Mann! Rief jemand. Neben Cassian rief Lizzy: Wir werden sie nicht vergessen, Bruder. Sie wird auch unsere Schwester sein.
Ja… In der Transzendenz.
Die Schweine werden dafür bezahlen.
Ich danke euch, meine Freunde. Wie kann das Regime hoffen uns niederzudrücken, wenn so gute Menschen gegen so plumpe Boshaftigkeit stehen? Ich weiß natürlich, dass jeder von euch eine ähnliche Geschichte von Schmerz und Verlust hat. Ich wollte euch mit meiner auch nur erzählen, um noch einmal zu verdeutlichen, dass ihr nicht auf die Propagandamaschine der Unterdrücker hereinfällt. Egal was ihr hört, in den Systemmedien oder aus den Mündern ihrer Büttel. Wir sind nicht allein. Nicht im Imperium und nicht auf Koron. Andere Ebenen und Viertel kämpfen den gleichen Kampf wie wir und sie halten nicht nur aus, sie siegen. Ich kann nicht so gut reden, wie unsere Freunde an der Spitze unserer Bewegung. Sie können diese Dinge so viel besser und strahlender erläutern. Ich kann euch nur sagen: Wir sind mehr als die und im Gegensatz zu denen haben wir nur ein Leben voll Unterdrückung zu verlieren, aber alles zu gewinnen.
Geht also zu euren Abschnittsbeauftragten und fragt, wie ihr helfen könnt. Wer nicht kämpfen kann, der soll sich um Verwundete kümmern oder Essen und Wasser zu den Vierteln bringen, die am härtesten bedrängt werden.
Unser Freund Eduard wird im Anschluss ein paar organisatorische Dinge mit euch besprechen. Ich werde auch noch eine Weile hier sein. Solange, wie es mein Zustand zulässt. Ich würde mich freuen mit euch ins Gespräch zu kommen.
Ich danke euch.
Wir sind mehr!
Applaus brandete auf, als Renold vom Rednerpult wegtratt und einem kleinen, untersetzten Mann Platz machte, bei dem es sich um Eduard handeln musste. Dieser verlegte sich auf sehr viel nüchterne Ansagen. Etwa über den momentanen Stand der Arbitesattacke. Dieser begegnete man zur Zeit noch mit starkem, aber kaum tödlichem Widerstand. Molotowcocktails, Steine, Flaschen und Knüppel. Das würde die Ordnungskräfte nicht aufhalten, aber genug Zeit erkaufen, um effizientere Waffen zu verteilen und Stellungen auszubauen.
Dann würden sie keinen Aufstand mehr haben, sondern einen Krieg. Einen Befreiungskrieg. Cassian erfuhr, dass die Struktur nach Wohnblöcken organisiert war. Es gab jeweils einen Abschnittsbeauftragten, der Zuteilungen und Kämpfer einteilte. Der Schutz der Habs lag im Fokus, aber außerdem gab es noch Kampfgruppen, die ihre eigene Befehlsstruktur hatten und unabhängig operierten. Wenn man all das so hörte, mochte man meinen, der Widerstand sei straff organisiert. Das allerdings stimmte nur zum Teil. Tatsächlich wohnte dem Ganzen eine gewisse, chaotische Effizienz inne. Doch bei Weitem waren nicht alle Bewohner im großen Stil in die Revolte involviert. Es gab jene, die sich an den Protesten beteiligten, weil sie vielleicht nicht sahen, dass es über eben diese Proteste hinausging, was hier geschah. Sie befürchteten Tränengas, Schlagstöcke und Arrest. Aber keinen Bürgerkrieg.
Dann waren da noch die, die nur versuchten das ganze Ungemach zu überstehen. Man konnte in den Gesprächen ringsherum verschiedene Meinungen zu diesem Thema hören. Einige sagten, man müsse auch diese Entscheidungen respektieren, andere plädierten dafür, härter gegen die vorzugehen, die nicht klar auf der Seite der Revolution standen. Nachdem Eduard geendet hatte, franzte die Veranstaltung in eine Art revolutionäres Happening aus. Die Türen wurden wieder geöffnet, einige verließen den Saal. Andere standen in kleineren Gruppen zusammen und diskutierten verschiedene Sachverhalte.
Danke… Er umklammerte den Rand des Rednerpultes, lehnte sich vor und blickte in die Masse der Anwesenden.
Meine Freunde… Bürger, Genossen, Kameraden, Brüder und Schwestern. Seine Stimme war tief und wohlklingend.
