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Zeitenwende
#5
Ein erster, motorisierter Abschnitt war dem angeschlossen. Sechs Leman Russ, nicht nur auf Koron 3 das Sinnbild gepanzerter Stärke des Imperiums, hatten auf der Prachtstraße bequem nebeneinander Platz. Hinter diesen sechs folgten jeweils hundert Artgenossen. Die Ungetüme spien schwarze Wolken Promethiumabgase aus und die Absauganlagen, Lufttauscher und Umwälztfilter hatten reichlich zutun die jubelnden Massen von Vergiftungen zu bewahren. Mit geradem Rücken standen die Kommandanten in den geöffneten Luken der rasselnden und dröhnenden Panzer. Die hier präsentierten Kampfmaschinen waren Teil der städtischen Verteidigung und hatten alle samt und sonders bestenfalls einen Aufstand oder eine Demonstration gesehen. Im wirklichen Kampfeinsatz hatte keiner gestanden. So oder so waren sie aber für die Parade neu lackiert wurden. Unter den frischen urbanen Tarnmuster in verschiedenen Blau- und Grautönen sah man ihnen die unterschiedlichen Dienstjahre nicht an. Jeweils einer von Zwölf wich vom Standardschema mit Kampfgeschütz, Laserkanone in der Front und Boltern in den Seitenkuppeln ab.
Diese waren spezialisierte Varianten, für Nischenaufgaben auf dem Schlachtfeld ersonnen. Demolisher und Annihilator waren die Häufigsten und die diversen Moderatoren der Radio- und Vidsender überschlugen sich mit ausufernden Erklärungen und geschichtlichen Erzählungen, wo diese oder jene Variante das Blatt einer Schlacht gewendet hatte. Eine weitere, sehr symbolische Konstellation war in den zwanzig Panzern zu sehen, die überaus bewusst nach den altehrwürdigen Leman Russ aufzogen.
Dabei handelte es sich um H-3 “Klingen”. Jene Fahrzeuge aus den Truztstaatden, von denen die Horninger gedacht hatten, sie wären ein adäquates Gegengewicht zu dem starren Ambos, denn die gohmorischen Panzerverbände darstellten. Bei der Fabrikation dieser Waffe war ganz auf die eigenen Möglichkeiten der verbündeten Staaten rund um Truzt zurückgegriffen wurden. Schnell war die Klinge, vermochte aus der Fahrt heraus präzise zu feuern und einen Schwarm mitgeführter Kleinstraketen gegen den damaligen Feind zu schleudern. Allein, es hatte alles nichts genutzt. Bei der Panzerschlacht am “Hohen Weg”, war die Hybris des Neuen vor dem Altbewährten eingeknickt. Deswegen war der H-3 alles andere als ein schlechtes Fahrzeug und nicht nur wurden die Bestände in die PVS eingegliedert, in Horning produzierte die Fabrik weiter eine kleine Stückzahl, so wie Ersatzteile. Einige der Panzer gingen sogar in den Export und verschafften dem notorisch knappen Staat Horning Devisen.
Wieso die zwanzig hier in den Farben der PVS und den Leman Russ nachgestellt paradierten, war jedoch allen klar verständlich. Hier wurde Beute, hier wurden Besiegte präsentiert.
Das es in Horning gar keinen klaren Verlierer gegeben hatten, sah man einmal von der Zivilbevölkerung der Schwemme ab, blieb dabei unerwähnt. In Gohmor verstand man sich sehr gut darauf die Geschichte durch einen gewissen Berichtsrahmen oder zuträgliche Auslassung anzupassen. Wer die Bildsprache dieser vermeintlich nur der Reihe nach laufenden Fahrzeuge und Soldaten lesen konnte, der mochte so manches sehen und erkennen. Beispielsweise die Panzerjagdkompanie Rot. Die, wie bei der Bezeichnung nicht schwer zu erraten, der Bekämpfung anderer, gepanzerter Verbände verschrieben war.
So weit so ungewöhnlich.
Gleichwohl war es diese Kompanie, durch die stellvertretend der Mechanicus eben doch an der Parade teilnahm und sich, trotz seiner Politik der Geringschätzung lokaler Feierlichkeiten, ins Gedächtnis rief. Das Kernstück dieser Kompanie waren zwei antike, schwere Jagdpanzer Valdor. Hoch komplex und mit historischer Technologie gefüllt. Nichts was der Mars leichtfertig vergab und schon gar nicht an eine planetare Verteidigungsstreitmacht.
