09-06-2017, 10:56 PM
Die wunderbare Welt der Tiere!
Von Prof. Ignatz Schnabelmayer
Der Nachfolgende Text erreichte uns postalisch und hat einen Weg von mehreren Wochen hinter sich. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand in der Redaktion oder aus dem näheren Umfeld des Dr. Schnabelmayers sagen, wo sich der gute Doktor momentan aufhält. Die spärlichen Fußspuren seiner unbeirrt fortgesetzten Arbeit sind der einzige Hinweis, der uns auf die Unversehrtheit Schnabelmayers geblieben ist.
Anmerkung der Redaktion
Wahnwurm / Amentia Vermis
Als Zoologe liegt es in meinem Wesen, Leben in all seinen Ausprägungen als faszinierend zu betrachten. Damit ist nicht gesagt, dass mir die individuelle Gefährlichkeit oder die Bedrohung für die gesamte Spezies Mensch nicht bewusst wäre, doch habe ich es mir zur Natur gemacht, unvoreingenommen und nüchtern wissenschaftlich an meine Studienobjekte heranzutreten. Ich muss jedoch eingestehen, dass dieser Grundsatz bei dem vorliegenden Exemplar einer Gattung, die ich auf den Namen Amentia Vermis getauft habe, auf eine wahrlich harte Probe gestellt wird. Ich will nichtsdestotrotz versuchen, meine Betrachtungen objektiv und frei von Wertung zu schildern.
Ich bin mit meiner Handvoll Begleitern von Trostheim den Orogangwa hinauf gefahren und wir müssten inzwischen über die Grenze nach Trigara gelangt sein. Bevor wir uns mit unserem Dampfboot ganz in unerforschtes Gebiet wagen, machten wir Station in einer der letzten Festungen, der Zivilisation. Eine Schlangenhäuter Station unter der Führung des Majors a.D. König, bot uns einen Hafen der Bequemlichkeit, nach Tagen voll Strapazen und Mühen. Der Major zeigte sich als umschtiger und galanter Gastwirt, der uns nicht nur Loge frei stellte, sondern uns des abends auch zu sich an die Tafel holte. Einzig getrübt wurde diese Gunstbezeugung von der strikten Weigerung Königs, den treuen und beherzten Sequoyah mit an seinem Tisch zu dulden.
Der ehemalige Soldat hegte eine beachtliche Abneigung gegen die Eingeborenen, auch wenn diese fast neunzig Prozent seiner Dienerschaft und damit seiner Gesellschaft ausmachten. Auch meine Versicherungen, dass Sequoyah nicht einmal vom selben Planeten stamme und mir stets ein guter Freund und Gefährte gewesen sei, änderten nichts daran. Zu sehr erinnerte mein Begleiter König an die Einheimischen, die er nur als „Teufel“ oder „Wilde“ zu titulieren pflegte. Die so Geschmähten machten sich derweil recht wenig aus den Beschimpfungen ihres Arbeitgebers und so sehr ich den Major als Gesellschafter genoss, haftete seiner ganzen Person und wie ich eingestehen muss auch seinem ganzen Heim der Geruch der Malaria und des Blutbrandfiebers an. Stets schien der Major zwischen heiterer Gelassenheit und aufbrodelner Aggressivität zu schwanken. Davon abgesehen zeigte er sich als gebildet und überraschend weltgewandt, wenn man bedachte, dass seine Villa in den dampfenden Dschungeln der Buru- Niederung stand, umgeben von den Pfahlbauten seiner Angestellten. Bei einem guten Brandy sprachen wir über das Weltgeschehen und selbst über Entwicklungen des Sub- Sektors und des Imperiums allgemein. Ich hatte keinen Anlass an der Gelehrsamkeit meines Gesprächspartners zu zweifeln, als er mir zu fortgeschrittener Stunde von den Wahnwürmern zu berichten geruhte, welche diese Region wie eine dämonische Geißel heimsuchen. Im Schein des flackernden Kaminfeuers, erschien mir die Erzählung Königs überaus fantastisch und so auch nicht gänzlich unglaubwürdig, schließlich ist die Natur zu den beachtlichsten Kunststücken fähig, so doch reichlich mit lokaler Folklore angereichert. Der bärbeißige Schlangenhauthändler berichtete von parasitären Würmern, die ihre Opfer in rasende Irre verwandelten, die zu erheblicher Gewalt neigten, unempfindlich gegen Schmerzen seien und denen dabei jegliche Erinnerung an ihr früheres Leben abginge.
