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Innerer Stadtbezirk -Villen und Anwesen-
#16
Nach dem kühlen und schattigen Halbdunkel des Torhauses stach die Sonne bösartig in seinen Augen.
Die sich öffnenden Türflügel waren gewaltig und es kam ihm so vor, als wären sie das extra. Allein, um ihn persönlich zu verhöhnen und noch kleiner zu machen, als er ohnehin schon war. Auch die beiden Rasankuri, die als Ehrenwache zwei Schritte hinter ihm gingen, änderten nichts daran, dass er sich sehr sehr einsam fühlte. Vor dem Tor roch es nach trockenen Steinen und Staub. Die Hitze legte ihre Hände wie ein Schraubstock um seine Schläfen.
Der Heermeister wünschte sich in die Kühle seines Quartieres zurück, in die umschmeichelnden Schwaden aus Duft und Wohlgeruch, zum Geschmack seiner Wasserpfeife. Ja sogar sein Arbeitszimmer, voller staubiger Listen und unspektakulären Reihen von Zahlen, wär ihm jetzt eine Wonne gewesen.
Stattdessen musste er Leib und Leben einsetzen, als die armseligste aller Marionetten. Er war ein Buchhalter, ein Organisator. Kein Krieger, kein Diplomat, ja noch nicht einmal ein fähiger Verwalter.
Denn wäre er Letzteres gewesen, dann hätte er kaum irgendwelche Verhandlungen mit diesem Balius führen müssen. Wäre der Herrscher einer Stadt, sei er auch nur vorübergehend ihr Verweser, in Persona zu einem so gefährlichen Treffen gegangen?
Kaum!
Das man ihn genötigt hatte, dass er sich hatte nötigen lassen, zeigte nur zu eindeutig welchen Stellenwert er hatte. Bestenfalls jemand, den man als Schachfigur nutzen konnte. Ob nun durch die Konkubinen oder deren Feinde. Spielball war immer er.
In einen Mantel aus schwerem Selbstmitleid gehüllt stakste der Heermeister also auf sein unvermeidlich scheinendes Schicksal zu.
Er hatte überlegt eine Pistole mitzunehmen und den Usurpator zu erschießen. Eine Heldentat, die ihn zum Märtyrer machen würde.
Eine schöne und gleichsam völlig abwegige Vorstellung. Zum einen würde man ihn natürlich in der Sekunde niedermachen, da er einen Schuss abgeben, ja vielleicht die Waffe auch nur ziehen würde. Außerdem würde er damit den verhassten Mätressen in die Hände spielen, indem er Balius und sich gleich mit beseitigen würde. Des Weiteren war es alles andere als sicher, dass eine gewöhnliche Kugel oder ein Lichtschuss dieses Ungeheuer in Menschengestalt überhaupt umbringen würde, selbst wenn er ihn in Kopf oder Brust träfe.
Schließlich und endlich fehlte ihm der Mut. Sein kleines Herz im Schatten dieses Berges. Wie lächerlich war das?
Also trachtete er nicht danach Balius vom Leben zum Tod zu befördern, sondern gegebenenfalls sich selbst.
Unter seiner Zunge lag eine kleine Keramikkugel. Fest genug, dass sie nicht versehentlich zerspringen konnte, aber so dünnwandig, dass ein kräftiger Biss sie zerbrechen würde. Sollte es dazu kommen, würde ihr Inhalt aus dem Gift des grünen Smaragdstachlers dafür sorgen, dass sein Leiden keine zehn Sekunden dauerte.
So trat der Heermeister zwar aus dem Schatten des Torhauses, aber nicht aus dem seiner eigenen Verzagtheit. Von den Rasankuri mehr getrieben als schützend begleitet, schritt er auf der staubigen Hauptstraße auf die Reihen der Belagerer zu.
Gern hätte er sich nach der Brustwehr umgesehen und nach denen geschaut, die dort standen und gewiss alle froh waren, dass sie es nicht waren, die ihr als Lamm zur Schlachtbank schritten. Aber er wagte es nicht. Ach was er alles nicht wagte.
