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Zeitenwende
#21
Vor den Augen von Hauptmann Schauermann spielten sich unglaubliche Szenen ab. Menschen in allen Stadien des Verletztseins wurden aus dem Gebäude der höchsten politischen Instanz des Planeten getragen, gezogen oder sie hinkten, krochen und humpelten selber. Die mächtigsten der Mächtigen waren zu geprügelten Hunden verkommen. Grauer Staub machte sie alle gleich. Machte sie zu Gespenstern, die wortwörtlich in Asche gingen. Einzig das Blut auf ihnen setzte Akzente im Grau, trat es doch aus Wunden, vermischte sich mit dem Staub und sickerte frisch nach.
Diese Geister stolperten in die Arme der wartenden Soldaten, die sie vor dem Eingangsbereich empfingen. Ihrerseits zur Hilflosigkeit verdammt, denn in ihren Waffen steckten nur leere Magazine, unnütz dem Feind entgegenzutreten, der im Inneren wütete. Selbst jene, die mit Bajonetten und bloßen Händen in den Kampf gestürmt wären, um ihre Schuldigkeit zu tun, wären gar nicht ins Innere gelangt, so sehr verstopften Fliehende und Sterbende Türen und Gänge.
Das drinnen Schreckliches geschah, ließ sich derweil nicht überhören. Über die Schreie und das Wehklagen erhoben sich die markanten Geräusche von Schüssen.
Schauermann sah dies mit ohnmächtiger Hilflosigkeit. Er blickte aus der Luke des Baneblades “Sein Zorn”, einem der mächtigsten Kampffahrzeuge dieser Welt. Nur unternehmen konnte er nichts.
Für die Parade führte der Superpanzer keine Munition mit sich und selbst wenn… Auf was hätte er schießen sollen? Das Grauen spielte sich im Inneren der Halle ab. Sie standen hier in all ihrer gepanzerten Herrlichkeit und waren so viel wert wie eine Karre voll Carnakmist.
Wir rücken ab. Blaffte er in sein Sprechgerät. Melden Sie an… ja an wen eigentlich? Bis jetzt hatten sie Kontakt mit dem Paradestab gehalten, aber die waren jetzt wohl kaum zuständig. Immerhin hatten sie hier eine ausgewachsene Revolte, Terrorattacke oder wusste der Thron, was am Hals. Aber wer dann?
Diesen General. Wie hieß sie noch?
General Lungershausen, Herr Kommandant.
Kam es von seinem Funker. Ja genau. Melden Sie ihr, dass wir uns zum Depot verfügen und Munition und den Rest unserer Besatzung aufnehmen. So verkrüppelt wie wir jetzt sind, sind wir niemandem eine Hilfe. Dann klickte er den Regler an seinem Sprechgerät einen Kanal weiter und gab dem Fahrer Order.
Hansen, wir rücken ab. Zum Depot. Ab gehts! Das er diese Entscheidung treffen konnte, ohne als Hauptmann auf die Bestätigung eines Generals warten zu müssen, lag an seinem Dienstposten. Er kommandierte "Sein Zorn" und man musste so manche Schulterklappe in die Schale werfen, um diesen Umstand aufzuwiegen. Er hatte seine Ausbildung auf Terra selbst erhalten, an den besten Panzertruppenschulen des Imperiums. Man hätte ihn auf jedwedem Schlachtfeld des Universums besser gebrauchen können als hier. Aber ein Baneblade benötigte einen Kommandanten und Schauermann hatte sich dazu herabgelassen, seinen Dienst auf einem Garnisionsposten zu versehen. Ob sie ihm im Inneren ihrer kleinen PVS einen Hauptmann oder einen Feldmarschall nannten, war ihm herzlich egal. Er war vor allem anderen, ein Baneblade-Kommandant. Ein Ritter unter Bauern. Niemand aus seiner Besatzung sprach ihn mit seinem offiziellen Rang an. Er war schlicht der Kommandant.