Die so Verfluchten würden Fremde gleichermaßen anfallen, wie Angehörige der eigenen Familie und keinerlei Furcht vor Waffen, welcher Art auch immer zeigen. Nur der Tod könne solche Amokläufer in ihrem Tun stoppen und aus diesem Grund würden die ursächlichen Würmer von den Einheimischen auch als Wahnwürmer bezeichnet.
Meinen gelinden Unglauben muss man mir doch angesehen haben, meinte ich doch von einer derart sonderbaren Spezies von Schmarotzer bereits gehört haben zu müssen, so sie denn auf Koron existierte. Der Major geriet jedenfalls in äußerste Rage über meinen Zweifel und als er sein altes Lasergewehr von der Wand riss, dachte ich schon es sei um mich geschehen.
Allein, König wollte, wie er verkündete, lediglich gewappnet sein, wenn wir zu dieser Stunde einen Seitenarm des Orogangwa hinauf fahren würden. Ich lachte ungläubig und vermutete einen Scherz oder eine Folge des reichlich genossenen Alkohols.
Doch nein, König meinte es bitter ernst. Er wolle lieber im Dunkel des Dschungels von einem Wurzelschleicher lebendig verdaut werden, als sich in seinem eigenen Haus einen Lügner nennen zu lassen. Ich suchte ihn zu beschwichtigen, doch da war nichts zu machen.
Wir hatten also nur die Wahl uns ohne die nötige Aufstockung unserer Vorräte zu verabschieden oder auf die Grille des Mannes einzugehen, den sich selbst schon für ein Opfer seines fantastischen Wurms hielt. Schweren Herzens und eine letzte, geruhsame Nacht an mir vorbei streichen sehend, machte ich meine eigene Waffe bereit und entschuldigte mich bei meinen Begleitern, für das Ungemach, welches ich verursacht hatte. Mir zur Seite standen der vierschrötige Sermon Gisborne, der Junge Herr Tränk und nicht zuletzt Sequoyah, gegen den der Major in der freien Wildbahn scheinbar nichts einzuwenden hatte. Mit dem Einbaum ging es gegen Mitternacht den besagten Seitenarm hinauf und nur die Beteuerungen des ortskundigen Majors, dass unser Ziel, ein kleines Eingeborenendorf am Ufer des Flusses, lediglich weniger als vier Kilometer entfernt läge, ließ uns das Wagnis bei der heillosen Dunkelheit der Dschungelnacht eingehen. Unsere Handlampen locken ganze Wolken von Stechfliegen an, so dass wir uns wie verschleierte Weiber unter unserem Schutznetzen verbergen mussten. Mehr als einmal funkelte auch der Widerschein von angestrahlten Raubtieraugen aus dem Dickicht zu uns herüber und ich danke dem Goldenen Thron, dass ich keine visuelle Vorstellung davon hatte, was unter der Wasseroberfläche zu uns herauf blinzeln mochte. Doch wir erreichten das namenlose Dorf unbehelligt und sahen die Feuer der Bewohner aus größerer Entfernung.
Man empfing uns überaus verwundert zu dieser späten Stunde, doch mit der Herzlichkeit, die den Einheimischen dieser Region so eigen ist. Major König genoss einiges an Respekt und wir wurden umgehend von den Ältesten des Dorfes empfangen. Alles Frauen, ganz gemäß der Sitte der küstennahen Stämme. Große Aufregung kam jedoch in die Alten, als unser Führer ihnen verkündete, dass wir gekommen seien um die Besessenen zu besichtigen.
Sie weigerten sich ganz entschieden und behaupteten, so die Übersetzung des Majors korrekt war, dass es schlecht für die Seele sei, sich den Blicken der Besessenen auszusetzen. König versuchte es mit Bestechung und schließlich mit Drohungen, die jungen Mädchen des Dorfes von zukünftigen Jagden auf Perlmutschlangen auszuschließen. Diese zeigte endlich Erfolg und wiederwillig führten sie uns zu einer Grube, in einiger Entfernung zum Dorf. In diesem steilen Loch nun, welches gänzlich von Felswänden gebildet wurde, geiferten zwei Frauen und ein alter Mann zu uns empor. Der Major hatte keinesfalls seine Ehre durch Unaufrichtigkeit beschmutzt, denn was der Fackelschein und unser Lampen da am Grund der Grube enthüllten, war schauerlicher als es jede Erzählung hätte ausmalen können. Die Drei hatten blutigen Schaum vor dem Mund und mühten sich uns zu erreichen, ohne zu erkennen, dass dies an den glatten Wänden des Loches unweigerlich scheitern musste. Sie krallten nach uns und klapperten mit den Zähnen, dass es nur so eine Art hatte.
