03-20-2017, 11:29 PM
Der Wagen zerplatze regelrecht. Als das Schiebeschild und dann die hässliche Schnauze durch das Fahrzeug brachen, als sei es nicht viel mehr, als eine weitere Sanddüne. In einer Kaskade aus Lichtreflexen flogen Teile nach allen Seiten, Der Motorblock, oder besser der verdrehte Schrott, der er einmal gewesen war, segelte als brennender Brocken Schlacke davon. In dem Chaos des Aufpralls sah Darrel für einen Herzschlag ein rotes Aufblühen, welches sich sogleich mit der Staubwand vereinte. Er musste unwillkürlich an einen fetten Käfer denken, der auf die Windschutzscheibe klatschte. Sein Magen schlug einen Salto und das lag nicht am Tempo seiner Fahrt.
Der LKW hupte mit dem Triumpfgebrüll einer urzeitlichen Bestie. Brachial und gleichzeitig fröhlich.
Die beiden Flüchtenden hatten ebenso wenig eine Chance auf Überleben, wie Darrel eine Chance hatte sie rechtzeitig zu erreichen.
Sie blickten sich immer wieder nach dem Monstrum in ihrem Nacken um, welches den Abstand spielerisch schrumpfen ließ. Der Grenzer brüllte vor Frustration, hieb zornig gegen den Wagenhimmel, als wolle er ein störrisches Reittier zu mehr Geschwindigkeit anspornen. Sein Dienstwagen arbeitete an der Leistungsgrenze und die Temponadel des Tachometers zitterte im roten Bereich. Das Paar starb in keinster Weise so, dass es für eine romantische Erzählung als Stoff hätte dienen können. Dafür war nicht nur die Art des Verhängnisses verantwortlich, sondern auch der Umstand, dass der Bursche die Hand seiner Freundin abschüttelte und dem Tod so einige Meter abtrotzte. Das war keine schöne Sache, auch wenn Darrel es auf beschämende Art und Weise nachvollziehen konnte.
In den letzten Sekunden waren sich vermutlich die meisten Menschen selbst der Nächste.
Das Mädchen wurde von dem LKW regelrecht verschluckt. In einem Moment war sie noch da, dann kam die Bestie über sie und tilgte sie schlicht und unspektakulär vom Angesicht dieser Welt. Kein Blut, keine fliegenden Gliedmaßen, zumindest nicht so das man sie ausmachen konnte. Was sich in der Bugwelle aus Staub abspielte sah gewiss anders aus.
Der Junge drehte sich vor dem Ende noch einmal um, blickte seinem Verfolger in die hässliche Fratze. Dann war auch er an der Reihe. Das schnelle Ableben seiner Gefährtin war ihm nicht vergönnt. Darin mochte eine Ironie, ausgleichende Gerechtigkeit liegen, oder schlichtes Pech. Der LKW nahm ihn auf die Hörner und für schrecklich lange Sekunden konnte der heranrasende Polizist mit ansehen, wie der Bursche schreiend auf dem Räumschild der Zugmaschine hing. Wie er den Aufprall überlebt hatte blieb Darrel schleierhaft, aber das kreideweiße Gesicht in dem Wirbel aus rotem Staub lebte definitiv noch.
Sekunden, die sich zu Ewigkeiten zu strecken schienen, hing der Junge zwischen den rostigen Zähnen der Bestie, wie eine grausige Kühlerfigur oder eine Jagdtrophäe. Dann rutschte er langsam. Er wurde Stückchenweise unter den Stahl gezogen und verschwand schließlich ganz.
Der LKW wurde ein wenig langsamer, Darrel nicht.
Er hielt direkt auf das Fahrzeug zu, steuerte mit einer Hand und zog mit der anderen seine Pistole. Es war eine schwere Waffe, dazu bestimmt dem Gesetz auch in den gesetzlosesten Gegenden Geltung zu verschaffen. Trotzdem, nicht einmal die Hohlspitzgeschosse würden bei dieser Geschwindigkeit eine Wirkung auf die Reifen des LKWs haben. Noch so ein Groschenheftmythos. Das Zerschießen von Reifen in voller Fahrt war alles andere als ein Leichtes. Die Kugeln prallten von den sich schnell drehenden Rädern ab. Außerdem hatten diese Lastzüge oftmals verstärkte Doppelreifen. Doch selbst wenn er all diese Fakten nicht gewusst hätte, Darrel hatte nicht die Absicht dem Bastard nur die Reifen zu zerschießen.
Die jungen Städter hatte er nicht retten können, blieb also nur sie zu rächen.
Er ging vom Gas, trat die Bremse und ließ den Wagen herumschleudern. Die Fliehkraft war so groß, dass sich sein Gefährt fast einmal um die eigene Achse drehte. Darrel ließ es geschehen, senkte den Fuß wieder auf das Gaspedal und verfolgte den LKW jetzt auf gerader Linie, schloss schnell auf. Der Mordwagen ließ sich von seinem Verfolger nicht stören. Er lenkte leicht ein, um im weiten Bogen auf seinen ursprünglichen Kurs zurück zu finden. Der Mord an den vier Jungendlichten kaum mehr als ein kurzes Intermezzo, eine heitere Unterbrechung einer ansonsten langweiligen Fahrt durch die Wüste.
Darrel tauchte in den Schweif aus Staub ein. Spielerisch kam er auf eine Höhe mit der Fahrerkabine. Dieser Vorteil war umso schmerzlicher, da er nicht schnell genug gewesen war um den Kids beizustehen. Das Protokoll sah vor, dass er den Schlepper über den Lautsprecher auf dem Dach anrufen und zum Anhalten auffordern sollte. Doch das würde nicht geschehen. Ein Knopfdruck an der Lenkradarmatur ließ die Scheibe auf der Beifahrerseite herunter gleiten. Heulend brach der Fahrtwind ins Wageninnere ein und brachte roten Staub, Hitze und brüllenden Motorenlärm mit sich. Mit Zeigefinger und Daumen schob Darrel sich die Schutzbrille vor die Augen, das Halstuch vor Mund und Nase. Die Pistole legte er dabei nicht aus der Hand. Vielmehr klickte er den Sicherungshebel um und die verchromte Schutzkapsel an der Front der Waffe teilte sich und gab den Lauf frei.
