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Turm der Seherin
#10
Gib mir ein wenig Zeit, ruh dich aus. Die kommenden Stunden und Tage werden schwer genug für dich… für uns alle sein. Ich werde alles veranlassen.
Damit verließ Mandias sie und bewies, dass die Schlange ihn nicht grundlos zu ihrer rechten Hand gemacht hatte. Er war ein Organisationstalent sondergleichen.
Er schickte den Jungen mit der Botschaft für die Festung im Dämonentritt los. Er gab ihm eine Laserpistole in die Hand, um wenigstens etwas Schutz gegen die Schrecken der rasankurischen Nacht zu haben. Danach inspizierte er die Waffen, die sie hatten retten können und verteilte sie auf jene, die er für die fähigsten Kämpfer hielt. Einen Teil davon schickte er zu Mauer, traf jedoch Sorge, dass die Verbindung zu dieser Gruppe eng bestehen blieb. Weder wollte er, dass diese Kräfte im Fall der Fälle nicht zur Verfügung standen, noch das sich die Leute, denn Krieger waren es im Großen und Ganzen eigentlich gar nicht, alleingenlassen fühlten.
Carba trug er auf sich um das Wohl ihrer neuen Herrin zu kümmern und genau das tat diese. Sie hatte sich erboten mit zur Mauer zu gehen, was ihr Mandias jedoch abschlug. Er brauchte sie hier, als Autoritätsperson und ausführende Gewalt seines Willens. Also machte sich die muskulöse Mannfrau daran die Zimmer und Säle zu erkunden und etwas Geeignetes für Selari zu finden. Letztlich wurde ein prunkvolles aber nicht zu großes Gemach auserkohren. Möbel, Wandbehänge und anderer Hausrat waren nicht mehr vorhanden. Die in den Boden eingelassene Badegrube war trockengelegt und die erhobene Schlaffläche, auch wenn hier wohl dereinst weniger geschlafen wurde, zeigte sich nackt und wenig einladend, so ohne Kissen, Decken und Felle. Trotzdem war der Prunk dieses Zimmers nicht zu leugnen. Alles war mit weißem Marmor verkleidet, durch den sich Adern aus blau-goldenem Lapislazuli wanden. Wie zufällig auf den ersten Blick, doch Bilder und Szenen der Wonne und der Extreme, bei näherem Hinschauen offenbarend.
Carba schaffte ein verbeultes Kohlebecken herauf, welches etwas Licht und Wärme spendete. Außerdem ein paar wenig elegante Wolldecken, die immerhin als Unterlage für einen kurzen Schlaf dienen mochten. Auch nicht üppiger sah es beim Thema Essen aus. Ein paar gedörrte Früchte und etwas in Salzgras gepökeltes Fleisch, wie es die Rasankuri als Ration mit sich führten. Immerhin gab es Wasser, denn die Anschlüsse des Turmes funktionierten. Genug um sich zu waschen und den Durst zu stillen.
Um die bedenkliche Essenssituation kümmerte sich derweil Mandias… oberflächlich zumindest.
Er hatte einige der Vertrautesten abgestellt, die obere Kammer nach Überresten der Seherin untersuchen sollten, während er selbst zum Palast zurückkehrte. Erneut ließ man ihn, ob seiner Bekanntheit ein, auch wenn der Flüchtlingsstrom inzwischen so weit angestiegen war, dass die bewachenden Rasankuri den Zugang bereits beschränkt hatten. Er begab sich erst zur Küche, wo es ihm gelang einige Vorräte zu ergattern, indem er darauf verwies, dass sie für die Verteidiger der Mauer bestimmt seien. Das man doch sicher nicht die hungern lassen wolle, die im Falle eines Falles für das Wohlergehen der Palastbewohner zuständig seien. Das machte Eindruck sorgte für Erfolg.
Auf dem Rückweg wählte der Pferdeköpfige allerdings nicht den kürzesten Weg zurück, sondern schritt höher, über die Bereiche des Personals hinaus, in die Gemächer der Höflinge.

