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Zeitenwende
#33
Jawohl Herr General… Jawohl. Lungershausen stand in ihrem Büro wortwoörtlich stramm. Das mochte lachhaft wirken, wenn man bedachte, dass der unmittelbare Vorgesetzte am anderen Ende der Sprechleitung sie nicht sehen und demgemäß ihre Respektsbekundung nicht wahrnehmen konnte. Gleichwohl brachte man den Männern und Frauen der PVS auf Koron bei, dass Achtung vor dem höheren Rang nichts war, was man nur hatte wenn der oder die betroffene gerade in der Nähe waren. Dieser Respekt, durch die harte Schule der Ausbildung eingebläut, war etwas real zu Empfindendes. Aus diesem Grund stand nicht nur Lungershausen in Habt Acht, sondern wurde darin noch von ihrem Adjutanten übertroffen, der ebenfalls mit im Raum war.
Aber gestatten Herr General, dass ich noch einmal auf die prekäre Lage aufmerksam machen darf unter der wir hier arbeiten müssen. Unser Auftrag war die Koordination der Luftabwehr und jetzt müssen wir die ganze… jawohl… ja ich verstehe. Natürlich Herr General. Wird ausgeführt Herr General.
Lang lebe Koron, lang lebe Gohmor.
Sie ließ den Arm mit dem Hörer sinken. Der Oberstleutnant wagte es nassforsch zu sein.
Und?
Sie blinzelte und richtete den Blick auf ihn, als hätte sie jetzt erst bemerkt, dass er auch hier war.
Wir können die Koordination noch nicht abgeben. Das Oberkommando ist in diesem Moment zusammengekommen.
Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen, wegen der vielen Anschläge.
Ist es sehr schlimm? Ich meine… äh
Das ist der größte Haufen dampfender Scheiße den ich je gesehen habe und ich war in Edos mit dabei.
Es gibt Angriffe auf so ziemlich jeder Ebene der Stadt. Die Ratshalle ist nur die Spitze des Eisberges. Die militärische und zivile Infrastruktur wird im großen Stil attackiert.
Von wem?
Tja… scheinbar irgendeine paramilitärische Terrorgruppe oder ein Kult. Es sind Mitglieder irgendeiner Sekte mit dabei. Transformisten so in der Art.
Die Kirche der Transformation?
Ja die waren es. Kennen Sie die?
Nur aus der Zeitung.
Die jedenfalls und noch zig andere. Bewaffnete Banden, Fabrikarbeiter, ganz normale Bürger. Einiges scheint organisiert zu sein, manche Sachen sind vielleicht im Zuge der Aktionen ausgelöst worden. Mutanten und ewig Unzufriedene, die ihre Gelegenheit für gekommen sehen.
Es soll Massenexekutionen an der Bürgerschaft geben. Andernorts wehren sich Bewohner und Belegschaften mal mehr oder mal weniger erfolgreich gegen die Angriffe. Jeder Arbites der eine Schrotflinte auch nur richtig herum halten kann, ist auf den Beinen.
Und wir?
Sie seufzte.
Ich habe darum gebeten die Koordination der ganzen oberen Ebene um die Ratshalle herum abgeben zu dürfen. Habe ihm gesagt, dass wir nur für die Luftraumüberwachung der Außenbereiche zuständig waren… naja Sie habens ja mitgehört.
Sie wollen Gefechtsstände einrichten um das Chaos in den Griff zu kriegen, aber das dauert. Die Hundertzweiundreißigste Heimatschutzbirgade wird komplett in unseren Verfügungsraum verlegt. Aber das dauert. Bis dahin ist es an uns alles zu jonglieren. Und genau das werden wir tun, auch wenn es uns nicht schmeckt. Also zur Sache: Haben wir Leute vor Ort?

Der Oberstleutnant begutachtete seine Notizen.
Jawohl! Die Reservetruppen der Ehrenwache, die sich in der Zwischenebene aufgehalten haben. Sie sollten in diesem Moment unterwegs zum Depot 22/21 sein und sich dort mit Waffen und vor allem Munition ausstatten. Danach direkt zur Halle.