Der LKW stieß nach ihm! Er schwenkte träge aus, ein halbherziger Versuch den Polizeiwagen zu rammen, kaum mehr als ein Büffel, der mit dem Schwanz nach lästigen Fliegen schlägt. Dem Angriff zu entkommen war ein Leichtes, ein kleines Rucken am Lenkrad und das Auto entzog sich dem Stoß. Darrel musste ohnehin etwas Abstand gewinnen um die hoch liegende Fahrerkabine ins Visier zu bekommen.
Er hob den Arm, zeigte mit der Mündung auf Tür und Seitenfenster des LKWs.
Er feuerte!
Die Pistole bockte in seiner Faust, einmal, dreimal, fünfmal, dann ein siebtes Mal. So schnell wie Darrel befähigt war den Finger zu krümmen spuckte sie ihre tödlichen Insassen auf den Schlepper. Ein kleiner Kreis aus silbernen Stanzlöchern entstand dort, wo der Polizist den Fahrer vermutete, dann zeichneten zwei Kugeln Spinnennetze in die dreckverkustete Scheiben. Das Glas zersprang nicht, auch wenn Darrel sicher war, dass seine Munition selbst durch das kugelsicheres Glas gedrungen sein würde.
Was Folgte untermauerte seine Vermutung.
Der LKW bremste abrupt ab. Die Kaskaden aus Staub steigerten sich noch einmal. Der Polizeiwagen schoss weiter, während der Laster langsamer wurde. Kreischende Bremsen, in der alles umhüllenden Wolke brach der Auflieger unvermittelt aus, schwenkte nach einigen Metern wieder hinter der Zugmaschine ein, schlingerte in die andere Richtung, drohte für einem Moment zu kippen und fing sich dann. Der Bremsweg war lang doch schließlich kam der LKW tatsächlich zum Stehen. Auch Darrel wurde langsamer, fuhr eine Kurve und näherte sich dem gefällten Monster im Schritttempo. Träge verzog sich die rote Wolke und gestatte nun erstmals einen ganzheitlichen Blick auf das waidwunde Ungeheuer. Die Fracht des Fahrzeuges stellte ein Konstrukt dar, das an einen Tank gemahnte, aber keinerlei Deckel oder Befüllungsöffnungen aufwies. Unter als dem verharschten Schmutz war eine Farbe schwerlich auszumachen, auch wenn Darrel auf irgendetwas in Richtung weißlich tippte. Nun, wo der Motor seines eigenen Wagens, mit dem Langsamerwerden etwas weniger brachial röhrte, konnte er hören, dass von dem LKW ein durchgehender Hupton ausging. Ansonsten zeigte das Vehikel keinerlei Aktivität mehr.
Der Wagen hielt knirschend auf dem steinigen Boden. Ohne den Blick von der durchgehend hupenden Bestie zu nehmen, schob er ein neues Magazin in die Waffe und wartete auf das kurze Doppelpiepen, welches den korrekten Ladezustand bescheinigte. Dann öffnete er die Tür und stieg aus.
Er näherte sich zügig aber nicht überhastet, die Waffe in die Armbeuge der angewinkelten Linken gelegt. Sein Blick zuckte zu dem Räumschild, in dessen verbeulter unterer Hälfte Steine steckten. Weiter oben hatte sich etwas verfangen, was von der Größe her auch ein Stein hätte sein können, ihn aber aus entsetzten, wenngleich leblosen Augen anstarrte. Darrel gönnte sich keinen Moment des Ekels. Auskotzen konnte er sich, wenn das ganze hier vorbei war.
In gemessenem Abstand hatte er die lange Schnauze des LKWs hinter sich gelassen und kam nun auf Höhe der Fahrertür.
„Hey!“ Versuchte er das Quäken der Hupe zu übertönen, deren Nerv tötendes Monotongeräusch langsam in den Ohren zu schmerzen begann.
Keine Reaktion. Dort wo die Tür mit dem Rahmen der Kabine abschloss, tropfte es rot heraus. Auf dem Trittbrett hatte sich bereits eine kleine Lache gebildete, auf der sich Staubkörner von gleicher Farbe abzeichneten. Darrel war versucht noch ein Magazin durch die Tür zu jagen, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Ließ es dann aber. Er wollte in seinem Bericht nicht mehr Protokollbrüche verschleiern müssen als nötig.
Langsam näherte er sich der Seite, Schritt für Schritt. Wäre in diesem Moment das Hupen verstummt, er hätte die Kabine trotz aller Überlegungen zersiebt. Aber das geschah nicht. Quälend dröhnte das Signalhorn vor sich hin. Halb um es endlich hinter sich zu bringen, halb um das Geräusch abzuwürgen, setzte er einen Fuß auf den untersten Tritt, riss die Tür auf und sprang im selben Moment zurück.
Die Tür schwang auf, etwas zögerlich, da sie durch ihr Alter und das eigene Gewicht schräg in den Angeln hing. Aus dem Inneren der Kabine drang ein erbärmlicher Gestank. Ein Geruch nach altem Schweiß, verbrauchter Luft, Fäkalien, Blut und undefinierbarer, schwerer Süße. Der Fahrer hing zusammengesackt auf dem gewaltigen Lenkrad. Doch nicht sein vornübergebeugter Körper hatte die Hube ausgelöst, wie Darrel es vermutet hatte. Vielmehr war der rechte Arm des Truckers nach oben verrenkt und hing schlaff im Seilzug des Signalhorns. Richtig, diese Wüstenschiffe hatten meist Zughupen der alten Art. Diesen Irrtum seinerseits nahm Darrel jedoch nur am Rande wahr. Zu sehr war er von dem Toten eingenommen. Was war das für ein Typ?
Der Kerl trug eine Art Schutzanzug, oder eher noch eine Rüstung. Metallplatten schützen den Körper. Rot mit goldenen Applikationen, alles verschnörkelt und verziert. Er wusste nicht woher, doch das Wort „Barrock“ trieb durchs Darrels Geist. Kunstvoll und verspielt, dabei doch aggressiv, wie ein bösartiges Insekt, dessen schillernder Panzer nicht über die Zangen des Kiefers hinwegtäuschen können. Der Tote, dass er tot war verrieten die Einschusslöcher in der Seite, aus denen dunkles Blut träge hervor sickerte, hatte eine Atemflasche auf dem Rücken. Unmöglich sich damit bequem im Sitz zurückzulehnen, er musste permanent vorgebäugt und verkrampft hinter dem Lenkrad gehockt haben. Schwarze Schläuche führten zu einer Maske, die in ihrer Gestaltung an die Fratze irgendeines Fabelwesens oder Dämons gemahnte.
