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Zeitenwende
#8
Das die große Parade endete, bedeutete nur, dass weitere begannen. In den nächsten Tagen war angedacht, dass PVS- und Hausarmeen durch jene Bezirke der Stadt marschierten, zu denen sie besondere Beziehungen pflegten. Sei es weil hier Kasernen oder Hausniederlassungen existierten, weil es historische Verbindungen gab oder einfach, weil sich ein Großteil der Rekruten aus den Bewohnern der entsprechenden Ebene zusammensetzte.
Bei den Einheiten aus fernen Ländern, wurden so Beziehungen zwischen Wirtschaftspartnern gepflegt oder angebahnt.
Einige wurden auch schlicht dafür bezahlt ein Schaulaufen zu veranstalten.
Die Ehrenwache vor dem Palast blieb stehen. Auf den kurzen Segmente, welche Berichterstattung im Vid zeigten, ein unveränderlicher Block aus stillen, grimmig schauenden Soldaten, unnachgiebig und mit einer unmenschlichen Fähigkeit des Ausharrens versehen.
In Wahrheit eine ständig wechselnde Zusammenstellung im Rotationsverfahren. Zumal auch einige Angehörige der verschiedenen Truppen aus ihren Formationen gelöst wurden, um sich zu den Zuschauern im Inneren des gewaltigen Gebäudes zu gesellen.
Den Damen und Herren von edlem Stand oblag es dabei die prunkvoll geschwungene Marmortreppe zu erklimmen. Dahinter wartete eine klimatisierte Lobby, wo unaufdringliche Musik die seiden Tapezierten Wände strich und man gekühlte Köstlichkeiten und aromatisierte Getränke reichte, um die wenige Wartezeit vor der eifrig bedienten Garderobe auf Nichts zu reduzieren.
Eine Etage tiefer wurden Wirtschaftsbosse, Generäle und Politiker von internationalem Rang mit ähnlichem Pomp, aber etwas längerer Wartezeit abgehandelt. Auch ihnen begegnete man mit größtmöglicher Vermeidung jedweder Unannehmlichkeit. Gleichwohl durften nie mehr Hochrangige, aber nieder Geborene in der großen Halle rumoren, als Adlige und höchst privilegierte Gäste von anderen Welten. Nicht auszudenken, wenn ein alternder Militär es sich in seinem Sessel bequem machte, während ein Orsius seinen Sitz noch suchte. Das Heer der Anweiser hatte daher den Stress seines Lebens, Verzögerung und Anstandsreinfolge in erträglicher Waage zu halten.
Am wenigsten Rücksicht nahm man dabei auf die einfachen Leute, denen das Recht zugestanden wurde, die Ränge aufzufüllen. Ihre Aufgabe war es, auf Vid- Aufzeichnungen das Volk zu repräsentieren und das Gebäude mit Applaus zu füllen, wenn ein Würdenträger etwas Geistreiches in die Mikrophone sprach, wobei der Faktor des Geistreichen eher zweitrangig war.
Diese Masse aus Arbeitervertretern, Ebenendeligierten, Soldaten, Bürgerkommitees und aus welchen Hintergründen sie sich noch zusammensetzten, wurde durch den unteren Bereich geschleust. Sie betraten die Ratshalle ebenerdig. Gedränge und Geschrei von Hausdienern, die Tafeln mit Nummern hoch hielten, welche vorher an Gruppen verteilt wurden, um die Bestückung der Sitze zu vereinfachen. Militärisches, Wirtschaftliches, Ziviles, Nationales und Internationales wurde dabei relativ klar erkennbar sortiert.
So kam es, dass ein Unteroffizier in einer Ausgehuniform, deren Abzeichen und Dienstgradklappen ihn nicht nur als Angehörigen der Zehnten schweren Infanteriekompanie auswies, sondern auch als einen Träger des goldenen Schädels. Ein Mann, dessen Gesicht man von einer Rekrutierungsveranstaltung her zu kennen glaubte. “Seht welch aufrechte Kerle den Kern der PVS bilden. Wie aus Granit gehauen, hart und unnachgiebig, kernig und schneidig durch und durch”.