Zu seiner kurzen Überraschung stieg ihm nun der Geruch von Gebratenem und Gebackenem in die Nase. Nur verständlich, eine Armee musste essen, ganz gleich wie sehr sie in der Gunst der Götter stand.
Grundlegendes blieb sich gleich. Es stand zu vermuten, dass sie nicht über eigene Versorgungsgüter verfügt hatten. Der Fürst war nur mit einem sehr geringen Tross aufgebrochen. Hauptsächlich Techniker, Heiler und Munition. Nahrung hätte es in Form von Beute auf der anderen Seite geben sollen. Der Heermeister war Logistiker genug um zu wissen, dass dies ein riskantes Manöver war. Viel konnte bei einem Angriff schiefgehen, wie man ja sah. Dann ohne Nahrung dazustehen war eine Katastrophe.
Da schienen Balius und seine Schergen zumindest ein wenig besser aufgestellt zu sein. Er hatte ihre Reihen jetzt erreicht und gewahrte, dass sie die Häuser, nah der Freifläche vor der Mauer, besetzt ung befestigt hatten. Er sah Waffenläufe aus Fenstern ragen. Aber nichts, was über die Größe eines Maschinengewehres hinaus ging. Gut möglich, dass ein Verlustreicher Sturm auf die Mauern nicht erfolgt war, weil ihnen schlicht die militärischen Mittel fehlten.
Wäre doch nur der Panzerkult auf ihrer Seite. Dann würde sich diese ganze Angelegenheit hier ganz anders angehen lassen.
In den Reihen des Usurpators gab es die stumpfsinnigen Augen der Bestienmenschen und die grinsenden Masken übergelaufener Rasankuri. Dazwischen Palta, denen der Heermeister innerlich die geringsten Vorwürfe machte. Wer konnte es ihnen verübeln, sich neuen Verhältnissen im Sinne des Selbsterhaltes anzupassen?
Es gab noch immer eine Phalanx aus Krieger, die jeder Zeit bereit zu sein schienen einen Kampf zu beginnen. Als sich diese vor dem Nahenden teilte, wurde offenbar, dass man sich dahinter wohl auf längeres Warten einstellte. Kämpfer hatten es sich so gemütlich gemacht, wie es auf einer Straße und einigen umgebenden Gebäuden eben möglich war.
Mit Interesse stellte der Heermeister fest, dass die einzelnen Elemente sich zwar nach ihrer ursprünglichen Zugehörigkeit organisierten, Bhrak, Rasankuri, Graue und so weiter, aber dennoch auch bemüht waren, sich nicht zu weit aufzufächern. Das konnte man als kluge Überlegung sehen, denn isolierte Gruppen waren bei einem Angriff durch Infanterie natürlich gefährdeter als nah beieinander liegende, eine gewisse Angst mochte man darin aber auch erkennen. Vielleicht waren sie sich ihrer Sache nicht so sicher wie es anmutete.
Mitten auf der Straße war ein Baldachin errichtet, unter dem Balius in seinem sonderbaren Kampfskelett saß. Seine Beine steckten noch in der Halterung, aber das Oberteil war wie eine bizarre Blüte aufgeklappt und gab den Mann darin frei. Dieser mutete nicht weniger absonderlich an als das Gefährt, dass er sich erkoren hatte. Er war groß und jene Teile seines Leibes, die nicht maschinell waren, schien allein aus Muskeln zu bestehen. Diese wiederum waren mit Haut verschiedenster Färbung und Beschaffenheit überspannt, so dass der Riese wie ein sonderbares, lebendes Puzzle wirkte. Dem Sinn eines Tarnanstriches gar nicht unähnlich, verwischte dieser durchblutete Flickenteppich zu einem Teil die Konturen des Mannes und ließ ihn unsymmetrisch und dadurch noch verstörender wirken.
Er war alles, was der Heermeister nicht war. Ein Gewaltmensch, eine Bedrohung, ein Anführer, ein Jünger der Tat.
Er rauchte eine der flachen, gomorischen Zigaretten, die sich in seinen Pranken winzig ausnahm und betrachtete den Heermeister wie etwas zutiefst Abstoßendes, das unter einem Stein hervorgekrochen war.
Und wer genau bist du?