„Was zur Hölle bist du denn für einer?“ Fragte er den Leichnam durch das dämpfende Tuch vor seinem Gesicht hindurch. Die Leiche blieb ihm die Antwort schuldig. Dass der Fahrer nicht nur den Toten spielte um seinen Angreifer zu täuschen war ziemlich eindeutig. Die abstruse Rüstung hatte der panzerbrechenden Munition des Polizisten keinen wirklichen Widerstand leisten können. Vier der abgegebenen Schüsse hatten ihr Ziel gefunden und da das Blut nur mehr aus den Wunden tröpfelte, stand kein funktionierendes Herz mehr dahinter, welches die Zirkulation vorantrieb. Darrel steckte die Waffe in das Halfter zurück und setzte erneut einen Fuß auf den Tritt. Er drückte sich hoch und lehnte den Oberkörper in die Kabine. Wenn der Tote dieses Atemgerät benutzt hatte um dem selbst fabrizierten Gestank zu entgehen, dann hatte er gut daran getan. Darrel würgte ob der Dünste, die die Kabine beherrschten. Er zerrte am Arm des Toten herum, um ihn aus der Leine des Signalhorns zu befreien. Der leblose, gepanzerte Arm war schwer aber letztlich gelang es ihm und nach Motoren, Schüssen und Hupe war die einsetzende Stille ohrenbetäubend.
Seine Bemühungen hatten zur Folge, dass der Tote zur Seite kippte und auf ihn zu rutschte. Da Darrel darauf aus war so wenig Körperkontakt wie möglich mit diesem stinkenden Verrückten in Kauf zu nehmen, schwang er sich wie ein Affe zur Seite und ließ den Körper an sich vorbei ins Freie sacken. Hart schlug die Leiche auf und wenn er nicht schon hinüber gewesen wäre, jetzt wäre er es vermutlich gewesen. Denn sein Kopf wurde unnatürlich zur Seite genickt, als er mit dem gesamten Gewicht seiner abstrusen Rüstung darauf landete. Es knirschte unschön. Darrel blickte von Oben auf den Toten und hätte sich gewünscht grimmige Befriedigung zu verspüren, den Mörder der Jugendlichen so entwürdigt zu seinen Füßen zu sehen. Doch die ganze, surreale Situation und das langsam abflauende Adrenalin in seiner Blutbahn, ließen ihn im Augenblick gar nichts fühlen. Das würde heute Abend kommen, wenn er auf der Sache bei einem Whisky herumdachte. Doch bis dahin würde er noch einiges zu tun haben und noch mehr erklären müssen. Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf die Fahrerkabine. Vielleicht ließen sich Hinweise auf die Herkunft des LKWs finden. So etwas wie Frachtpapiere oder eine Routenliste. Doch seine diesbezügliche Hoffnung schwand schnell. Der Fahrer war ganz eindeutig des Wahnsinns Beute gewesen. Die gesamte Fahrerkabine war mittels Fettkreide mit kantigen, irgendwie bösartig aussehenden Symbolen beschrieben. Jeder noch so kleine Freiraum war damit beschmiert wurden. An der Decke hing ein funktionsuntüchtig aussehendes Funkgerät, von dessen Halterung ein abartiger Fetisch aus Federn, dem verwachsenen Totenkopf eines kleinen Vogel und… Darrel würgte… einem menschlichen Ohr hing. Darum schwirrten Fliegen. Der Wüstencop spuckte bittere Galle in den Fußraum, in dem sich der Müll stapelte. Verpackungen von Notrationen, irgendwelche Buchseiten, Getränkedosen und Essensreste. Nur um die Pedale waren Mulden in diesen Teppich aus Abfall gescharrt wurden. Es bedurfte einiges an aufgebrachter Willenskraft sich weiter nach vorn zu beugen um das Handschuhfach zu begutachten. Dabei fiel ihm die Puppe auf, die ordentlich auf dem Beifahrersitz saß. Absonderlich, dass es bei der wilden Fahrt nicht in den Fußraum gefallen oder wenigstens zur Seite gekippt war. Es war eines dieser billigen Dinger, wie sie Kinder für ein paar Schekel auf dem Rummel gewinnen konnten. Sie war nackt, es fehlte ein Arm und man hatte ihr mit Lippenstift ein breites Grinsen auf das Gesicht gemalt. Irgendwie zog das für Darrel einen dicken Strich unter das Urteil es mit einem komplett Irren zu tun gehabt zu haben. Mehr noch als selbst der Mehrfahrmord und die durchgeknallte Aufmachung des Toten. Er ignorierte das entstellte Spielzeug angestrengt und langte nach dem Handschuhfach, in dem der letzte Funken Hoffnung irgendeine Art von Identifizierung glomm. Das sich der Vorhang bewegte, der die Fahrerkabine von der schmalen Schlafkabine hinter den Sitzen abtrennte, registrierte er zwar, doch seine geschundenen Nerven sahen darin seine eigene Schuld. Zu sehr hatten Körper und Geist sich darüber geeinigt, dass der Kampf erledigt war und dass es nun galt die Scherben aufzufegen. Erst als er das Unendlichzeichen des stummeligen Flintenlaufes sah, blitzte Ärger über die eigene Nachlässigkeit auf. Seine Hand zuckte zur Waffe, der Donner der Entladung kam schneller.
Die abgefeuerten Läufe spien ihren Inhalt auf den Polizisten und trafen in an Hals und Brust. Seine halb aufgerichtete Haltung, gepaart mit dem Hammerschlag des Treffers, warf ihn zurück und schleuderte ihn aus der Kabine. Schmerzen explodierten in seiner Brust und er bemerkte den harten Aufprall auf der Leiche des Fahrers gar nicht. Er wusste nur, dass er plötzlich im Freien war, in einer Wolke aus Staub und sich mit den Beinen von dem Toten abstieß, was ihn ein paar kümmerliche Meter von der Zugmaschine weg brachte. Er tastete nach seinem Hals und fasste in ein breiiges Schlamassel, dass feucht und sämig an seinen Fingern klebte. Er konnte nicht atmen, als ob er unter Wasser wäre, als ob er Wasser schluckte. Aber das war doch albern, er war in der Wüste. Er wollte etwas sagen, wollte Fluchen, um Hilfe rufen oder seine Verwunderung über alles hier äußern, er wusste es selbst nicht. Doch dem was von seiner Kehle noch übrig war, entrang sich nur ein gurgelndes Stöhnen. Mit verschwimmenden Blick konnte Darrel ausmachen, wie sich im Halbdunkel der Fahrerkabine eine Gestalt abmühte sich zwischen den Sitzen hindurch aus der Schlafnische hervorzuschieben. Diese Person trug auch so einen merkwürdigen Schutzanzug, auch wenn die Verzierungen und die Maske nicht eins zu eins der des Toten glichen. Auch war diese Person zierlicher und etwas kleiner als der leblose Fahrer. Vielleicht eine Frau. Darrel spekulierte darüber, auch wenn ihm klar war, dass er sich eher darüber Gedanken machen sollte, dass er nicht mehr richtig atmen konnte und dass seine Beine kalt und taub zu werden begangen. Er ließ von seinem Hals ab und schob sich halb liegend, halb auf dem Hintern rutschend, ein weiteres Stück von dem LKW und seiner tödlichen Fracht weg. Dabei musste er Blut von dem erschossenen Fahrer mit sich gezogen haben. Es war doch unmöglich, dass die rote Schleifspur von ihm stammte.