Nach etwa einer Stunde kam er zum Turm zurück, wo die Essenslieferung bereits angekommen war. Eine weitere, gute Nachricht erwartete ihn.
Fahl war zurückgekehrt. Verletzt an Bein und Schulter, aber lebendig. Ein unschätzbarer Verbündeter mehr, auch wenn er viel Ruhe brauchen würde um wieder ganz der Alte zu werden.
Viele ihrer neuen Schäfchen schliefen bereits den Schlaf der Erschöpfung und auch Mandias spürte die Last des Erlebten.
So süß die Nacht begonnen hatte, so schreckensvoll hatte sie geendet. War es wirklich erst heute Abend gewesen, dass er sich mit Mordplänen getragen, die inzwischen völlig ihren Sinn verloren hatten? Das er einem Mädchen beigewohnt hatte, die er für das flüchtige Vergnügen einer Nacht hielt und die er jetzt Herrin nannte?
Wie eine scharfe Klinge traf ihn jetzt der Verlust Nagaris und er musste sich im Treppenhaus nach oben abstützen. Unhaltbar, wenn ihn so jemand aus der Gefolgschaft gesehen hätte. Mandias, der schwarze Hengst, der nur die Heiterkeit des Vergnügens und die Ernsthaftigkeit der Pflichterfüllung kannte. Trauer stand ihm nicht zu Gesicht und doch füllten sich seine Augen jetzt mit Tränen, bebte sein gewaltiger Leib.
Als von oben Schritte ertönten straffte er sich, wischte sich die vermaledeiten Tränen mit dem Handballen weg und schritt voran. Er würde Trauern und er würde rächen. Dem dunklen Prinzen würde er opfern um ihrer zu gedenken.
Doch alles zu seiner Zeit.
Alles zu seiner Zeit.
Wer da von oben kam war die Gruppe, die er in die Turmkammer geschickt hatte. Er fragte nach ihrem Erfolg und sie präsentierten eine kleine Kristallphiole, auf deren Boden ein paar bräunliche Flöckchen schimmerten. Sie hatten diese Rückstände wortwörtlich aus den Ritzen gekratzt. Es sah aus wie getrocknetes Blut, mochte aber alles Mögliche sein. Er nahm ihnen die magere Ausbeute ab und ging dann seinerseits die Treppe hinauf, um Selari aufzusuchen.
Dort stattete er Bericht ab. Das hier, er hielt das kleine Fläschchen gegen den matten Schein des Kohlefeuers, dass sie wie eingesperrte Glut darin fing, ist alles was wir in der oberen Kammer finden konnten. Genauso gut könnte es nur Kehricht sein. Mehr gab es darüber nicht zu sagen und er übergab es ihr.
Für Nahrung ist gesorgt. Recht üppig sogar. Verhungern und verdursten werden wir allzu bald nicht. Außerdem habe ich unseren Kontakt im Palast aktiviert. Wir können uns morgen bei Sonnenaufgang treffen.
Das heißt, du kannst.
Man wird einen Seiteneingang für dich öffnen.
Nur du, keine Waffen.
Er machte eine längere Pause, schürte das Kohlebecken und blickte aus dem schmalen Fenster in die Nacht.
Hast du dir eigentlich schon überlegt, was deine Agenda… deine Mission sein wird? Immer vorausgesetzt, wir werden nicht von dem was kommt überrollt.
Die Schlange war eine Giftmischerin und eine Händlerin exquisit ausgebildeter Sklaven. Auf diesem Gebiet waren ihre Gefälligkeiten und Seilschaften geknüpft. Das sie sich in ein Abbild Namadas der Sonnenfresserin verwandelt hat, hat ihrem Tun eine gewisse, religiöse Untermauerung verliehen. Eine mit der nicht alle einverstanden waren. In Rasankur ist Glaube auch immer Politik.
Wenn du dich als eine, Gesegnete, eine Anführerin oder Prophetin etablieren willst, so wirst du auf viele Füße treten.
Deine Linie muss dir völlig klar sein oder es wird dir am Ende wie der Schlange ergehen.
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