Ganz gleich wie ich euch anspreche oder wie ihr angesprochen werden wollt. Ganz gleich, welcher Hintergrund euch vor dem Aufstand, vor dem großen Wandel geprägt hat. Wir alle hier sind Gefährten des Schicksals, Zeugen einer großen Zeit, großer Ereignisse.
Solche Ereignisse können Angst machen. Ich war erst heute Morgen an der Viertelgrenze Richtung 443. Ich habe sie gesehen, die schwarzen Horden der Arbites, wie sie auf friedliche Demonstranten einknüppelten.
Und ja, das macht Angst.
Wenn man aber einmal durch diesen Schleier der Furcht hindurch sieht und hinter die starren Masken der Arbitratioren und PVS- Polizisten blickt, dann erkennt man, dass die es sind, denen die Angst in die verzerrten Fratzen gedruckt steht. Warum wollen sie denn in unser Viertel? Warum sind sie gerade hier so vehement, wo ihre Stadt doch an allen Ecken und Enden unter dem Aufstand der Rechtschaffenden, der Geknechteten erzittert? Warum, frage ich euch?
Die wolln den Baneblade! Kam es aus einer der hinteren Reihen. Bruder Renold ließ den ausgestreckten Zeigefinger in die ungefähre Richtung des Rufers schnellen.
Ganz genau! Die wollen den scheiß Baneblade. Gejohle von den Anwesenden.
Der ist ihnen nämlich von einer Brücke gefallen. Gelächter und Pfiffe.
Überlegt euch das, Freunde. Sie setzen ihren ganzen Unterdrückungsapperat in Bewegung, all die kleinen Schweinchen und Schmeißfliegen, um einen albernen, elenden Riesenpanzer zu bergen.
Das sind nämlich ihre Symbole und ihre Götzen. Maschinen und Dinger aus Ketten und Kanonen, Stahl und Rohren, die Dreck in die Luft kotzen.
Dinger, die zerstören und töten, zerquetschen.
Dinger, die alles nur kaputt machen können. Mit gekrümmten Fingern tat er, als würde er ein imaginäres Objekt zerdrücken.
Das ist ihr Gott. Nicht der Imperator auf Terra, oh nein… Sie verehren die Zerstörung und den Tod. Ihre Stärke nährt sich aus Dingen, die sie laden können, aus Panzerplatten, mit denen sie sich ummanteln können.
Aber was sind sie darunter, frage ich euch?
Ängstliche Kinder mit verkümmerten, schwarzen kleinen Herzen.
Ich hasse sie für das was sie uns antun.
Aber sie tun mir auch Leid. Er ließ eine kurze Pause, als bedachte er diese Bemitleidenswerten mit einer angedeuteten Schweigeminute.
Unser Symbol sind die Menschen, seid ihr alle, wie ihr hier versammelt seid.
Wir erheben uns aus der Dunkelheit und dem Zwielicht der Wohnhabitate, der Fabriken und der unteren Ebenen. Wir kommen aus der Dunkelheit, aber unser Banner ist das Licht. Keine Jahrhunderte alten Fetzen und Standarten, die stolz vom ewigen Morden plärren.
Wir sind hier, wir sind heute und wir lassen uns nicht mehr einschüchtern und nicht mehr niederdrücken. Ihre Schlagstöcke und Elektrowaffen, ihre Gewehre und Panzer mögen Angst machen. Die nackte Furcht aber sitzt auf ihrer Seite, sitzt in ihren Köpfen. Sie fürchten das Licht der Freiheit, das aus uns strahlt und sie blendet.
All ihre Mauern und Panzerplatten konnten ihren Gouverneur und ihre hohen Herrschaften nicht vor dem Zorn des Volkes schützen.
Jetzt versuchen sie neue Mauern aufzubauen. Nicht aus Beton und Stahl, sondern aus Lügen. Sie erzählen uns, ihr Gouverneur würde noch Leben.
Ihr habt die Bilder gesehen, von den Trümmern ihrer sogenannten Ratshalle. Von dem blutigen Tribut, der nach den Dekaden der Unterdrückung jetzt eingefordert wurde. Aber ihr Gouverneur ist diesem Tag der Sühne entgangen? Er allein ist dem Richtschwert entkommen?
Ich bitte euch… für wie dumm halten die uns?
Denken die, wir glauben, das Geplapper ihrer Marinonettenpresse, die uns weismachen will, nur zwei, drei Viertel würden den Aufstand wagen? Ich sage euch, ich kann die nackte Panik in den Augen ihrer dekadenten und perversen Nachrichtensprecher sehen. Sie tropft zwischen jeder Zeile der Systempresse heraus, wie Angstschweiß.
