10-17-2010, 08:28 PM
Leises Plätschern begleitete jeden ihrer Schritte als sie sich das große Abwasserrohr entlang bewegte. Ratten huschten panisch aus dem Lichtkegel ihrer Stablampe. Außer dem hallenden Echo ihrer Schritte in der knöcheltiefen Brühe gab es keine Geräusche hier unten. An Orten wie diesem spürt man förmlich die Milliarden und aber Milliarden Tonnen Gestein, die über einem aufgehäuft sind. Gefügt und gestapelt um für viele Millionen ein Zuhause zu bilden, doch so heimelig der Klang des Wortes Zuhause auch klingen mag, so ist es doch nur eine trügerische Hoffnung, der Wille die Tür zu schließen und alles böse auszusperren. Furcht ist ein ständiger Begleiter, besonders hier in der Tiefe der Makropole. Ein tödliches Versteckspiel zwischen Jägern und Gejagten.
Sie erreichte eine kleine Halle, in der die träge vor sich hinfließende Suppe in einen offenen Schacht stürzte, geschickt schwang sie sich an der bodenlosen Öffnung vorbei und betrat eine kleine Wartungsplattform in der Mitte des Schachtes. Eine verrostete Stahlleiter führte von hier nach oben. Claire löschte die Lampe und schulterte ihre Schrotflinte. Völlige Dunkelheit umgab sie nun, kein einziger Lichtstrahl fiel in dieses Gottverlassene Loch. Vorsichtig tastend fand sie die Leiter vor sich. Leise und methodisch stieg sie empor, stets tastend ob der rissige Stahl ihr Gewicht würde halten können. Endlich erreichte sie die darüber liegende Ebene, fast sechzig Meter über der Plattform. Trotz der merklichen Kühle die hier herrschte schwitzte sie und sie bemühte sich trotz der Filtermaske ruhig und gleichmäßig zu atmen. Es war lange her seit sie das letzte mal hier gewesen war, dieser Teil der Makropole war beinahe Menschenleer, verlassene Kavernen und Abwassertunnel. Der Gestank der Exkremente von Millionen, die seit Jahrhunderten den selben Weg nahmen lag in der Luft wie eine bleischwere Decke. Claire betrat zielsicher einen weiteren Tunnel und folgte ihm leise im Schein ihrer Lampe bis zu einer Einmündung eines trockengelegten Kanals, der sich ein Stück oberhalb des ursprünglichen Tunnels befand. Geschickt kletterte sie in das staubige Kanalbett und folgte diesem mit raschem Schritt eine Weile. Unvermittelt knipste sie wieder ihre Leuchte aus, behielt diesmal jedoch ihr Gewehr in der Hand. Vorsichtig schob sie sich ihre Infrarotbrille auf die Augen. Die Infrarotsicht mochte einen Menschen in der Dunkelheit sofort verraten, doch zu ihrer Orientierung trug sie nichts bei, hier hatte alles die gleiche Temperatur. In einer Umgebung in der sich vielleicht seit Jahren oder gar Jahrzehnten kein Lufthauch mehr bewegt hatte, hatte die Konvektion jeden Unterschied, der einmal zwischen der Luft und dem umgebenden Gestein geherrscht haben mochte verschwinden lassen. Wieder verließ sie sich auf ihren Tastsinn und auf ihre Erinnerungen. Schon bald hatte sie gefunden was sie suchte, eine Öffnung seitlich des Kanalbettes, welche zu einem Sammelbecken führte. Zu ihrer Enttäuschung jedoch war das Sammelbecken leer. Hier war er also nicht untergekrochen, aber es gab fast zwei Dutzend solcher Sammelbecken an diesem Kanal. Claire unterdrückte einen Fluch und ertastete ihren Weg zurück in den Staubigen Kanal. Eine Stunde verging in der Dunkelheit und sie fand zwei weitere leere Becken vor. Sie wusste sie war hier richtig, sie hatte Fußspuren im Staub gesehen, als sie es noch wagen konnte ihre Lampe zu benutzen.