Schön und gut, aber das dauert mindestens eine Stunde, vielleicht auch nur 45 Minuten, wenn ihr Melder schnell war.
Bis dahin lebt dadrinnen niemand mehr, bei dem es von Bedeutung ist, dass er lebt.
Wir haben noch die Fernmeldekompanie 166A. Die waren zur Verkehrssicherung in der näheren Umgebung benannt.
Bewaffnet?
Jawohl, nichts Schweres aber ja. Was noch wichtiger ist, sie sind mit umfangreicher Kommunikationsausrüstung ausgestattet.
Lungershausen horchte auf.
Dann hätten wir endlich mal klare Aussagen über das, was da oben passiert.
Wie schnell können die da sein? Wer hat das Kommando?
Ein Oberleutnant Turm und das beste ist, sie sind in Teilen schon an der Halle und dringen in das Gebäude ein.
Sie sprang auf und gemeinsam mit dem Adjutanten eilte sie aus ihrem kleinen Büro, wo sie mehr Ruhe gehabt hatte, um mit ihrem Vorgesetzten zu sprechen.
Im Kommandoraum wogte derweil immer noch alles in heilloser Geschäftigkeit durcheinander.
Fliegerstaffeln die schwer angeschlagen zurückkamen und irgendeinen Platz zum Auftanken und Aufmunitioniern suchten. Einheiten, die von ihrer eigenen Befehlskette abgeschnitten waren, teilweise mit unzulänglichen Kräften und Material im Feuerkampf mit einem besser ausgerüsteten Feind standen.
Die Brücke der Hunderttausend ist weg. Sagte irgendjemand mit Grabesschwere in das Stimmengewirr hinein. Das erzeugte kein Schweigen, aber allgemeine Bestürzung.
Was meinen Sie mit weg? Verlangte der Oberstleutnant mit belegter Stimme zu wissen.
Der Hauptgefreite, der die unzulängliche Meldung gemacht hatte sah verwirrt aus. Meldung einer zivilen Feuerlöscheinheit vor Ort. Die… die Brücke ist eingestürzt.
Vermutlich gesprengt. Es gibt wohl Hinweise darauf, dass der Baneblade zum Zeitpunkt des Einsturzes darauf fuhr.
Nein!

Nicht verifiziert.
Setzte der Hauptgefreite fast schon panisch nach.
Taktischer Zeichner, sagte der Oberstleutnant schnell seine Fassung zurückgewinnend. Tragen sie den Ausfall der Brücke, der Hunderttausend in die Karte ein und suchen sie alternative Routen für schweres Gerät. Der General nickte ihm zu. Dann wandte sie sich an den Techpriester.
Bruder Amayi Korras, gibt es eine Verbindung zu einem Funker der 166?
Der Techpriester bestätigte dies und hantierte an einigen Apparaturen herum, bevor er eine einladende Geste ist Richtung eines von vielen Handsprechapparaten machte. Lungershausen eilte zu dem Gerät und musste sich zügel nicht hinein zu brüllen.
Die exakte Kennung ist 166A 003 Erklärte der Techpriester lakonisch und wandte sich anderen Aufgaben zu. Ihn schien die ganze Sache hier nur dahingehend zu interessieren, dass er die Oberhoheit über alle verwendete Technik vor Ort hatte und dies als eine herausfordernde kleine Aufgabe ansah.
166A 003… kommen. Hören Sie? Ein langgezogenes Jaulen und Fiepen, ganz so als versuchten gepeinigte Seelen der Leitung zu entkommen. Dann eine rauschende Stimme.
Unverständlich
Konnte Sie nicht aufnehmen. Wiederholen Sie… kommen.
