02-28-2023, 03:55 PM
Die beiden Frauen betraten den niedrigen Gang und wurden fast augenblicklich von einer feuchten Wärme eingehüllt, die ihnen stoßweise entgegenzukommen schien. Die besorgten Stimmen ihrer Begleiter blieben hinter ihnen zurück. So als kämen die Worte nicht durch die dicke Luft, die wie Sirup in dem Tunnel stand. Zehn, vielleicht fünfzehn Schritte hallte noch der blanke Steinboden unter ihren Füßen. Der schleimige Bewuchs beschränkte sich anfangs nur auf Wände und Decke, begann dann jedoch auch den Boden zu okkupieren und bildete einen weichen Teppich, der ihre Schritte dämpfte.
Keiner von beiden hatte daran gedacht, eine Lichtquelle mitzunehmen. Selari wohl aus Enthusiasmus nicht und Estelle, weil ihr eine Waffe wichtiger erschien. Nachdem sie ein gutes Stück gegangen waren, hätte sie absolute Dunkelheit umhüllen und zur Umkehr zwingen müssen.
Dem war aber nicht so.
Durch die Luft flog ein grün leuchtender Punkt, bei dem es sich um ein Insekt zu handeln schien. Das Tier leuchtete überaus stark und seine Lumineszenz genügte allein schon, um seine unmittelbare Umgebung zu bescheinen. Tatsächlich war es mit seiner Fähigkeit, aus sich selbst heraus zu strahlen, nicht allein. Von den Wänden ging ebenfalls ein leichter Schimmer aus. Wie sich zeigte, waren die Ursache hierfür kleine Pilze, kaum größer als ein Fingernagel. Ihre Kappen glühten in einem leichten Blau. Bei einem einzelnen der Gewächse hätte man dies sicher kaum wahrgenommen, doch da sie die Wände regelrecht überzogen, genügte es problemlos, die Umrisse des Ganges nachzuzeichnen und ein Anstoßen des Kopfes zu verhindern.
Das allein war vorteilhaft, doch es verblasste wortwörtlich, als sich der Gang verbreiterte und mehr und mehr an eine natürliche Höhle zu erinnern begann. Hier wuchsen längliche Pflanzen. Zumindest drängte sich diese Assoziation zu Pflanzen auf. Wer wusste schon was sie wirklich waren. Auf den verkrümmten Stielen dieser sonderbaren Fauna saßen hell leuchtende Knollen. Sie strahlten in so intensivem Weiß, dass sie jeder Lampe damit hätten Konkurrenz machen können. Was sie aus der Dunkelheit schälten war eine bizarre Traumlandschaft aus organischem Werden und Vergehen. Umsponnene Zusammenballungen, die an Spinneneier denken ließen, lagen zwischen Haufen aus pulsierenden Massen. Was genau diese Masse war, ob Pilze, ob Fleisch, ob beides oder nichts davon, war unmöglich auszumachen.
Es gab Schlote, die frappierend an Schließmuskeln gemahnten, welche wabernde Wolken ausstießen und Richtung Decke schickten. Dort verloren sie sich zwischen etwas, das man auf den ersten Blick für dicke Kabel, auf den zweiten für fette Lianen halten konnte. Dies waren noch die geistig gesunderen Gedankenbilder. Denn auch Venen oder Därmen waren diese langen Schlingen nicht völlig unähnlich. Allemal bewegte sich in ihnen etwas, ließ sie kaum merklich konvulsivisch zucken und pumpen. Vielleicht eine Flüssigkeit? Aber wenn, dann ein in der Objekte mitschwammen, denn immer wieder wanderten sichtbare Ausbuchtungen durch die Stränge. Neben den leuchtenden Käfern und triefenden Gewächsen krabbelte und fleuchte da noch mehr in den reichlich vorhandenen Schatten. Dinge die definitiv größer waren als kleine Käfer. Dinge, die sich geschickt den Blicken entzogen und immer nur am Rande des Gesichtsfeldes in Bewegung verfielen. Dieses Bild eines Spott geborenen Gartens wurde unterstrichen vom Geruch. Dominant war die schwere Süße verfaulenden Obsts, durchsetzt mit Duft von Blumen. Ein wenig wie Nelken, aber viel intensiver und fast schon spürbar betäubend. Als würde nur dieser Geruch die Glieder lähmen und an den Augenlidern ziehen. Hinter dieser überwältigen Wand kitzelte etwas Scharfes, etwas Animalisches, die gereizten Nasen. Als wäre all das nicht schon genug gaben die Schlote und Schächte ihre, nach Schwefel stinkenden Ausscheidungen dazu.
