12-26-2013, 10:17 PM
Leitartikel
[CENTER]Von unvorhergesehenen Ereignissen, singenden Taxifahrern und vergessenen Kriegen.[/CENTER]
Mein Name ist Eduard Flock und ich bin nun seit über zwanzig Jahren für den Guardian tätig und zwar in der Abteilung Politisches.
Vielleicht haben sie den ein oder anderen Artikel von mir gelesen. Einige sind recht aufwühlend, wie etwa über den Konflikt des Östlichen Zechenverbandes mit dem Haus Orsius, andere sind für Außenstehende weniger spannend gewesen, wie etwa die Auswirkung des Zollabkommens zwischen Schaluk und Miridis, auf die Börse in Brunsberg.
Ich ging davon aus, dass es ein weiterer Routineauftrag für mich werden würde, als mich mein Chefredakteur nach Syrene schickte. Ich sollte über die Stellung der Nation im Bezug auf die Horningkrise berichten. Der Kontinentenstaat ist einer der wichtigsten Fleisch und Getreidelieferanten Gohmors, wie auch für Truzt. Die Frage auf welche Seite sich die Regierung schlagen würde, sollte sich der Konflikt zu einem Krieg auswachsen, war und ist daher von entscheidender Bedeutung.
Mit diesen Fragen im Hinterkopf setzte ich mich also in den Stratosphärenclipper und landete nach drei Stunden auf dem Raum- und Flughafen der Hauptstadt. Nun folgte die übliche Routine, welche sich in den langen Jahren meiner journalistischen Tätigkeit bereits zu einem Automatismus entwickelt hat. Gepäck empfangen, zum Hotel fahren, Frau und Chef anrufen und am Abend den ersten Gesprächspartner treffen.
Bei Letzteren handelte es sich dieses Mal um Roberta Zulekis, der Sprecherin des Regierungsministeriums. Mit ihr hatte ich ausgemacht, über die nächste Woche mit diversen Vertretern der Regierung und Militärs zusammenzukommen, um so die Position gegenüber der beiden zerstrittenen Parteien zu sondieren. Ich hatte mit Frau Zulekis schon einige Male zutun gehabt und kannte sie als eine ruhige, etwas unterkühlt wirkende, Beamtin mit einem sehr subtilen Sinn für Humor. In meiner Laufbahn hatte ich mich schon mit sehr viel unangenehmeren Regierungsvertretern konfrontiert gesehen und blickte daher ohne Verdrossenheit auf das abendliche Geschäftsessen.
Wie sich zeigen sollte, war meine Unbekümmertheit etwas verfrüht. Zwischen der Vorspeise, einer cremigen Suppe aus Basum- Wurzel und dem Hauptgericht, einem Squam- Filet, medium, offenbarte mir mein Gegenüber, dass ich die Reise quasi umsonst angetreten hatte. Am Mittag, als sich mein Clipper gerade dem dünnsten Teil der Luftschicht Korons näherte, hatte das Ministerium die Weisung herausgegeben, sich auf die öffentliche Bekanntmachung zum Thema Horning- Konflikt zurückzuziehen und nichts weiter darüber verlautbaren zu lassen. Schon gar nicht gegenüber der Presse eines der beteiligten Staaten.
Die öffentliche Stellungnahme besagte, dass Syrene sich der rechtmäßigen Regierung verpflichtet fühlt. Aus Gründen der Menschlichkeit jedoch beide Fraktionen weiter mit Lebensmitteln und Versorgungsgütern beliefern wird, allein schon um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.
Die landeseigenen Einheiten der PVS, würden die Grenzen der Heimat nicht verlassen und somit die Sicherheit Syrenes gewährleisten.
Diese Information hätte ich auch aus Gohmor bekommen können, was mich einen Anruf von drei Minuten gekostet hätte. Anschließend wäre es mir möglich gewesen einen kürzen Artikel zu dieser Aussage zu verfassen. Er hätte wohl zum Inhalt gehabt, dass die Formulierung „Der rechtmäßigen Regierung“ absoluten Freiraum zur Spekulation beinhaltet. Immerhin kann man beiden Parteien im Notfall auslegen die richtige, also rechtmäßige Regierung darzustellen. Auch hätte ich wohl eine Bemerkung dazu gemacht, dass die befürchtete, humanitäre Katastrophe ebenso als wirtschaftliche Katastrophe der syreneischen Vertriebs- und Exportfirmen aufgefasst werden könnte, was dem Ganzen ein weniger menschenfreundliches Bild verleihen würde.
Nun aber saß ich in einem Restaurant in der Hauptstadt und sah mich dem spöttischen Blick dieser Ministeriumsdame ausgeliefert. Natürlich fühlte ich mich bei meiner Ehre gepackt und versuchte doch noch etwas aus ihr herauszubekommen, biss jedoch auf Granit. Zum Schluss wünschte sie mit einen angenehmen Aufenthalt und ließ mich vor dem Restaurant in der abendlichen Kühle stehen.
Zurück im Hotel rief ich weitere Kontaktpersonen an, aber vergebens. Die Weisung von ganz oben ließ sich bei aller Hartnäckigkeit nicht umgehen. Darüber fluchte ich wohl recht ungehörig in dem Taxi, welches mich zur nächsten Bar bringen sollte, wo ich auf diesen Schrecken hin einen Absacker zu mir zu nehmen gedachte. Der Fahrer des Wagens, ein gutgelaunter Schwarzer namens Siedeberg, lachte über mich uns sagte mit gedehntem Akzent, dass ich von den Anzugträgern doch sowieso nur Halbwahrheiten zu hören bekäme. Wenn ich wirklich etwas über die Stimmung und Meinungen im Land erfahren wollte, müsste ich mich schon zu den Farmern und Züchtern begeben und mit ihnen persönlich reden.
Zuerst tat ich diesen Ratschlag ab, da ich meine Ziele selten nach den Vorschlägen von Taxifahrern aussuchte, doch je mehr ich darüber nachdachte, umso besser gefiel mir die Idee. Bei einigen Drinks dachte ich darüber nach, nachdem ich den Taximann darum gebeten hatte mich in zwei Stunden wieder abzuholen. Er stand zu seinem Wort und als ich schließlich vor meinem Hotel ankam stand der Entschluss fest. Ich verhandelte mit Siedeberg, der mit Vornamen Marvin hieß, über einen Festpreis, wenn er für den Rest der Woche mein Fahrer sein würde. Er stimmte begeistert zu und würde morgen in aller Frühe für mich bereitstehen. Auf meinem Zimmer rief ich sogleich in Gohmor an und sprach mit meinem Chefredakteur über den Stand der Dinge und meinen Plan eine Reportage über Land und Leute zu machen. Er hörte sich ein wenig skeptisch an, doch da das Hotel nun einmal bezahlt und der Rückflug datiert war, willigte er ein.