Gleich zwei dieser würdigen Fahrzeuge einer Kompanie der PVS zu überlassen sprach eine sehr klare Sprache. Doch damit nicht genug. Neben den üblichen Conquerorn mit ihren schwächeren aber aus der Fahrt heraus benutzbaren Geschützen und den turmlosen Destroyern mit ihren Lasergeschützen, nannte die Kompanie einen Executioner sein Eigen. Fast ebenso selten und kostbar wie die Valdor.
Für die, die die Zugehörigkeit dieser Einheit immer noch nicht begriffen, waren die Türme in einem matten Rot gestrichen. Rot wie der Sand des Mars selbst.
In den nächsten zwei Stunden folgten Kolonnen aus Artilleriefahrzeugen. Basilisken, Bombarden, Medusas und sogar einige der seltenen Mantikors. Zuzüglich einer gewaltigen Menge aus Kampffahrzeugen heimischer Produktion. Von Halbkettentransportern, über leichte Zweimann-, Luftkissen- und Radpanzer aus allen Nationen des Planeten. Immer wenn man als Zuschauer dachte, die Vielfältigkeit der koronischen Streitkräfte sei erschöpft, weil seit zehn oder zwanzig Minuten nur eine unendlich lange Formation aus Soldaten vorbei marschierte, wurde man eines Besseren belehrt.
Eskadronen aus Carnakkavallerie, mit Sprenglanzen bewaffnet und trotz des Hauchs des Antiquierten, ein stattlicher und erhebender Anblick, mit poliertem Harnisch und schwarzem Federschmuck.
Haussoldaten als farbliche Unterbrechung des alles beherrschenden Königsblau der PVS. Rot mit den markanten, leicht überproportionierten Helmen der schier endlose Heerwurm des Hauses Orsius.
Weiß die provokant kleinere Abordnung der Siris. Die wuchtigen Paladin- Panzer der Orsius, deren Unterbewaffnung ein Treppenwitz der Geschichte zu sein schien. Dazu im Vergleich die schlanken, Pistolenkugel förmigen Einsatzwagen der Siris. In welch scharfem Kontrast zu all diesem, so auf Unvereinbarkeit getrimmten Kontrahenten, die Kämpfer des Hauses Visolla. Die schiere Diskrepanz des Machteinfluss, im Vergleich zu den beiden Riesen des Adels, war gewaltig. Dennoch sah man hier sehr eindrücklich, dass solch ein Gefälle noch immer einen ernstzunehmenden Mitspieler auf dem dritten Platz parat hielt.
Die Haussoldaten Visollas sahen auf den ersten Blick aus wie Operettenfiguren, wie kostümierte Schauspieler. Doch weit gefehlt. So individuell jede Rüstung auch sein mochte, so verziert und edel jede Helmmaske, mit schnörkeln, Verzierungen und paradoxer Karnevalikonografie, war all das doch gemacht für das Theater des Krieges.
Zwischen diesen breiten Farbbändern im Königsblau gab es auch immer wieder kleinere Tupfer. Organisationen, die auf die eine oder andere Art mit der PVS oder dem Militär des Planeten ganz allgemein verbandelt waren. Der schlagkräftige Arm der kämpfenden Truppe hing an einem aufgeblähten Kolosskörper aus Versorgung und Logistik.
Natürlich wollte der geneigt zusehende Bürger, mit einer gebratenen Fischfrikadelle, wie ein Stein im Bauch und dem dritten Becher Freibier im Schädel, nicht den Marsch der Wäschereiangestellten oder der Köche begaffen. Entsprechend waren Zuarbeitende und private Vertragspartner zugegen, die auch etwas hermachten.
