05-14-2017, 10:38 PM
Simone Tober ist unsere Reporterin für die unangenehmen, aber nichtsdestotrotz wichtigen Aufträge, die der Dienst am gut informierten Leser fordert. Treue Anhänger unseres Blattes werden sie von früheren Berichten aus Krisengebieten, rund um den Globus, her kennen. Einmal mehr ist sie nun unterwegs um von dort zu berichten, wo sich andere Reporter nicht hin wagen. Dieses mal schließt sie sich in ihrer losen Serie „Fronttagebuch“ der Zehnten Infanteriekompanie an und begleitet sie auf einem ihrer Einsätze.
Fronttagebuch
Die Kaserne mit dem geschichtsträchtigen Namen des ausgelöschten Hauses Gamarei unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von jeder anderen in den mittleren Ebenen Gohmors. Ein Himmel aus Stahl, Gebäude aus Backstein, deren Rot lang schon durch Ruß und Abgase in ein schmutziges Braun spielt. Die Bronzestatue hinter dem Haupteingang, durch welchen ich nach umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen schreiten darf, zeigt, wer hätte es gedacht, Feldmarschall von Queesen. Den großen Held des Kriegs der Häuser und allzu beliebten Patron des armen und fantasielosen Tropfes, der große Persönlichkeiten für die, Eingangsbereiche von Kasernen aussuchen muss.
Nicht die beste Arbeit.
Die Gesichtszüge wirken etwas grob, die heroische Pose gekünstelt. Mit gezücktem Säbel deutet er im Metaphorischen auf einen unsichtbaren Feind, im Realen auf die Baracke der Haupttorwache. Die Statur bildet eine Insel in der Ausfahrtzone. Man hat versucht ihr Rundell zu begrünen, was allerdings bei einem Versuch geblieben ist, der künstlichen Beleuchtung sei Dank.
Ich stehe also im Inneren des Kasernengeländes und in ihrer Betriebsamkeit. Soldaten werden im Lauf- oder Gleichschritt geführt, gehen einzeln und in Gruppen ihren Beschäftigungen nach, oder versuchen beschäftigt zu wirken, um dann hinter irgendeiner Ecke zu rauchen, sobald ein übereifriger Vorgesetzter auf ihren Täuschungsversuch hereingefallen ist.
Die Szenerie wird vom allgegenwärtigen Fahrzeuglärm garniert, der nun einmal zu einer mobilen Infanterienheit gehört, wie die hässlich verbrämte Statur am Eingang.
Dennoch gibt es zwei Dinge, die diese Kaserne von den meisten anderen unterscheidet. Das ist als erstes die direkte Lage an der Außenseite der Makropole. Dadurch ist die Gamarai- Kaserne nicht auf jeder Seite, sowie unten und oben, vom Stahl und Beton der angrenzenden Ebenen umschlossen, sondern auf der Westseite offen. Das erlaubt das direkte Anlanden allerlei Luftvehikel und einen prächtigen Blick auf das Meer. Für beides ist immer vorausgesetzt, dass der Smog der Industrieanlagen sich nicht bis hier oben staut. Tut er es doch, dann ist das Verlassen der Gebäude nur mit Atemschutz oder ABC- Schutzmaske möglich.
Tut er es nicht, dann hat man nicht nur eine herrliche Sicht, sondern der frische Wind vertreibt auch die Abgaswolken der Fahrzeuge und sorgt fast schon für angenehme Luft.
Die zweite Besonderheit dieser Kaserne sind ihre Bewohner. Die Zehnte Infanteriekompanie, der Sektorenbrigade 21. Auf besonderen Befehl des Gouverneurs hin, wurde diese Einheit zu einem großen Teil aus Fremdweltlern gebildet. Die einen sagen, um von dem Können und den Erfahrungen so vieler Veteranen verschiedenster Schlachtfelder zu profitieren, die anderen meinen, um der Vorherrschaft der Adelshäuser innerhalb des Offizierscorps der Armee etwas entgegenzusetzen.
Wieder andere sehen darin lediglich eine Laune des Gouverneurs, der schlicht etwas befahl, dass er befehlen konnte. Wie es auch sein mag, die Zehnte stellt ein gewisses Kuriosum dar, welches mich gleich beim Betreten der Einrichtung in seinen Bann schlägt. Eigentlich müsste ich mich umgehend beim Einheitskommandeur, Major Klein melden. Doch da mir vor den anstehenden Formalitäten graut, beschließe ich mir vorher einen TangKahve in der Kantine zu besorgen und mir die Männer und Frauen, mit denen ich auf unbestimmte Zeit mein Leben teilen werde, erst einmal aus der Deckung meiner Tasse heraus anzusehen.