Ich beschloss auf gut Glück ins Land zu fahren, das Gespräch mit den einfachen Leuten Syrenes zu suchen und ging an diesem Abend schlafen, ohne vorher Karten oder gar den Reiseführer, der in meinem Hotelzimmer auslag, zu konsultieren. Nur leichtes Handgepäck und meine alte Kamera sollte mich auf meinem kleinen Abenteuer begleiten.
Siedeberg war pünktlich und ich musste nicht lange in der kalten Morgenluft warten, als ich müde und ein wenig grummelig das Hotel verließ.
Der Taxifahrer schien nicht an Morgenmuffeligkeit zu leiden und führte die erste Stunde einen Monolog über die Vorzüge und schicksalhaften Nachteile seines Berufsstandes, nur unterbrochen vom lauten Mitsingen der aktuellen Top-Hits aus dem schnarrenden Autoradio.
Bald schon standen wir im morgendlichen Stau, denn mein Fahrer mit einem lakonischen Schulterzucken als Berufsverkehr beschrieb. Ein Zustand den wir in Gohmor tatsächlich nicht kennen, da solche Fahrzeugmassen bei uns eher der Normalzustand sind.
Im Schneckentempo krochen wir auf den Stadtrand zu und je weiter wir uns aus dem Zentrum entfernten, um so schneller ging es wieder voran. Die letzten Wohnviertel lagen schon bald hinter uns und nach umfangreichem Industriegebiet dominierten mehr und mehr schmucklose Flachbauten das Bild. Squam- Squamzuchten wie ich vermutete und diese Ergebnis auch vollmundig äußerte. Doch mein Fahrer lachte nur schallend auf und erklärte mir mit der Nachsicht einer Berufsgruppe, welche es jeden Tag mit großspurigen Touristen zu tun hat, dass es sich hier lediglich um Schlachtbetriebe handle. Niemals könnten diese Anlagen auch nur eines Bruchteil der Tiere aufnehmen und für längere Zeit versorgen, die allein in der näheren Umgebung (was in Syrene etwa zweihundert Kilometer heißt, wie ich später erfahren sollte) das Land abweiden.
Kurz hinter der Stadtgrenze nahmen wir unser Frühstück im Wagen ein. Eine Teigtasche gefüllt mit, wie könnte es anders sein, Squam- Fleisch. Der anfangs fade Geschmack des gewürzten Fleischbreis, mit seinem erdig- scharfen Nachklang ist sicher Gewöhnungssache, besonders für uns Gohmorer und unseren zubereitungsfreudigen Beißer. Dennoch muss ich sagen, dass mir das zweite Röllchen bereits ausnehmend gut schmeckte.
Bevor wir den Rasthof verließen konsultierte Marvin eine Straßenkarte, welche er sich aus dem Handschuhfach angelte. Dabei sah ich eine Laserpistole in diesem Stauraum und fragte, halb besorgt, halb scherzhaft, ob er mich hinter der Grenze ausrauben wolle. In gleicher Mischung aus Humor und Wahrheit antwortete mein Fahrer lachend, dass für den Raub keine Pistole, sondern nur seinen Rechnungsvordruck brauche. Weiter erklärte er mir, die Waffe sei für wilde Mutanten und Rückkehrer gedacht.
„Rückkehrer, dass sind Burschen die zur Natur zurückkehren. Nicht ganz dicht, aber eigentlich harmlos. Die leben im Busch, essen so Wurzeln und Eidechsen und so was. Treibens alle wild durcheinander, viele Kinder, die sie dann zu Missionen und Klöstern bringen, wenn sie sie nicht mehr ernähren können. Die Rancher sind sich nicht grün mit denen. Viele behaupten die würden ihre Tiere stehlen und so was. Gibt immer wieder Ärger und Tote. Die Rancher fackeln nicht lange, wenn welche ihr Land betreten, die schießen dann halt. Die Rückkehrer sagen das Land kann keinem gehören und gehen trotzdem drauf. Möchte nicht wissen wie viele an die Schweine verfüttert werden, ohne das man jemals was davon hört.
Die werden immer sehr verschrien, aber ich habe da meine eigene Theorie zu. Wollen sie die hören?“
Ich bestätigte ihm sie hören zu wollen.
„Ich denke diese Leute sind ungefährlich. Bisschen verrückt vielleicht, aber eigentlich tun die keinem was. Friedlich eben.
Aber sie passen nicht auf. Nicht mit ihren (hier benutzte Marvin ein unflätiges Wort, welches ich unseren Lesern nicht zumuten möchte und welches das männliche Geschlechtsorgan beschreibt.) und dann wissen sie nicht wohin mit ihren Bälgern. Genauso machen sie es mit den den Leuten die sie aufnehmen. Ich meine die achten nicht darauf wer. Hauptsache Liebe zur Natur und Frieden und all das. Alles andere ist ihnen Schnuppe und darum können auch Mutanten bei ihnen mitmachen. Die sind aber nun mal oft gewalttätig und echt gestört, das weiß man ja, von der Wissenschaft her. Aggressive Mutis werden ausgeschlossen und irren dann durch die Wildnis. Die sind richtig gefährlich. Aber die verdursten irgendwann, werden von einem wilden Tier erledigt oder von einem Farmer. Manchmal bringen sie vorher noch Reisende um die Ecke, aber dann erledigt sie das Sicherheitskommando.
Manchmal aber!“
Hier hob Marvin seinen Zeigefinger und blickte lange zu mir herüber. Mir wurde etwas mulmig, schließlich wäre es mir lieber gewesen er hätte die Augen auf die Straße gerichtet. Ich versuchte ihm durch meine Mimik klarzumachen, dass ich sehr genau zuhörte und er unbesorgt wieder nach vorn schauen könnte.
„Manchmal bekommt so ein Muti Macht über die anderen. Dann sind die nicht mehr so friedlich. Überfallen Gehöfte, bringen ganze Familien um und bewaffnen sich mit den Gewehren der Farmer. Dann hat man ein echtes Problem, denn die können die paar einsamen Sicherheitsoffiziere nicht einfach so erledigen. Da brauch man eine große Einheit, mit vielen Männern und dann muss man die Truppe auch erst mal finden. In den letzten Jahren war das nicht mehr so oft, aber als ich ein Kind war, da gab es einige berühmte Gruppen.
Die Ascco und Murelli Gang, Mama Tentakel und ihre zehn Söhne... Dreiauge Johns und noch einen ganzen Haufen andere. Ich hatte als Kind alle Groschenhefte von denen. Hab sie heute noch, auf dem Speicher, da wo meine Frau sie nicht finden und „verlegen“ kann.
