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Zeitenwende
#12
Im Rahmen der jetzt geltenden Bestimmungen zur Zollverordnung von 82 n.k.d.H., muss ganz klar festgehalten werden, dass der bürokratische Aufwand, in keinerlei Verhältnis zum abzuwickelnden Sachverhalt steht.
Es ist doch so, verehrte Anwesende, dass wir beim Handel der Binnenländer eine Rezession bemerken, die nicht zuletzt auf die umständliche Prozedur des Handels, über eben jene Ländergrenzen hinaus, zurückzuführen ist.
Die Initiative der Länder, Bulag, Torigrem und San Vallwadea hat es sich daher zur Aufgabe gemacht… äh… auch im Hinblick auf… äh.

Der Mann am Rednerpult tupfte sich die Halbglatze mit einem Spitzentaschentuch und sah zwischen seinen Notizen und dem Auditorium hin und her. Im Publikum war eine gewisse Unruhe zu bemerken. Ein Raunen und unterschwellige Bewegung in der Masse. Ich… äh… stelle fest, dass das Thema die Gemüter der Anwesenden zu Recht bewegt. In der Tat ist hier viel zu lange eine Politik der Verlangsamung und des Aussitzends der Verantwortlichen durchgeführt wurden. Begeistert davon, dass sein Beitrag solche Wellen schlug, erfüllte ihn mit der Glut des Eifers. Der große Moment seiner Karriere, seines Lebens. Der Ursprung der unterbrochenen Komastimmung der meisten Zuhörenden lag jedoch nicht in der aufrüttelnden Thematik der Zollverordnung von 82 n.k.d.H. Vielmehr hatten einige der Anwesenden bemerkt, dass sich in der Gouverneursloge auf der Nadel irgendetwas abspielte.
Auffällig unauffällig sprach jemand mit dem obersten Mann im Staat und alle Mitglieder seiner Entourage ballten sich um diesen Sprecher zusammen. Mit unbewaffnetem Auge war dies freilich nicht zu erkennen, doch es gab genügend Operngläser, militärische Doppelgläser oder Optikverstärker im Publikum, um zu sehen, dass sich etwas tat. Der Gouverneur verließ die Loge. Was war da nur los?
Ich verweise daher noch einmal auf den… äh… vor zwei Jahren eingebrachten Antrag E-771, mit den Kommentaren von Professor Putzensteiger, der ganz klar auf die Zusammenhänger von bürokratischen Aufwand und Absinken der damaligen Quartalszahlen, bezüglich der Zolleinnahmen hindeutet. Schon damals baten wir um eine Überprüfung des Prozederes und um die Neuausrichtung, der grenzenübergreifenden Zusammenarbeit.
Jetzt waren weitere Bedienstete zwischen den Reihen unterwegs. Einer von ihnen sprach mit dem Oberhaupt des Hauses Orsius. Andere eilten zu weiteren, hochrangigen Würdenträgern.
Dabei gingen sie nicht zimperlich vor.
Durch die Sitzreihen all jener, zu denen sie eben nicht wollten, pflügten sie regelrecht hindurch. Sie stießen gegen Knie, traten auf Füße und ignorierten Protest aller Art. Auch der Redner sah die Bewegung in der Zuhörerschaft und verlor für einen Moment den Faden, als ihm zu schwanen begann, dass die umgeschlagene Stimmung in der Halle vielleicht doch nichts mit den aufwühlenden Zuständen bei der Zollabwicklung zutun hatte. Noch wollte er sich diese Illusion jedoch nicht rauben lassen und versuchte den Vortrag wieder aufzunehmen. Zusammen… ja… also die Zusammenhänge nachgewiesen. Eindringlich möchte ich daher noch einmal darauf pochen, den Antrag E-771 zu einer Sache zu machen, der mehr Priorität eingeräumt wird… als dies… ähm… als dies in den letzten zwei Jahren der Fall war. Gerade wenn wir, unter Berücksichtigung… vor den gewaltigen Bogenfenstern der Halle donnerte ein Kampfflugzeug vorbei. Von schräg oben, nach schräg unten.