Der Panzer spie schwarze Abgase in die Luft und drehte dem Drama vor der Halle den Rücken zu, als er auf der Hochachse drehte und sich in Bewegung setzte. Die Verblüffung, ja der Kummer der Soldaten ringsum war nicht zu übersehen. Der Avatar ihres Gottes verließ sie, ließ sie im Stich, im Angesicht des Feindes.
Aber was war besser, dachte Schauermann. Ein Avatar der nicht da war oder einer, der sich schwach und unzulänglich zeigte?
Wir nehmen die Prachtstraße Richtung Zollknoten und dann runter auf die 45A. Mit den sechsundzwanzig Kilometern pro Stunde, die das Verbrennungskraftwerk aus der beweglichen Festung herausholen konnte, “raste” der Panzer für seine Verhältnisse über die breite Straße. Diese war verwaist. Wo noch vorgestern tausende und abertausende von Soldaten und Fahrzeugen entlanggezogen waren, wehten jetzt welkende Blütenblätter im trägen Wind der Umwälzanlagen. Hier und da stand ein Fahrzeug am Straßenrand. Ausschließlich militärisches Gerät. Vielleicht liegengebliebene Einheiten, vielleicht Trupps, die irgendetwas mit der Nachbereitung der Parade zutun hatten. Soldaten waren aber nicht zu sehen.
Von seiner erhöhten Position in der offenen Luke aus, nahm Schauermann eine sonderbare Stimmung in der Stadt wahr. Das mochte in erster Linie an den Erschütterungen liegen, die mit dem Angriff auf die Ratshalle zutun hatten und von denen er noch nicht wusste um was genau es sich handelte. Nur natürlich, dass das feiernde Volk den Kopf einzog, wenn irgendetwas die ganze obere Makropole erzittern ließ.
Aber da war noch etwas anderes.
Er konnte nur den Finger noch nicht darauf legen. Auf einer höher gelegenen Schnellstraße raste ein Konvoi mit Blaulicht vorbei. An einigen Stellen sah man Menschengruppen, aber bei weitem nicht so viele, wie man es beim Umfang der Festivitäten hätte annehmen müssen. So beunruhigend die Donnerschläge gegen die Halle auch gewesen waren, sie hatten doch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Menschen hier auf der Ebene. Es waren keine Teile von Straßen oder Wohnhabs eingestürzt, es tobten keine Viertel weiten Brände. Jedenfalls nicht, soweit er bei seiner Fahrt die Prachtstraße herunter sehen konnte. Warum waren dann so wenige Zivilisten auszumachen? Verängstig, verwirrt und orientiert, ja. Aber sie hätten da sein müssen.
Sie passierten eine Stelle, von der aus der Panzerkommandant einen vorbeifliegenden Blick in eine Seitengasse werfen konnte. Dort zeichnete sich für ihn im Scherenschnitt der zwei, drei Sekunden, die der Baneblade vorbei dröhnte, das Bild eines Gemetzels ab. Gestalten mit Feuerwaffen schossen eine Ansammlung von Zivilisten zusammen. So viele, dass sich die toten Körper bereits an einer Ecke der Mauer zu stapeln begannen. Mit gerunzelten Augenbrauen drehte sich Schauermann um die eigene Achse, um der Vorbeifahrt noch eine halbe Sekunde des Sehens abzutrotzen. Um vielleicht eine logische Erklärung für diesen Schrecken zu finden. Nutzte irgendeine Verbrechergang die Verwirrung, um eigene Schurkereien auszuführen? Oder und dieser Gedanke war der weitaus beunruhigende, gehörte dieses Verbrechen zu jenem, welches sich an der Halle abspielte? Gerade wollte er dem Funker befehlen Meldung über seine Sichtung zu machen, als ihm der Fahrer zuvorkam.
Herr Kommandant. Voraus! Er drehte sich wieder in Fahrtrichtung. Dort lagen Tote auf der Straße. Tote in den Uniformen der PVS. Ein Geländewagen war gegen die Betonbegrenzung der Straße gefahren. Die Türen standen offen, die ehemaligen Insassen lagen ringsherum verstreut. Eine Person saß noch auf dem Beifahrersitz. Die waren nicht alle durch den Unfall gestorben. So beschädigt war der Wagen nicht.