Aber auch wenn da viel Spinnerei bei war, viel dazu gedichtet und verdreht. Sowas gab’s und gibt’s und wenn es zu einer unangenehmen Situation kommt, dann bin ich vorbereitet, mit meinem kleinen Mister Püsterisch da im Handschuhfach. Tja ja so ist das!“
Ob uns der enthusiastische Taxifahrer im Ernstfall wirklich würde beschützen können, wagte ich zu bezweifeln, doch der Enthusiasmus, mit welchem er von seiner Leidenschaft für Revolverheldengeschichten sprach, war erfrischend.
Ich fragte ihn halb im Spaß, was er denn von dem Krieg in Horning halte, wo er sich doch so auf das Handwerk des schnellen Schützen verstehe. Marvin antwortete mit großem Ernst, dass er davon keine Ahnung habe und sich nicht anmaße über derlei Dinge zu spekulieren. Da er nie in der Armee gewesen war, auf Grund seiner attestierten Plattfüße und auch sonst keinen Krieg mitgemacht hatte, wusste er dazu nichts zu sagen. Da müsse man schon den alten Jebediah fragen, beendete er dieses Thema und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Kurz herrschte Schweigen, bevor ich fragte, wer dieser Mann sei, von dem er da sprach.
„Der alte Jebediah? Oh das können sie ja nicht wissen, weil sie nicht von hier sind. Ist so was wie eine lokale Legende, könnte man sagen. Über hundert Jahre ist der alt. Er sagt immer, das liegt daran, dass er die Hälfte seines Lebens im Busch verbracht hat und die andere Hälfte im Kühlhaus. Erst getrocknet, dann schockgefroren, genau wie bei Squam- Bits.“ Dann sah er mich mit dem Ausdrück plötzlicher Eingebung an und fragte ob ich mit dem alten Jebediah reden wollte. Er hätte im Züchterkrieg mitgekämpft und wenn jemand etwas über solche Dinge wisse, dann ganz bestimmt er. Etwas verdattert bejahte ich. Zugegebenermaßen beschränkten sich meine Kenntnisse über diese Ereignisse auf das Wenige, was ich noch aus dem Schulunterricht wusste. Außerdem war ich schließlich hier um mit den sogenannten, einfachen Leuten zu reden und ein Vertreter dieser Gattung schien der alte Jebediah zu sein. Obendrein noch eine lokale Legende. Was wollte man mehr? Kurz darauf bogen wir von der Hauptzubringerstraße ab und nahmen eine kleinere Abzweigung. Diese war nur noch vier- und nicht mehr achtspurig, was den Begriff „kleinere“ etwas relativierte.
Das Bild der vorbeiziehenden Landschaft änderte sich nicht grundlegend. Squam- Squamschlachthöfe, einige sogar mit eigenen Raumhäufen, zur Linken und zur Rechten. Nach einer halben Stunde Fahrt gelangten wir in ein Örtchen namens Walkom. Eine lange Hauptstraße, mit einigen Wohn- und Geschäftshäusern, einer einzigen Ampel und vier Speditionen. Marvin erklärte mir, dass diese Trabantensiedlungen hauptsächlich von Truckern bewohnt wurden, die sich ein Stück außerhalb der Stadt niedergelassen hatten und somit ein paar Nachteile ihres Berufsstandes ausschlossen. Sie wohnten nah an den Kunden und Auftraggebern die sie belieferten, mussten sich nicht mit dem Verkehr der Hauptstadt herumärgern und kamen nicht in die Verlegenheit ihre überlangen Fahrzeuge nirgends parken zu können. Es gab einen Doktor, eine Bar, ein paar Läden und ein Dinner. Das Taxi hielt vor einem zweistöckigen Gebäude, dessen obere Etage eine Wohnung beherbergte. In den unteren Räumen gab es einen Gemischtwarenladen.
Auf der hölzernen Terrasse saß ein uralter Mann, in einem ebenso alt wirkenden Schaukelstuhl. Er paffte eine Maispfeife und hatte einen Strohhut auf dem Kopf. Mir erschien es, als wäre dieser Oldtimer aus Ebenholz geschnitzt, denn genauso schwarz war seine Haut und jede der unzähligen Falten mutete an, als seien es die Verwitterungen in der Rinde eines solchen Ebenholzbaumes.
Marvin verschwand im Inneren des Dinners und kam gleich darauf mit drei Dosen Pharao- Bier wieder heraus. Er reichte dem Alten und mir jeweils eine und behielt eine für sich. Mir widerstrebte es so früh am Tag bereits etwas zu trinken, doch es schien sich hier mehr um eine Art Ritual zu handeln. Denn während wir die ersten Schlucke nahmen, erklärte mein Fahrer und Fremdenführer dem Alten, warum wir hier waren. Das wir etwas vom Krieg hören wollten, von dem vergangenen und dem, der gerade in Horning begann.
Jebediah trank, paffte und starrte ansonsten nur gerade aus, die lange Straße hinunter. Das tat er etwa drei Minuten lang und Marvin bedeute mit mit einem Nicken abzuwarten.
Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund, setzte die Dose an und nahm einen langen Schluck.
„Krieg bedeutet Schmerz!“ Seine Stimme überraschte mich mit ihrem vollen Klang und ihrer Festigkeit. Ich hatte die brüchigen Worte eines Greises erwartet.
„Das ist die einzige Wahrheit die man darüber wissen muss, mein Sohn.“
Es ist ganz gleich ob jetzt in Horning, oder damals hier. Egal ob sie nun PVS- Uniformen tragen oder nicht. Es sind alles Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern, Mütter, Ehemänner und so weiter. Sie sehen es natürlich nicht und die, die ihnen die Befehle geben kümmert es nicht."
Ich wagte die Zwischenfrage, ob er denn nicht auch denke, dass der Gouverneur als Repräsentant des Imperator das Recht, ja die Pflicht habe die Interessen Gohmors und damit ganz Korons zu schützen? Notfalls auch mit Gewalt.
Er sah mich wieder sehr lange an, doch weder war Spott über meine Frage, noch Wut über die Unterbrechung in seinen Augen zu sehen.
„Schon möglich das er das Recht hat, schon möglich.
Ich bin kein Politiker. Aber ich erinnere mich an den Krieg meiner Tage.
Wir haben auch geglaubt für die richtige Sache zu kämpfen. In den Geschichtsbüchern steht das wir gewonnen haben. Aber “Gewinn“ ist ein furchtbar zynisches Wort, bei all den Dingen die uns genommen wurden.“
Ich gestand ihm ein, dass ich kaum mehr über den Züchterkrieg wusste als ein paar Daten und rudimentäre Eckinformationen. Ich war aber mehr als bereit diesen Umstand abzuschaffen und bat ihn mir mehr seine Geschichte zu erzählen.