Es musste gerade außerhalb des Deflektors unterwegs sein. Wollte da ein Pilot zeigen was für ein toller Hecht er war und setzte dafür die Sicherheit der Abgesandten, seine eigene und obendrein seine Karriere aufs Spiel? Dem ersten Flieger folgte ein zweiter. Eine klobige Thunderbolt. Einer von jenen Maschinen, die innerhalb der Luftwaffe inoffiziell als “imperiale” bezeichnet wurden. Natürlich standen alle Flieger der PVS im imperialen Dienst. Die Bezeichnung unter den Piloten bezog sich jedoch auf Maschinen nach STK. Nicht nur kamen sie überall im Imperium zum Einsatz, ihre Zuverlässigkeit und schiere Schlagkraft stellte alles in den Schatten, was heimische Konstrukteure mit Stolz erfüllte.
Das eigentliche Novum war jedoch der Umstand, dass der vorbei rasende Flieger aus allen Rohren feuerte. Worauf, das ließ sich in dem kurzen Vorbeizucken nicht ausmachen, dennoch ging eine Welle verwirrten Einatmens durch die Anwesenden. Eine betagte Dame aus dem Haus Roog, echauffierte sich bei ihrem Nachbarn darüber, dass es über die Maßen unorthodox sei, eine Parade mit Salutschüssen abzugeben, wenn die Sitzung bereits begonnen hatte. Ihr Nachbar tätschelte ihr beruhigend die Hand und spekulierte, dass es vielleicht ein Sicherheitsverstoß durch Klatschreporter gegeben habe und die Wachgruppe mit, nach seiner Meinung völlig berechtigter, Härte etwas dagegen unternahm.
Viele andere Anwesenden konnten die Zeichen sehr viel genauer deuten. So gab es zwar gewiss keinen Grund zur Panik, schließlich standen Legionen von Bewachern und nicht zuletzt ein Deflektorschild zwischen Ihnen und jedweder Bedrohung. Dennoch, allein der Umstand, dass man die Höchsten des Planeten so schnell evakuierten wollte sorgte für Beklemmung.
Viele der Zuschauer waren aufgestanden, um besser sehen zu können was vorging. Man redete aufgebracht mit den Umstehenden. Komunikationsgeräte jeder Art waren in der Halle untersagt.
Vor der Felsnadel nahmen die Opritschniki ihre Gewehre von den Schultern. Nicht hastig oder unkoordiniert aber entschlossen. Sie machten den Kreis um die Empore mit zwei Schritten nach hinten enger.
Jemand rief einem eilenden Diener zu was denn los sei? Man möge Auskunft geben, schließlich war man nicht irgendwer. Der Diener drängte weiter, wurde gepackt und geschüttelt. Antwort wurde verlangt.
Dann ein spitzer Schrei.
Ein Schrei schieren Entsetzens.
Köpfe drehten sich. Augen folgten ausgestreckten Armen. Ein Verkehrsflugzeug hielt auf die Ratshalle zu.
Oder vielmehr ein Komet, denn nur aus der Spitze ließ sich noch erkennen, dass es im Kern ein Flugzeug gewesen sein musste. Der Rest war Rauch und Flammen.
Ein Jäger hämmerte mit seinen Bordwaffen auf die Maschine ein. Jeder Treffer fatal, jeder Treffer genug um den Flieger aus dem Himmel zu zwingen. Aber kein Treffer ausreichend.
Der Flieger prallte gegen den Energieschild.
Der Querschnitt einer Explosion, denn sie geschah auf einer dursichtigen Wölbung aus Energie. Flüssiges Feuer und brennende Trümmer rutschten daran herab, erzeugten schlieren und Effekte darauf, wie Öl auf einer Pfütze.
Was hatte das zu bedeuten?
Ein Anschlag?
Ein Unfall oder Selbstmord? Noch ehe diese Fragen laut werden konnten detonierte noch ein Flugzeug auf dem Schutzfeld. Eine kleinere Maschine, vielleicht ein privates Gefährt. Es stand dem Aufprall des ersten Flugzeugs um einiges an Effekt nach. Im Vergleich ein regelrecht lachhaftes Feuerbällchen.
Der Schrecken lag in einer anderen Erkenntnis. Das hier war kein unglückseliger Zufall.