Entsetzt starrten meine Begleiter und ich zu den Kreaturen hinab, denn Menschen konnten sie kaum länger genannt werden.
Erst das Feuern von Königs Lasergewehr löste uns aus unserer Starre und ließ uns erschrocken herumfahren. Mit drei präzisen Schüssen hatte der Major das Leben der Gefangenen beendet und wenn jemals einer eine Gnadentat getan hat der ich gegenwärtig wurde, so war es diese. Gleichwohl mir der Schreck noch in den Knochen saß, packte mich doch die Neugier und übermannte meine Vernunft und meine Abscheu. Während der Major noch mit den zeternden Ältesten stritt, scheinbar stellte seine Tat irgendeinen abergläubischen Frevel dar, ließ ich mich an dem Seil in die Grube, welches der umsichtige Gisborne mitgenommen hatte. Er schlang sich das Tau auf meinen Wink hin um den stämmigen Leib, was einem umwickelten Baumstamm oder Findling in nichts nachgestanden hätte und ließ das andere Ende in den klaffenden Schlund hinab.
Leicht verzagt nach dem gesehenen, doch im Herzen mutig wie immer, folgte mir Sequoyah mit unserer stärksten Lampe. Die drei Wahnsinnigen waren zweifelsohne tot und als ich mich gerade daran machte sie etwas näher in Augenschein zu nehmen, um einen von Königs Würmern auf die Schliche zu kommen, machte ich Bewegung unter dem Leinenoberteil des Alten aus.
Als ich das Kleidungsstück mit der Spitze meines Messers auseinander klappte, gewahrte ich den Kopf eines Wurms von der Dicke meines kleinen Fingers und eben solcher Länge. Es hatte den Eindruck, als sehe er sich neugierig um, auch wenn keine Augen auszumachen waren und das Verhalten wohl eher auf das unerwartete Ableben seines Wirtes zurückzuführen gewesen sein dürfte.
Ich war bereits mit einem meiner stets mitgeführten Probengläsern bei der hand und hatte meiner Utensilientasche eine lange Kranich- Pinzette entnommen, mit der ich danach trachtete das Tier zu packen. Ich ging vorsichtig zu Werke und es gelang mir den Wurm zu greifen und aus dem Loch in der Brust des Mannes zu ziehen. Wie sich zeigte besaß der Wurm eine beachtliche Länge von dreißig Zentimetern und war recht agil, ja nicht zu sagen aggressiv, bis ihm der Formaldehyd in dem Probenglas den Gar ausmachte. Wir eilten uns den Grubenrand wieder zu erklettern, in Sorge darum, was den Leichen noch alles entschlüpfen mochte.
Eine weise Entscheidung, wie ich derweil weiß und zu recht muss ich mich des Leichtsinns und der Unbesonnenheit beschuldigen lassen. Doch im Eifer des Moments überwog meine Neugier die gebotene Vorsicht. Mir ist nun bewusst, dass ich leicht selbst ein sabbernder Irrer sein und auf dem Grund der Grube eines gnädigen Schusses harren könnte.
Diese Ereignisse liegen nun drei Tage zurück und um eben diese Zeit hat sich unsere Weiterfahrt verzögert. Ich habe die Tage dazu genutzt den Wurm zu untersuchen, einen der Leichname (dieses Mal unter Beachtung gebotener Sicherheitsmaßnahmen) und ich habe mit fast einem Dutzend einheimischer, mittels eines Übersetzers gesprochen.
Die Ergebnisse dieser Forschungen sind überaus erhellend, in Anbetracht der beschränkten Mittel, die mir zur Verfügung stehen. Im Folgenden nun also meine Erkenntnisse über den, von mir Amentia Vermis getauften Organismus.
[CENTER][/CENTER]
Nicht alle Wirte des Wahnwurmes erleiden das Schicksal der drei Einheimischen in der Grube. Nach gesammelten Berichten, scheiden Befallene beim Stuhlgang schleimige Klumpen von Wurmeiern aus, was gewiss wenig angenehm ist sie aber kaum in das Stadium des Wahnsinns versetzt. Amentia scheint zu den Darm bewohnenden Parasiten zu zählen. Er lebt den Großteil seines Lebens im Dünndarm, wo er sich paart, der Eiablage nachkommt und sich von den Verdauungsprodukten seines Wirtes nährt. Die prägnanten Beißwerkzeuge lassen darauf schließen, dass er damit zuweilen auch die Darmschleimhäute verletzt, um sich am Blut des Wirtes gütlich zutun und dort zu verankern.