Wieder ein langer Blick, dann ein Lächeln, welches ein lückenhaftes Gehege aus Zähnen offenbarte.
„Tja, weißt du Junge, als das alles losging haben wir uns nichts bei gedacht. Weil niemand gleich Krieg geschrien hat. So fängt es nur in Büchern und Vid- Filmen an. Nein, es ging damit los, dass man uns sagte, die Subventionen für Squam- Squam- Zucht würde zu Gunsten von Grox- Farmen gestrichen. Wir hielten das für lächerlich, schließlich ist die Squam- Zucht seit Ewigkeiten in Syrene etabliert. Aber das Landwirtschaftsministerium ließ nicht locker. Sie erzählten uns was davon, dass Groxe im hiesigen Klima viel besser gedeihen und dadurch einen höheren Ertrag erwirtschaften würden. Natürlich zog das nicht. Es hatte ja nicht nur mit der Tradition zutun, denn letzten Endes ist ein Rancher immer auch Geschäftsmann. Nein, da gab es auch ganz einfach finanzielle Überlegungen. Man hätte ja den ganzen Betrieb umbauen müssen, auf die Echsen. Sie versprachen zwar das über Subventionen zu regeln, aber davon ließen sich nur eine Handvoll Leute überzeugen. Wir dachten alle damit sei die Sache erledigt gewesen. Keiner wollte es, also würde es sowas nicht geben, Punkt, aus!
Weit gefehlt. Die Regierung bekannt Land zu kaufen, von Farmern und Züchtern, von denen sie wussten, dass sie geldmäßig schlecht dastanden. So kam in wenigen Jahren ein riesiges Gebiet zusammen. Was haben die da also getrieben? Sie haben alle Tiere verkauft oder gleich schlachten lassen und dann die ganzen Anlagen und Gebäude platt gemacht. Wenig später dann waren neue Pächter auf dem Land. Fremdweltler, die ihre stinkenden Groxe gleich mitbrachten. Anfangs nur eine Handvoll, höchstens zwanzig Familien. Dann immer mehr und mehr. Der Markt für Fleich brach ein, da sie ihre Produkte, dank der Subventionen, zu Schleuderpreisen raushauen konnten. Wenn dann einer am Rand des Ruins stand, waren sie schon da um ihm sein Land, kalt lächelnd abzuknöpfen. Von unserer Seite gab es Beschwerden und Demonstrationen und sowas, aber die Regierung hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass man es uns ja angeboten hätte und die Regulierung jetzt vom freien Markt übernommen würde. Einige haben dann auch auf Groxe umgeschwenkt, notgedrungen eben. Aber es gab einen harten Kern, der sich gerade so über Wasser halten konnte und ums Verrecken nicht kleinbeigegeben hat. Deren Söhne, ein paar junge Heißsporne, ich gehörte auch dazu, die nachts loszogen um Anlagen bei den Echsenköppen zu sabotieren. Das war nicht mehr als Vandalismus, aber wir waren so sauer und wussten nicht was wir sonst tun sollten. Das ging eine ganze Weile so, dann haben die sich Wachpersonal geholt.
Einer, Harrison Crowly war sein Name, war besonders scharf. Er holte sich nicht nur ein paar Wächter, sondern gleich so richtige Schläger, ja Söldner. Zwei Burschen, Brüder, wurden erschossen als sie über den Zaun kletterten. Das war schlimm, aber man konnte es noch nachvollziehen, immerhin waren sie auf sein Land gekommen um etwas zu zerstören. Doch dann begann er jagt auf uns zu machen. Sie kommen ja nicht aus der Gegend, darum muss ich ihnen sicher mal erklären wie sowas ablief. Zehn oder fünfzehn von uns machten sich auf den Weg zur Ranche eines Echsenkopps. Die waren natürlich nicht um die Ecke und da wir meistens zu Fuß, höchstens mal auf einem Carnak unterwegs waren, dauerte das dann immer ein paar Tage. Für uns ein Abenteuer damals. Unterwegs mit Freunden, in der Wildnis lagern und nachts die verhassten Groxzüchter piesacken. Das war schon was.
Doch dann kehrte eine Gruppe von acht Jungen nicht mehr von solch einer Tour zurück. Einige der Burschen kannte ich. Wirklich anständige Kerle, der jüngste gerade einmal vierzehn Jahre alt.
Man fand sie dann später im Busch. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit Säcken über dem Kopf und jedem in den Hinterkopf geschossen. Die Behörden sagten es wären wilde Mutanten gewesen. Aber die haben keine Lasergewehre und selbst wenn, sie machen sich nicht die Mühe jemanden vorher zu fesseln, nein Sir, wir wussten sehr genau wer das getan hatte.
Aber damit hörte es nicht auf. Wie man hörte scharrte Crowly die Männer um sich, die ebenso radikal gegen uns vorgehen wollten wie er. Die Ranche der Piburghs wurde nachts überfallen. Der Alte und sein Sohn wurden furchtbar verprügelt, seine Frau und die beiden Töchter geschändet. Wieder schob man es auf die Mutanten, auch wenn der Alte Stein und Bein schwor, dass dem nicht so sei. Das man von offizieller Seite aus auch ignorierte, dass fast zweihundert Sqaum- Squams vergiftet wurden waren, machte uns dann auch ziemlich deutlich auf welcher Seite die da oben standen.
Es lag also an uns etwas zu tun. Wir bewaffneten uns und ritten zur Crowly- Farm. Wir waren etwa sechzig und dieses mal war ich dabei.
Es wurde ein Gemetzel. Die Männer Crowlys wussten ganz genau das wir kommen würden und hatten sich gut eingegraben. Sie schossen uns nieder, ehe wir selber überhaupt auf Schussweite unserer Waffen heran waren. Zwanzig von uns kamen zurück und unverletzt war niemand geblieben. Uns war klar, dass die Söldner jetzt kommen würden um nach uns zu suchen und wir konnten nichts dagegen tun. Wer nicht zu sehr verletzt war ging in den Busch, obwohl uns klar war, dass sie unsere Familien drangsalieren würden.
Es wurde schlimm!
Während wir uns von einem Versteck ins nächste schleppten, wüteten sie auf den Farmen. Sie konnten die Tiere nicht alle umbringen, da das zu viel Aufmerksamkeit erregt hätte. Aber sie töteten die drei, die zu schwer verletzt gewesen waren um mit uns zu kommen.
Schauen sie nicht so skeptisch, junger Mann.
Draußen lebt man sehr isoliert und es es wird eher bekannt, wenn mehrere hundert Squam- Squams verenden, als wenn ein paar Menschen ermordet werden.