Mein Name ist Simone Tober und ich bin seit nun mehr zehn Jahren Direkterstatter des Gohmor Guardian. In dieser Funktion saß ich mit der Roten Wache in den Schützengräben und hörte mir Schauergeschichten über die Schwarzen Dragoner des Hauses Orsius an. Ich sprach während der Hungeraufstände und Blockrevolten mit Mutanten und den PVS- Polizisten, welche sie auseinander trieben. Ich war vor zwei Monaten für die Leser des Guardians in Horning und berichtete exklusiv von der Belagerung Edos.
Ich möchte mir mit dieser Aufzählung nicht selbst Beifall klatschen oder mich als die erfahrene Berichterstatterin für Kriesen aller Art etikettieren. Jeder Krieg birgt seine ganz individuellen Schrecken und Grausamkeiten und die Erfahrung eines Menschen, der bereits mehrere erlebt hat, beschränkt sich in erster Linie darauf Todesangst in allen nur erdenklichen Fassetten kennengelernt zu haben.
Hinzu kommt ein gewisses Gespür dafür, wann man seine Nase in Dinge steckt, die für den Leser von Bedeutung sind und wann man lieber den Kopf einzieht und mit bangem Herzen auf das Pfeifen der Kugeln lauscht.
Nun letztlich stelle ich mir damit wohl doch ein Zeugnis aus, wenn auch eines, dass wie ich hoffe, dem Leser dieser Reihe glaubhaft vermittelt, dass ich in vielen Dingen weiß wovon ich rede.
Ich habe mit Soldaten der PVS, mit Haustruppen, Paramilitärs und Söldnern so manchen langen Abend in kalten, heißen, zugigen oder feuchten Gefechtsständen verbracht. Ich hoffe daher, keine Fehlbesetzung für die anstehende Reportage zu sein, deren Ziel der Dschungel von Luht sein wird, deren Zwischenziel aber erst einmal das heimliche Betrachten der Soldaten in der Kantine ist.
Die Zehnte hat sich in Horning einen Namen gemacht, allerdings auch kräftig Federn lassen müssen, wenn man es zynisch ausdrücken darf. Diese Verluste wurden in den letzten Wochen durch Versetzungen und neue Rekruten ausgeglichen. Dadurch ergibt sich ein sonderbar gemischtes Bild. Kampfgezeichnete Veteranen mit den Atributen fremder Welten und unerfahrene Milchbärte, von den alten Hasen als „Glatte“ bezeichnet. Mir fällt ein wahrer Riese mit einem gefärbten, blauen Bart auf, der den Berg auf seinem Teller mit gezierter Gabelkunst verkleinert. Neben ihm schlürft eine Frau mit gänzlich brauner oder vielmehr schwarzer Haut ihren TangKahve. Diese Färbung der Haut ist eine Anpassung an die Sonneneinstrahlung einiger Planeten und häufiger als man denken mag. Man könnte es als eine verstärkte Form der abgedunkelten Hautpigmentierung der Äquatorgegend betrachten. Ein weiterer Mann von wahrscheinlich fernen Welten fällt mir auf. Er ist ebenfalls sehr groß, im Gegensatz zu dem Blaubärtigen jedoch unheimlich dünn. Jeder sichtbare Zentimeter seiner Haut ist mit verschlungenen Tätowierungen bedeckt.
Das genaue Gegenteil ist ein gedrungener kleiner Mann, von der Größe eines Kindes. Er trägt einen kapitalen Bauch vor sich her, wirkt, davon abgesehen jedoch nicht weniger durchtrainiert als die anderen Soldaten.
Von all diesen Veteranen geht eine sonderbare Gelassenheit aus. Frauen und Männer, die genug Schrecken und Absonderlichkeiten gesehen haben, um sich von den Nichtigkeiten des Lebens nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Bevor ich meine Feldstudie jedoch weiter vorantreiben kann, habe ich eine Begegnung mit eben jener Spezies der „Glatten“ die lediglich die Strapazen des Grundausbildungsjahres gemeistert haben oder noch nicht einmal dies. Eine Gruppe von drei Burschen ist auf mich aufmerksam geworden und tuschelt auffällig unauffällig miteinander. Schließlich kommt einer von ihnen auf mich zu, während seine beiden Kameraden ihm aufmunternde Gesten als Rückendeckung mit geben.