Nach dem Ausscheiden verbleiben die Eier im Boden oder im Abort, bis sie erneut von einem Wirt aufgenommen werden, vermutlich über die Finger oder über Wasser als Folge mangelnder Hygiene.
Im Dünndarm schlüpft aus den Eiern die Larve, welche sich durch die Darmwände frisst.
Mit dem Blutstrom wandert sie zur Leber, häutet sich dort wieder und wächst weiter. Ihre Reise führt sie danach durch die Vene zum Herzen und weiter in die Lunge In der Lunge angelangt wird das finale Larvenstadium erreicht, wonach sie von den Bronchien und der Luftröhre zum Kehlkopf vordringt. Diesem Tun entspringt unweigerlich ein starkes Husten was dazu führt, dass die Larve entweder ausgespuckt oder aber heruntergeschluckt wird. Ist letzteres des Fall, hat die Larve ihr Ziel erreicht und kehrt wieder zum Dünndarm zurück, wo sie zum erwachsenden Tier heranwächst.
Nun wird sich der Leser fragen, wie sich mir ein derartiger Zyklus in nur drei Tagen oberflächlicher Untersuchungen offenbaren konnte.
Nun, bei der beschriebenen Entwicklung handelt es sich um einen typischen Ablauf bei vergleichbaren parasitären Lebensformen und auch wenn es gewissenhafterer Verifizierung bedarf, als sich sie unter den gegebenen Bedingungen erbringen kann, so legen die von mir ermittelten Fakten doch eine sehr wahrscheinliche Artverwandtschaft und daher übereinstimmende Charakteristika nahe.
Atypisch wird es in dem Moment, da eine Larve eben nicht den Rachenraum erreicht, sondern sich weiter in das Gehirn fortbewegt. Dort angelangt richtet das Tier durch seine bloße Anwesenheit natürlich einigen Schaden an Verwirrtheit, Demenz, Intelligenzverlust, Krämpfe, Kopfschmerz, Gedächtnisverlust und so weiter. Alles Symptome, die bei den Wahnsinnigen in der Grube und bei ähnlich gearteten Fällen so oder so ähnlich beschrieben wurden.
Die zielgerichtete Aggression und die Schmerzunempfindlichkeit erscheinen mir jedoch kein gänzlich zufälliges Ergebnis. Ich habe an dem extrahierten Exemplar einige Protonephridien, sprich Ausscheidungsorgane, ermitteln können, die Absonderungen von giftigen Stoffwechselprodukten erlauben. Es ist denkbar, dass damit eine gewollte Enzephalitis beim Wirt ausgelöst wird, was in Verbindung mit einer Analgesie die Symptome durchaus erklären könnte. Ich möchte betonnen, dass ich mich auf dem Gebiet der Spekulation bewege, doch es ist immerhin vorstellbar, das ein derart ferngesteuerter Mensch sein Dorf und sein Heim aufsucht und durch Gewalt den eigenen Tod provoziert, um die Verbreitung des Wurms zu fördern. Da ein einzelnes Tier diese Aufgabe übernehmen müsste und damit vom verhalten seiner restlichen Artgenossen signifikant abweicht ist ungewöhnlich und bedarf einer eingehenden und repräsentativen Erforschung, die ich zu meinem Bedauern nicht erbringen kann. Hier gebe ich den Staffelstab bereitwillig an nachfolgende Kollegen ab, befriedigt durch die Gewissheit, das Schlaglicht der dokumentierten Entdeckung auf dieses Wesen gerichtet zu haben.
Ich habe vor unserer, für morgen angedachten Weiterfahrt jedenfalls Major König geraten, die Grube mit Promethium füllen und ausbrennen zu lassen. Wir, also meine Begleiter und ich, haben uns nach unserem Abenteuer ordentlich mit Kernseife und mit Essig gereinigt. Keiner von uns verspürt das Verlangen ein Opfer des Wahnwurms zu werden, ob er nun in der Lunge, im Darm oder im Hirn nistet.
Was uns diese Episode alle mal vor Augen geführt hat ist der Umstand, dass in den unbekannten Tiefen des koronischen Dschungels nicht nur Gefahren mit Klauen und Zähnen auf den wagemutigen Forscher lauern. Doch um einen möglichen Schrecken zu wissen, heißt für den Wissbegierigen keineswegs ihm aus dem Weg zu gehen.