Der Heermeister unterdrückte den Drang sich demütig zu verneigen. Er zwang sich zu der Vergegenwärtigung, dass er hier als Vertreter der Stadt und damit des wahren Herren Rasankurs anwesend war.
Ich bin der, denn die Menge denn Heermeister nennt. Verwalter der Stadt, eingesetzt vom Schwarzen Drachen, tausend Mal gepriesen sei sein Name und geküsst der Boden auf dem er schreitet. Balius spuckte aus und schnippte die glimmende Zigarette in den Staub.
Die Stadt kann ihm nicht sehr am Herzen liegen, wenn er einen wie dich als ihren Verwalter auswählt. Der Kriegerführer kniff die Augen zusammen. Kenne ich dich nicht? Bist du nicht schon durch die Ruinen geasselt, als ich mit Kogan und Melanie hier ankam? Den Fürst und die Seherin bei ihren sterblichen Namen zu nennen war eine Herabwürdigung, die nicht nur den Heermeister erschaudern ließ, sondern auch umstehende Rasankuri und Palta mit Bestürzung erfüllte.
Ich war da, als ihr die Stadt betratet. Und ich bin es noch immer…
Bis jetzt!

Das mag so sein. Ich war damals ein Diener Rasankurs und ich bin es heute. Wenn die Götter bescheiden mich von meinem Posten abzuberufen, dann werden sie mich dazu bereit finden.
Vielleicht bin ich ja die Verkörperung des göttlichen Willens. Vielleicht ist es an mir, deine Abdankung voranzutreiben.
Ein kalkuliert lauernder Unterton legte sich in Balius Stimme. Er beugte sich vor und war sich ganz klar der Aura aus Gewalt bewusst, die ihn umgab.
Das mag so sein. Der Heermeister spielte mit der Kapsel in seinem Mund und schob sie dann wieder unter die Zunge. Was ihm eigentlich Angst hätte machen müssten, nämlich die Tatsache, dass er hochkonzentriertes Gift im Mund hatte, erfüllte ihn im Gegenteil mit einem Gefühl der Bestärkung. Nicht dieser brutale Wilde würde ihm die Bedingungen seines Todes aufdiktieren.
Und selbstverständlich könnte ich Euch nicht im Geringsten daran hindern, mich zu entleiben. Die Frage stellt sich, was Ihr dadurch gewonnen hättet?
Der Stadt ihres momentanen Anführers beraubt, würde ich mal sagen.
Das wohl kaum… Denkt ihr, großer Balius, ich würde persönlich vor Euch erscheinen, auf dass Ihr mich erschlagt, wenn ich tatsächlich das Oberhaupt der Stadt wäre.
Ich habe verlangt mit dem Oberhaupt der Stadt zu sprechen und ihr habt euch selbst als deren Verwalter bezeichnet. Wenn ihr mich getäuscht habt, dann ist dann Leben so der oder so verwirkt.
Oh Herr Balius, Ihr mögt ein gewaltiger Krieger sein und einer Schar noch gewaltigerer Kämpfer vorstehen, doch verzeiht mir wenn ich es so schonungslos sage, vor dem Rachen der Bestie “Intrige”, die in den Mauern dieses Palastes haust, seit ihr ein Kind.
Die umstehenden, grauen Giganten schienen Schwierigkeiten zu haben, dem Gesagten zu folgen. In Balius wiederum kochte es.
Wenn du den Selbstmord suchst, in dem du mich beleidigst, so bist du auf dem besten Weg dein Ziel zu erreichen, kleiner Mann.
Nichts läge mir ferner. Bevor ihr mich im Zorn niederstreckt, lasst mich meine Worte erläutern.
Balius machte eine unwillige Handbewegung, die seinen Gesprächspartner aber doch das Weiterreden gebot.
Seit Eurer Ankunft in Rasankur, seit dem Erwachen der Stadt, wandle ich zwischen Männern, Frauen und allem möglichem Anderen, die mir im Großteil alle körperlich überlegen sind. Sie sind schneller, stärker, schnell und oftmals gewiss auch schlauer als ich. Warum also bin ich immernoch da wo ich bin? Noch am Leben und sogar auf einer Position von gewissem Einfluss?
