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Der Glassaal
#6
Hector wartete bis die Gouverneursgattin mitsamt ihrem Kader wieder im Meer der Aristokraten verschwunden war, bevor er sich ein leises Schnauben erlaubte, teils über die überhebliche Arroganz dieser Frau, teils über sich selbst. Es gab wenige Dinge, die Hector so hasste wie Flüchtigkeitsfehler. Keine Rasse der Milchstraße – ausgenommen vielleicht die Orks – neigte derart zu Unaufmerksamkeit und mangelnder Sorgfalt wie die Menschheit und er war der Überzeugung, dass nicht einzelne große Fehlentscheidungen, sondern vielmehr die unzählbare Menge kleiner, sich gegenseitig potenzierender Alltagsfehler das größte Hindernis des Fortschritts sei. Auf dem Weg nach Koron hatte er lediglich die recht oberflächliche Datenbank von Juno Regis Frachtschiff zur Verfügung gehabt und nun hatte ein simpler Schreibfehler aus der Hand irgendeines verfluchten Hinterhofchronisten ihm den Unwillen des halben Saals eingebracht. In unbeholfener Mimese seiner Emotionen gab auch Nand einige scharfe, summende Laute von sich und begann automatisch seine Speichereinheiten und die Aufnahmen des heutigen Tages nach alternativen Referenzen und Hinweisen zur Korrektur des falschen Namens zu durchforsten.
Noch mehr als sein Versprecher besorgten ihn jedoch die übrigen Worte de Wajari’s. Natürlich war er in den Dekaden aktiver Feldarbeit schon öfter mit religiösen Narren und Fanatikern jeder Couleur in Konflikt gekommen, jedoch handelte es sich meistens um lokale Begebenheiten, einzelne Patriarchen der Ekklesiarchie, die die Verehrung von Toten und die irrationale Isolation antiker Artefakte über den Fortschritt stellten oder primitive, planetare Subkulturen, denen das Bewusstsein für die Bedeutung seiner Arbeit fehlte. Selten wagte es jedoch ein lokaler Beamter, geschweige denn die Gattin eines planetaren Gouverneurs derart unverhohlene Drohungen gegen ihn auszusprechen. Lediglich ein weiterer Grund zur Vorsicht…

Auf die Kommentare der anderen Magi hin wandte er sich an Demeron. Verzeiht die Umstände, Bruder. Vielleicht wäre es besser, wenn ich mich nun auf den Weg um das einstudierte Schauspiel, der hohen Herren von Koron nicht weiter zu stören. Auch Kins hörte seine Verabschiedung und nutzte diesen Zeitpunkt um ihn beiseite zu nehmen und ihm eine "kompakte" Aufstellung der Mittel vorzutragen, die ihm für seine Arbeit zur Verfügung gestellt würden. Ein gesamter Zug… Und nicht einfach nur ein Zug, sondern eine vollständig gepanzerte Blaine-Einheit mit zwei Las-Kanonen, die eines Landraiders würdig gewesen wären und einer beigegebenen Versicherung auf unbegrenzte Mittel.

Praktischerweise ersparte Kins ihm die Frage nach einem Grund für diese verdächtige Zuwendung, indem sie ihm ebenso geradeheraus und kompakt die „Bedingung“ erörterte. Daher weht also der Wind: Mit der einen Hand soll ich unser technologisches Erbe in einem Feld religiöser Landminen suchen und mit der anderen im Sumpf des planetaren Mechanicus herumstochern. Das hohe Risiko dieses Auftrags war kaum zu übersehen. Zwar wusste Hector nicht eindeutig, für welche der zahllosen, geheimen Zweige der marsianischen Administration gehörte, zweifelte aber keine Sekunde daran, dass sie unabhängig von ihrem offiziellen Rang deutlich mehr autoritäre Befugnisse und deutlich weniger Skrupel als er besaß. Er fixierte die Maske der zierlichen Techpriesterin und verschränkte nachdenklich die Arme. Ich danke euch für eure Großzügigkeit, Schwester, und werde mein möglichstes tun sie mit Ergebnissen zu rechtfertigen. Zwar scheint mir das ganze auf den ersten Blick ein recht gewagtes Spiel zu sein, doch ich zweifle nicht, dass ihr und eure Organisation in diesem Bereich die umfassendere Expertise besitzt. Selbstverständlich kann ich eurer Bitte um vermehrte Wachsamkeit gerne nachkommen, jedoch werde ich, abhängig davon wie meine Forschungen verlaufen, höchstwahrscheinlich alle Hände voll zutun haben die religiösen Empfindlichkeiten des Ministorums und der Aristokraten im Schach zu halten und euch folglich von eher geringem Nutzen sein können. Ansonsten würde ich fürs erste weitere Fragen vertagen, die sich möglicherweise noch von selbst klären und mich stattdessen auf den Weg zum Bahnhof machen um meine Zeit bestmöglich zu nutzen.

Gemeinsam kehrten sie zur den übrigen Techpriestern zurück und nach zahlreichen formalen und einigen formlosen Abschiedsfloskeln konnte er endlich den stickigen Saal verlassen und seine Schritte richtung Ausgang lenken. Ihm war bei der ganzen Sache alles andere als wohl. Die komplexen Strukturen und abstrakte Denksweise der Diener des Omnissias brachten es mit sich, dass auch interne Intrigen und Konflikte dazu neigten weitaus komplexer zu sein, als in den übrigen Subkulturen innerhalb des Imperiums. Hector‘s persönlichen Bedenken waren gegenüber seiner Berufung zweitrangig und es war sehr wahrscheinlich, dass eine Weigerung ihrer Kooperationsbereitschaft und damit auch seinen Chancen, hinter die Geheimnisse von Koron’s Geschichte zu blicken erheblich geschadet hätte. Obwohl er unnötige Heimlichkeiten gegnüber jeglichen Brüdern und Schwestern verabscheute, würde er Kins spiel wohl oder übel zunächst mitspielen und erst nach der Erhebung weiterer Informationen über die ganze Angelegenheit neu evaluieren.
Die Nachtluft schlug ihm angenehm kalt ins Gesicht, als er und Nand schließlich den Ausgang fanden. Während es in den unteren Stadtteilen von Makropolen kaum einen Unterschied zwischen Tag und Nacht gab, war es hier oben erstaunlich friedlich und Hector genoss diesen seltenen Moment der Ruhe, während er nachdenklich seinen Abstieg zum Bahnhof der Kommerzia begann…

--> Die Eisenbahnstation
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