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Zeitenwende
#40
---Drei Monate später---

Eine Erschütterung ging durch den Radpanzer, als er etwas rammte, was der Meinung gewesen sei, es könne in irgendeiner Weise ein Hindernis darstellen. Mehr als ein kurzes Rumpeln blieb es jedoch nicht.
Es nötigte den acht anwesenden Arbitratoren wohl keine wirkliche Gesichtsregung ab, auch wenn man unter den halb offenen Helmen nur die ungerührten, nach unten weisenden Mundwinkel als Indikatoren hatte. Der Raum war von einem giftigen Grün erhellt, der die Männer und Frauen unwirtlich wirken ließ. Wie Gespenster, die in ihrer Gruft auf die Auferstehung warteten.
Niemand von ihnen redete. Warum auch? Sie alle kannten ihre Befehle. Sie waren Teil der Speerspitze in der Operation “Sein Zorn”. Kein sehr kreativer Operationsname, aber Kreativität war an dieser Stelle auch nicht gefordert. Die gesamte Sub- Ebene befand sich in Aufruhr. Eine Zone der Anarchie, in welcher die Terroristen der Xenoverschwörung zwar ein Brandbeschleuniger waren, aber nicht die Masse darstellen. Ihr Gift hatte sich in die Geister der einfachen Bürger gefressen und sie zum Aufstand getrieben. Die PVS und Truppen des Hauses Visollas hatten das Gebiet leidlich abgeriegelt, um zu verhindern, dass Terrorgruppen herauskamen und das neuer Zuwachs eindrang. Das gelang ihnen bestenfalls mäßig. Jetzt aber war Schluss damit.
Verstärkungen der Armee waren eingetroffen, um den Sack zuzumachen. Sie waren der Amboss, auf den der Hammer der Arbites schmettern würde. Diesem Sinnbild konnte man eventuell noch ein Stilett beifügen, da es unbestätigte Berichte darüber gab, dass der Mechanicus direkt in das Wespennest stechen würde. Kern und Ziel der Aktion, war neben der Befriedung des Sektors, nämlich die Bergung des Baneblades “Sein Zorn”. Diese stand über allem.
Zumindest für sieben der acht Anwesenden. Detektiv Cassian Khline gehörte der Sektion 17 an. Das wussten die anderen freilich nicht. Ihnen war nur gewahr, dass er niemand aus ihrer Abteilung war und dass dieser Umstand sie nicht dazu berechtigte, dumme Fragen zu stellen. Cassian war ausgerüstet wie sie. Der Schockschild hing hinter ihm an der befestigten Wand, der Schockstab lag quer über seinen Beinen. Zwei Dinge unterschieden ihn dann aber doch von seinen Kameraden. Zum einen der unscheinbare, schwarze Rucksack unter seinem Sitz. Zum anderen seine Befehle. Er würde mit ihnen aussteigen und sich der Formation anschließen, die gekommen war, dem Aufstand ein Ende zu setzen.
Dies allerdings nur eine gewisse Zeit lang. Bei der erstbesten Gelegenheit würde er sich absetzen und die Aufruhrausrüstung und die Uniform gegen die Zivilkleidung in dem Rucksack austauschen. Dann würde er sich tief in das Herz der umkämpften Zone begeben und eine Frau namens Louise suchen.
Eine einzelne Person zu finden, in einer gesetzlosen Sub- Ebene, nur mit einem Vornamen als Information, mutete wie ein Ding der Unmöglichkeit an. Aber diese Louise war eine Größe in der Terrorarmee.
Es hieß, sie habe den Angriff auf die Brücke der Hunderttausenden koordiniert.
Hätte es gegolten sie einfach nur umzubringen, so hätte man einen professionellen Mörder geschickt. Er aber sollte Informationen sammeln. Über das Umfeld, die Strukturen, die Hintermänner und die konkreten Pläne. Denn man war sich an wichtigen Stellen sicher, dass es dieser aufrührerischen Schattenarmee nicht nur darum ging, Chaos zu verbreiten. Nur um was sonst, das war die Frage? Ein Umsturz war unwahrscheinlich, da ihnen dazu der Einfluss an wirklichen Machtpositionen fehlte. Auch die schiere Eroberung Korons lag nicht in ihrer Macht. Um was ging es diesen Bestien also. Das herauszufinden, beziehungsweise die ersten Puzzelstücke zusammenzutragen, das war Cassians Auftrag.