All das war natürlich Unsinn. Was man roch, war nicht unangenehm. Es sei denn, man hatte etwas gegen den Duft von Gebratenem, von Gewürzen und aromatischen Blumen. Deren Note war jedoch nicht aufdringlich, sondern schmeichelnd. Außerdem wurde sie bereits von einem warmen Luftzug weggeweht. In diesem Hauch lag die Hitze der Wüste. Aber nur als Andeutung, nur als Idee. Nichts bedrohliches, sondern die exotische Verfeinerung etwas Schönem.
Kann ich die beiden bezaubernden Damen zu einem gewürzten Eiswein verführen?
Wer das fragte war ein junger Mann, dem das schwarz gelockte Haar als unbändige Pracht unter der Verkaufsmütze hervorquoll und die Kopfbedeckung unnütz machte. Als er lächelte blitzten strahlend weiße Zähne in seinem braungebrannten Gesicht auf. Diese Zähne waren spitz wie bei einer Echse, taten seinem Aussehen jedoch keinen Bärendienst. Er schob einen Verkaufswagen vor sich her, dessen Hauptbestandteil aus einem Kühlaggregat bestand. Dieses hing zwischen vier großen, gusseisernen Rädern. Der Behälter mit dem Eis und den darin liegenden Weinamphoren nahmen nur wenig Platz weg. Eine kleine Kasse und der ausladende Griff vollendeten den Verkaufswagen. Mit blauem Flimmern, Zinaak, Staub oder ZuZupulver will ich euch den edlen Saft gern vergolden, gleichwohl auch ohn all dies Beiwerk diese Rebe von besonderer Güte ist. Die gedrechselt und verschnörkelte Sprechweise des alten Rasankurs kam diesem fliegenden Händler leicht über die Lippen. Nicht getragen und überbordend theatralisch, wie man diesen Zungenschlag heutzutage im Palast zu sprechen pflegte. Der hier bemühte sich nicht um das meistern einer toten Sprechweise, für ihn war sie Muttersprache.
Die beiden Frauen sahen erst den Verkäufer, dann stirnrunzelnd sich gegenseitig an. Waren sie eben nicht noch an einem anderen Ort gewesen?
Nein.
Wo hätten sie auch sein sollen?
Wo wenn nicht hier, auf der großen Promenade des inneren Ringes. Im Schatten des herrlichen Palastes, wo das Leben trotz des Krieges weiter ging.
Frauen mit Kindern an den Händen gingen ihren Beschäftigungen nach. Händler priesen lautstark die Vorzüge ihrer Waren an. In der kühlen Nähe eines Wasserspiels schwatzte eine Gruppe alter Männer. Eine Schar Kinder begaffte die exotischen Tiere in den Käfigen eines Haustierkrämers. Vor Jahr und Tag hätten sie wohl mit ebensolchem Interesse die Abteilung Verteidiger bestaunt, die im zackigen Gleichschritt die sauber gefegte Straße hinunter marschierte. Die schwarzen Uniformen ebenso staubfrei wie die Straße, die Gewehre geschultert, die Platten vor den Gesichtern auf Hochglanz poliert. Heutzutage waren die Kämpfer ein gewohnter Anblick. Sie hatten fast schon die Rasankuri aus dem Stadtbild verdrängt, die entweder an den verschiednen Fronten ihre Pflicht taten oder bestenfalls noch als Ehrengarde zu sehen waren.
Wie dort hinten, wo sie als Geleit für einen rot und gelb berobten Priester des Gottes Dekazes dienten. Man sagte der Dekazes Kult gewinne zusehends an Einfluss und erlange viele jener Anhänger die danach trachteten, ihren Dienst am dunklen Prinzen zu verfeinern und die vulgären Aspekte seiner Verehrung zu vernachlässigen. Das Klimpern der Ringe, die am zeremoniellen Stab des Priesters hingen und die 44 Fesseln darstellten, die es zu sprengen galt, wenn man die wahre, ekstatische Freiheit erlangen wollte, wurden vom kreischen der Hautsegler übertönt. Ein großer Schwarm von ihnen fegte über den blitzblauen Himmel. Ihr Gezehter entfernte sich und man konnte wieder die Singvögel in den Farnen der Straßenbepflanzung hören, die mit dem Zirpen der Perlschrecken um die Wette musizierten.