Als hätte er noch einen weiteren Denkanstoß gebraucht, um zu begreifen, dass sich hier nicht ein tragischer Unfall an den nächsten reihte, kam etwas flackernd Helles von einer der höheren Straßen geflogen und schlug auf die Hülle des Panzers. Ein Molotowcocktail, dessen brennender Inhalt sich auf der Fläche des Baneblades als kaum mehr ausnahm, als ein angezündeter Tropfen. Diese Bastarde! Wütend suchte Schauermann mit den Augen nach dem Ursprung dieser Freveltat. Da drückten sie sich herum, diese Hunde. Auf den oberen Rängen einer Bühne. Ein Schulter gestützter Werfer wurde abgefeuert und eine kurzlebige, rote Blüte vergeudete ihre Zerstörungskraft an der Unnachgiebigkeit von Sein Zorn.
Kommandant, wir werden beschossen. Nachdem Kleinkaliberfeuer ringsum die Luke von der Panzerung abprallte, ganz klar mit dem Ziel ihn zu treffen, schloss er widerwillig die Luke.
Wir werden nicht beschossen, knurrte Schauermann, wir werden angespuckt. Das ist schlimmer.
Durch die Panzersehschlitze des zentralen Turms wurde die zu erkennende Umwelt zu einem zitternden, vibrierenden Ausschnitt verkleinert. Wenn sie noch beharkt wurden, war es durch die undurchdringliche Haut des Baneblades nicht zu bemerken. Hatte er erst einmal Munition gefasst, dann würde es Saures geben, für diese Wanzen.
Kommandant, Hindernis voraus. Schauermann verrenkte sich, um besser sehen zu können und gab es schließlich auf. Wie ein Affe turnte er im Turm nach unten und spähte durch die Kathedrahlschlitze, die unterhalb des Drehkranzes verortet waren und die beste Sicht nach außen gewährten. Das Hindernis bestand aus drei quer stehenden Fahrzeugen. Lastkraftwagen der PVS. Körper lagen auf dem Asphalt ringsherum und Mündungsfeuer blitzen links, rechts und zwischen den Lastern auf. Ob da die eigenen Soldaten Verrat übten oder ob sie von Angreifern gemeuchelt wurden waren, konnte er nicht ausmachen. Es war ihm auch egal.
Durchstoßen! Gebot er mit der Genugtuung, wenigstens etwas gegen den Feind ausrichten zu können. Der Baneblade fuhr bereits mit Höchstgeschwindigkeit und doch schien es, als lege er noch einmal einen Zahn zu, begierig darauf etwas unter seinen Ketten zermalmen zu können. Nicht das die drei Lastwagen der Rede wert gewesen wären. Man bemerkt den Käfer nicht, den man unter einem Stiefel zertritt. Man hört nicht einmal das Knacken. Das Knacken war hier das Klirren und Knirschen nachgebenden Metalls und splitterndes Glas. Treibstoff und Flüssigkeiten spritzten, verpufften und fingen gar Feuer unter dem Druck und sprühenden Funken. Es war eine fulminante, aber nur kurze Genugtuung. Die Ketten des Panzers fraßen die LKWs regelrecht auf und reduzierten sie auf wenig mehr, denn gepressten Schrott.
Im Inneren von Sein Zorn spürte man die Kollision nicht wirklich.
Vor Ihnen erhoben sich kurz darauf die riesigen, bronzenen Wächter, welche die Brücke der Hunderttausenden flankierten. Die Brücke war breit, bot Fahrzeugen auf zehn Spuren Platz. Dennoch, so wusste Schauermann nur allzu gut, wäre hier der ideale Punkt für einen Hinterhalt. Es ging nur vorwärts oder rückwärts. Der Platz zum Ausweichen war begrenzt und auch ein Baneblade, so ungern er dies zugeben wollte, war nicht unverwundbar. Schon gar nicht, wenn ihm die Unterstützung verbundener Waffengattungen fehlte. Wenn, dann hier. So hätte er selber es gemacht. Sie rasselten auf die Brücke. Drei Kilometer lang, überspannte sie einen der Transittunnel, eine der zentralen Venen der Makropole, die es auch größeren, flugfähigen Vehikeln erlaubte in das Herz des Menschen gemachten Gebirges vorzudringen.
