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Zeitenwende
#17
Die zweite Welle der Angreifer kam durch den Tunnel oder besser noch die Schneise, welche der erste Bulldock und der ihn begleitende Verrat geschlagen hatte.
Unbehelligt näherte sich das Unheil, begleitet von seinen ganz eigenen Pilotfischen, in Form von einigen Valkyren, einer Vulture und ein paar Hubschraubern. Gerade letztere waren eine Gattung von Fluggerät, das sich auf Koron nie sonderlich nennenswert durchgesetzt hatte, aber dennoch auch kein reines Kuriosum darstellte.
Die Angreifer jedenfalls hatten eine Handvoll davon in ihre Gewalt gebracht. Militärische und zivile Varianten zu fast gleichen Teilen gemischt, speziell danach ausgesucht, in so enormer Höhe noch operieren zu können. Diese zusammenzustellen war gewiss kein Leichtes gewesen und illustrierte den Aufwand, den die Angreifer in diese Operation gesteckt hatten, fast im Kleinen, wie es die zwei gekaperten Transporter im Großen taten.
Sie kamen, wie die erste Welle, von der Seeseite. Wo sie gestartet waren? Wer wusste es?
Dieses Geschwader flog langsamer als seine selbstmörderischen Vorgänger. Ihr Ziel gleichwohl war nicht weniger finster. Auch sie steuerten die nun nahezu ungeschützte Ratshalle an. Einer der Hubschrauber, er hatte wohl in seinem früheren Leben Bergrettungen durchgeführt, ging in einem Feuerball auf, als sie nah genug an der Makropole waren, um ins Fadenkreuz einer noch einsatzbereiten Flakbatterie zu geraten. Auch der Bulldock wurde beschossen. Das massive Gefährt ließ die Treffer aus Splittergranaten jedoch über sich ergehen, als sei es Hagel. Unangenehm ja, im Stande es aufzuhalten, nein.
Die Valkyren und die Vulture stürzten sich auf die ausgemachten Stellungen, die noch ihren Auftrag versahen und schleuderten ihnen Hellstrike- Raketen und Ströme aus Bolterfeuer entgegen. Den schweren Stellungen würden diese Bemühungen nichts anhaben, die kleineren Posten vergingen gleichwohl im Feuer der Raketen. Wäre hier der Versuch unternommen worden, die Makorpole sturmreif zu schießen, man hätte diese Angriffsgruppe mitleidig belächeln müssen. Auch ohne fliegende Verstärkung der Verteidiger im Anmarsch und selbst unter Berücksichtigung der ausgeschalteten Abwehrbatterien, wären die verbleibenden Anlagen mehr als in der Lage gewesen, eine sehr viel größere Anzahl an Feinden zurückzuschlagen.
Darum ging es den Angreifern aber natürlich nicht. Jede Sekunde, welche sich die Besatzung einer Flakstellung um eine Valküre oder die Vulture sorgen mussten, wurden der Bulldock und dem kleinen Schwarm aus Hubschraubern erkauft.
Sie nutzten diesen Vorteil.
Durch eines der inzwischen glaslosen Fenster kam ein Hubschrauber hereingedröhnt. Durch die zyklopischen Ausmaße der Halle mochte man meinen, ein Spielzeug käme durchs Fenster geschwebt. Die Reaktionen darauf waren durchaus unterschiedlich. Diejenigen, deren Verständnis von Stand und Etikette sich auch durch eine epochale Erschütterung nicht erschüttern ließ, waren empört darüber, dass die Instanz der Ratshalle durch das Eindringen einer derart lauten und stinkenden Maschine besudelt wurde. Die Verwirbelungen der wummernden Rotoren fegten Designerhüte und traditionelle Kopfbedeckungen von edlen Häuptern und zerstörten Frisuren, für die Starfriseure Stunden gebraucht hatten. Einige ahnten die Bedrohung, andere hofften auf Rettung. Der Hubschrauber sah nicht aggressiv aus. Er war von rundlicher Bauweise und in einem freundlichen Beige gehalten.
Die Seitentür wurde aufgeschoben und zwei Gestalten erschienen in der Öffnung.
Was sie da ausklappten war jedoch keine Seilwinde, kein Rettungskran und keine Lautsprecheranlage, die verkündete, dass man Ruhe bewahren solle, weil Hilfe unterwegs sei.
Es war ein Maschinengewehr.