Die Tür der Kabine quietschte, als der Beifahrer sich an ihr fest hielt und mit den schweren Stiefeln Halt auf dem blutnassen Tritt suchte. In der anderen Hand hielt sie eine rostige, noch rauchende Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Als letzte Stufe nutzte sie den Körper ihres leblosen Kameraden. Darrel hatte seine eigene Waffe ziehen und die Frau erledigen können. Doch in seiner Situation kam er gar nicht auf den Gedanken. Er war zu sehr damit beschäftigt dem Tod ein paar weitere, feucht keuchende Sekunden abzuringen.
Die Frau in der Rüstung versuchte die Schrotflinte zu öffnen, scheiterte aber an dem schlechten Pflegezustand der Waffe. Sie drehte den Oberkörper ein wenig und warf sie zu dem restlichen Müll im Fußraum der Kabine. Ohne Hast machte sie zwei Schritte auf den Polizisten zu, der seinerseits versuchte von ihr fort zu kriechen. Gleichwohl ein reichlich aussichtsloses Unterfangen. Jetzt konnte er den Atem der Frau hören, der vernehmlich durch die Schläuche ihrer Maske rasselte und seine eigenen Bemühungen, Luft in die Lungen zu ziehen, zu verspotten schien. In ihrem hastlosen Schritt ging sie leicht in die Hocke und zog eine lange, boshaft gezähnte Klinge aus ihrem Stiefelschaft. Diese Waffe war ebenso braun von Rost wie die Flinte. Doch die Schneide glänzte in geschliffener Schärfe. Dieses oxidierte Stück Stahl verhieß kein erlösend schnelles Ende und brachte Darrel dazu sich nun doch seiner Waffe zu entsinnen. Er nestelte mit tauben und schlüpfrigen Fingern am Holster herum, bekam den Druckknopf jedoch nicht auf. Eine Tätigkeit, die ihm ansonsten keine bewusste Wahrnehmung mehr wert gewesen war. Es war ohnehin zu spät. Die Frau war heran und kniete sich neben ihn. Ihre behandschuhte Hand ging ebenfalls zum Halfter. Sie drückte seine Hand fast sanft beiseite, schlug sich dann etwas energischer fort, als er seinen Versuch nicht aufgeben wollte. Nicht brutal. Eher wie bei einem störrischen Kind, das die Dummheit der eignen Handlung nicht einsehen wollte. Mit frustrierender Leichtigkeit zog sie Darrels Pistole, besah sie sich kurz und warf sie dann weg. Die Waffe landete etwa zwei Meter weiter im Staub und hätte damit auch am anderen Ende der Wüste liegen können. Die Frau, dass es definitiv eine war konnte Darrel erkennen, wenn er in die Augen hinter den schmierigen, runden Sichtgläser der Maske sah, betrachtete ihn nur. Blickte ihn ausdruckslos an, atmete aufreizend schwer durch den Filter. Selbst ohne das Messer in ihrer Hand hätte Darrel nun keinen Angriff mehr auf sie unternehmen können. Alle Kräfte hatten ihn verlassen, sein Leib war nur noch ein kalter Klumpen Fleisch, die Ränder seines Sichtfeldes wurden bereits grau, die Farbe schien aus der Welt zu tropfen wie der Lebenssaft aus ihm ran.
„Wa…“ Mehr ein krächzender Laut als ein wirkliches Wort, doch die Frau schien zu verstehen. Sie legte den Kopf schräg und ihr Blick lächelte. Darrel konnte sehen, dass eines ihre Augen rot war, weil Äderchen darinnen geplatzt sein mussten.
„Warum?“ Ihre Stimme war angenehm, wenn auch durch das Material ihrer Maske gedämpft wie durch Watte. Der Polizist konnte bereits nicht mehr tun, als mit zunehmender Entrückung zu ihr aufzublicken. Alle verbleibende Kraft floss in die Bemühung neben Blut auch etwas Luft einzusaugen.
Sie blickte auf, als überlege sie oder horche auf ein fernes Geräusch. Dann sah sie flüchtig über die Schulter und zu dem LKW. Das Monster stand stumm da, warf einen scharf geschnittenen Schatten und sein Schiebeschild ließ es grinsen.
Die Frau sah wieder zu Darrel, hob das Messer und tippte sich mit der Spitze zwei Mal gegen das Sichtfenster über dem blutigen Auge. Das leise Klicken, mit dem der Stahl das Glas berührte, hörte Darrel sogar über dem auffrischenden Wind.
„Auf roten Rössern tragen wir den Wahnsinn zu euch.“ Die Worte klangen verträumt, als spräche sie mehr zu sich selbst als zu dem Mann. Letztlich stimme das auch, denn der Verwundete hatte aufgehört zu atmen und lag nun still. Sie lauschte wieder, während ihr Gesagtes vom Wind in die Wüste getragen wurde und sich roter Flugsand an dem Toten fing und seine Konturen bereits dem Land anglich. Die Frau ließ das ungebrauchte Messer wieder im Schaft ihres Stiefels verschwinden und erhob sich. Ohne den Kopf noch einmal nach dem toten Grenzer umzudrehen ging sie zurück zum LKW. Sie nutzte die Leiche wieder um auf deren ursprünglichen Platz zu klettern. Ihre Hand griff nach der Tür und der LKW verschluckte sie.