Von Prof. Ignatz Schnabelmayer
Der Nachfolgende Text erreichte uns postalisch und hat einen Weg von mehreren Wochen hinter sich. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand in der Redaktion oder aus dem näheren Umfeld des Dr. Schnabelmayers sagen, wo sich der gute Doktor momentan aufhält. Die spärlichen Fußspuren seiner unbeirrt fortgesetzten Arbeit sind der einzige Hinweis, der uns auf die Unversehrtheit Schnabelmayers geblieben ist.
Anmerkung der Redaktion
Wahnwurm / Amentia Vermis
Als Zoologe liegt es in meinem Wesen, Leben in all seinen Ausprägungen als faszinierend zu betrachten. Damit ist nicht gesagt, dass mir die individuelle Gefährlichkeit oder die Bedrohung für die gesamte Spezies Mensch nicht bewusst wäre, doch habe ich es mir zur Natur gemacht, unvoreingenommen und nüchtern wissenschaftlich an meine Studienobjekte heranzutreten. Ich muss jedoch eingestehen, dass dieser Grundsatz bei dem vorliegenden Exemplar einer Gattung, die ich auf den Namen Amentia Vermis getauft habe, auf eine wahrlich harte Probe gestellt wird. Ich will nichtsdestotrotz versuchen, meine Betrachtungen objektiv und frei von Wertung zu schildern.
Ich bin mit meiner Handvoll Begleitern von Trostheim den Orogangwa hinauf gefahren und wir müssten inzwischen über die Grenze nach Trigara gelangt sein. Bevor wir uns mit unserem Dampfboot ganz in unerforschtes Gebiet wagen, machten wir Station in einer der letzten Festungen, der Zivilisation. Eine Schlangenhäuter Station unter der Führung des Majors a.D. König, bot uns einen Hafen der Bequemlichkeit, nach Tagen voll Strapazen und Mühen. Der Major zeigte sich als umschtiger und galanter Gastwirt, der uns nicht nur Loge frei stellte, sondern uns des abends auch zu sich an die Tafel holte. Einzig getrübt wurde diese Gunstbezeugung von der strikten Weigerung Königs, den treuen und beherzten Sequoyah mit an seinem Tisch zu dulden.
Der ehemalige Soldat hegte eine beachtliche Abneigung gegen die Eingeborenen, auch wenn diese fast neunzig Prozent seiner Dienerschaft und damit seiner Gesellschaft ausmachten. Auch meine Versicherungen, dass Sequoyah nicht einmal vom selben Planeten stamme und mir stets ein guter Freund und Gefährte gewesen sei, änderten nichts daran. Zu sehr erinnerte mein Begleiter König an die Einheimischen, die er nur als „Teufel“ oder „Wilde“ zu titulieren pflegte. Die so Geschmähten machten sich derweil recht wenig aus den Beschimpfungen ihres Arbeitgebers und so sehr ich den Major als Gesellschafter genoss, haftete seiner ganzen Person und wie ich eingestehen muss auch seinem ganzen Heim der Geruch der Malaria und des Blutbrandfiebers an. Stets schien der Major zwischen heiterer Gelassenheit und aufbrodelner Aggressivität zu schwanken. Davon abgesehen zeigte er sich als gebildet und überraschend weltgewandt, wenn man bedachte, dass seine Villa in den dampfenden Dschungeln der Buru- Niederung stand, umgeben von den Pfahlbauten seiner Angestellten. Bei einem guten Brandy sprachen wir über das Weltgeschehen und selbst über Entwicklungen des Sub- Sektors und des Imperiums allgemein. Ich hatte keinen Anlass an der Gelehrsamkeit meines Gesprächspartners zu zweifeln, als er mir zu fortgeschrittener Stunde von den Wahnwürmern zu berichten geruhte, welche diese Region wie eine dämonische Geißel heimsuchen. Im Schein des flackernden Kaminfeuers, erschien mir die Erzählung Königs überaus fantastisch und so auch nicht gänzlich unglaubwürdig, schließlich ist die Natur zu den beachtlichsten Kunststücken fähig, so doch reichlich mit lokaler Folklore angereichert. Der bärbeißige Schlangenhauthändler berichtete von parasitären Würmern, die ihre Opfer in rasende Irre verwandelten, die zu erheblicher Gewalt neigten, unempfindlich gegen Schmerzen seien und denen dabei jegliche Erinnerung an ihr früheres Leben abginge.