Ihr habt sicher noch nie davon gehört, dass eine Welt sich aus dem Würgegriff des Imperiums befreit hat. Wehe dem, der es versucht. Dann schicken sie die imperiale Armee oder die Space Marines. Genauso laut mit den Händen sprechend, wie mit seiner vollen Baritonstimme, wedelte er theatralisch, wie wenn man eine harnebüschende Schauergeschichte vortrug, die man selbst unmöglich ernst nehmen konnte. Seit unserer Kindheit werden wir mit diesen Märchen vollgestopft, um ja keinen Zweifel keimen zu lassen.
Freie Welten?
So etwas gibt es da draußen nicht. Es gibt nur das Imperium oder die ach so bösen Xenovölker.
Unsinn, sage ich.
Unsinn, Unsinn, Unsinn. Bei jeder Wiederholung schlug er vernehmlich mit der flachen Hand auf das Pult. In diesem Universum gibt es natürlich Gefahren und natürlich gibt es dort Schrecken. Aber wisst ihr, was es dort noch gibt?
Die Freiheit!
Ich habe mit jenen gesprochen, die weit höher in unserer Organisation stehen als ich und sie haben mir von der Freiheit vom Joch des Imperiums erzählt. Eine spirituelle, aber auch eine ganz reale, ganz und gar körperliche Freiheit.
Ihr wisst vermutlich, warum man mich Bruder Renold nennt. Nun, ich habe auch einige Geschwister, dass will ich euch sagen. Aber den Bruder habe ich als Titel bekommen, weil ich ein Diener der Kirche der Erneuerung oder, wie einige sagen, der Transzendenz war und bin.
Ja, ich stehe dazu, auch wenn ich die ganzen Lügen kenne, die die über uns verbreiten. Wir hätten Massaker begangen. An Zivilisten, an Frauen und Kindern.
Aber natürlich. Er überbetonte das “natürlich”, um es ad absurdum zu führen. Wir, die wir Jahre lang die Ärmsten der Armen gespeist, gekleidet und versorgt haben, wir töten diese Schutzbefohlenen ganz unvermittelt. Nicht etwa die Bestien, die ihre Bevölkerung seit Jahrhunderten prügeln und abschlachten.
Ja, für wie dumm halten die uns da oben überhaupt? Zustimmung aus den Reihen. Eine schwer zu fassende, eine sehr allgemeine Wut auf das Große und Ganze, auf die, die physisch und gesellschaftlich über den hier Versammelten lebten.
Ich will euch von meiner Schwester erzählen. Ihr Name war Evolet und wenn sie auch nicht direkt mit mir verwandt war, war sie mir doch nah, als hätten wir an der selben Mutterbrust gelegen. Auch sie war stark im Glauben an die Transzendenz. Sie war überzeugt davon, dass wir Menschen Hass, Gier, Machtstreben und unsere Kleinlichkeit abstreifen können und in der Transzendenz einem höheren Gut dienen können. Mit diesem Glauben im Herzen waren wir am Tag des großen Angriffes bei den Menschen. Natürlich hat man uns in diese Pläne nicht eingeweiht. Das war auch gar nicht nötig, da wir auf die Weitsicht und die Weisheit unserer großen Denker und Planer vertrauen konnten und können. Unsere Aufgabe war es, bei den Menschen zu sein. Sie zu beruhigen und zu führen, wenn die Stunde des Umbruchs endlich erfolgt. Und genau das taten wir. Wir brachten unseren Mitbürgern die große Transzendenz näher, als sie erschüttert und erschrocken waren. Als sie die Ereignisse noch nicht richtig einzuschätzen wussten. Wir taten das gute Werk der Dinge, die da kommen. Warum aber, fragt ihr mich jetzt vielleicht, stehst du dann heute alleine vor uns Renold? Seine Stimme zitterte und der Schmerz darin schien nicht gespielt zu sein. Die… er deutete nach oben, haben sie mir, haben sie uns genommen.
Ein Konvoi der PVS- Unterdrücker fuhr vorbei und von der Ladefläche eines LKWs haben sie geschossen. Einfach so. Sie konnten nicht erkennen, wer wir waren oder auch nur ausmachen, wo in einer Gruppe von Bürgern wie uns aufhielten. Sie haben einfach in die Menge geschossen. Evolet wurde getroffen, einige Umstehende und ich. Doch wo ich meine Verletzung überlebte, starb meine Schwester an jenem Tag.