Lesen sie auf der folgende Seite weiter.
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Mein Name ist Eduard Flock und ich bin nun seit über zwanzig Jahren für den Guardian tätig und zwar in der Abteilung Politisches.
Vielleicht haben sie den ein oder anderen Artikel von mir gelesen. Einige sind recht aufwühlend, wie etwa über den Konflikt des Östlichen Zechenverbandes mit dem Haus Orsius, andere sind für Außenstehende weniger spannend gewesen, wie etwa die Auswirkung des Zollabkommens zwischen Schaluk und Miridis, auf die Börse in Brunsberg.
Ich ging davon aus, dass es ein weiterer Routineauftrag für mich werden würde, als mich mein Chefredakteur nach Syrene schickte. Ich sollte über die Stellung der Nation im Bezug auf die Horningkrise berichten. Der Kontinentenstaat ist einer der wichtigsten Fleisch und Getreidelieferanten Gohmors, wie auch für Truzt. Die Frage auf welche Seite sich die Regierung schlagen würde, sollte sich der Konflikt zu einem Krieg auswachsen, war und ist daher von entscheidender Bedeutung.
Mit diesen Fragen im Hinterkopf setzte ich mich also in den Stratosphärenclipper und landete nach drei Stunden auf dem Raum- und Flughafen der Hauptstadt. Nun folgte die übliche Routine, welche sich in den langen Jahren meiner journalistischen Tätigkeit bereits zu einem Automatismus entwickelt hat. Gepäck empfangen, zum Hotel fahren, Frau und Chef anrufen und am Abend den ersten Gesprächspartner treffen.
Bei Letzteren handelte es sich dieses Mal um Roberta Zulekis, der Sprecherin des Regierungsministeriums. Mit ihr hatte ich ausgemacht, über die nächste Woche mit diversen Vertretern der Regierung und Militärs zusammenzukommen, um so die Position gegenüber der beiden zerstrittenen Parteien zu sondieren. Ich hatte mit Frau Zulekis schon einige Male zutun gehabt und kannte sie als eine ruhige, etwas unterkühlt wirkende, Beamtin mit einem sehr subtilen Sinn für Humor. In meiner Laufbahn hatte ich mich schon mit sehr viel unangenehmeren Regierungsvertretern konfrontiert gesehen und blickte daher ohne Verdrossenheit auf das abendliche Geschäftsessen.
Wie sich zeigen sollte, war meine Unbekümmertheit etwas verfrüht. Zwischen der Vorspeise, einer cremigen Suppe aus Basum- Wurzel und dem Hauptgericht, einem Squam- Filet, medium, offenbarte mir mein Gegenüber, dass ich die Reise quasi umsonst angetreten hatte. Am Mittag, als sich mein Clipper gerade dem dünnsten Teil der Luftschicht Korons näherte, hatte das Ministerium die Weisung herausgegeben, sich auf die öffentliche Bekanntmachung zum Thema Horning- Konflikt zurückzuziehen und nichts weiter darüber verlautbaren zu lassen. Schon gar nicht gegenüber der Presse eines der beteiligten Staaten.
Die öffentliche Stellungnahme besagte, dass Syrene sich der rechtmäßigen Regierung verpflichtet fühlt. Aus Gründen der Menschlichkeit jedoch beide Fraktionen weiter mit Lebensmitteln und Versorgungsgütern beliefern wird, allein schon um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.
Die landeseigenen Einheiten der PVS, würden die Grenzen der Heimat nicht verlassen und somit die Sicherheit Syrenes gewährleisten.
Diese Information hätte ich auch aus Gohmor bekommen können, was mich einen Anruf von drei Minuten gekostet hätte. Anschließend wäre es mir möglich gewesen einen kürzen Artikel zu dieser Aussage zu verfassen. Er hätte wohl zum Inhalt gehabt, dass die Formulierung „Der rechtmäßigen Regierung“ absoluten Freiraum zur Spekulation beinhaltet. Immerhin kann man beiden Parteien im Notfall auslegen die richtige, also rechtmäßige Regierung darzustellen. Auch hätte ich wohl eine Bemerkung dazu gemacht, dass die befürchtete, humanitäre Katastrophe ebenso als wirtschaftliche Katastrophe der syreneischen Vertriebs- und Exportfirmen aufgefasst werden könnte, was dem Ganzen ein weniger menschenfreundliches Bild verleihen würde.
Nun aber saß ich in einem Restaurant in der Hauptstadt und sah mich dem spöttischen Blick dieser Ministeriumsdame ausgeliefert. Natürlich fühlte ich mich bei meiner Ehre gepackt und versuchte doch noch etwas aus ihr herauszubekommen, biss jedoch auf Granit. Zum Schluss wünschte sie mit einen angenehmen Aufenthalt und ließ mich vor dem Restaurant in der abendlichen Kühle stehen.
Zurück im Hotel rief ich weitere Kontaktpersonen an, aber vergebens. Die Weisung von ganz oben ließ sich bei aller Hartnäckigkeit nicht umgehen. Darüber fluchte ich wohl recht ungehörig in dem Taxi, welches mich zur nächsten Bar bringen sollte, wo ich auf diesen Schrecken hin einen Absacker zu mir zu nehmen gedachte. Der Fahrer des Wagens, ein gutgelaunter Schwarzer namens Siedeberg, lachte über mich uns sagte mit gedehntem Akzent, dass ich von den Anzugträgern doch sowieso nur Halbwahrheiten zu hören bekäme. Wenn ich wirklich etwas über die Stimmung und Meinungen im Land erfahren wollte, müsste ich mich schon zu den Farmern und Züchtern begeben und mit ihnen persönlich reden.
Zuerst tat ich diesen Ratschlag ab, da ich meine Ziele selten nach den Vorschlägen von Taxifahrern aussuchte, doch je mehr ich darüber nachdachte, umso besser gefiel mir die Idee. Bei einigen Drinks dachte ich darüber nach, nachdem ich den Taximann darum gebeten hatte mich in zwei Stunden wieder abzuholen. Er stand zu seinem Wort und als ich schließlich vor meinem Hotel ankam stand der Entschluss fest. Ich verhandelte mit Siedeberg, der mit Vornamen Marvin hieß, über einen Festpreis, wenn er für den Rest der Woche mein Fahrer sein würde. Er stimmte begeistert zu und würde morgen in aller Frühe für mich bereitstehen. Auf meinem Zimmer rief ich sogleich in Gohmor an und sprach mit meinem Chefredakteur über den Stand der Dinge und meinen Plan eine Reportage über Land und Leute zu machen. Er hörte sich ein wenig skeptisch an, doch da das Hotel nun einmal bezahlt und der Rückflug datiert war, willigte er ein.