Schwarze Abgaswolken aus den aufragenden Auspuffrohren begleiteten das Erwachen des Motors. Der Schlepper ruckte an und beschrieb einen Bogen. Das Hinterrad der Zugmaschine überrollte die ausgestreckten Beine der gepanzerten Leichte und zerquetschte sie, ohne dass sich der Reifen auch nur spürbar hob. Dann passierte der LKW das Polizeiauto, auf dessen Dach noch immer Lichtsignale Aufmerksamkeit einforderten.
Langsam sein Tempo steigern, richtete sich die Bestie wieder auf die Stadt aus, die irgendwo hinter dem Horizont liegen musste.
Der LKW hupte mit dem Triumpfgebrüll einer urzeitlichen Bestie. Brachial und gleichzeitig fröhlich.
Die beiden Flüchtenden hatten ebenso wenig eine Chance auf Überleben, wie Darrel eine Chance hatte sie rechtzeitig zu erreichen.
Sie blickten sich immer wieder nach dem Monstrum in ihrem Nacken um, welches den Abstand spielerisch schrumpfen ließ. Der Grenzer brüllte vor Frustration, hieb zornig gegen den Wagenhimmel, als wolle er ein störrisches Reittier zu mehr Geschwindigkeit anspornen. Sein Dienstwagen arbeitete an der Leistungsgrenze und die Temponadel des Tachometers zitterte im roten Bereich. Das Paar starb in keinster Weise so, dass es für eine romantische Erzählung als Stoff hätte dienen können. Dafür war nicht nur die Art des Verhängnisses verantwortlich, sondern auch der Umstand, dass der Bursche die Hand seiner Freundin abschüttelte und dem Tod so einige Meter abtrotzte. Das war keine schöne Sache, auch wenn Darrel es auf beschämende Art und Weise nachvollziehen konnte.
In den letzten Sekunden waren sich vermutlich die meisten Menschen selbst der Nächste.
Das Mädchen wurde von dem LKW regelrecht verschluckt. In einem Moment war sie noch da, dann kam die Bestie über sie und tilgte sie schlicht und unspektakulär vom Angesicht dieser Welt. Kein Blut, keine fliegenden Gliedmaßen, zumindest nicht so das man sie ausmachen konnte. Was sich in der Bugwelle aus Staub abspielte sah gewiss anders aus.
Der Junge drehte sich vor dem Ende noch einmal um, blickte seinem Verfolger in die hässliche Fratze. Dann war auch er an der Reihe. Das schnelle Ableben seiner Gefährtin war ihm nicht vergönnt. Darin mochte eine Ironie, ausgleichende Gerechtigkeit liegen, oder schlichtes Pech. Der LKW nahm ihn auf die Hörner und für schrecklich lange Sekunden konnte der heranrasende Polizist mit ansehen, wie der Bursche schreiend auf dem Räumschild der Zugmaschine hing. Wie er den Aufprall überlebt hatte blieb Darrel schleierhaft, aber das kreideweiße Gesicht in dem Wirbel aus rotem Staub lebte definitiv noch.
Sekunden, die sich zu Ewigkeiten zu strecken schienen, hing der Junge zwischen den rostigen Zähnen der Bestie, wie eine grausige Kühlerfigur oder eine Jagdtrophäe. Dann rutschte er langsam. Er wurde Stückchenweise unter den Stahl gezogen und verschwand schließlich ganz.
Der LKW wurde ein wenig langsamer, Darrel nicht.
Er hielt direkt auf das Fahrzeug zu, steuerte mit einer Hand und zog mit der anderen seine Pistole. Es war eine schwere Waffe, dazu bestimmt dem Gesetz auch in den gesetzlosesten Gegenden Geltung zu verschaffen. Trotzdem, nicht einmal die Hohlspitzgeschosse würden bei dieser Geschwindigkeit eine Wirkung auf die Reifen des LKWs haben. Noch so ein Groschenheftmythos. Das Zerschießen von Reifen in voller Fahrt war alles andere als ein Leichtes. Die Kugeln prallten von den sich schnell drehenden Rädern ab. Außerdem hatten diese Lastzüge oftmals verstärkte Doppelreifen. Doch selbst wenn er all diese Fakten nicht gewusst hätte, Darrel hatte nicht die Absicht dem Bastard nur die Reifen zu zerschießen.
Die jungen Städter hatte er nicht retten können, blieb also nur sie zu rächen.
Er ging vom Gas, trat die Bremse und ließ den Wagen herumschleudern. Die Fliehkraft war so groß, dass sich sein Gefährt fast einmal um die eigene Achse drehte. Darrel ließ es geschehen, senkte den Fuß wieder auf das Gaspedal und verfolgte den LKW jetzt auf gerader Linie, schloss schnell auf. Der Mordwagen ließ sich von seinem Verfolger nicht stören. Er lenkte leicht ein, um im weiten Bogen auf seinen ursprünglichen Kurs zurück zu finden. Der Mord an den vier Jungendlichten kaum mehr als ein kurzes Intermezzo, eine heitere Unterbrechung einer ansonsten langweiligen Fahrt durch die Wüste.
Darrel tauchte in den Schweif aus Staub ein. Spielerisch kam er auf eine Höhe mit der Fahrerkabine. Dieser Vorteil war umso schmerzlicher, da er nicht schnell genug gewesen war um den Kids beizustehen. Das Protokoll sah vor, dass er den Schlepper über den Lautsprecher auf dem Dach anrufen und zum Anhalten auffordern sollte. Doch das würde nicht geschehen. Ein Knopfdruck an der Lenkradarmatur ließ die Scheibe auf der Beifahrerseite herunter gleiten. Heulend brach der Fahrtwind ins Wageninnere ein und brachte roten Staub, Hitze und brüllenden Motorenlärm mit sich. Mit Zeigefinger und Daumen schob Darrel sich die Schutzbrille vor die Augen, das Halstuch vor Mund und Nase. Die Pistole legte er dabei nicht aus der Hand. Vielmehr klickte er den Sicherungshebel um und die verchromte Schutzkapsel an der Front der Waffe teilte sich und gab den Lauf frei.
Der LKW stieß nach ihm! Er schwenkte träge aus, ein halbherziger Versuch den Polizeiwagen zu rammen, kaum mehr als ein Büffel, der mit dem Schwanz nach lästigen Fliegen schlägt. Dem Angriff zu entkommen war ein Leichtes, ein kleines Rucken am Lenkrad und das Auto entzog sich dem Stoß. Darrel musste ohnehin etwas Abstand gewinnen um die hoch liegende Fahrerkabine ins Visier zu bekommen.
Er hob den Arm, zeigte mit der Mündung auf Tür und Seitenfenster des LKWs.
Er feuerte!