Ein weiterer Flieger fand sein Ende an der schützenden Kuppel, dann noch einer. Es stand zu vermuten, dass auch diese durch den Beschuss der Jagdflugzeuge gegangen waren. Zu sehen war es freilich nicht, denn die bereits explodierten Maschinen hatten für einen dichten Vorhang aus brennendem Treibstoff in der Luft gesorgt. Durch dieses Leichentuch raste ein Flieger nach dem anderen und stürzte sich blindlings auf die schimmernde Barriere.
Im Inneren Klang dies wie außerweltliche Glockenschläge. Die eigentlichen Explosionen drangen nur dumpf, gleich fernem Gewitter an die Ohren all jener, die fassungslos auf das grausame Feuerwerk vor den Fenstern starrten.
Als das erste Flugzeug in die eigene Vernichtung stürzte war ein kollektives Niederducken durch die Anwesenden gegangen. Dann folgte fassungsloses Starren, bevor sich die Diener und persönlichen Leibwächter ihres Auftrages zu erinnern begannen und sich wieder an schickten ihre Schutzbefohlenen aus der Gefahrenzone zu bringen. Der Schild mochte diesem Ansturm standhalten, solange nichts Größeres als ein Passagierflugzeug kam.
Es kam etwas Größeres.
Die Hauptattraktion dieses Spektakels fegte den schwarzen Vorhang aus Rauch und Qualm beiseite, als es die Bühne betrat. Die schiere Masse drückte so viel Luft aus dem Weg, dass die Sicht auf das anrückende Verhängnis frei wurde. Eine Handvoll der Anwesenden mochte erkennen was da kam. Vielleicht die Soldaten der Zehnten, vielleicht ein paar Verantwortliche in diversen Militärstäben. Die einfachen Soldaten kannten diesen fliegenden Metallbarren, weil sie selbst vor nicht alt zu langer Zeit damit in ein Krisengebiet geflogen wurden waren. Die höherrangigen Militärs kannten das verhasste Ding, weil es sie einige Anstrengungen gekostet hatte, den schändlichen Verlust so zu erklären, dass andere und nicht die eigenen Köpfe als Konsequenz rollten.
Die Bulldog Luftlandetransporter waren der ganze Stolz der heimischen Produktion gewesen. “Eine weitere technische Meisterleistung von Koron 3. Seht und staunt ihr Völker des Imperiums.” Dann waren die Meisterleistungen von einer Bande von Deserteuren und Wilden gestohlen wurden. Von der Bildfläche verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Eine Schmach, fast so groß wie der Absturz der Artichendes Prios vor einigen Jahren. Auch wenn man diesmal den Mantel operativ bedingter Verschwiegenheit hatte darüber ausbreiten können.
Bis jetzt jedenfalls, denn hier kamen 900 Tonnen um sich ins Gedächtnis zu bringen. 900 Tonnen wohlgemerkt nur, wenn man die Ladung nicht mitrechnete. Diese nämlich bestand aus allem, was explodieren, brennen, zerreißen und in die Luft fliegen konnte. Von Fässern voll Promethium, über industriellem und militärischem Sprengstoff, zu Granaten und Energiezellen für Laserkanonen.
Als der schwarz gepanzerte Riesenkäfer gegen den Deflektor prallte, schien er einen Herzschlag lang einfach nur zu stoppen. Dann faltete sich die Front zusammen als sei sie nur aus Aluminium oder gar Papier.
Es folgte die Explosion.
Es war wohl die gewaltigste, konventionelle Explosion auf dem Planeten, seit der Anfangsphase des Kriegs der Häuser, als der Gigantismus herrschte, der erst schrumpfte, als auch die Anzahl jener zurück ging, die man mit überdimensionalen Dingen auslöschen konnte. Was sich an Fluggeräten in unmittelbarer Nähe befand wurde auf Nichts reduziert. Jäger und zu Bomben umfunktionierte Zivilmaschinen gleichermaßen. Auch alles was links und rechts, über und unter der Deflektorkuppe der Flanke der Makropole entwuchs wurde vernichtet oder beschädigt. Abwehrstellungen wurden weggerissen. Gleiches galt für luxuriöse Hubs, mit Blick auf die spektakulären Wolkenformationen, Landeplattformen, für die Privatfahrzeuge der Reichen und Schönen, Verwaltungsgebäude, Wartungsalkoven, Wettersensorik, kurz um, mehrere Kilometer Durchmesser wurde die Mauer der Stadt rasiert, bis auf den Stahlmantel abgeschält und ausgebrannt.