Ich beschloss auf gut Glück ins Land zu fahren, das Gespräch mit den einfachen Leuten Syrenes zu suchen und ging an diesem Abend schlafen, ohne vorher Karten oder gar den Reiseführer, der in meinem Hotelzimmer auslag, zu konsultieren. Nur leichtes Handgepäck und meine alte Kamera sollte mich auf meinem kleinen Abenteuer begleiten.
Siedeberg war pünktlich und ich musste nicht lange in der kalten Morgenluft warten, als ich müde und ein wenig grummelig das Hotel verließ.
Der Taxifahrer schien nicht an Morgenmuffeligkeit zu leiden und führte die erste Stunde einen Monolog über die Vorzüge und schicksalhaften Nachteile seines Berufsstandes, nur unterbrochen vom lauten Mitsingen der aktuellen Top-Hits aus dem schnarrenden Autoradio.
Bald schon standen wir im morgendlichen Stau, denn mein Fahrer mit einem lakonischen Schulterzucken als Berufsverkehr beschrieb. Ein Zustand den wir in Gohmor tatsächlich nicht kennen, da solche Fahrzeugmassen bei uns eher der Normalzustand sind.
Im Schneckentempo krochen wir auf den Stadtrand zu und je weiter wir uns aus dem Zentrum entfernten, um so schneller ging es wieder voran. Die letzten Wohnviertel lagen schon bald hinter uns und nach umfangreichem Industriegebiet dominierten mehr und mehr schmucklose Flachbauten das Bild. Squam- Squamzuchten wie ich vermutete und diese Ergebnis auch vollmundig äußerte. Doch mein Fahrer lachte nur schallend auf und erklärte mir mit der Nachsicht einer Berufsgruppe, welche es jeden Tag mit großspurigen Touristen zu tun hat, dass es sich hier lediglich um Schlachtbetriebe handle. Niemals könnten diese Anlagen auch nur eines Bruchteil der Tiere aufnehmen und für längere Zeit versorgen, die allein in der näheren Umgebung (was in Syrene etwa zweihundert Kilometer heißt, wie ich später erfahren sollte) das Land abweiden.
Kurz hinter der Stadtgrenze nahmen wir unser Frühstück im Wagen ein. Eine Teigtasche gefüllt mit, wie könnte es anders sein, Squam- Fleisch. Der anfangs fade Geschmack des gewürzten Fleischbreis, mit seinem erdig- scharfen Nachklang ist sicher Gewöhnungssache, besonders für uns Gohmorer und unseren zubereitungsfreudigen Beißer. Dennoch muss ich sagen, dass mir das zweite Röllchen bereits ausnehmend gut schmeckte.
Bevor wir den Rasthof verließen konsultierte Marvin eine Straßenkarte, welche er sich aus dem Handschuhfach angelte. Dabei sah ich eine Laserpistole in diesem Stauraum und fragte, halb besorgt, halb scherzhaft, ob er mich hinter der Grenze ausrauben wolle. In gleicher Mischung aus Humor und Wahrheit antwortete mein Fahrer lachend, dass für den Raub keine Pistole, sondern nur seinen Rechnungsvordruck brauche. Weiter erklärte er mir, die Waffe sei für wilde Mutanten und Rückkehrer gedacht.
„Rückkehrer, dass sind Burschen die zur Natur zurückkehren. Nicht ganz dicht, aber eigentlich harmlos. Die leben im Busch, essen so Wurzeln und Eidechsen und so was. Treibens alle wild durcheinander, viele Kinder, die sie dann zu Missionen und Klöstern bringen, wenn sie sie nicht mehr ernähren können. Die Rancher sind sich nicht grün mit denen. Viele behaupten die würden ihre Tiere stehlen und so was. Gibt immer wieder Ärger und Tote. Die Rancher fackeln nicht lange, wenn welche ihr Land betreten, die schießen dann halt. Die Rückkehrer sagen das Land kann keinem gehören und gehen trotzdem drauf. Möchte nicht wissen wie viele an die Schweine verfüttert werden, ohne das man jemals was davon hört.
Die werden immer sehr verschrien, aber ich habe da meine eigene Theorie zu. Wollen sie die hören?“
Ich bestätigte ihm sie hören zu wollen.
„Ich denke diese Leute sind ungefährlich. Bisschen verrückt vielleicht, aber eigentlich tun die keinem was. Friedlich eben.
Aber sie passen nicht auf. Nicht mit ihren (hier benutzte Marvin ein unflätiges Wort, welches ich unseren Lesern nicht zumuten möchte und welches das männliche Geschlechtsorgan beschreibt.) und dann wissen sie nicht wohin mit ihren Bälgern. Genauso machen sie es mit den den Leuten die sie aufnehmen. Ich meine die achten nicht darauf wer. Hauptsache Liebe zur Natur und Frieden und all das. Alles andere ist ihnen Schnuppe und darum können auch Mutanten bei ihnen mitmachen. Die sind aber nun mal oft gewalttätig und echt gestört, das weiß man ja, von der Wissenschaft her. Aggressive Mutis werden ausgeschlossen und irren dann durch die Wildnis. Die sind richtig gefährlich. Aber die verdursten irgendwann, werden von einem wilden Tier erledigt oder von einem Farmer. Manchmal bringen sie vorher noch Reisende um die Ecke, aber dann erledigt sie das Sicherheitskommando.
Manchmal aber!“
Hier hob Marvin seinen Zeigefinger und blickte lange zu mir herüber. Mir wurde etwas mulmig, schließlich wäre es mir lieber gewesen er hätte die Augen auf die Straße gerichtet. Ich versuchte ihm durch meine Mimik klarzumachen, dass ich sehr genau zuhörte und er unbesorgt wieder nach vorn schauen könnte.
„Manchmal bekommt so ein Muti Macht über die anderen. Dann sind die nicht mehr so friedlich. Überfallen Gehöfte, bringen ganze Familien um und bewaffnen sich mit den Gewehren der Farmer. Dann hat man ein echtes Problem, denn die können die paar einsamen Sicherheitsoffiziere nicht einfach so erledigen. Da brauch man eine große Einheit, mit vielen Männern und dann muss man die Truppe auch erst mal finden. In den letzten Jahren war das nicht mehr so oft, aber als ich ein Kind war, da gab es einige berühmte Gruppen.
Die Ascco und Murelli Gang, Mama Tentakel und ihre zehn Söhne... Dreiauge Johns und noch einen ganzen Haufen andere. Ich hatte als Kind alle Groschenhefte von denen. Hab sie heute noch, auf dem Speicher, da wo meine Frau sie nicht finden und „verlegen“ kann.