Nicht selten hüllte sie sich in ihre persönliche Wolkenbank. Ein mikroklimatisches Phänomen aus Abgasen, Kondenswasser und den aufeinanderprallenden Luftmassen der verschiedenen Ebenen, die hier wie in einem Querschnitt offen lagen. Heute aber schimmerte nur ein Dunst über der Fahrbahn. Da sie noch gesperrt war, der Parade und ihren Nachwehen sei Dank, lag sie verweist und relativ nebelfrei da. Nicht auszudenken, wenn der reguläre Verkehr wieder zugelassen gewesen wäre und sich hier wie immer gestaut hätte.
Scheuermann hätte es nicht gern getan, aber er hätte den Panzer auch nicht angehalten. Ein Gewicht, dass er zum Glück nicht auf sein Gewissen laden musste.
Die Brücke war leer. Also auch kein offensichtlicher Hinterhalt. Zu dumm, dass Hinterhalte selten durch Offensichtlichkeit bestachen. So versuchte er die Augen überall zu haben. Sicht war der einzige Sinn, dem ihn der Panzer zugestand. Gehör war dem Brüllen der Maschine verpfändet, Geruch dem gesegneten Öl, Fett und heißem Schmiermittel geopfert. Das Gefühl gehörte allein dem Vibrieren und Stampfen des Baneblade.
So sah er das schwingende Kabel auch nur und hörte nicht das hohe Singen oder spürte die Konvulsion, die durch die Brücke ging.
Wie der Tentakelarm eines Tiefseeungeheuers peitschte die Stahltrosse durch die Luft und verfing sich in ihren noch gespannten Artgenossen. Lange hielten jedoch auch die nicht. Eines nach dem anderen, wie die Saiten einer überstrapazieren Harfe, rissen die Mann dicken Metalltaue, welche die Fahrbahn über dem Abgrund hielten. Eine der Trossen fegte über den Asphalt und schnitt ein wirres Muster hinein. Eine andere endlich traf Sein Zorn. Das Stahlseil hatte genügend Kraft, dem Panzer einen harten Stoß zu versetzen und ihn ein paar Meter aus der Bahn zu schleudern. Der Hauptmann stieß sich den Kopf und blinzelte Blut aus den Augen. Was war das? Was war das? Verlangte irgendwer aus seiner ausgedünnten Mannschaft, über Internfunk zu wissen. Ruhe, verdammt! Funkdisziplin! Blaffte er ins Sprechgerät. Scheuermann beobachtete, was draußen vor sich ging. Die Schweine konnten den Baneblade nicht knacken. Also zerstörten sie den Grund auf dem er fuhr.
Auf dem er über einen Kilometer tiefen Abgrund fuhr. Die Brücke begann sich nach links zu neigen, als mehr und mehr Haltetrossen sich lösten. Sie waren ziemlich genau in der Mitte der Brücke. Natürlich waren sie das. Der Weg zurück genauso unmöglich weit wie der Weg nach vorn. Hatten ihr Einmaleins gelernt, diese Hurensöhne.
Drücken sie drauf Hansen. Vollgas. Der Panzer fuhr bereits seine bescheidenen sechsundzwanzig Km/h Höchstgeschwindigkeit. Daran änderte alles Wollen und Befehlen nichts. Die Brücke der Hunderttausend hatte jetzt so sehr Schlagseite, dass 316 Tonnen ins Rutschen gerieten und auf den Abgrund zu glitten. Die mittlere Fahrbahntrennung aus Beton wurde pulverisiert. Dann rissen auch die Halteseile auf der gegenüberliegenden Seite in genügend Anzahl, um die Neigung wieder auszugleichen. Wie ein Spielzeug schleuderte es das Kampfgefährt hin und her.
Dann sackte das gesamte Segment der Brücke ab und stürzte mitsamt Baneblade und schreiender Mannschaft in die Tiefe.
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