Die, welche die Waffe als das erkannten, was sie war, mischten ihre Panik, ihr Schreien oder Deuten nur in das ohnehin bereits existierende Chaos mit ein. Eine der sichtbaren Personen im Hubschrauber klemmte sich hinter das MG. Der andere hieb ihm auf den Kopf und deutete in eine Richtung. Dorthin, wo sich die größte Menschenansammlung ballte. Nahe des Ausgangs.
Dann feuerte der andere.
Es waren kurze und kontrollierte Feuerstöße, die der Schütze in die Menschenmenge jagte. Sie hinterließen Schneisen aus Toten und Verwundeten am Rand der Masse und Leichen, die von den sie Umgebenden aufrecht gehalten wurden. Am Rand der Menge stieben die Leute auseinander, suchten Deckung hinter Sitzen und Tischen. Jene, die zusammengepfercht versucht hatten, den Ausgang zu erreichen hatten nicht einmal diese Illusion von Sicherheit.
Das Maschinengewehr hielt blutige Ernte. Jedenfalls für etwa fünf Sekunden. Für zwei kurze und eine lange Salve. Dann bewiesen die Opritschniki, dass sie keine Zinnsoldaten waren, die einzig beeindruckend aussahen. Laserschüsse trafen die Kanzel des Helikopters und töteten den Kopiloten. Der Pilot selbst riss die Maschine herum, um sich aus der Schussbahn zu bringen, womit er jedoch die Schützen in seiner Flanke dem Zorn der Leibgarde auslieferte.
Der Mann am MG versuchte noch, die neue Bedrohung aufs Korn zu nehmen, wurde aber gleich von mehreren Lichtlanzen durchbohrt und brach über seiner Waffe zusammen. Der verbleibende Angreifer wollte den Toten wegzureißen und seine Stelle einzunehmen.
Der Helikopter schlingerte wild.
Schüsse durchlöcherten ihn, trafen auch den Motor und die Rotorblätter. Die Maschine sackte ab, fing sich und trudelte auf die Felsnadel zu. Licht stanzte Loch um Loch in den Rumpf. Nun taumelte sie im ausladenden Bogen wieder auf die Fenster zu. Ob dies ein Versuch der Flucht oder lediglich die Willkür der versagenden Steuerung war, würde nie jemand herausbekommen.
Denn als der Hubschrauber vor den Fenstern mäanderte, brach der zweite Bulldock durch dies, zerschmetterte die Bögen und einen Großteil der seeseitigen Wand und fegte den lächerlichen Helikopter einfach beiseite. Steine in der Größe von Wohnhäusern fielen ins Innere der Ratshalle. Zerberstendes Gestein, brüllende Triebwerke und kreischendes Metall übertönten alles, was menschliche Stimmbänder an Lauten erzeugen konnten.
Eine Staubwolke war der Hermelin dieses niederfahrenden Schreckenskönigs. Sie wallte wie ein lebendes Wesen herein und bedeckte gnädig die schlimmsten Bilder. Wie Menschen von fallenden Steinen zerdrückt wurden, wie der Rumpf des gekaperten Transporters Leiber zu kaum mehr zerrieb als roter Schmiere. Schrabnelle aus zertrümmertem Stein fetzten durch Fleisch, verdrehte Stahlträger teilten wie Messer. Wer sich auch nur in der Nähe der Seeseite aufgehalten hatte starb.
Ohne Ausnahme, ohne Chance, ohne Gnade.
Ein Teil der herausgerissenen oberen Galerie stürzte auf den Kreis der standhaften Opritschniki und zermalmte Dutzende unter sich. Allein die schiere Größe der Halle verhinderte, dass beim Einschlag des Bulldock alles und jeder hier ausgelöscht wurde. Der Transporter schob Schutt, den aufgewühlten Holzboden, Leitungen und Möbelstücke vor sich her wie eine Bugwelle.
Er wurde nach und nach langsamer und verursachte auf jedem rutschenden Meter mehr Zerstörung, mehr Tot.
Etwa die Hälfte der Halle schaffte das zum Geschoss umgewandelte Fahrzeug, ehe es anhielt. Was blieb, konnte man Stille nennen. Auch wenn Verwundete und Panische schrien, loses Gestein polterte und alles zu knirschen und knacken schien, war dies doch im Vergleich zum Moment des Einschlages geradezu friedvoll. An einigen Stellen loderten kleine Feuer, hauptsächlich dort, wo die Reste des glücklosen Hubschraubers niedergegangen waren. Der Staub senkte sich nur widerwillig und wer noch auf den Beinen stand, zeichnete sich als schemenhaftes Gespenst in der erstickenden Schicht ab.