Die Vereinigung privatisierter Ladeschützen etwa, welche die unüberschaubare Anzahl an Abwehrbatterien und Geschützstellungen bemannten, welche die Außenhaut einer Makropole verkrustete. Permanenten Wartung, Drill und Abhärtung gegen die Wetterbedingungen der, zum Teil den Elementen ausgelieferten, Stellungen, waren nichts, wofür man Wehrpflichtige über längere Zeit von den Werkbänken und Fließbändern fern hielt. Die VdvLS hatte daraus ein Geschäftsmodell gemacht und kümmerte sich obendrein um bauliche Maßnahmen und Anträge. Etwa wenn ein neu entstehendes Wohnhub in den Schusstunnel einer Verteidigungsbatterie zu wachsen drohte. Vielleicht keine ruhmreiche Arbeit, aber eine, die abertausende von Arbeitsstellen schuf und die ohnehin schon aufgeblasene Verwaltung der PVS entlastete.
Das die Ladeschützen in ihren einfarbigen Overalls und den farbigen “Seifenschalenhelmen”, alles nach Abschnitt unterschiedlich gefärbt, einen interessanten Kontrast bildeten, rundete die Sache ab und machte sie für die Parade wie geschaffen.
Es gab einige Vereinigungen, welche zur Sicherung der Küsten angeheuert waren und zusätzlich zur regulären Flotte liefen.
Außerdem die hartgesottenen Grenzreiter, die, einem Ritterorden gar nicht unähnlich, mit ihren Carnaks in die wilde Umgebung der Makropole ritten, um für die Sicherheit von Reisenden zu sorgen und die Pest des dortigen Banditentums zu bekämpfen. Dabei trugen sie den Schmutz auf ihren funktionalen und halb mechanischen Plattenrüstungen wie Auszeichnungen.
Aber auch einige neue Organisationen waren zugegen.
Etwa die mâne Miliatirs, in silbern glänzenden Raumanzügen. Sie kümmerten sich um ein Konfliktgebiet, von dem man nicht einmal annehmen sollte, dass es eines war. Der koronische Mond beherbergte lediglich den Flottenstützpunkt der Sub- Sektorflotte und war ansonsten ein lebloser Gesteinsbrocken. Doch unter den Augen eben dieser Militräzusammenballung, gab es immer wieder vorwitzige Schmuggler, die ihre illegalen Produkte auf der dunklen Seite des Mondes abluden, zwischenlagerten und dann von Verbindungsleuten auf dem Planeten abholen ließen. MM hatte es sich zur lukrativen Aufgabe gemacht, diesem Treiben entgegenzutreten.
Auch die Havoc Rangers waren Neulinge auf Koron. Ein bewaffnetes Logistikunternehmen, dass sich allein schon dadurch gut in das Gefüge der Armee einpasste, weil es die Strukturen der imperialen Armee in weiten Teilen adaptierte. Sie zogen in einer Abteilung aus bewaffneten und gepanzerten LKWs und Geländewagen, im nüchternen grün in der Heerschau mit. Ein Augenschmaus für freunde von Transportbulliden, denn nicht wenige der Lastwagen und Fahrzeuge stammten aus weit entfernten Ecken des Imperiums und wiesen entsprechend so manche Eigenheit auf.

Zu vorgerückten Mittagsstunde dann entstand eine Lücke in dem endlosen Zug aus Soldaten und Equipment. Eine relative Stille legte sich über die Prachtstraße und die Menschen begannen die Hälse zu recken.
War es schon so weit?
Ja tatsächlich.
Was jetzt kam, “Gohmors alter Mann” wie Fans ihn respektvoll nannten, brauchte keine Fanfahren, eine Ankündigung und keine Hymnen. Die Vibrationen, welche durch den Straßenbelag ging und sich in die Zuschauer fortpflanzten, waren Ankündigung genug.
“Sein Zorn” erschien am unteren Ende der Straße. Ein fahrbares Gebäude, eine Burg aus Plastonid T-Stahl, auf Ketten gesetzt und in Bewegung gebracht.
Der taktische Nutzen dieses Ungetüms mochte seinen Wert im Verbund mit anderen Waffengattungen und kleineren Kampffahrzeugen haben, aber die schiere moralische Wucht, mit dem dieses Symbol menschlicher Überlegenheit einherging, war losgelöst von nüchternen Überlegungen auf der Gefechtskarte.
Dieser superschwere Panzer, dieses Landschlachtschiff, mit seinen 320 Tonnen Gewicht und Arsenal aus Maschinenkanonen, Demolischergeschütz, Schweren Boltern und Laserkanonen, mit seinem Hauptgeschütz, in dem man einen Kleinwagen parken konnte, all das war der destillierte Stolz Korons.