Aber auch wenn da viel Spinnerei bei war, viel dazu gedichtet und verdreht. Sowas gab’s und gibt’s und wenn es zu einer unangenehmen Situation kommt, dann bin ich vorbereitet, mit meinem kleinen Mister Püsterisch da im Handschuhfach. Tja ja so ist das!“
Ob uns der enthusiastische Taxifahrer im Ernstfall wirklich würde beschützen können, wagte ich zu bezweifeln, doch der Enthusiasmus, mit welchem er von seiner Leidenschaft für Revolverheldengeschichten sprach, war erfrischend.
Ich fragte ihn halb im Spaß, was er denn von dem Krieg in Horning halte, wo er sich doch so auf das Handwerk des schnellen Schützen verstehe. Marvin antwortete mit großem Ernst, dass er davon keine Ahnung habe und sich nicht anmaße über derlei Dinge zu spekulieren. Da er nie in der Armee gewesen war, auf Grund seiner attestierten Plattfüße und auch sonst keinen Krieg mitgemacht hatte, wusste er dazu nichts zu sagen. Da müsse man schon den alten Jebediah fragen, beendete er dieses Thema und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Kurz herrschte Schweigen, bevor ich fragte, wer dieser Mann sei, von dem er da sprach.
„Der alte Jebediah? Oh das können sie ja nicht wissen, weil sie nicht von hier sind. Ist so was wie eine lokale Legende, könnte man sagen. Über hundert Jahre ist der alt. Er sagt immer, das liegt daran, dass er die Hälfte seines Lebens im Busch verbracht hat und die andere Hälfte im Kühlhaus. Erst getrocknet, dann schockgefroren, genau wie bei Squam- Bits.“ Dann sah er mich mit dem Ausdrück plötzlicher Eingebung an und fragte ob ich mit dem alten Jebediah reden wollte. Er hätte im Züchterkrieg mitgekämpft und wenn jemand etwas über solche Dinge wisse, dann ganz bestimmt er. Etwas verdattert bejahte ich. Zugegebenermaßen beschränkten sich meine Kenntnisse über diese Ereignisse auf das Wenige, was ich noch aus dem Schulunterricht wusste. Außerdem war ich schließlich hier um mit den sogenannten, einfachen Leuten zu reden und ein Vertreter dieser Gattung schien der alte Jebediah zu sein. Obendrein noch eine lokale Legende. Was wollte man mehr? Kurz darauf bogen wir von der Hauptzubringerstraße ab und nahmen eine kleinere Abzweigung. Diese war nur noch vier- und nicht mehr achtspurig, was den Begriff „kleinere“ etwas relativierte.
Das Bild der vorbeiziehenden Landschaft änderte sich nicht grundlegend. Squam- Squamschlachthöfe, einige sogar mit eigenen Raumhäufen, zur Linken und zur Rechten. Nach einer halben Stunde Fahrt gelangten wir in ein Örtchen namens Walkom. Eine lange Hauptstraße, mit einigen Wohn- und Geschäftshäusern, einer einzigen Ampel und vier Speditionen. Marvin erklärte mir, dass diese Trabantensiedlungen hauptsächlich von Truckern bewohnt wurden, die sich ein Stück außerhalb der Stadt niedergelassen hatten und somit ein paar Nachteile ihres Berufsstandes ausschlossen. Sie wohnten nah an den Kunden und Auftraggebern die sie belieferten, mussten sich nicht mit dem Verkehr der Hauptstadt herumärgern und kamen nicht in die Verlegenheit ihre überlangen Fahrzeuge nirgends parken zu können. Es gab einen Doktor, eine Bar, ein paar Läden und ein Dinner. Das Taxi hielt vor einem zweistöckigen Gebäude, dessen obere Etage eine Wohnung beherbergte. In den unteren Räumen gab es einen Gemischtwarenladen.
Auf der hölzernen Terrasse saß ein uralter Mann, in einem ebenso alt wirkenden Schaukelstuhl. Er paffte eine Maispfeife und hatte einen Strohhut auf dem Kopf. Mir erschien es, als wäre dieser Oldtimer aus Ebenholz geschnitzt, denn genauso schwarz war seine Haut und jede der unzähligen Falten mutete an, als seien es die Verwitterungen in der Rinde eines solchen Ebenholzbaumes.
Marvin verschwand im Inneren des Dinners und kam gleich darauf mit drei Dosen Pharao- Bier wieder heraus. Er reichte dem Alten und mir jeweils eine und behielt eine für sich. Mir widerstrebte es so früh am Tag bereits etwas zu trinken, doch es schien sich hier mehr um eine Art Ritual zu handeln. Denn während wir die ersten Schlucke nahmen, erklärte mein Fahrer und Fremdenführer dem Alten, warum wir hier waren. Das wir etwas vom Krieg hören wollten, von dem vergangenen und dem, der gerade in Horning begann.
Jebediah trank, paffte und starrte ansonsten nur gerade aus, die lange Straße hinunter. Das tat er etwa drei Minuten lang und Marvin bedeute mit mit einem Nicken abzuwarten.
Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund, setzte die Dose an und nahm einen langen Schluck.
„Krieg bedeutet Schmerz!“ Seine Stimme überraschte mich mit ihrem vollen Klang und ihrer Festigkeit. Ich hatte die brüchigen Worte eines Greises erwartet.
„Das ist die einzige Wahrheit die man darüber wissen muss, mein Sohn.“
Es ist ganz gleich ob jetzt in Horning, oder damals hier. Egal ob sie nun PVS- Uniformen tragen oder nicht. Es sind alles Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern, Mütter, Ehemänner und so weiter. Sie sehen es natürlich nicht und die, die ihnen die Befehle geben kümmert es nicht."
Ich wagte die Zwischenfrage, ob er denn nicht auch denke, dass der Gouverneur als Repräsentant des Imperator das Recht, ja die Pflicht habe die Interessen Gohmors und damit ganz Korons zu schützen? Notfalls auch mit Gewalt.
Er sah mich wieder sehr lange an, doch weder war Spott über meine Frage, noch Wut über die Unterbrechung in seinen Augen zu sehen.
„Schon möglich das er das Recht hat, schon möglich.
Ich bin kein Politiker. Aber ich erinnere mich an den Krieg meiner Tage.
Wir haben auch geglaubt für die richtige Sache zu kämpfen. In den Geschichtsbüchern steht das wir gewonnen haben. Aber “Gewinn“ ist ein furchtbar zynisches Wort, bei all den Dingen die uns genommen wurden.“
Ich gestand ihm ein, dass ich kaum mehr über den Züchterkrieg wusste als ein paar Daten und rudimentäre Eckinformationen. Ich war aber mehr als bereit diesen Umstand abzuschaffen und bat ihn mir mehr seine Geschichte zu erzählen.