Nun? Wählten die Damen?
Oh verschone die Holden mit deinem Essig, Nukay du alter Täuscher.
Die beiden wollen zu mir und wenn sie jemand bewirtet dann ich und gewiss nicht mit deinem Gesöff.
Diese Worte waren mehr spottend als bösartig vorgetragen und wenn der so gescholtene auch das Gesicht verzog, so geschah es doch nur kurz. Dann stahl sich das alte Lächeln zurück auf seine Züge.
Bedauerlich, dass ihr zwei so schöne Blumen, um ein so edles Getränk betrügt. Er machte einen angedeuteten Kratzfuß und schob seinen Wagen weiter.
Hinter den beiden Frauen stand ein Mann, den man wohl als schön hätte beschreiben können. Natürlich gab es für dieses Wort so viele Definitionen wie Sterne am Nachthimmel, dennoch entsprach er einem gewissen Ideal der Schönheit. Nicht über die Maße männlich, eher ins Androgyne tänzelnd. Hochgewachsen war sein Leib, kraftvoll und doch feingliedrig, das Gesicht schmal geschnitten und ebenfalls fast schon als weiblich zu bezeichnen. Es schien zum Lächeln gemacht zu sein, war von einer undefinierbaren Jugendlichkeit geformt und von langem Haar umrahmt. Die Schatten unter den Augen vielleicht ein wenig zu tief und die Augen selbst eine Spur milchig weiß. Aber das mochte von allzu exzessivem Genuss verschiedenster Couleur herrühren.
Seine Kleidung war nach einer luftigen Mode geschnitten. Nicht die aggressive Sexualität, wie sie in Rasankur momentan gepflegt wurde.
Momentan?
Was war der Traum und was das Wache?
Ein verfallenes, ein blutgetränktes und mörderisches Rasankur. Wie konnte das die Wirklichkeit sein, wenn hier alles so viel beständiger und besser war?
Ich darf mich vorstellen. sagte der Mann mit melodischer Stimme. Mein Name ist Ad`razbe und ich gehe davon aus, dass Ihr hier seid, um mich zu treffen. Auch wenn ihr das vielleicht nicht wisst. Er machte eine einladende Handgeste zu einem unweiten Teehaus. Es war traditionell gebaut, mit Treppen die in ein Halbkellergeschoss führten, wo man nicht nur Tee, sondern auch Wasserpfeifen genießen konnte. Allerdings standen auf dem Gehweg davor Stühle und kleine Tische in der Sonne.
Ad`razbe führte sie zu einem, im Schatten eines, in einem Topf sprießenden Farn und bedeute ihnen sich zu setzen. An dem Tisch saß noch jemand. Ein Mann, der all das was ihr unverhoffter Gastgeber war, nicht war. Ein bulliger Riese. So breit, dass der Stuhl unter ihm jeden Moment nachgeben musste. Er war sehr korpulent. Dick, ohne dabei unbeholfen oder sogar schwach zu wirken. Der Typ Türsteher. Sonderbar an ihm war die Haut im wulstigen Gesicht und auf dem haarlosen Schädel. Sie war schwer vernarbt und wirkte doch rosig und geradezu jungfräulich, wie bei einem Baby. Der Riese hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte ausdruckslos ins Nichts.
Das ist Jamaar. Ein Neuankömmling so wie ihr. Nun ja, nicht ganz so wie ihr. Ad`razbe lächelte vielsagend. Ignoriert ihn einfach. An ihren Tisch trat eine junge Frau in der neutralen Bekleidung einer Dienerin. Sie fragte nach ihrer Bestellung und Ad`razbe bestellte für sie alle.
Karaffen mit heißem Sahlstrauchsud wurden gebracht und mit viel Zucker ihres bitteren Geschmacks beraubt. Während die bläuliche Flamme über dem Sud noch brannte und der schmelzende Zucker langsam von seinem Lochplättchen in das Getränk tropfte, wandte er sich an seine Gäste.