Er wusste, dass noch andere Agenten der Sektion 17 damit im Gebiet unterwegs waren. Allerdings wusste er weder wer, noch wo. So konnte er im Falle seiner Gefangennahme auch niemanden unter der Folter verraten.
Das gepanzerte Fahrzeug hielt und die Beleuchtung schaltete auf Rot. Das verwies auf das Öffnen der Luke. Die Arbites erhoben sich wie Einer und ergriffen ihre Schilde. Sie, wie auch die Besatzungen der neun anderen Fahrzeuge traten in das Inferno, welches draußen herrschte. Sie befanden sich auf der breiten Hauptstraße, welche durch den Wohn-, und Einkaufsviertel dieses Habitatsblock führte.
Die genaue Größe eines Blocks konnte von Ebene zu Ebene variieren, war im Aufbau aber immer gleich. Vier oder mehr Habitate im Carré stellten einen Block dar. Die zentrale Straße hatte oft einen Namen, zuweilen aber auch nur Nummern und Zahlen. Auch die Blöcke selbst waren in ihrem Aufbau unterschiedlich. Einige durchstießen die Sub- Ebenen, andere reichten nur vom Boden bis zur Decke. Einige bestanden lediglich aus Wohneinheiten, andere hatten integrierte Arbeits-, Freizeit-, und Einkaufsbereiche. Gemein hatten sie, dass sie Tausenden, zuweilen Hunderttausenden Platz boten. Ein Bürger sein Hab., beziehungsweise seinen Block nur verlassen musste, wenn er sich an seinen Arbeitsplatz begab. Selbst wenn man im eigenen Wohnturm keine Einkaufsgelegenheit hatte oder der Lohn solche Vergnügungen nicht hergab. Jedem Bürger mit einer ID stand eine zugeteilte Arbeit und eine zugeteilte Wohnung zu. Mit Nährpastenspender und Sandstrahldusche. Niemand konnte sich in die Ausrede flüchten, eine prekäre Lebenssituation wäre durch die Nachlässigkeit des Staates entstanden.
Sicher, wem die Grundversorgung nicht reichte, der mochte sich kopfüber in die freie Wirtschaft stürzen und alles aufs Spiel setzen. Einige machten dabei ihr Glück, ein Großteil bettelte und flehte letztendlich darum, wieder in den Schoß der staatlichen Versorgung aufgenommen zu werden. Obwohl es diese Fürsorge gab, reichte dies so manchem nicht. Was sich Khline in diesem Augenblick sehr anschaulich offenbarte. Das gute Hundert Arbitratoren war als Verstärkung gedacht, für die etwa zweihundert Kameraden die schon vor Ort waren. Zuzüglich der fast doppelt so vielen PVS Polizisten. Die Gesetzeshüter standen gegen eine unmöglich zu überschauende Masse von Protestierenden, die die Hauptstraße verstopften. Der giftig schwarze Rauch von brennenden Autoreifen und Müll hing in der Luft. Es gab Barrikaden, aber diese verschwanden fast vollständig in der schieren Menge der Demonstranten. Hier und da ragte ein Pappschild über den Köpfen auf, auf denen manchmal konkrete, meist wage Forderungen zu lesen waren. “ID System = Mordsystem”; “Brot, Arbeit, Freie Rede”; “Keine Systempresse mehr!”; “Sie fressen, wie hungern”. So weit so üblich. Wo der Mensch in großer Zahl sich niederließ, gab es immer auch die, die sich abgehängt fühlten. Aber das geschulte Auge eines Mitglied es Adeptus sah natürlich auch die Sprüche auf Pappe geschmiert, in denen der Keim des Verrats am Imperium lag.
“Die Ratshalle war nur der Anfang”; “De Wajari ist der Nächste” Außerdem krude Symbole, von denen sie wussten, dass sie in die Nähe der Terroristen zu rücken waren. Das war der Grund, dass der Adeptus hier war. Hier wurde nicht einfach nur demonstriert, hier war der imperiale Frieden in Gefahr.
Cassian fand sich schnell im Schildwall wieder und drückte gemeinsam mit seinen Kameraden gegen die Wand aus Leibern. Steine und Flaschen trommelten hauptsächlich gegen die Schilde, die die hinter ihnen stehenden Arbites wie ein Dach über sie hielten. Im mit Panzerglas versehenen Sehschlitz des Schockschildes waren vom Zorn verzerrte Gesichter und gefletschte Zähne zu sehen. Natürlich hätten die Arbitratoren das Spektakel hier im Handumdrehen beenden können. So blutig oder unblutig wie Ihnen beliebte. Das sie es nicht taten lag zum einen daran, dass nicht alle Bürger hier den Tot verdient hatten. Strafe gewiss, aber noch hatten sie sich nicht so versündigt, dass eine finale Säuberung nötig wurde.