Wieder ein langer Blick, dann ein Lächeln, welches ein lückenhaftes Gehege aus Zähnen offenbarte.
„Tja, weißt du Junge, als das alles losging haben wir uns nichts bei gedacht. Weil niemand gleich Krieg geschrien hat. So fängt es nur in Büchern und Vid- Filmen an. Nein, es ging damit los, dass man uns sagte, die Subventionen für Squam- Squam- Zucht würde zu Gunsten von Grox- Farmen gestrichen. Wir hielten das für lächerlich, schließlich ist die Squam- Zucht seit Ewigkeiten in Syrene etabliert. Aber das Landwirtschaftsministerium ließ nicht locker. Sie erzählten uns was davon, dass Groxe im hiesigen Klima viel besser gedeihen und dadurch einen höheren Ertrag erwirtschaften würden. Natürlich zog das nicht. Es hatte ja nicht nur mit der Tradition zutun, denn letzten Endes ist ein Rancher immer auch Geschäftsmann. Nein, da gab es auch ganz einfach finanzielle Überlegungen. Man hätte ja den ganzen Betrieb umbauen müssen, auf die Echsen. Sie versprachen zwar das über Subventionen zu regeln, aber davon ließen sich nur eine Handvoll Leute überzeugen. Wir dachten alle damit sei die Sache erledigt gewesen. Keiner wollte es, also würde es sowas nicht geben, Punkt, aus!
Weit gefehlt. Die Regierung bekannt Land zu kaufen, von Farmern und Züchtern, von denen sie wussten, dass sie geldmäßig schlecht dastanden. So kam in wenigen Jahren ein riesiges Gebiet zusammen. Was haben die da also getrieben? Sie haben alle Tiere verkauft oder gleich schlachten lassen und dann die ganzen Anlagen und Gebäude platt gemacht. Wenig später dann waren neue Pächter auf dem Land. Fremdweltler, die ihre stinkenden Groxe gleich mitbrachten. Anfangs nur eine Handvoll, höchstens zwanzig Familien. Dann immer mehr und mehr. Der Markt für Fleich brach ein, da sie ihre Produkte, dank der Subventionen, zu Schleuderpreisen raushauen konnten. Wenn dann einer am Rand des Ruins stand, waren sie schon da um ihm sein Land, kalt lächelnd abzuknöpfen. Von unserer Seite gab es Beschwerden und Demonstrationen und sowas, aber die Regierung hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass man es uns ja angeboten hätte und die Regulierung jetzt vom freien Markt übernommen würde. Einige haben dann auch auf Groxe umgeschwenkt, notgedrungen eben. Aber es gab einen harten Kern, der sich gerade so über Wasser halten konnte und ums Verrecken nicht kleinbeigegeben hat. Deren Söhne, ein paar junge Heißsporne, ich gehörte auch dazu, die nachts loszogen um Anlagen bei den Echsenköppen zu sabotieren. Das war nicht mehr als Vandalismus, aber wir waren so sauer und wussten nicht was wir sonst tun sollten. Das ging eine ganze Weile so, dann haben die sich Wachpersonal geholt.
Einer, Harrison Crowly war sein Name, war besonders scharf. Er holte sich nicht nur ein paar Wächter, sondern gleich so richtige Schläger, ja Söldner. Zwei Burschen, Brüder, wurden erschossen als sie über den Zaun kletterten. Das war schlimm, aber man konnte es noch nachvollziehen, immerhin waren sie auf sein Land gekommen um etwas zu zerstören. Doch dann begann er jagt auf uns zu machen. Sie kommen ja nicht aus der Gegend, darum muss ich ihnen sicher mal erklären wie sowas ablief. Zehn oder fünfzehn von uns machten sich auf den Weg zur Ranche eines Echsenkopps. Die waren natürlich nicht um die Ecke und da wir meistens zu Fuß, höchstens mal auf einem Carnak unterwegs waren, dauerte das dann immer ein paar Tage. Für uns ein Abenteuer damals. Unterwegs mit Freunden, in der Wildnis lagern und nachts die verhassten Groxzüchter piesacken. Das war schon was.
Doch dann kehrte eine Gruppe von acht Jungen nicht mehr von solch einer Tour zurück. Einige der Burschen kannte ich. Wirklich anständige Kerle, der jüngste gerade einmal vierzehn Jahre alt.
Man fand sie dann später im Busch. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit Säcken über dem Kopf und jedem in den Hinterkopf geschossen. Die Behörden sagten es wären wilde Mutanten gewesen. Aber die haben keine Lasergewehre und selbst wenn, sie machen sich nicht die Mühe jemanden vorher zu fesseln, nein Sir, wir wussten sehr genau wer das getan hatte.
Aber damit hörte es nicht auf. Wie man hörte scharrte Crowly die Männer um sich, die ebenso radikal gegen uns vorgehen wollten wie er. Die Ranche der Piburghs wurde nachts überfallen. Der Alte und sein Sohn wurden furchtbar verprügelt, seine Frau und die beiden Töchter geschändet. Wieder schob man es auf die Mutanten, auch wenn der Alte Stein und Bein schwor, dass dem nicht so sei. Das man von offizieller Seite aus auch ignorierte, dass fast zweihundert Sqaum- Squams vergiftet wurden waren, machte uns dann auch ziemlich deutlich auf welcher Seite die da oben standen.
Es lag also an uns etwas zu tun. Wir bewaffneten uns und ritten zur Crowly- Farm. Wir waren etwa sechzig und dieses mal war ich dabei.
Es wurde ein Gemetzel. Die Männer Crowlys wussten ganz genau das wir kommen würden und hatten sich gut eingegraben. Sie schossen uns nieder, ehe wir selber überhaupt auf Schussweite unserer Waffen heran waren. Zwanzig von uns kamen zurück und unverletzt war niemand geblieben. Uns war klar, dass die Söldner jetzt kommen würden um nach uns zu suchen und wir konnten nichts dagegen tun. Wer nicht zu sehr verletzt war ging in den Busch, obwohl uns klar war, dass sie unsere Familien drangsalieren würden.
Es wurde schlimm!
Während wir uns von einem Versteck ins nächste schleppten, wüteten sie auf den Farmen. Sie konnten die Tiere nicht alle umbringen, da das zu viel Aufmerksamkeit erregt hätte. Aber sie töteten die drei, die zu schwer verletzt gewesen waren um mit uns zu kommen.
Schauen sie nicht so skeptisch, junger Mann.
Draußen lebt man sehr isoliert und es es wird eher bekannt, wenn mehrere hundert Squam- Squams verenden, als wenn ein paar Menschen ermordet werden.
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