So, da wir nun mit allem versorgt sind, was einen so schönen Tag noch schöner machen kann, kommen wir doch zum Kern der Sache. Ihr seid gewiss, wie wir auch, auf der Suche nach etwas.
Die Frage ist nun nach was. Sein Lächeln blieb weiter dünn, aber verbindlich.
Keiner von beiden hatte daran gedacht, eine Lichtquelle mitzunehmen. Selari wohl aus Enthusiasmus nicht und Estelle, weil ihr eine Waffe wichtiger erschien. Nachdem sie ein gutes Stück gegangen waren, hätte sie absolute Dunkelheit umhüllen und zur Umkehr zwingen müssen.
Dem war aber nicht so.
Durch die Luft flog ein grün leuchtender Punkt, bei dem es sich um ein Insekt zu handeln schien. Das Tier leuchtete überaus stark und seine Lumineszenz genügte allein schon, um seine unmittelbare Umgebung zu bescheinen. Tatsächlich war es mit seiner Fähigkeit, aus sich selbst heraus zu strahlen, nicht allein. Von den Wänden ging ebenfalls ein leichter Schimmer aus. Wie sich zeigte, waren die Ursache hierfür kleine Pilze, kaum größer als ein Fingernagel. Ihre Kappen glühten in einem leichten Blau. Bei einem einzelnen der Gewächse hätte man dies sicher kaum wahrgenommen, doch da sie die Wände regelrecht überzogen, genügte es problemlos, die Umrisse des Ganges nachzuzeichnen und ein Anstoßen des Kopfes zu verhindern.
Das allein war vorteilhaft, doch es verblasste wortwörtlich, als sich der Gang verbreiterte und mehr und mehr an eine natürliche Höhle zu erinnern begann. Hier wuchsen längliche Pflanzen. Zumindest drängte sich diese Assoziation zu Pflanzen auf. Wer wusste schon was sie wirklich waren. Auf den verkrümmten Stielen dieser sonderbaren Fauna saßen hell leuchtende Knollen. Sie strahlten in so intensivem Weiß, dass sie jeder Lampe damit hätten Konkurrenz machen können. Was sie aus der Dunkelheit schälten war eine bizarre Traumlandschaft aus organischem Werden und Vergehen. Umsponnene Zusammenballungen, die an Spinneneier denken ließen, lagen zwischen Haufen aus pulsierenden Massen. Was genau diese Masse war, ob Pilze, ob Fleisch, ob beides oder nichts davon, war unmöglich auszumachen.
Es gab Schlote, die frappierend an Schließmuskeln gemahnten, welche wabernde Wolken ausstießen und Richtung Decke schickten. Dort verloren sie sich zwischen etwas, das man auf den ersten Blick für dicke Kabel, auf den zweiten für fette Lianen halten konnte. Dies waren noch die geistig gesunderen Gedankenbilder. Denn auch Venen oder Därmen waren diese langen Schlingen nicht völlig unähnlich. Allemal bewegte sich in ihnen etwas, ließ sie kaum merklich konvulsivisch zucken und pumpen. Vielleicht eine Flüssigkeit? Aber wenn, dann ein in der Objekte mitschwammen, denn immer wieder wanderten sichtbare Ausbuchtungen durch die Stränge. Neben den leuchtenden Käfern und triefenden Gewächsen krabbelte und fleuchte da noch mehr in den reichlich vorhandenen Schatten. Dinge die definitiv größer waren als kleine Käfer. Dinge, die sich geschickt den Blicken entzogen und immer nur am Rande des Gesichtsfeldes in Bewegung verfielen. Dieses Bild eines Spott geborenen Gartens wurde unterstrichen vom Geruch. Dominant war die schwere Süße verfaulenden Obsts, durchsetzt mit Duft von Blumen. Ein wenig wie Nelken, aber viel intensiver und fast schon spürbar betäubend. Als würde nur dieser Geruch die Glieder lähmen und an den Augenlidern ziehen. Hinter dieser überwältigen Wand kitzelte etwas Scharfes, etwas Animalisches, die gereizten Nasen. Als wäre all das nicht schon genug gaben die Schlote und Schächte ihre, nach Schwefel stinkenden Ausscheidungen dazu.