Der junge Mann ist genau das: sehr jung.
Das er zwanzig Jahreszyklen mitgemacht hat ist eine hoch gegriffene Schätzung. Er lässt sich auf dem Stuhl nieder, welcher meinem auf der anderen Tischseite gegenüber steht. Sein gewinnendes Lächeln konkuriert mit dem Funkeln der Gruppenkampfnadel an seiner Heldenbrust.
Er bekleidet den Rang eines Gefreiten, was alles das Bild eines Jungen formt, der so eben die Grundausbildung hinter sich gebracht hat. Scheinbar recht erfolgreich.
Ob ich mich verlaufen hätte will er mitfühlend wissen.
Aus der Umhängetasche mit dem Bildaufnahmegerät scheint er zu schließen, dass ich etwas mit Presse zu tun habe. Er bietet mir an mich durch die Kaserne zu führen und alles zu erklären. Er könnte mir auch seine Stube zeigen, bedeutet er mit einem mehrdeutigen Zwinkern.
Damit hat der gespielte Witz seine Pointe erreicht und ich löse die Sache auf. Mit einem hoffentlich ebenso freundlichen Lächeln frage ich ihn, ob er das Lied vom Gefreiten kennt?
Ein verwirrtes Stirnrunzeln ist die Antwort.
Mit kräftig tragender Stimme trage ich es ihm vor.
„Gehn sie weiter, gehen sie weiter, sie sind ja nur Gefreiter. Werdn se erst mal Offizier, dann kriegn sie auch ein Kind von mir!“
Ich gebe zu, das meine Singstimme nicht gerade wegweisend ist, doch die Wirkung ist trotzdem die richtige.
So ziemlich alle Köpfe haben sich zu uns umgedreht. Einige grinsen, andere schauen mit mildem Interesse oder Wut über die Anmaßung des jungen Soldaten. Die beiden Kumpels des Gefreiten brechen fast zusammen vor Lachen. Der abgewiesene Soldat erhebt sich ungelenk und mit rot hohem Kopf. Halb wütend, halb verlegen brummt er etwas davon, dass er nur helfen wollte, fügt etwas unverständliches über die Eigenschaften von Zivilisten hinzu und trollt sich.
Später am Tag wird mir der junge Mann noch einmal begegnen. Allein und weniger nassforsch. Er wird sich entschuldigen und dann zu erzählen beginnen. Von seiner Mutter, die Näherin in der mittleren Ebene ist und der er Geld schickt um ihren kargen Lebensunterhalt aufzubessern. Wie stolz sie auf ihn ist und dass es eigentlich nicht seine Art ist, was er in der Kantine abgezogen hat. Ich glaube ihm und helfe mit einigen ermutigenden Worten über die Verlegenheit hinweg.
Vorher jedoch mache ich Major Klein meine Aufwartung. Ein Bär von einem Mann, dem man gerne abnimmt, dass er mit bloßer Hand den Schädel eines Gegners zerquetschen kann. Seine Züge sind so kantig, als seien sie einem Propagandabild zur Truppenanwerbung entnommen. Die ihm eigene Art ruhige und leise zu sprechen stehen dazu in einem Gegensatz, der absonderlich aber nicht unangenehm ist. Er spricht sehr bedacht, doch ein unbekannter Akzent schimmert dennoch sachte durch. Er ist höflich allerdings anfangs etwas reserviert. Nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich weder seine Soldaten als Amme für mich brauche, noch dass ich scharf darauf wäre erschossen zu werden um einen postumen Ehrenpreis zu gewinnen, wird er etwas lockerer. Wir reden über Horning und über seine vormaligen Verwendungen in der Imperialen Armee. Es wird noch etwas mehr als zwei Tage dauern, bis wir aufbrechen, also wird mir eine Stube im Wohnblock F zugeteilt. Leider nicht mit Blick auf das Meer. Dann schlage ich meine erste Schlacht gegen die Bürokratie. Bereits im Büro sind unzählige Papiere auszufüllen, einen weiteren Stapel nehme ich mit auf die Stube. Während ich den Streiter im Papierkrieg gebe, entlasse ich sie und hoffe, dass sie mir und der Zehnten auch im Folgeartikel beistehen werden.