…den Eingangsbereich. Der ganze…
Hilfesuchend sah sie zu Bruder Amayi Korras. Der schraubte an Reglern und Knöpfen. Das Comgerät, welches der Soldat höchstwahrscheinlich auf dem Rücken trug, war nicht für die Kommunikation über solche Entfernungen und durch Boden und Decke von Makropolen gemacht. Es musste entsprechend zu einer Verstärkerstation geleitet und dort aufbereitet und zu ihnen gesandt werden. Was immer der Marsprieser auch für einen Zauber veranstaltete, es funktionierte leidlich. Der Empfang wurde jetzt besser, pegelte sich ein und ließ eine schwer atmende Stimme durch den Äther an ihr Ohr dringen.
Können mich hören? Kommen!
Ja… ja ich höre Sie jetzt besser. 003 hier Gefechtsstand Grau. Hören Sie genau zu. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass sie mir alles genau so schildern, wie sie es sehen. Kommen.
Ja… ähm verstanden Grau, Kommen.
Ich weiß, dass die Geräte dafür nicht ausgelegt sind gleichzeitig zu laufen und zu funken, aber versuchen Sie es trotzdem. Kommen.
Jawohl. Also wir nähern uns dem Eingang. Hier ist die Hölle los. Unzählige Rettungswagen, der ganze Platz ist hell erleuchtet von ihren Signalleuchten. Aber es reicht trotzdem nicht. Terras Gnade… so viele Verletzte.
Der Feldwebel spricht mit jemandem. Einem Zivilisten. Es scheint, dass wir reingehen.
Wir nähern uns dem Zugangsbereich… die Türen sind alle zertrümmert und… Terras Gnade.
Würgegeräusche waren zu hören.
Was ist Soldat? Was sehen Sie?
Der Korridor liegt hüfthoch mit Leichen voll.

Sie konnten aus erster Hand hören, wie der Fernmelder keuchend und ächzend über den Teppich aus Toten kroch, wie seine Kameraden fluchten. Voll schrecken wurden sie Ohrenzeugen, dass hier und da in dem Menschenberg noch jemand lebte. Wimmern, Flehen und schwaches Rufen. Allein, sie hatten keine Zeit der Menschlichkeit nachzugeben. Denn aus dem Inneren der Ratshalle war das Krachen von Schüssen zu hören. Entweder waren die Mörder mit ihren Bluttaten noch nicht fertig oder sie waren tatsächlich auf Widerstand gestoßen.

Auch wenn der Angriff mit den Monstern als Speerspitze die Verteidiger in Angst und Schrecken versetzt und ihnen weitere, grauenhafte Verluste zugefügt hatte, so genügte es doch nicht, um den finalen Stoß auszuführen.
An der Nadel bemühten sich die Bestien einen einzelnen Mann zu besiegen, während ihre menschlicheren Verbündeten versuchte das Trümmerstück zu umgehen und Druck auf den Eingang in den turmartigen Baue zu erzwingen, in dem sie der Gouverneur aufhalten mochte. Die verbleibenden Kräfte der Leibgarde feuern aus dem Eingang zur Felsnadel auf die Angreifer und waren ihrerseits bereit diesen Zugang mit ihren toten Leibern zu verstopfen, wenn es den Feind aufhalten mochte.
Auf der anderen Seite hatte der Angriff jeden Schwung verloren und war wieder zum Stellungskampf verkommen. Die dreiarmigen Hünen auf dieser Seite waren entweder tot oder schlichen an der, Rauch verhangenen Peripherie dieser Kampfzone herum.
Wer immer hier das Schlachten koordinierte, ihm war eindeutig nur mehr wichtig, dass die Gegner nicht den Verteidiger des Gouverneurs zur Hilfe kommen konnten.
Waldorf hockte hinter aufgeworfenen Fußbodenpanelen, die darunter einen kleinen Krater im nackten Stahlbeton der Konstruktion freigaben. Umrandet wurde diese Stellung von ineinander verkeilten Schreibpulten und einem der riesigen Kronleuchter, der irgendwann ganz am Anfang dieses Albtraums heruntergestürzt sein musste.