Die Pistole bockte in seiner Faust, einmal, dreimal, fünfmal, dann ein siebtes Mal. So schnell wie Darrel befähigt war den Finger zu krümmen spuckte sie ihre tödlichen Insassen auf den Schlepper. Ein kleiner Kreis aus silbernen Stanzlöchern entstand dort, wo der Polizist den Fahrer vermutete, dann zeichneten zwei Kugeln Spinnennetze in die dreckverkustete Scheiben. Das Glas zersprang nicht, auch wenn Darrel sicher war, dass seine Munition selbst durch das kugelsicheres Glas gedrungen sein würde.
Was Folgte untermauerte seine Vermutung.
Der LKW bremste abrupt ab. Die Kaskaden aus Staub steigerten sich noch einmal. Der Polizeiwagen schoss weiter, während der Laster langsamer wurde. Kreischende Bremsen, in der alles umhüllenden Wolke brach der Auflieger unvermittelt aus, schwenkte nach einigen Metern wieder hinter der Zugmaschine ein, schlingerte in die andere Richtung, drohte für einem Moment zu kippen und fing sich dann. Der Bremsweg war lang doch schließlich kam der LKW tatsächlich zum Stehen. Auch Darrel wurde langsamer, fuhr eine Kurve und näherte sich dem gefällten Monster im Schritttempo. Träge verzog sich die rote Wolke und gestatte nun erstmals einen ganzheitlichen Blick auf das waidwunde Ungeheuer. Die Fracht des Fahrzeuges stellte ein Konstrukt dar, das an einen Tank gemahnte, aber keinerlei Deckel oder Befüllungsöffnungen aufwies. Unter als dem verharschten Schmutz war eine Farbe schwerlich auszumachen, auch wenn Darrel auf irgendetwas in Richtung weißlich tippte. Nun, wo der Motor seines eigenen Wagens, mit dem Langsamerwerden etwas weniger brachial röhrte, konnte er hören, dass von dem LKW ein durchgehender Hupton ausging. Ansonsten zeigte das Vehikel keinerlei Aktivität mehr.
Der Wagen hielt knirschend auf dem steinigen Boden. Ohne den Blick von der durchgehend hupenden Bestie zu nehmen, schob er ein neues Magazin in die Waffe und wartete auf das kurze Doppelpiepen, welches den korrekten Ladezustand bescheinigte. Dann öffnete er die Tür und stieg aus.
Er näherte sich zügig aber nicht überhastet, die Waffe in die Armbeuge der angewinkelten Linken gelegt. Sein Blick zuckte zu dem Räumschild, in dessen verbeulter unterer Hälfte Steine steckten. Weiter oben hatte sich etwas verfangen, was von der Größe her auch ein Stein hätte sein können, ihn aber aus entsetzten, wenngleich leblosen Augen anstarrte. Darrel gönnte sich keinen Moment des Ekels. Auskotzen konnte er sich, wenn das ganze hier vorbei war.
In gemessenem Abstand hatte er die lange Schnauze des LKWs hinter sich gelassen und kam nun auf Höhe der Fahrertür.
„Hey!“ Versuchte er das Quäken der Hupe zu übertönen, deren Nerv tötendes Monotongeräusch langsam in den Ohren zu schmerzen begann.
Keine Reaktion. Dort wo die Tür mit dem Rahmen der Kabine abschloss, tropfte es rot heraus. Auf dem Trittbrett hatte sich bereits eine kleine Lache gebildete, auf der sich Staubkörner von gleicher Farbe abzeichneten. Darrel war versucht noch ein Magazin durch die Tür zu jagen, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Ließ es dann aber. Er wollte in seinem Bericht nicht mehr Protokollbrüche verschleiern müssen als nötig.
Langsam näherte er sich der Seite, Schritt für Schritt. Wäre in diesem Moment das Hupen verstummt, er hätte die Kabine trotz aller Überlegungen zersiebt. Aber das geschah nicht. Quälend dröhnte das Signalhorn vor sich hin. Halb um es endlich hinter sich zu bringen, halb um das Geräusch abzuwürgen, setzte er einen Fuß auf den untersten Tritt, riss die Tür auf und sprang im selben Moment zurück.
Die Tür schwang auf, etwas zögerlich, da sie durch ihr Alter und das eigene Gewicht schräg in den Angeln hing. Aus dem Inneren der Kabine drang ein erbärmlicher Gestank. Ein Geruch nach altem Schweiß, verbrauchter Luft, Fäkalien, Blut und undefinierbarer, schwerer Süße. Der Fahrer hing zusammengesackt auf dem gewaltigen Lenkrad. Doch nicht sein vornübergebeugter Körper hatte die Hube ausgelöst, wie Darrel es vermutet hatte. Vielmehr war der rechte Arm des Truckers nach oben verrenkt und hing schlaff im Seilzug des Signalhorns. Richtig, diese Wüstenschiffe hatten meist Zughupen der alten Art. Diesen Irrtum seinerseits nahm Darrel jedoch nur am Rande wahr. Zu sehr war er von dem Toten eingenommen. Was war das für ein Typ?
Der Kerl trug eine Art Schutzanzug, oder eher noch eine Rüstung. Metallplatten schützen den Körper. Rot mit goldenen Applikationen, alles verschnörkelt und verziert. Er wusste nicht woher, doch das Wort „Barrock“ trieb durchs Darrels Geist. Kunstvoll und verspielt, dabei doch aggressiv, wie ein bösartiges Insekt, dessen schillernder Panzer nicht über die Zangen des Kiefers hinwegtäuschen können. Der Tote, dass er tot war verrieten die Einschusslöcher in der Seite, aus denen dunkles Blut träge hervor sickerte, hatte eine Atemflasche auf dem Rücken. Unmöglich sich damit bequem im Sitz zurückzulehnen, er musste permanent vorgebäugt und verkrampft hinter dem Lenkrad gehockt haben. Schwarze Schläuche führten zu einer Maske, die in ihrer Gestaltung an die Fratze irgendeines Fabelwesens oder Dämons gemahnte.