Auf den zweiten Blick mochte er der Angerempelte, der da mit einem knappen Wort der Entschuldigung seine Unabsicht bekundete, erkennen, dass der kleine goldene Schädel, der an der Brust des Heldentypen funkelte, nicht ohne Preis erworben war. Die Augen des Mannes waren nicht heroisch, sondern stumpf von all dem, was sie gesehen hatten. Kleine Falten im Gesicht waren vielleicht das Resultat ständiger Anspannung unter Feuer. Das blonde Haar wurde in den Ansätzen vor der Zeit grau. Die Fassade des Helden war nicht ganz durchlässig, als er dem anderen kurz zunickte und die Entschuldigung annahm.
Wie sollte man sich bei diesem Gedränge auch nicht ins Gehege kommen? Ein schneller, abschätzender Blick auf diesen anderen. Ein Angehöriger einer paramilitärischen Einheit, ein geflügelter Schädel auf Grün-orangen Feld auf der Schulter, kurz aufflammende Worte in Hochgotisch, unmöglich sie hier in all der Bewegung zu lesen. Der Mann, selber kaum kleiner als der Unteroffizier, wirkte gleichwohl zerfurchter. Wie jemand der das gleiche durchgemacht haben konnte wie der Soldat, aber ohne den Komfort einer Standardration der Armee oder den Schutz eines Schadstoffanzuges. Das Haar, so auch ordentlich geschnitten und akkurat nach hinten gekämmt, eine spur zu lang für die Toleranz eines Offiziers, der Bart und die Tätowierungen im Gesicht gaben den Fingerzeig etwas mehr in Richtung Söldner. Dennoch waren die beiden, die da zusammengestoßen waren, so verschieden nicht. Sie hätten gewiss den Platz des jeweils anderen innehaben können, wären Dinge und Ereignisse hier und da anders verlaufen. Jetzt würden die jeweiligen Gruppen zu denen sie gehörten zwar nebeneinander sitzen und beide unter der Kategorie “Militär” laufen, aber mehr eben auch nicht an Gemeinsamkeiten aufweisen.
Als sie den Anweisern folgten und von den Wartebereichen in die eigentliche Ratshalle geführt wurden. Dass Stimmengewirr und die Schritte, die eben noch laut und unangenehm von den Wänden des schmalen Zugangskorridors zurückhalten und sich urplötzlich belanglos in das sachte Gemurmel mischten, als man in die große Ratshalle hinein trat. Ein paar Tausend waren bereits auf ihren Plätzen, unterhielten sich, scherzten, stritten, lachten oder riefen.
Dennoch war die schiere Größe der Lokalität so ausgreifend, dass es kaum lauter war als in einem moderat besuchten Lichtspielhaus.
Zwei weitere Stunden dauerte es, bis alle geladenen Teilnehmer des Rates ihre Plätze eingenommen hatten. Wohlgemerkt für die heutige Auftaktveranstaltung. Morgen Vormittag würde das ganze Spektakel von Neuem beginnen, auch wenn man wenigstens davon ausgehen konnte, dass sich langsam Routine beim Beziehen der Plätze einstellen würde.
Am Abend dieses fünften Tages war noch einmal alles fest in den Klauen des Zeremoniells.
Abgesehen von der Eröffnungsrede des Gouverneurs, die von vielen sehnsüchtig erwartet wurde.
Nicht weil man neugierig auf ihren Inhalt gewesen wäre, sondern weil Anhänger, wie auch politische Feinde von Gouverneur de Wajari sehen wollten, wie es um das Wohlbefinden des Herrschers bestellt war.
Seine auffällige Abwesenheit von der Öffentlichkeit und der Eifer seiner Frau, ihn kommissarisch zu vertreten, hatten zu allerhand Spekulationen geführt. Die harmlosesten noch die, Leopold Frederico krank sei und seine Frau daher das Zepter bis zu seiner Genesung in der Hand hielt. Weniger Wohlgesonnende spekulierten über den Tod des Gouverneurs und den Versuch seiner Frau Elisabeth Emilia, die Macht an sich zu reißen. Ein Affront gegen jedes geltende Recht und im Ernstfall nicht weniger als der Grund für einen Bürgerkrieg. Viele trauten dem “Engel von Gohmor” eine solche Dreistigkeit nicht zu. Gleichwohl ließ sich nicht leugnen, dass sie beim Volk der Makropole und auch bei nicht wenigen anderen Nationen des Planeten, eine fast schon kultische Verehrung erfuhr und bei einem Putschversuch die Massen vielleicht hinter sich haben würde.