All das war natürlich Unsinn. Was man roch, war nicht unangenehm. Es sei denn, man hatte etwas gegen den Duft von Gebratenem, von Gewürzen und aromatischen Blumen. Deren Note war jedoch nicht aufdringlich, sondern schmeichelnd. Außerdem wurde sie bereits von einem warmen Luftzug weggeweht. In diesem Hauch lag die Hitze der Wüste. Aber nur als Andeutung, nur als Idee. Nichts bedrohliches, sondern die exotische Verfeinerung etwas Schönem.
Kann ich die beiden bezaubernden Damen zu einem gewürzten Eiswein verführen?
Wer das fragte war ein junger Mann, dem das schwarz gelockte Haar als unbändige Pracht unter der Verkaufsmütze hervorquoll und die Kopfbedeckung unnütz machte. Als er lächelte blitzten strahlend weiße Zähne in seinem braungebrannten Gesicht auf. Diese Zähne waren spitz wie bei einer Echse, taten seinem Aussehen jedoch keinen Bärendienst. Er schob einen Verkaufswagen vor sich her, dessen Hauptbestandteil aus einem Kühlaggregat bestand. Dieses hing zwischen vier großen, gusseisernen Rädern. Der Behälter mit dem Eis und den darin liegenden Weinamphoren nahmen nur wenig Platz weg. Eine kleine Kasse und der ausladende Griff vollendeten den Verkaufswagen. Mit blauem Flimmern, Zinaak, Staub oder ZuZupulver will ich euch den edlen Saft gern vergolden, gleichwohl auch ohn all dies Beiwerk diese Rebe von besonderer Güte ist. Die gedrechselt und verschnörkelte Sprechweise des alten Rasankurs kam diesem fliegenden Händler leicht über die Lippen. Nicht getragen und überbordend theatralisch, wie man diesen Zungenschlag heutzutage im Palast zu sprechen pflegte. Der hier bemühte sich nicht um das meistern einer toten Sprechweise, für ihn war sie Muttersprache.
Die beiden Frauen sahen erst den Verkäufer, dann stirnrunzelnd sich gegenseitig an. Waren sie eben nicht noch an einem anderen Ort gewesen?
Nein.
Wo hätten sie auch sein sollen?
Wo wenn nicht hier, auf der großen Promenade des inneren Ringes. Im Schatten des herrlichen Palastes, wo das Leben trotz des Krieges weiter ging.
Frauen mit Kindern an den Händen gingen ihren Beschäftigungen nach. Händler priesen lautstark die Vorzüge ihrer Waren an. In der kühlen Nähe eines Wasserspiels schwatzte eine Gruppe alter Männer. Eine Schar Kinder begaffte die exotischen Tiere in den Käfigen eines Haustierkrämers. Vor Jahr und Tag hätten sie wohl mit ebensolchem Interesse die Abteilung Verteidiger bestaunt, die im zackigen Gleichschritt die sauber gefegte Straße hinunter marschierte. Die schwarzen Uniformen ebenso staubfrei wie die Straße, die Gewehre geschultert, die Platten vor den Gesichtern auf Hochglanz poliert. Heutzutage waren die Kämpfer ein gewohnter Anblick. Sie hatten fast schon die Rasankuri aus dem Stadtbild verdrängt, die entweder an den verschiednen Fronten ihre Pflicht taten oder bestenfalls noch als Ehrengarde zu sehen waren.
Wie dort hinten, wo sie als Geleit für einen rot und gelb berobten Priester des Gottes Dekazes dienten. Man sagte der Dekazes Kult gewinne zusehends an Einfluss und erlange viele jener Anhänger die danach trachteten, ihren Dienst am dunklen Prinzen zu verfeinern und die vulgären Aspekte seiner Verehrung zu vernachlässigen. Das Klimpern der Ringe, die am zeremoniellen Stab des Priesters hingen und die 44 Fesseln darstellten, die es zu sprengen galt, wenn man die wahre, ekstatische Freiheit erlangen wollte, wurden vom kreischen der Hautsegler übertönt. Ein großer Schwarm von ihnen fegte über den blitzblauen Himmel. Ihr Gezehter entfernte sich und man konnte wieder die Singvögel in den Farnen der Straßenbepflanzung hören, die mit dem Zirpen der Perlschrecken um die Wette musizierten.