All die Auswirkungen, welche dieser Angriff hatte, waren für die, die in der Ratshalle saßen im Moment weder absehbar, noch von Interesse. Auch die Halle erbebte, da die Grundfesten der Ebene erschüttert wurden. Putz und Stuckbrocken fielen von der Decke und erschlugen wie durch ein Wunder niemanden.
Wer die Augen nicht abwandte oder schützte, der erblindete. Manche vorübergehend, manche für den Rest ihres Lebens.
Das massive, nicht enden wollende Dröhnen wurde vom Schild auf ein erträgliches Maß abgedämpft. Ganz zu schweigen davon, dass der Deflektor verhinderte, dass da wo die große Halle thronte nur ein klaffendes Loch blieb. Das allerdings war die letzte Großtat, die das Mirakel menschlicher Schaffenskraft vollbrachte. Die Kuppel knickte unter der aufgebrachten kinetischen Energie ein, nicht ohne ihr vorher die Zähne gezogen zu haben. Der Vorgang der Selbstabschaltung war dabei weit weniger spektakulär als die Ausübung der Schutzfunktion. In einem Moment war die schillernde Kuppel noch da, im nächsten war sie fort.
Die Folgen waren aber umso dramatischer. Durch das unvermittelte Verschwinden der Sphäre kam es zu einem abrupten Druckausgleich. Das Glas der riesigen Fenster barst. Glücklicherweise wurde es nach außen gerissen, da es ansonsten durch die Anwesenden gefegt wäre. Es holte viele, gerade in der Nähe zu den berstenden Fenstern, von den Füßen, auch wenn der Ausgleich nicht genug Kraft hatte um Menschen hinaus und in die Tiefe zu saugen.
Mit dem Wegfall der Kuppel und dem Zersplittern der Fenster drang jedoch die Realität mit kalten Fingern in das Innere der Halle. Bis dahin war alles unwirtlich und surreal gewesen. Jetzt brandete der eisige Wind und der Geruch nach Feuer und Rauch heran. Außerdem der Lärm. Das Heulen des Windes, in dem das Kreischen von Sirenen mit schwamm, wie das von Todesfeen. Die Geräusche von Turbinen, weiter weg, denn die Explosion hatte den Nahbereich leergefegt. Das Fauchen von Flammen, das unangenehme Singen überlasteten Stahls und Prasseln bröckelnden Betons, von Gebäuden über und unter der Halle, die erst nach und nach ihren Verletzungen durch die Detonation erlagen. Auch das dumpfe Wummern von Flugabwehrgeschützen war zu hören. Überschallknalle und ferner Waffenlärm. Vielleicht auch noch mehr Dinge. Aber alles was gehört werden wollte musste das Schreien der Menge übertönen. Denn mit dem kalten Höhenwind kam die Panik in die Halle. Natürlich gab es die Besonnenen und die Paralysierten. Beide Personengruppen blieben an ihren Plätzen. Die einen weil sie verwirrt und verängstigt waren, die anderen, weil sie die Situation zu überschauen versuchten und wussten, dass Panik ein schlimmerer Mörder war als die meisten Feinde.
Der Großteil der Anwesenden aber verwandelte sich in eine Stampede. Eine unkontrollierbare Masse, die einigen wenigen Impulsen folgte. Fort von den zersplitterten Fenstern und zu den Ausgängen. Ein Teil versuchte zur Nadel zu gelangen. Wo der Gouverneur war, dort musste auch Sicherheit sein. Da aber stand die Leibgarde und stemmte sich gegen die Andrängenden.
Die Elite des Planeten verkam hier zu angsterfüllten Tieren. Nicht alle, wohlgemerkt. Einige hielten sich standhaft an der Würde fest, die sie so gerne ins Feld führten, um die Überlegenheit gegenüber dem gemeinen Mann zu betonen. Mann und Frau von Stand schrien um ihr Leben und rannten herum wie kopflose Hühner. Man trat dem, was immer da kommen mochte mit Gelassenheit und Noblesse entgegen. Es gab diese Musterbeispiele, aber sie stellten die Minderheit dar.
Von den Wenigen die wussten was sie da getroffen hatte, die von den gestohlenen Truppentransportern wussten, dachte unterdessen wohl kaum einer an den zweiten Bulldog.
Der aber näherte sich.
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