„Was zur Hölle bist du denn für einer?“ Fragte er den Leichnam durch das dämpfende Tuch vor seinem Gesicht hindurch. Die Leiche blieb ihm die Antwort schuldig. Dass der Fahrer nicht nur den Toten spielte um seinen Angreifer zu täuschen war ziemlich eindeutig. Die abstruse Rüstung hatte der panzerbrechenden Munition des Polizisten keinen wirklichen Widerstand leisten können. Vier der abgegebenen Schüsse hatten ihr Ziel gefunden und da das Blut nur mehr aus den Wunden tröpfelte, stand kein funktionierendes Herz mehr dahinter, welches die Zirkulation vorantrieb. Darrel steckte die Waffe in das Halfter zurück und setzte erneut einen Fuß auf den Tritt. Er drückte sich hoch und lehnte den Oberkörper in die Kabine. Wenn der Tote dieses Atemgerät benutzt hatte um dem selbst fabrizierten Gestank zu entgehen, dann hatte er gut daran getan. Darrel würgte ob der Dünste, die die Kabine beherrschten. Er zerrte am Arm des Toten herum, um ihn aus der Leine des Signalhorns zu befreien. Der leblose, gepanzerte Arm war schwer aber letztlich gelang es ihm und nach Motoren, Schüssen und Hupe war die einsetzende Stille ohrenbetäubend.
Seine Bemühungen hatten zur Folge, dass der Tote zur Seite kippte und auf ihn zu rutschte. Da Darrel darauf aus war so wenig Körperkontakt wie möglich mit diesem stinkenden Verrückten in Kauf zu nehmen, schwang er sich wie ein Affe zur Seite und ließ den Körper an sich vorbei ins Freie sacken. Hart schlug die Leiche auf und wenn er nicht schon hinüber gewesen wäre, jetzt wäre er es vermutlich gewesen. Denn sein Kopf wurde unnatürlich zur Seite genickt, als er mit dem gesamten Gewicht seiner abstrusen Rüstung darauf landete. Es knirschte unschön. Darrel blickte von Oben auf den Toten und hätte sich gewünscht grimmige Befriedigung zu verspüren, den Mörder der Jugendlichen so entwürdigt zu seinen Füßen zu sehen. Doch die ganze, surreale Situation und das langsam abflauende Adrenalin in seiner Blutbahn, ließen ihn im Augenblick gar nichts fühlen. Das würde heute Abend kommen, wenn er auf der Sache bei einem Whisky herumdachte. Doch bis dahin würde er noch einiges zu tun haben und noch mehr erklären müssen. Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf die Fahrerkabine. Vielleicht ließen sich Hinweise auf die Herkunft des LKWs finden. So etwas wie Frachtpapiere oder eine Routenliste. Doch seine diesbezügliche Hoffnung schwand schnell. Der Fahrer war ganz eindeutig des Wahnsinns Beute gewesen. Die gesamte Fahrerkabine war mittels Fettkreide mit kantigen, irgendwie bösartig aussehenden Symbolen beschrieben. Jeder noch so kleine Freiraum war damit beschmiert wurden. An der Decke hing ein funktionsuntüchtig aussehendes Funkgerät, von dessen Halterung ein abartiger Fetisch aus Federn, dem verwachsenen Totenkopf eines kleinen Vogel und… Darrel würgte… einem menschlichen Ohr hing. Darum schwirrten Fliegen. Der Wüstencop spuckte bittere Galle in den Fußraum, in dem sich der Müll stapelte. Verpackungen von Notrationen, irgendwelche Buchseiten, Getränkedosen und Essensreste. Nur um die Pedale waren Mulden in diesen Teppich aus Abfall gescharrt wurden. Es bedurfte einiges an aufgebrachter Willenskraft sich weiter nach vorn zu beugen um das Handschuhfach zu begutachten. Dabei fiel ihm die Puppe auf, die ordentlich auf dem Beifahrersitz saß. Absonderlich, dass es bei der wilden Fahrt nicht in den Fußraum gefallen oder wenigstens zur Seite gekippt war. Es war eines dieser billigen Dinger, wie sie Kinder für ein paar Schekel auf dem Rummel gewinnen konnten. Sie war nackt, es fehlte ein Arm und man hatte ihr mit Lippenstift ein breites Grinsen auf das Gesicht gemalt. Irgendwie zog das für Darrel einen dicken Strich unter das Urteil es mit einem komplett Irren zu tun gehabt zu haben. Mehr noch als selbst der Mehrfahrmord und die durchgeknallte Aufmachung des Toten. Er ignorierte das entstellte Spielzeug angestrengt und langte nach dem Handschuhfach, in dem der letzte Funken Hoffnung irgendeine Art von Identifizierung glomm. Das sich der Vorhang bewegte, der die Fahrerkabine von der schmalen Schlafkabine hinter den Sitzen abtrennte, registrierte er zwar, doch seine geschundenen Nerven sahen darin seine eigene Schuld. Zu sehr hatten Körper und Geist sich darüber geeinigt, dass der Kampf erledigt war und dass es nun galt die Scherben aufzufegen. Erst als er das Unendlichzeichen des stummeligen Flintenlaufes sah, blitzte Ärger über die eigene Nachlässigkeit auf. Seine Hand zuckte zur Waffe, der Donner der Entladung kam schneller.
Die abgefeuerten Läufe spien ihren Inhalt auf den Polizisten und trafen in an Hals und Brust. Seine halb aufgerichtete Haltung, gepaart mit dem Hammerschlag des Treffers, warf ihn zurück und schleuderte ihn aus der Kabine. Schmerzen explodierten in seiner Brust und er bemerkte den harten Aufprall auf der Leiche des Fahrers gar nicht. Er wusste nur, dass er plötzlich im Freien war, in einer Wolke aus Staub und sich mit den Beinen von dem Toten abstieß, was ihn ein paar kümmerliche Meter von der Zugmaschine weg brachte. Er tastete nach seinem Hals und fasste in ein breiiges Schlamassel, dass feucht und sämig an seinen Fingern klebte. Er konnte nicht atmen, als ob er unter Wasser wäre, als ob er Wasser schluckte. Aber das war doch albern, er war in der Wüste. Er wollte etwas sagen, wollte Fluchen, um Hilfe rufen oder seine Verwunderung über alles hier äußern, er wusste es selbst nicht. Doch dem was von seiner Kehle noch übrig war, entrang sich nur ein gurgelndes Stöhnen. Mit verschwimmenden Blick konnte Darrel ausmachen, wie sich im Halbdunkel der Fahrerkabine eine Gestalt abmühte sich zwischen den Sitzen hindurch aus der Schlafnische hervorzuschieben. Diese Person trug auch so einen merkwürdigen Schutzanzug, auch wenn die Verzierungen und die Maske nicht eins zu eins der des Toten glichen. Auch war diese Person zierlicher und etwas kleiner als der leblose Fahrer. Vielleicht eine Frau. Darrel spekulierte darüber, auch wenn ihm klar war, dass er sich eher darüber Gedanken machen sollte, dass er nicht mehr richtig atmen konnte und dass seine Beine kalt und taub zu werden begangen. Er ließ von seinem Hals ab und schob sich halb liegend, halb auf dem Hintern rutschend, ein weiteres Stück von dem LKW und seiner tödlichen Fracht weg. Dabei musste er Blut von dem erschossenen Fahrer mit sich gezogen haben. Es war doch unmöglich, dass die rote Schleifspur von ihm stammte.