Nun? Wählten die Damen?
Oh verschone die Holden mit deinem Essig, Nukay du alter Täuscher.
Die beiden wollen zu mir und wenn sie jemand bewirtet dann ich und gewiss nicht mit deinem Gesöff.
Diese Worte waren mehr spottend als bösartig vorgetragen und wenn der so gescholtene auch das Gesicht verzog, so geschah es doch nur kurz. Dann stahl sich das alte Lächeln zurück auf seine Züge.
Bedauerlich, dass ihr zwei so schöne Blumen, um ein so edles Getränk betrügt. Er machte einen angedeuteten Kratzfuß und schob seinen Wagen weiter.
Hinter den beiden Frauen stand ein Mann, den man wohl als schön hätte beschreiben können. Natürlich gab es für dieses Wort so viele Definitionen wie Sterne am Nachthimmel, dennoch entsprach er einem gewissen Ideal der Schönheit. Nicht über die Maße männlich, eher ins Androgyne tänzelnd. Hochgewachsen war sein Leib, kraftvoll und doch feingliedrig, das Gesicht schmal geschnitten und ebenfalls fast schon als weiblich zu bezeichnen. Es schien zum Lächeln gemacht zu sein, war von einer undefinierbaren Jugendlichkeit geformt und von langem Haar umrahmt. Die Schatten unter den Augen vielleicht ein wenig zu tief und die Augen selbst eine Spur milchig weiß. Aber das mochte von allzu exzessivem Genuss verschiedenster Couleur herrühren.
Seine Kleidung war nach einer luftigen Mode geschnitten. Nicht die aggressive Sexualität, wie sie in Rasankur momentan gepflegt wurde.
Momentan?
Was war der Traum und was das Wache?
Ein verfallenes, ein blutgetränktes und mörderisches Rasankur. Wie konnte das die Wirklichkeit sein, wenn hier alles so viel beständiger und besser war?
Ich darf mich vorstellen. sagte der Mann mit melodischer Stimme. Mein Name ist Ad`razbe und ich gehe davon aus, dass Ihr hier seid, um mich zu treffen. Auch wenn ihr das vielleicht nicht wisst. Er machte eine einladende Handgeste zu einem unweiten Teehaus. Es war traditionell gebaut, mit Treppen die in ein Halbkellergeschoss führten, wo man nicht nur Tee, sondern auch Wasserpfeifen genießen konnte. Allerdings standen auf dem Gehweg davor Stühle und kleine Tische in der Sonne.
Ad`razbe führte sie zu einem, im Schatten eines, in einem Topf sprießenden Farn und bedeute ihnen sich zu setzen. An dem Tisch saß noch jemand. Ein Mann, der all das was ihr unverhoffter Gastgeber war, nicht war. Ein bulliger Riese. So breit, dass der Stuhl unter ihm jeden Moment nachgeben musste. Er war sehr korpulent. Dick, ohne dabei unbeholfen oder sogar schwach zu wirken. Der Typ Türsteher. Sonderbar an ihm war die Haut im wulstigen Gesicht und auf dem haarlosen Schädel. Sie war schwer vernarbt und wirkte doch rosig und geradezu jungfräulich, wie bei einem Baby. Der Riese hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte ausdruckslos ins Nichts.
Das ist Jamaar. Ein Neuankömmling so wie ihr. Nun ja, nicht ganz so wie ihr. Ad`razbe lächelte vielsagend. Ignoriert ihn einfach. An ihren Tisch trat eine junge Frau in der neutralen Bekleidung einer Dienerin. Sie fragte nach ihrer Bestellung und Ad`razbe bestellte für sie alle.
Karaffen mit heißem Sahlstrauchsud wurden gebracht und mit viel Zucker ihres bitteren Geschmacks beraubt. Während die bläuliche Flamme über dem Sud noch brannte und der schmelzende Zucker langsam von seinem Lochplättchen in das Getränk tropfte, wandte er sich an seine Gäste.
So, da wir nun mit allem versorgt sind, was einen so schönen Tag noch schöner machen kann, kommen wir doch zum Kern der Sache. Ihr seid gewiss, wie wir auch, auf der Suche nach etwas.
Die Frage ist nun nach was. Sein Lächeln blieb weiter dünn, aber verbindlich.