Sporadisch schlugen Kugeln und Lichtsalven in diese Deckung ein, doch das Hauptaugenmerk ihrer Feinde lag offenbar anderswo. Kruger, der Blut spuckend neben ihm lag, schien zwischen Bewusstlosigkeit und Wachsein hin und her zu springen. Sein Arm war eine verdrehte Masse, aus der Knochen ragten und Blut tropfte. Auch sein Bein hatte etwas abbekommen. Eigentlich konnte man sagen, dass kein Quadratzentimeter des Mannes nicht Blut getränkt war. Allerdings fiel es schwer zu bestimmen, welches davon aus Krugers Adern lief und welches einmal durch die Adern anderer Personen geflossen war.
In ihrem Rücken tat sich etwas und mit einiger Erleichterung konnte Waldorf feststellen, dass drei Soldaten in der Uniform der PVS auf ihre Stellung zuhielten. Der ganz vorne schwang eine Pistole, der dahinter feuerte im Laufen seine MP ab und der Letzte des Gespanns redete während des Sprints in sein Comgerät.
Sie wirken zu gleichen Anteilen enthusiastisch und schockiert. Die waren ganz klar neu in der Gegend. Hätten ihre weit aufgerissenen Gesichter dies nicht verraten, so wäre es der Art gelungen, wie sie sich hier bewegten. Sie ignorierten die vorhandene Deckung geradezu eklatant, blieben stehen um zu zielen und zu feuern.
Schon wurde dem Anführer dieses Verhalten zum Verhängnis. Eine rote Blüte ging auf seiner Brust auf. Kruger bemerkte, dass sie keine Brustpanzer trugen. Der Mann ging zu Boden, war vermutlich schon tot, bevor er aufschlug.
Der mit der Maschinenpistole ließ die Waffe los und am Gurt hängen, um sich über den getroffenen Kameraden zu beugen.
In diesem Moment brach eines der dreiarmigen Ungeheuer durch den Holztrümmerhaufen, hinter dem es gelauert hatte. Mit der Geschwindigkeit, die bei diesen Monstern so entgegen ihrer Leibesfülle stand, war es heran. Seinen Hammer oder was immer ihm einmal als Waffe gedient hatte, hatte es aufgegeben und war ganz zu dem Tier verkommen, was es im Kern sowieso schon gewesen war.
Sein panisches Opfer suchte nach der Maschinenpistole, die an seiner Hüfte baumelte. Die beiden Hände des Ungeheuers, die noch in einigermaßen menschenähnlichen Fingern endeten, waren schneller. Sie schlossen sich um den Kopf des Mannes und drückten zu. Man musste es als Gefälligkeit ansehen, dass das Ende für diesen Unglücklichen zügig kam. Zuckend und kopflos fiel er neben seinen toten Kameraden.
Aus den Reihen der Verteidiger regnete es Schüsse auf die Bestie, die sich umwandte, um wieder zwischen den Trümmern zu verschwinden. Nicht jedoch ohne dem verbleibenden Soldaten vorher einen grausamen Schwinger mit dem dritten Arm zu versetzen, welcher in drei langen Krallen endete.
Der Funker hatte sich zur Flucht gewandt und die Stellung als Ziel auserkoren, in der Kruger und Waldorf lagen. Kein schlechter Entschluss, allein er rettete ihn nicht.
Der Schlag traf den Mann in der Körpermitte und hieb ihn in zwei Hälften. Die Beine kamen ihrer Aufgabe noch für zwei Schritte nach, bevor sie seitlich wegkippten. Der Oberkörper des Soldaten erreichte die angepeilte Deckung, kam neben Waldorf zum Liegen. Gedärme rannen aus der Stelle wo der Rest eines Menschen hätte sein müssen. Die Innereien wanden sich in Schlingen im Dreck, als wären sie aufgeschreckte Schlangen. Im Sterben krallte sich der Mann in den Arm des Rangers und sah ihn mit einem Gesicht an, aus dem jegliche Farbe gewichen war.
Mama… bist du da?… Ich weiß gar nicht wieso? Dann brach sein Blick und sein Griff erschlaffte.
Hallo? Bitte kommen… 003, Kommen! Was ist passiert? Machen sie Meldung.
Der Funker war tot, aber sein Funkgerät war es nicht.
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