Die so Verfluchten würden Fremde gleichermaßen anfallen, wie Angehörige der eigenen Familie und keinerlei Furcht vor Waffen, welcher Art auch immer zeigen. Nur der Tod könne solche Amokläufer in ihrem Tun stoppen und aus diesem Grund würden die ursächlichen Würmer von den Einheimischen auch als Wahnwürmer bezeichnet.
Meinen gelinden Unglauben muss man mir doch angesehen haben, meinte ich doch von einer derart sonderbaren Spezies von Schmarotzer bereits gehört haben zu müssen, so sie denn auf Koron existierte. Der Major geriet jedenfalls in äußerste Rage über meinen Zweifel und als er sein altes Lasergewehr von der Wand riss, dachte ich schon es sei um mich geschehen.
Allein, König wollte, wie er verkündete, lediglich gewappnet sein, wenn wir zu dieser Stunde einen Seitenarm des Orogangwa hinauf fahren würden. Ich lachte ungläubig und vermutete einen Scherz oder eine Folge des reichlich genossenen Alkohols.
Doch nein, König meinte es bitter ernst. Er wolle lieber im Dunkel des Dschungels von einem Wurzelschleicher lebendig verdaut werden, als sich in seinem eigenen Haus einen Lügner nennen zu lassen. Ich suchte ihn zu beschwichtigen, doch da war nichts zu machen.
Wir hatten also nur die Wahl uns ohne die nötige Aufstockung unserer Vorräte zu verabschieden oder auf die Grille des Mannes einzugehen, den sich selbst schon für ein Opfer seines fantastischen Wurms hielt. Schweren Herzens und eine letzte, geruhsame Nacht an mir vorbei streichen sehend, machte ich meine eigene Waffe bereit und entschuldigte mich bei meinen Begleitern, für das Ungemach, welches ich verursacht hatte. Mir zur Seite standen der vierschrötige Sermon Gisborne, der Junge Herr Tränk und nicht zuletzt Sequoyah, gegen den der Major in der freien Wildbahn scheinbar nichts einzuwenden hatte. Mit dem Einbaum ging es gegen Mitternacht den besagten Seitenarm hinauf und nur die Beteuerungen des ortskundigen Majors, dass unser Ziel, ein kleines Eingeborenendorf am Ufer des Flusses, lediglich weniger als vier Kilometer entfernt läge, ließ uns das Wagnis bei der heillosen Dunkelheit der Dschungelnacht eingehen. Unsere Handlampen locken ganze Wolken von Stechfliegen an, so dass wir uns wie verschleierte Weiber unter unserem Schutznetzen verbergen mussten. Mehr als einmal funkelte auch der Widerschein von angestrahlten Raubtieraugen aus dem Dickicht zu uns herüber und ich danke dem Goldenen Thron, dass ich keine visuelle Vorstellung davon hatte, was unter der Wasseroberfläche zu uns herauf blinzeln mochte. Doch wir erreichten das namenlose Dorf unbehelligt und sahen die Feuer der Bewohner aus größerer Entfernung.
Man empfing uns überaus verwundert zu dieser späten Stunde, doch mit der Herzlichkeit, die den Einheimischen dieser Region so eigen ist. Major König genoss einiges an Respekt und wir wurden umgehend von den Ältesten des Dorfes empfangen. Alles Frauen, ganz gemäß der Sitte der küstennahen Stämme. Große Aufregung kam jedoch in die Alten, als unser Führer ihnen verkündete, dass wir gekommen seien um die Besessenen zu besichtigen.
Sie weigerten sich ganz entschieden und behaupteten, so die Übersetzung des Majors korrekt war, dass es schlecht für die Seele sei, sich den Blicken der Besessenen auszusetzen. König versuchte es mit Bestechung und schließlich mit Drohungen, die jungen Mädchen des Dorfes von zukünftigen Jagden auf Perlmutschlangen auszuschließen. Diese zeigte endlich Erfolg und wiederwillig führten sie uns zu einer Grube, in einiger Entfernung zum Dorf. In diesem steilen Loch nun, welches gänzlich von Felswänden gebildet wurde, geiferten zwei Frauen und ein alter Mann zu uns empor. Der Major hatte keinesfalls seine Ehre durch Unaufrichtigkeit beschmutzt, denn was der Fackelschein und unser Lampen da am Grund der Grube enthüllten, war schauerlicher als es jede Erzählung hätte ausmalen können. Die Drei hatten blutigen Schaum vor dem Mund und mühten sich uns zu erreichen, ohne zu erkennen, dass dies an den glatten Wänden des Loches unweigerlich scheitern musste. Sie krallten nach uns und klapperten mit den Zähnen, dass es nur so eine Art hatte.