Die Tür der Kabine quietschte, als der Beifahrer sich an ihr fest hielt und mit den schweren Stiefeln Halt auf dem blutnassen Tritt suchte. In der anderen Hand hielt sie eine rostige, noch rauchende Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Als letzte Stufe nutzte sie den Körper ihres leblosen Kameraden. Darrel hatte seine eigene Waffe ziehen und die Frau erledigen können. Doch in seiner Situation kam er gar nicht auf den Gedanken. Er war zu sehr damit beschäftigt dem Tod ein paar weitere, feucht keuchende Sekunden abzuringen.
Die Frau in der Rüstung versuchte die Schrotflinte zu öffnen, scheiterte aber an dem schlechten Pflegezustand der Waffe. Sie drehte den Oberkörper ein wenig und warf sie zu dem restlichen Müll im Fußraum der Kabine. Ohne Hast machte sie zwei Schritte auf den Polizisten zu, der seinerseits versuchte von ihr fort zu kriechen. Gleichwohl ein reichlich aussichtsloses Unterfangen. Jetzt konnte er den Atem der Frau hören, der vernehmlich durch die Schläuche ihrer Maske rasselte und seine eigenen Bemühungen, Luft in die Lungen zu ziehen, zu verspotten schien. In ihrem hastlosen Schritt ging sie leicht in die Hocke und zog eine lange, boshaft gezähnte Klinge aus ihrem Stiefelschaft. Diese Waffe war ebenso braun von Rost wie die Flinte. Doch die Schneide glänzte in geschliffener Schärfe. Dieses oxidierte Stück Stahl verhieß kein erlösend schnelles Ende und brachte Darrel dazu sich nun doch seiner Waffe zu entsinnen. Er nestelte mit tauben und schlüpfrigen Fingern am Holster herum, bekam den Druckknopf jedoch nicht auf. Eine Tätigkeit, die ihm ansonsten keine bewusste Wahrnehmung mehr wert gewesen war. Es war ohnehin zu spät. Die Frau war heran und kniete sich neben ihn. Ihre behandschuhte Hand ging ebenfalls zum Halfter. Sie drückte seine Hand fast sanft beiseite, schlug sich dann etwas energischer fort, als er seinen Versuch nicht aufgeben wollte. Nicht brutal. Eher wie bei einem störrischen Kind, das die Dummheit der eignen Handlung nicht einsehen wollte. Mit frustrierender Leichtigkeit zog sie Darrels Pistole, besah sie sich kurz und warf sie dann weg. Die Waffe landete etwa zwei Meter weiter im Staub und hätte damit auch am anderen Ende der Wüste liegen können. Die Frau, dass es definitiv eine war konnte Darrel erkennen, wenn er in die Augen hinter den schmierigen, runden Sichtgläser der Maske sah, betrachtete ihn nur. Blickte ihn ausdruckslos an, atmete aufreizend schwer durch den Filter. Selbst ohne das Messer in ihrer Hand hätte Darrel nun keinen Angriff mehr auf sie unternehmen können. Alle Kräfte hatten ihn verlassen, sein Leib war nur noch ein kalter Klumpen Fleisch, die Ränder seines Sichtfeldes wurden bereits grau, die Farbe schien aus der Welt zu tropfen wie der Lebenssaft aus ihm ran.
„Wa…“ Mehr ein krächzender Laut als ein wirkliches Wort, doch die Frau schien zu verstehen. Sie legte den Kopf schräg und ihr Blick lächelte. Darrel konnte sehen, dass eines ihre Augen rot war, weil Äderchen darinnen geplatzt sein mussten.
„Warum?“ Ihre Stimme war angenehm, wenn auch durch das Material ihrer Maske gedämpft wie durch Watte. Der Polizist konnte bereits nicht mehr tun, als mit zunehmender Entrückung zu ihr aufzublicken. Alle verbleibende Kraft floss in die Bemühung neben Blut auch etwas Luft einzusaugen.
Sie blickte auf, als überlege sie oder horche auf ein fernes Geräusch. Dann sah sie flüchtig über die Schulter und zu dem LKW. Das Monster stand stumm da, warf einen scharf geschnittenen Schatten und sein Schiebeschild ließ es grinsen.
Die Frau sah wieder zu Darrel, hob das Messer und tippte sich mit der Spitze zwei Mal gegen das Sichtfenster über dem blutigen Auge. Das leise Klicken, mit dem der Stahl das Glas berührte, hörte Darrel sogar über dem auffrischenden Wind.
„Auf roten Rössern tragen wir den Wahnsinn zu euch.“ Die Worte klangen verträumt, als spräche sie mehr zu sich selbst als zu dem Mann. Letztlich stimme das auch, denn der Verwundete hatte aufgehört zu atmen und lag nun still. Sie lauschte wieder, während ihr Gesagtes vom Wind in die Wüste getragen wurde und sich roter Flugsand an dem Toten fing und seine Konturen bereits dem Land anglich. Die Frau ließ das ungebrauchte Messer wieder im Schaft ihres Stiefels verschwinden und erhob sich. Ohne den Kopf noch einmal nach dem toten Grenzer umzudrehen ging sie zurück zum LKW. Sie nutzte die Leiche wieder um auf deren ursprünglichen Platz zu klettern. Ihre Hand griff nach der Tür und der LKW verschluckte sie.
Schwarze Abgaswolken aus den aufragenden Auspuffrohren begleiteten das Erwachen des Motors. Der Schlepper ruckte an und beschrieb einen Bogen. Das Hinterrad der Zugmaschine überrollte die ausgestreckten Beine der gepanzerten Leichte und zerquetschte sie, ohne dass sich der Reifen auch nur spürbar hob. Dann passierte der LKW das Polizeiauto, auf dessen Dach noch immer Lichtsignale Aufmerksamkeit einforderten.
Langsam sein Tempo steigern, richtete sich die Bestie wieder auf die Stadt aus, die irgendwo hinter dem Horizont liegen musste.