Simone Tober
Um die Integrität der militärischen Operationen zu wahren, werden die Artikel des Fronttagebuchs zeitversetzt abgedruckt.
Anmerkung der Redaktion
Fronttagebuch
Die Kaserne mit dem geschichtsträchtigen Namen des ausgelöschten Hauses Gamarei unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von jeder anderen in den mittleren Ebenen Gohmors. Ein Himmel aus Stahl, Gebäude aus Backstein, deren Rot lang schon durch Ruß und Abgase in ein schmutziges Braun spielt. Die Bronzestatue hinter dem Haupteingang, durch welchen ich nach umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen schreiten darf, zeigt, wer hätte es gedacht, Feldmarschall von Queesen. Den großen Held des Kriegs der Häuser und allzu beliebten Patron des armen und fantasielosen Tropfes, der große Persönlichkeiten für die, Eingangsbereiche von Kasernen aussuchen muss.
Nicht die beste Arbeit.
Die Gesichtszüge wirken etwas grob, die heroische Pose gekünstelt. Mit gezücktem Säbel deutet er im Metaphorischen auf einen unsichtbaren Feind, im Realen auf die Baracke der Haupttorwache. Die Statur bildet eine Insel in der Ausfahrtzone. Man hat versucht ihr Rundell zu begrünen, was allerdings bei einem Versuch geblieben ist, der künstlichen Beleuchtung sei Dank.
Ich stehe also im Inneren des Kasernengeländes und in ihrer Betriebsamkeit. Soldaten werden im Lauf- oder Gleichschritt geführt, gehen einzeln und in Gruppen ihren Beschäftigungen nach, oder versuchen beschäftigt zu wirken, um dann hinter irgendeiner Ecke zu rauchen, sobald ein übereifriger Vorgesetzter auf ihren Täuschungsversuch hereingefallen ist.
Die Szenerie wird vom allgegenwärtigen Fahrzeuglärm garniert, der nun einmal zu einer mobilen Infanterienheit gehört, wie die hässlich verbrämte Statur am Eingang.
Dennoch gibt es zwei Dinge, die diese Kaserne von den meisten anderen unterscheidet. Das ist als erstes die direkte Lage an der Außenseite der Makropole. Dadurch ist die Gamarai- Kaserne nicht auf jeder Seite, sowie unten und oben, vom Stahl und Beton der angrenzenden Ebenen umschlossen, sondern auf der Westseite offen. Das erlaubt das direkte Anlanden allerlei Luftvehikel und einen prächtigen Blick auf das Meer. Für beides ist immer vorausgesetzt, dass der Smog der Industrieanlagen sich nicht bis hier oben staut. Tut er es doch, dann ist das Verlassen der Gebäude nur mit Atemschutz oder ABC- Schutzmaske möglich.
Tut er es nicht, dann hat man nicht nur eine herrliche Sicht, sondern der frische Wind vertreibt auch die Abgaswolken der Fahrzeuge und sorgt fast schon für angenehme Luft.
Die zweite Besonderheit dieser Kaserne sind ihre Bewohner. Die Zehnte Infanteriekompanie, der Sektorenbrigade 21. Auf besonderen Befehl des Gouverneurs hin, wurde diese Einheit zu einem großen Teil aus Fremdweltlern gebildet. Die einen sagen, um von dem Können und den Erfahrungen so vieler Veteranen verschiedenster Schlachtfelder zu profitieren, die anderen meinen, um der Vorherrschaft der Adelshäuser innerhalb des Offizierscorps der Armee etwas entgegenzusetzen.
Wieder andere sehen darin lediglich eine Laune des Gouverneurs, der schlicht etwas befahl, dass er befehlen konnte. Wie es auch sein mag, die Zehnte stellt ein gewisses Kuriosum dar, welches mich gleich beim Betreten der Einrichtung in seinen Bann schlägt. Eigentlich müsste ich mich umgehend beim Einheitskommandeur, Major Klein melden. Doch da mir vor den anstehenden Formalitäten graut, beschließe ich mir vorher einen TangKahve in der Kantine zu besorgen und mir die Männer und Frauen, mit denen ich auf unbestimmte Zeit mein Leben teilen werde, erst einmal aus der Deckung meiner Tasse heraus anzusehen.