Entsetzt starrten meine Begleiter und ich zu den Kreaturen hinab, denn Menschen konnten sie kaum länger genannt werden.
Erst das Feuern von Königs Lasergewehr löste uns aus unserer Starre und ließ uns erschrocken herumfahren. Mit drei präzisen Schüssen hatte der Major das Leben der Gefangenen beendet und wenn jemals einer eine Gnadentat getan hat der ich gegenwärtig wurde, so war es diese. Gleichwohl mir der Schreck noch in den Knochen saß, packte mich doch die Neugier und übermannte meine Vernunft und meine Abscheu. Während der Major noch mit den zeternden Ältesten stritt, scheinbar stellte seine Tat irgendeinen abergläubischen Frevel dar, ließ ich mich an dem Seil in die Grube, welches der umsichtige Gisborne mitgenommen hatte. Er schlang sich das Tau auf meinen Wink hin um den stämmigen Leib, was einem umwickelten Baumstamm oder Findling in nichts nachgestanden hätte und ließ das andere Ende in den klaffenden Schlund hinab.
Leicht verzagt nach dem gesehenen, doch im Herzen mutig wie immer, folgte mir Sequoyah mit unserer stärksten Lampe. Die drei Wahnsinnigen waren zweifelsohne tot und als ich mich gerade daran machte sie etwas näher in Augenschein zu nehmen, um einen von Königs Würmern auf die Schliche zu kommen, machte ich Bewegung unter dem Leinenoberteil des Alten aus.
Als ich das Kleidungsstück mit der Spitze meines Messers auseinander klappte, gewahrte ich den Kopf eines Wurms von der Dicke meines kleinen Fingers und eben solcher Länge. Es hatte den Eindruck, als sehe er sich neugierig um, auch wenn keine Augen auszumachen waren und das Verhalten wohl eher auf das unerwartete Ableben seines Wirtes zurückzuführen gewesen sein dürfte.
Ich war bereits mit einem meiner stets mitgeführten Probengläsern bei der hand und hatte meiner Utensilientasche eine lange Kranich- Pinzette entnommen, mit der ich danach trachtete das Tier zu packen. Ich ging vorsichtig zu Werke und es gelang mir den Wurm zu greifen und aus dem Loch in der Brust des Mannes zu ziehen. Wie sich zeigte besaß der Wurm eine beachtliche Länge von dreißig Zentimetern und war recht agil, ja nicht zu sagen aggressiv, bis ihm der Formaldehyd in dem Probenglas den Gar ausmachte. Wir eilten uns den Grubenrand wieder zu erklettern, in Sorge darum, was den Leichen noch alles entschlüpfen mochte.
Eine weise Entscheidung, wie ich derweil weiß und zu recht muss ich mich des Leichtsinns und der Unbesonnenheit beschuldigen lassen. Doch im Eifer des Moments überwog meine Neugier die gebotene Vorsicht. Mir ist nun bewusst, dass ich leicht selbst ein sabbernder Irrer sein und auf dem Grund der Grube eines gnädigen Schusses harren könnte.
Diese Ereignisse liegen nun drei Tage zurück und um eben diese Zeit hat sich unsere Weiterfahrt verzögert. Ich habe die Tage dazu genutzt den Wurm zu untersuchen, einen der Leichname (dieses Mal unter Beachtung gebotener Sicherheitsmaßnahmen) und ich habe mit fast einem Dutzend einheimischer, mittels eines Übersetzers gesprochen.
Die Ergebnisse dieser Forschungen sind überaus erhellend, in Anbetracht der beschränkten Mittel, die mir zur Verfügung stehen. Im Folgenden nun also meine Erkenntnisse über den, von mir Amentia Vermis getauften Organismus.
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Nicht alle Wirte des Wahnwurmes erleiden das Schicksal der drei Einheimischen in der Grube. Nach gesammelten Berichten, scheiden Befallene beim Stuhlgang schleimige Klumpen von Wurmeiern aus, was gewiss wenig angenehm ist sie aber kaum in das Stadium des Wahnsinns versetzt. Amentia scheint zu den Darm bewohnenden Parasiten zu zählen. Er lebt den Großteil seines Lebens im Dünndarm, wo er sich paart, der Eiablage nachkommt und sich von den Verdauungsprodukten seines Wirtes nährt. Die prägnanten Beißwerkzeuge lassen darauf schließen, dass er damit zuweilen auch die Darmschleimhäute verletzt, um sich am Blut des Wirtes gütlich zutun und dort zu verankern.