Wichtiger war es jedoch, dass alle Aufrührer, die hier waren, nicht an anderer Stelle Dinge anstellen konnten, auf die man keinen Einfluss hatte. Widersacher ließ sich dann am besten kalkulieren, wenn man um ihre Position wusste. Dennoch galt es nun die Verhältnisse etwas mehr ins rechte Licht zu rücken.
Bis jetzt hatten die Arbites nur gegen den Druck der Straße gehalten. War ein Demonstrant zu vorwitzig geworden, hatte versucht den Schildwall zu erklettern oder gezielt einzelne Arbitratoren zu attackieren, dann waren die ausgeschalteten Schlagstöcke zum Einsatz gekommen.
Da brach ein Finger hier und da, platzte eine Lippe auf oder flog ein Zahn. Mehr als freundliche Hinweise, es nicht zu weit zu treiben, waren das bis hierher nicht.
Jetzt ging jedoch die Order von Mund zu Mund: “Erste Reihe, zwei mal rausnehmen. Auf Pfiff” Diese Parole widerholte jeder im Schildwall, bis sie einmal von links nach rechts gewandert war. Hätten die Männer und Frauen in den schwarzen Plattenpanzern die Zeit gehabt, sich umzudrehen, sie hätten gesehen, wie sich hinter ihnen zwei Reihen aus PVS-Polizisten in ihren langen, dunkelblauen Ledermänteln formierten. Dann ertönte der Pfiff des Proktors.
Die Arbitratoren lösten die Ladungen in ihren Schockschilden aus.
Blitze zuckten über die erste Reihe, als würde dort ein Gewitter entfesselt werden. Menschen schrien, stürzten in Krämpfen und Zuckungen, mit Schaum vor dem Mund, mit sich entleerenden Därmen und Blasen. Der Schock ging nicht nur wortwörtlich durch die Demonstrierenden. Die Ordnungshüter machten einen Schritt nach vorn und füllten die entstandene Lücke, indem sie über die Gefällten hinweg schritten. Wie Aasvögel stürzten sich die PVSler auf die paralysierten Körper, zogen sie auseinander und legten ihnen Handschellen an.
Erschrocken von dem Erlebten drängten nun die vorderen Demonstranten gegen jene hinter ihnen.
Fort von dieser Mauer aus Schilden, fort.
Hinter ihnen aber drückten die anderen nach.
Wieder ertönte der Pfiff, wieder blitzte es auf und wurde ein Stück von der Menschenmenge abgebissen.
Der Gegendruck der Demonstranten ließ nun nach. Aus der wankenden Menge kam ein brennendes Objekt geflogen. Ein Brandsatz, der auf einem Schild zerschellte und dessen Träger, wie auch die Umstehenden, mit flüssigem Feuer überschüttete. Die Getroffenen taumelten rückwärts, wurden dort von Kameraden erwartet, die die Flammen mit Löschdecken erstickten, während andere die entstandene Lücke schlossen. Wieder flackerte Feuer in der wogenden See der Protestierenden auf. Doch diesmal krachte ein Schuss, abgegeben von einem Arbites Präzisionsschützen, der die erhöhte Position auf einem Radpanzer nutzte, um die unübersichtliche Lage zu überblicken.
Für das Verbrechen einen Arbites nach dem Leben zu trachten konnte nur das eigene Leben als Strafe eingefordert werden. Der Werfer starb und die Umstehenden hatten Glück, dass der Molotowcocktail verlosch, als er zwischen sie fiel.
Die Arbites fächerten jetzt aus und begannen systematisch auf die Menschenmenge einzuknüppeln. Wie das Ritterheer einer Feudalwelt mähten sie ihre Gegner nieder. Versuche der Gegenwehr mit Latten und Steinen blieben eben nur Versuche. Die Demonstration in direkter Nähe der Linie begann sich aufzulösen.
Das Gröbste schien geschafft zu sein. Doch die erfahrenen Ordnungshüter wussten, dass genau das Gegenteil der Fall war. Jetzt kam der anstrengende Teil. Jetzt galt es jedes Nest einzeln auszuheben und neu entstehende Zusammenballungen zu unterdrücken.
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