Mein Name ist Simone Tober und ich bin seit nun mehr zehn Jahren Direkterstatter des Gohmor Guardian. In dieser Funktion saß ich mit der Roten Wache in den Schützengräben und hörte mir Schauergeschichten über die Schwarzen Dragoner des Hauses Orsius an. Ich sprach während der Hungeraufstände und Blockrevolten mit Mutanten und den PVS- Polizisten, welche sie auseinander trieben. Ich war vor zwei Monaten für die Leser des Guardians in Horning und berichtete exklusiv von der Belagerung Edos.
Ich möchte mir mit dieser Aufzählung nicht selbst Beifall klatschen oder mich als die erfahrene Berichterstatterin für Kriesen aller Art etikettieren. Jeder Krieg birgt seine ganz individuellen Schrecken und Grausamkeiten und die Erfahrung eines Menschen, der bereits mehrere erlebt hat, beschränkt sich in erster Linie darauf Todesangst in allen nur erdenklichen Fassetten kennengelernt zu haben.
Hinzu kommt ein gewisses Gespür dafür, wann man seine Nase in Dinge steckt, die für den Leser von Bedeutung sind und wann man lieber den Kopf einzieht und mit bangem Herzen auf das Pfeifen der Kugeln lauscht.
Nun letztlich stelle ich mir damit wohl doch ein Zeugnis aus, wenn auch eines, dass wie ich hoffe, dem Leser dieser Reihe glaubhaft vermittelt, dass ich in vielen Dingen weiß wovon ich rede.
Ich habe mit Soldaten der PVS, mit Haustruppen, Paramilitärs und Söldnern so manchen langen Abend in kalten, heißen, zugigen oder feuchten Gefechtsständen verbracht. Ich hoffe daher, keine Fehlbesetzung für die anstehende Reportage zu sein, deren Ziel der Dschungel von Luht sein wird, deren Zwischenziel aber erst einmal das heimliche Betrachten der Soldaten in der Kantine ist.
Die Zehnte hat sich in Horning einen Namen gemacht, allerdings auch kräftig Federn lassen müssen, wenn man es zynisch ausdrücken darf. Diese Verluste wurden in den letzten Wochen durch Versetzungen und neue Rekruten ausgeglichen. Dadurch ergibt sich ein sonderbar gemischtes Bild. Kampfgezeichnete Veteranen mit den Atributen fremder Welten und unerfahrene Milchbärte, von den alten Hasen als „Glatte“ bezeichnet. Mir fällt ein wahrer Riese mit einem gefärbten, blauen Bart auf, der den Berg auf seinem Teller mit gezierter Gabelkunst verkleinert. Neben ihm schlürft eine Frau mit gänzlich brauner oder vielmehr schwarzer Haut ihren TangKahve. Diese Färbung der Haut ist eine Anpassung an die Sonneneinstrahlung einiger Planeten und häufiger als man denken mag. Man könnte es als eine verstärkte Form der abgedunkelten Hautpigmentierung der Äquatorgegend betrachten. Ein weiterer Mann von wahrscheinlich fernen Welten fällt mir auf. Er ist ebenfalls sehr groß, im Gegensatz zu dem Blaubärtigen jedoch unheimlich dünn. Jeder sichtbare Zentimeter seiner Haut ist mit verschlungenen Tätowierungen bedeckt.
Das genaue Gegenteil ist ein gedrungener kleiner Mann, von der Größe eines Kindes. Er trägt einen kapitalen Bauch vor sich her, wirkt, davon abgesehen jedoch nicht weniger durchtrainiert als die anderen Soldaten.
Von all diesen Veteranen geht eine sonderbare Gelassenheit aus. Frauen und Männer, die genug Schrecken und Absonderlichkeiten gesehen haben, um sich von den Nichtigkeiten des Lebens nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Bevor ich meine Feldstudie jedoch weiter vorantreiben kann, habe ich eine Begegnung mit eben jener Spezies der „Glatten“ die lediglich die Strapazen des Grundausbildungsjahres gemeistert haben oder noch nicht einmal dies. Eine Gruppe von drei Burschen ist auf mich aufmerksam geworden und tuschelt auffällig unauffällig miteinander. Schließlich kommt einer von ihnen auf mich zu, während seine beiden Kameraden ihm aufmunternde Gesten als Rückendeckung mit geben.
Der junge Mann ist genau das: sehr jung.