Schmerzhaft langsam zog sich der vorgegebene Verlauf weiter in die Länge wie erhitzter Asphalt. Der Zeremonienkanzler, ein absurd fetter Mensch, dessen Bewegungen von nicht weniger als vier geschminkten Pheromonkastraten unterstützt werden mussten, ließ seine verstärkte Stimme durch die Halle rollen.
Ihr Edlen dieser Welt, hört hört hört. Zwei Kastraten hatten den goldenen Stab gefasst und führten die Bewegung ihres Herren aus, so dass auf jedes “hört” ein Funken sprühender Regen von dem aufkrachenden Stab ausging. Dieser regnete in einer Kaskade vom Rand der Felsnadel herab und verzehrte sich selbst über den Köpfen der Opritschniki, die ihren Posten bezogen hatten und denen als einzigen im Rund scharfe Waffen erlaubt waren.
Von Euch zum demütigen Verwalter dieser Welt auserkoren und von der lenkenden Hand des Adeptus Adminstratum gesegnet, gefiel es Gouverneur de Wajari Euch zu rufen. Auf das Ihr euch versammelt und nach aller euch zur verfügung stehenden Kraft zum Wohle dieser Welt beratet und entscheidet.
Wurde der Ruf erhört?

Er wurde erhört!
Kam es von den Rängen in einer vieltausenden Antwort. Gesprochen nur, aber in solcher Zahl, dass es als gewaltiges Raunen durch die Halle wehte.
Ich sehe Euch.
Ich danke Hochbaron Vladimir Orsius für sein Hiersein.

So ging es weiter. Der Zeremonienmeister begrüßte jeden einzelnen, anwesenden Fraktionsführer der Häuser und der gewichtigen Gäste aus anderen Nationen und von anderen Welten.
Das allein dauerte lang. Sehr lang.
Dann wandte er sich an die Vertreter des Imperiums. Des Adeptus Civitas, des Mechanicum, der Arbites und all den anderen Organisationen, die berufen waren Koron 3 im Licht Terras wandeln zu lassen.
Schließlich beendete er das Zeremoniell und sackte völlig erschöpft in die wartenden Arme seiner Diener.
Als nächstes kam der lange erwartete Part des Gouverneurs. Er würde den Anwesenden persönlich danken und eine ungefähre, inhaltliche Richtung für die Gespräche vorgeben. Mit scharfem Auge hatte man den obersten Verwalter der Welt bereits auf der Spitze der Nadel ausmachen können. Etwas genauer, wenn man über entsprechende, körperliche Anpassungen verfügte. Nun erhob sich eine zierliche Gestalt mit wallender, goldener Lockenpracht.
Leopold Frederico sprach nicht laut. Die Technik verhalf seiner Stimme jedoch zu ungeteilter Aufmerksamkeit. Diese Stimme zitterte und brach nicht und doch klang sie auf unüberhörbare Weise schwach und dünn. Das musste nicht unbedingt etwas heißen, denn der Gouverneur hatte Zeit seines Erwachsenenlebens jener Mode gehobener Adelskreisen angehört, welche eine bewusst zur Schau gestellte, körperliche Schwäche zelebrierte. Ohnmachten und eine Attitüde permanenter Erschöpfung und Langeweile wurden dabei vorgelebt. Ein Gegenkonzept zu plumper Körperlichkeit und primitivem Aktivismus. Veredelter Geist und erlesener Geschmack von keinen Platz in einem transpirierenden Leib, der seine Existenz mit schwerer Arbeit vertat.
Obwohl man um diese modische Marotte des Gouverneurs wusste, gab all das doch jenen in ihrer Meinung Vorschub, die de Wajari schon mit einem Bein im Siechengrab sahen.
Aber noch lebte er, dass ließ sich nicht leugnen.
Einige enttäuschte das, andere freute es.
Was der Gouverneur in seiner halbstündigen Rede sagte, war kaum mehr als das, was zu erwarten gewesen war. Lob der Zusammenarbeit der großartigen Länder Korons, der Organe des Imperiums und interplanetarer Partner.
Man würde in den kommenden Sitzungstagen Steuerfragen besprechen, den Zustand der Armee, die Tributzahlung, Kompetenzen der Nationen, Handlungsbeziehungen zu anderen Systemen, planetare Gesetzgebung und letztlich Themen, welche die Anwesenden einbringen konnten.
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