Nach dem Ausscheiden verbleiben die Eier im Boden oder im Abort, bis sie erneut von einem Wirt aufgenommen werden, vermutlich über die Finger oder über Wasser als Folge mangelnder Hygiene.
Im Dünndarm schlüpft aus den Eiern die Larve, welche sich durch die Darmwände frisst.
Mit dem Blutstrom wandert sie zur Leber, häutet sich dort wieder und wächst weiter. Ihre Reise führt sie danach durch die Vene zum Herzen und weiter in die Lunge In der Lunge angelangt wird das finale Larvenstadium erreicht, wonach sie von den Bronchien und der Luftröhre zum Kehlkopf vordringt. Diesem Tun entspringt unweigerlich ein starkes Husten was dazu führt, dass die Larve entweder ausgespuckt oder aber heruntergeschluckt wird. Ist letzteres des Fall, hat die Larve ihr Ziel erreicht und kehrt wieder zum Dünndarm zurück, wo sie zum erwachsenden Tier heranwächst.
Nun wird sich der Leser fragen, wie sich mir ein derartiger Zyklus in nur drei Tagen oberflächlicher Untersuchungen offenbaren konnte.
Nun, bei der beschriebenen Entwicklung handelt es sich um einen typischen Ablauf bei vergleichbaren parasitären Lebensformen und auch wenn es gewissenhafterer Verifizierung bedarf, als sich sie unter den gegebenen Bedingungen erbringen kann, so legen die von mir ermittelten Fakten doch eine sehr wahrscheinliche Artverwandtschaft und daher übereinstimmende Charakteristika nahe.
Atypisch wird es in dem Moment, da eine Larve eben nicht den Rachenraum erreicht, sondern sich weiter in das Gehirn fortbewegt. Dort angelangt richtet das Tier durch seine bloße Anwesenheit natürlich einigen Schaden an Verwirrtheit, Demenz, Intelligenzverlust, Krämpfe, Kopfschmerz, Gedächtnisverlust und so weiter. Alles Symptome, die bei den Wahnsinnigen in der Grube und bei ähnlich gearteten Fällen so oder so ähnlich beschrieben wurden.
Die zielgerichtete Aggression und die Schmerzunempfindlichkeit erscheinen mir jedoch kein gänzlich zufälliges Ergebnis. Ich habe an dem extrahierten Exemplar einige Protonephridien, sprich Ausscheidungsorgane, ermitteln können, die Absonderungen von giftigen Stoffwechselprodukten erlauben. Es ist denkbar, dass damit eine gewollte Enzephalitis beim Wirt ausgelöst wird, was in Verbindung mit einer Analgesie die Symptome durchaus erklären könnte. Ich möchte betonnen, dass ich mich auf dem Gebiet der Spekulation bewege, doch es ist immerhin vorstellbar, das ein derart ferngesteuerter Mensch sein Dorf und sein Heim aufsucht und durch Gewalt den eigenen Tod provoziert, um die Verbreitung des Wurms zu fördern. Da ein einzelnes Tier diese Aufgabe übernehmen müsste und damit vom verhalten seiner restlichen Artgenossen signifikant abweicht ist ungewöhnlich und bedarf einer eingehenden und repräsentativen Erforschung, die ich zu meinem Bedauern nicht erbringen kann. Hier gebe ich den Staffelstab bereitwillig an nachfolgende Kollegen ab, befriedigt durch die Gewissheit, das Schlaglicht der dokumentierten Entdeckung auf dieses Wesen gerichtet zu haben.
Ich habe vor unserer, für morgen angedachten Weiterfahrt jedenfalls Major König geraten, die Grube mit Promethium füllen und ausbrennen zu lassen. Wir, also meine Begleiter und ich, haben uns nach unserem Abenteuer ordentlich mit Kernseife und mit Essig gereinigt. Keiner von uns verspürt das Verlangen ein Opfer des Wahnwurms zu werden, ob er nun in der Lunge, im Darm oder im Hirn nistet.
Was uns diese Episode alle mal vor Augen geführt hat ist der Umstand, dass in den unbekannten Tiefen des koronischen Dschungels nicht nur Gefahren mit Klauen und Zähnen auf den wagemutigen Forscher lauern. Doch um einen möglichen Schrecken zu wissen, heißt für den Wissbegierigen keineswegs ihm aus dem Weg zu gehen.