“Sein Zorn” hatte vor über zweihundert Jahren geholfen diese Welt vom Krebsgeschwür der Ketzerei zu reinigen und dass man ihn danach hier gelassen hatte, abseits der Fronten, wo ein solcher Avatar des imperialen Siegeswillen dringend gebraucht wurde, war ein gewaltiger Beweis der Vergebung und des Vertrauens.
Ein Vertrauen, das nicht auf unbedarfter Leutseligkeit beruhte, sondern mit Verpflichtungen einherkam.
Entsprechend war der Baneblad Mahnung und Vertrauensbeweis gleichermaßen. Er würde auch als einziges Fahrzeug auf den zentralen Platz vor der Ratshalle fahren und dort für die Zeremonie der offiziellen Eröffnung des Rates verbleiben. Alles andere, motorisierte Gerät fuhr vorher von der Prachtstraße ab und sah sich der Aufgabe gegenüber, wieder in die Kasernen und Depots zu verlegen, ohne das Verkehrsnetz der gesamten, mittleren Ebene zum Zusammenbrechen zu bringen. Die Soldaten zu Fuß waren derweil ihrerseits darüber instruiert, wer weiter zum Vorplatz marschieren würde und wer vorher abgehen musste, beziehungsweise durfte.
Das kurz nach dem Giganten die Opritschniki, die persönliche Leibwache des Gouverneurs, aufzog, war ebenso wenig ein Zufall, wie dass der Garde die Zehnte und all jene Regimenter folgten, deren Loyalität zum Gouverneur außer Frage stand und deren Treue zu diesem einen gewissen Ruf hatte.
Die Moderatoren, die zu jeder einzelnen, vorbeiziehenden Einheit etwas zu sagen hatten, berichteten von den harten Kämpfen, welche die Zehnte in Horning und bis vor wenigen Tagen noch im Dschungel von Luht hatte durchstehen müssen. Ganz zu schweigen von der strategisch unbedeutenden, aber lokal doch sehr heftigen Offensive auf die Kräfte in Huncal. Das man zuversichtlich war, noch vor Ende des Jahres die ganze Affäre erledigt zu haben, erwähnten die Kommentatoren mit einem Nebensatz, bevor sie sich der nächsten Formation widmeten.
Die Zehnte absolvierte ihren Marsch mit Bravour. Niemand fiel um, niemand geriet so aus dem Tritt, dass Zuschauer lachend oder Kopfschüttelnd mit Fingern zeigten.
Solche Vorfälle gab es natürlich. Unmöglich eine derart gewaltige Parade abzuhalten, ohne das Zwischenfälle auftraten. Fahrzeuge blieben liegen, Soldaten hatten Krämpfe oder Schwächeanfälle.
Damit rechnete man, darauf war man vorbereitet. Schnelle Eingreiftruppen aus Sanitätern, Abschleppvehikeln und Technikern waren in großer Zahl entlang der Strecke positioniert, um bei Bedarf tätig zu werden. Was auf gar keinen Fall passieren durfte, war dass die ganze Parade ins Stocken geriet. Wenn also ein Mensch oder eine Maschine liegen blieb, dann waren die Nachfolgenden instruiert möglichst fließend dieses Hindernis zu umfahren oder zu umgehen. Für die schnellstmögliche Beseitigung des Ganzen waren dann die entsprechenden Kräfte verantwortlich.
Vor der Ratshalle angekommen nahmen die hierfür vorgesehenen Ehrenabordnungen zu jeweils hundert Männern und Frauen ihre Positionen ein. In unauffälliger Rotation wurden die so stehenden immer wieder ausgetauscht, um Entkräftung und unschöne Ausfälle zu vermeiden. Erst in den späten Abendstunden würden die letzten Teilnehmer der Parade mit ihren Abordnungen hier einrücken und die Eröffnung des Adelsrates beginnen. Die “duchgetauschten” Soldaten wurden in eine Sub-Ebene tiefer verbracht, wo sie sich ausruhen durften, bis es wieder an ihnen war, an für ein paar Stunden still und unbeweglich auf dem Platz vor der Ratshalle zu stehen.
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