Die Sicht klärte sich ein wenig, als der Wind außerhalb der Halle nach dem Staubschleier griff und ihn nach außen zu zerren begann. Dadurch wurde der Blick auf die Verwüstung und das Gemetzel allerdings erschreckend frei. In diesem Moment stellte sich niemand der noch Lebendigen die Frage, warum eben das so war. Dass sie noch lebten. So furchtbar die Zahl der Toten auch sein mochte, hätte der zweite Bulldock die gleiche Fracht mitgeführt wie der erste, die Halle und ein Großteil dieser Ebene wären bereits nicht mehr da. Aber auch wenn man nicht in Erfahrung bringen konnte, warum der Bauch des Frachters nicht mit Sprengstoff gefüllt war, so bekam man doch zu spüren, was stattdessen darin lauerte.
Die vordere Rampe würde sich nie wieder öffnen, soviel stand fest. Die Front des Fliegers war zusammengedrückt und deformiert. Die Heckrampe und die Seitenöffnungen waren jedoch noch funktional. Die Hydrauliken hatten ihr Tun, ihrer Aufgabe in einem vollkommen verzogenen Chassis nachzukommen. Doch mit Gewalt brachen sie die Rampe frei und stotternd und stockend, ruckte sie auf. Im weißen Staub bewegten sich Schemen, zügig die Rampe herunter. Wer Zweifel an deren Intention haben mochte, dem blieben vielleicht fünf oder sechs Herzschläge, in dem Trugschluss zu schwelgen, der Angriff sei vorbei. In dem Moment, wo die Gestalten aus dem Dunst traten, eröffneten sie das Feuer.
Es waren Männer und Frauen, ausgestattet für einen Krieg. Sie trugen Helme und Schusswesten, im Großteil aus den Beständen der PVS, aber auch alles andere, dessen sie hatten habhaft werden können.
Gleiches galt für die Bewaffnung. Zwo- Einer, Lasergewehre, Maschinenpistolen und alles andere, was dazu ersonnen war, jemanden vom Leben zum Tode zu befördern. Die Angreifer teilten sich zügig in zwei Gruppen auf. Eine strömte links von der Rampe weg, die andere rechts. Eine Gruppe bekämpfte die Opritschniki, klar mit dem Ziel zur Felsnadel zu gelangen. Die andere Gruppe begann mit dem methodischen Mord an den Würdenträgern und Abgesandten. Von deren Seite gab es wenig bis gar keinen Widerstand. Waffen waren in der Halle nicht erlaubt und lediglich die Handvoll Personenschützer der hochrangigsten Persönlichkeiten gaben kleinkalibrige Antwort auf das systematische Töten.
Auf der anderen Seite hingegen entspann sich ein Kampf, den so zu nennen legitim war. Die Leibwache des Gouverneurs gedachte nicht, sich durch eigene Verluste oder Überzahl des Gegners ins Boxhorn jagen zu lassen. Das steinerne Trümmerstück, welches so viele ihrer Kameraden erschlagen hatte, wurde zur zentralen Deckung ihres Widerstandes erkoren. Sie lieferten dem Feind einen höllischen Kampf. Die hatten gedacht, sie könnten durch aggressiven Vormarsch die Reihe der Opritschniki aufbrechen. Doch weit gefehlt. Mit konzentriertem Feuer und hoher Zielgenauigkeit fielen die ersten, besonders vorwitzigen zwanzig Angreifer wie Korn unter der Sense.
Der Rest wurde sehr viel vorsichtiger, verschanzte sich hinter Trümmern, Sitzungsbänken und Pulten. Allerdings hatten die Angreifer noch etwas in der Hinterhand, um diesen gordischen Knoten zu durchschlagen. Noch rumorte dieser Trumpf aber noch in der schwarzen Höhle des gestrandeten Bulldock.
Auf der anderen Seite hatten sich die Angreifer aufgefächert und schritten gemächlich voran. Der Pulk um den Ausgang herum hatte sich teilweise zerstreut. Weil einige tatsächlich nach draußen gelangt waren, andere mehr Glück in der Deckung hier im Saal suchten und ein großer Teil tot und verwundet um den Ausgang herum verteilt lag. Während einige Angreifer weiter auf die Gruppen schossen, gingen einzelne Mörder die Reihen ab und exekutierten die, die sich hinter Sitzen und Pulten verbargen.
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