In meinen Armen. Er haderte sichtlich mit sich. Den Kopf gesenkt und die Hände um den Rand des Pultes geklammert.
Lass es raus, Mann! Rief jemand. Neben Cassian rief Lizzy: Wir werden sie nicht vergessen, Bruder. Sie wird auch unsere Schwester sein.
Ja… In der Transzendenz.
Die Schweine werden dafür bezahlen.
Ich danke euch, meine Freunde. Wie kann das Regime hoffen uns niederzudrücken, wenn so gute Menschen gegen so plumpe Boshaftigkeit stehen? Ich weiß natürlich, dass jeder von euch eine ähnliche Geschichte von Schmerz und Verlust hat. Ich wollte euch mit meiner auch nur erzählen, um noch einmal zu verdeutlichen, dass ihr nicht auf die Propagandamaschine der Unterdrücker hereinfällt. Egal was ihr hört, in den Systemmedien oder aus den Mündern ihrer Büttel. Wir sind nicht allein. Nicht im Imperium und nicht auf Koron. Andere Ebenen und Viertel kämpfen den gleichen Kampf wie wir und sie halten nicht nur aus, sie siegen. Ich kann nicht so gut reden, wie unsere Freunde an der Spitze unserer Bewegung. Sie können diese Dinge so viel besser und strahlender erläutern. Ich kann euch nur sagen: Wir sind mehr als die und im Gegensatz zu denen haben wir nur ein Leben voll Unterdrückung zu verlieren, aber alles zu gewinnen.
Geht also zu euren Abschnittsbeauftragten und fragt, wie ihr helfen könnt. Wer nicht kämpfen kann, der soll sich um Verwundete kümmern oder Essen und Wasser zu den Vierteln bringen, die am härtesten bedrängt werden.
Unser Freund Eduard wird im Anschluss ein paar organisatorische Dinge mit euch besprechen. Ich werde auch noch eine Weile hier sein. Solange, wie es mein Zustand zulässt. Ich würde mich freuen mit euch ins Gespräch zu kommen.
Ich danke euch.
Wir sind mehr!
Applaus brandete auf, als Renold vom Rednerpult wegtratt und einem kleinen, untersetzten Mann Platz machte, bei dem es sich um Eduard handeln musste. Dieser verlegte sich auf sehr viel nüchterne Ansagen. Etwa über den momentanen Stand der Arbitesattacke. Dieser begegnete man zur Zeit noch mit starkem, aber kaum tödlichem Widerstand. Molotowcocktails, Steine, Flaschen und Knüppel. Das würde die Ordnungskräfte nicht aufhalten, aber genug Zeit erkaufen, um effizientere Waffen zu verteilen und Stellungen auszubauen.
Dann würden sie keinen Aufstand mehr haben, sondern einen Krieg. Einen Befreiungskrieg. Cassian erfuhr, dass die Struktur nach Wohnblöcken organisiert war. Es gab jeweils einen Abschnittsbeauftragten, der Zuteilungen und Kämpfer einteilte. Der Schutz der Habs lag im Fokus, aber außerdem gab es noch Kampfgruppen, die ihre eigene Befehlsstruktur hatten und unabhängig operierten. Wenn man all das so hörte, mochte man meinen, der Widerstand sei straff organisiert. Das allerdings stimmte nur zum Teil. Tatsächlich wohnte dem Ganzen eine gewisse, chaotische Effizienz inne. Doch bei Weitem waren nicht alle Bewohner im großen Stil in die Revolte involviert. Es gab jene, die sich an den Protesten beteiligten, weil sie vielleicht nicht sahen, dass es über eben diese Proteste hinausging, was hier geschah. Sie befürchteten Tränengas, Schlagstöcke und Arrest. Aber keinen Bürgerkrieg.
Dann waren da noch die, die nur versuchten das ganze Ungemach zu überstehen. Man konnte in den Gesprächen ringsherum verschiedene Meinungen zu diesem Thema hören. Einige sagten, man müsse auch diese Entscheidungen respektieren, andere plädierten dafür, härter gegen die vorzugehen, die nicht klar auf der Seite der Revolution standen. Nachdem Eduard geendet hatte, franzte die Veranstaltung in eine Art revolutionäres Happening aus. Die Türen wurden wieder geöffnet, einige verließen den Saal. Andere standen in kleineren Gruppen zusammen und diskutierten verschiedene Sachverhalte.