Erhelle mich kleiner Mann.
Weil ich es als Strategie zum Überleben auserkoren habe, meinem Herren und Fürsten, dem Schwarzen Drachen von Rasankur, die Wahrheit ohne jedwede Schönfärberei zu sagen.
Eine gefährliche Strategie, aber die einzige, die mir zu Gebote steht. Trotz all der Schnörkel und großen Gesten in der höfischen Sprache, neige ich zur Wahrheit. Meist hilft mir der Umstand, dass diese in kalten Zahlen besteht, die nur schwerlich für eine Lüge taugen. Wenn ich Euch nun also als ein Kind vor dem Schlund der Intrige bezeichne, dann gewiss nicht, um meinen eigenen Tod heraufzubeschwören, sondern weil ich es als die Wahrheit ansehe.
Der Hof, mit all seinen Ämtern, Posten, Schranzen und Funktionären ist eine fein austarierte Maschinerie, die zu beherrschen eine Kunst für sich ist und die mehr Gefahren birgt als jedes Schlachtfeld.
Du willst mich von der Eroberung des Palastes abhalten, indem du mich vor den Intrigen bei Hofe warnst?
Das ist lächerlich.
Ich werde sie schlicht alle hinrichten lassen und den Hof mit meinen Anhängern bevölkern. Problem erkannt, Problem gebannt.

Oh das wäre überaus weise.
Natürlich würde es die Infrastruktur und die Verwaltung des Stadtstaates empfindlich treffen, all die verantwortlichen Köpfe von ihren Schultern zu trennen. Aber auf lange Sicht doch angeraten. In den Reihen eurer Streiter finden sich gewiss gar qualifiziertere Denker und Macher. Etwa der Wasserwirtschaft, Energiegewinnung und Verwaltung, Rationierung, die die Interessen der verschieden Götterkulte in der Waage hält und mit dem Kult des Drachen in Einklang bringt. Wobei gerade Letzteres delikat werden könnte, da ihr, mächtiger Balius, ja nicht als die Verkörperung des Drachens geltet.
Glaubst du ich merke nicht was du hier treibst?
Brummte Balius, dabei aber sehr viel mürrischer.
Gewiss bemerkt ihr es. Ich versuche den Palast, seine Bewohner und letztlich die Bewohner der Stadt vor eurem und dem Zorn eurer Krieger zu bewahren.
Zum Abzug wirst du mich kaum bewegen, Heermeister.
Das weiß ich natürlich.
Was ich versuche, ist zu erfahren was euch antreibt. Unser Herr ist fort, das wisst Ihr besser als ich, denn Ihr wart dabei als er dieser Welt entrissen wurde. Ihr, dessen Weg die Stärke ist, seht nun die Schwäche der Stadt und greift nach ihr.
Aber ist es dass was ihr wirklich wollt?
Eine Stadt aus Bürgern und Handwerkern verwalten, deren Stärkste fort sind oder sich bereits um euer Banner scharren? Nahrung und Versorgung könnt ihr gewiss erzwingen. Aber müsst ihr dafür nicht die Mauern erklimmen und… so euer Sieg auch recht wahrscheinlich anmutet, doch verlustreich sein dürfte.
Du spielst ein geschicktes Spiel, für jemanden der so wenig herausragend scheint. Ich kann das anerkennen und vielleicht sogar respektieren. Aber du spielst gegen mich und ich mag es überhaupt nicht zu verlieren. Du hast mir deine Form der Wahrheit jetzt verkündet, daher werde ich dir meine offenbaren.
Ich will nicht so sehr in den Palast, wie ich darunter zu kommen gedenke.

Der Heermeister zupfte ein, mit Spitze besetztes Taschentuch aus seinem Ärmel und wischte sich die Schweiß beperlte Stirn.
Ich verstehe. Und ich denke wir haben hier eine Verhandlungsbasis. Die Sonne bewegte sich in der folgenden Stunde über den Horizont und sorgte dafür, dass sich der Schatten des Palastes von dem, die Verhandlung seines Lebens führenden Heermeister wegbewegte.
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[Kein Betreff] - von - 05-02-2010, 10:12 PM
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