Das er zwanzig Jahreszyklen mitgemacht hat ist eine hoch gegriffene Schätzung. Er lässt sich auf dem Stuhl nieder, welcher meinem auf der anderen Tischseite gegenüber steht. Sein gewinnendes Lächeln konkuriert mit dem Funkeln der Gruppenkampfnadel an seiner Heldenbrust.
Er bekleidet den Rang eines Gefreiten, was alles das Bild eines Jungen formt, der so eben die Grundausbildung hinter sich gebracht hat. Scheinbar recht erfolgreich.
Ob ich mich verlaufen hätte will er mitfühlend wissen.
Aus der Umhängetasche mit dem Bildaufnahmegerät scheint er zu schließen, dass ich etwas mit Presse zu tun habe. Er bietet mir an mich durch die Kaserne zu führen und alles zu erklären. Er könnte mir auch seine Stube zeigen, bedeutet er mit einem mehrdeutigen Zwinkern.
Damit hat der gespielte Witz seine Pointe erreicht und ich löse die Sache auf. Mit einem hoffentlich ebenso freundlichen Lächeln frage ich ihn, ob er das Lied vom Gefreiten kennt?
Ein verwirrtes Stirnrunzeln ist die Antwort.
Mit kräftig tragender Stimme trage ich es ihm vor.
„Gehn sie weiter, gehen sie weiter, sie sind ja nur Gefreiter. Werdn se erst mal Offizier, dann kriegn sie auch ein Kind von mir!“
Ich gebe zu, das meine Singstimme nicht gerade wegweisend ist, doch die Wirkung ist trotzdem die richtige.
So ziemlich alle Köpfe haben sich zu uns umgedreht. Einige grinsen, andere schauen mit mildem Interesse oder Wut über die Anmaßung des jungen Soldaten. Die beiden Kumpels des Gefreiten brechen fast zusammen vor Lachen. Der abgewiesene Soldat erhebt sich ungelenk und mit rot hohem Kopf. Halb wütend, halb verlegen brummt er etwas davon, dass er nur helfen wollte, fügt etwas unverständliches über die Eigenschaften von Zivilisten hinzu und trollt sich.
Später am Tag wird mir der junge Mann noch einmal begegnen. Allein und weniger nassforsch. Er wird sich entschuldigen und dann zu erzählen beginnen. Von seiner Mutter, die Näherin in der mittleren Ebene ist und der er Geld schickt um ihren kargen Lebensunterhalt aufzubessern. Wie stolz sie auf ihn ist und dass es eigentlich nicht seine Art ist, was er in der Kantine abgezogen hat. Ich glaube ihm und helfe mit einigen ermutigenden Worten über die Verlegenheit hinweg.
Vorher jedoch mache ich Major Klein meine Aufwartung. Ein Bär von einem Mann, dem man gerne abnimmt, dass er mit bloßer Hand den Schädel eines Gegners zerquetschen kann. Seine Züge sind so kantig, als seien sie einem Propagandabild zur Truppenanwerbung entnommen. Die ihm eigene Art ruhige und leise zu sprechen stehen dazu in einem Gegensatz, der absonderlich aber nicht unangenehm ist. Er spricht sehr bedacht, doch ein unbekannter Akzent schimmert dennoch sachte durch. Er ist höflich allerdings anfangs etwas reserviert. Nachdem ich ihm erklärt habe, dass ich weder seine Soldaten als Amme für mich brauche, noch dass ich scharf darauf wäre erschossen zu werden um einen postumen Ehrenpreis zu gewinnen, wird er etwas lockerer. Wir reden über Horning und über seine vormaligen Verwendungen in der Imperialen Armee. Es wird noch etwas mehr als zwei Tage dauern, bis wir aufbrechen, also wird mir eine Stube im Wohnblock F zugeteilt. Leider nicht mit Blick auf das Meer. Dann schlage ich meine erste Schlacht gegen die Bürokratie. Bereits im Büro sind unzählige Papiere auszufüllen, einen weiteren Stapel nehme ich mit auf die Stube. Während ich den Streiter im Papierkrieg gebe, entlasse ich sie und hoffe, dass sie mir und der Zehnten auch im Folgeartikel beistehen werden.
Simone Tober
Um die Integrität der militärischen Operationen zu wahren, werden die Artikel des Fronttagebuchs zeitversetzt abgedruckt.
Anmerkung der Redaktion