Ihre Infrarotsicht zeigte ihr die vierte Öffnung an, etwas war hier anders sie konnte sie deutlich ausmachen und auch der Kanal hatte seine Temperatur geändert, wenn auch nur minimal. Langsam schob sie die Brille nach oben, aus der Öffnung kam ein warmer flackernder Schein und ihr war als hätte sie gerade eine Stimme gehört. Ja, da wieder, sie waren mindestens zu Zweit. Sie war sich sicher es waren zwei Stimmen, nicht eine einsame Seele die Selbstgespräche führte. Geduld war eine Tugend für einen Jäger, doch warten war ihr schon immer schwer gefallen. Leise schlich sie ein Stück des Weges zurück und lehnte sich mit dem Rücken an die Kanalwand. Hin und wieder setzte sie die Brille ab um zu sehen ob das Flackern des Feuers langsam verlosch, vor allem aber um selber nicht einzuschlafen. Mittlerweile saß sie im Staub des Kanalbodens sie war so müde, das sie vorsichtshalber eine Aufputschtablette eingeworfen hatte. Endlich, nach Stunden, verlosch das Feuer. Sie rückte ihre Infrarotsicht zurecht, überprüfte blind ob ihre Waffe entsichert war und schlich auf die Tür zu. Sie konnte gut die Wärme der verlöschenden Glut ausmachen und die der beiden Körper die dort lagen. Es waren zwei Männer. Vorsichtig und ohne ein Geräusch zu verursachen glitt sie näher. Offenbar hatten die beiden sich sicher gefühlt, keiner hielt Wache und sie hatten auch sonst keine unliebsamen Überraschungen hinterlassen. Kaum hatte Claire den Gedanken zu ende gedacht, als etwas laut scheppernd von ihrer Anwesenheit zeugte. Scheiße! Einer der Männer sprang in einer fließenden Bewegung auf und griff reflexartig nach seiner Waffe. Noch bevor er seine Waffe heben konnte schoss Claire. Das Gelgeschoss traf ihn im Bauch und riss ihn zu Boden, ein zweiter Schuss traf ihn am Hinterkopf, jetzt regte er sich nicht mehr. Der zweite Mann setzte sich verschlafen auf nur um im selben Moment von einem weiteren Gelgeschoss getroffen zu werden, das Projektil traf ihn an der Brust, presste die Luft aus seiner Lunge und warf ihn in den Staub. Stöhnend und nach Atem ringend versuchte er erneut auf die Beine zu kommen. Mühsam erhob er sich auf alle Viere und spukte eine gute Portion Dreck aus. Im schwachen Licht der letzten Glut konnte er gerade noch einen Schatten ausmachen, als ihn Claires Stiefel hart am Kopf traf und er das Bewusstsein verlor. Sein Kopf dröhnte als er wieder zu sich kam, das erste was er bemerkte war das Feuer, jemand hatte es wieder entfacht. Hände und Füße waren gefesselt, jetzt hatte er Gewissheit, er war von einem der Bluthunde gefunden worden, die ihn jagten. Er blinzelte um seinen Häscher im flackernden Schein des Feuers erkennen zu können. Eine Frau? Sie sprach mit seinem Begleiter.
„Rollins? Ich dachte du wärst tot. Dachte auf ner Kugel hätte dein Name gestanden.“
Die beiden schienen sich zu kennen, vielleicht gab es ja doch noch die Hoffnung hier raus zu kommen.
„Tja, nicht dein Glückstag heute Rollins.“ „Fahr zur Hölle Claire.“ „Du trittst den Weg wohl vor mir an, machs gut Rollins.“
Er konnte sehen wie das Mädchen einen Revolver zog und auf Rollins richtete.
„Scheiße, du verfluchte Hu…“ Der letzte Teil des Satzes ging in einem Lauten Knall unter, dicht gefolgt von einem weiteren Schuss. Sein Gefährte stöhnte noch einmal, zuckte kurz, dann war es vorbei. Entsetzt sah er zu wie das Mädchen ein Nahkampfmesser zog und damit begann dem eben Verstorbenen den Kopf abzutrennen. Ein blutiges Handwerk, auch wenn das Herz des Unglücklichen, von zwei Kugeln zerfetzt, aufgehört hatte zu schlagen, so bildete sich doch schnell eine große Blutlache im Dreck. Die abscheuliche Arbeit fand ihren grausigen Höhepunkt und Ende in einem knirschenden Schmatzen, mit dem sie in einer Drehbewegung den Kopf von der Halswirbelsäule trennte. Der Kopf wanderte dann in eine Plastiktüte und verschwand im Rucksack der Kopfjägerin.
„Er hätte das hübsche kleine Spielzeug nicht bumsen sollen, nicht wahr Bernard? Es soweit zu bringen und dann das…“ Sie ließ den Satz unvollendet. Sie beide kannten die Story, wie sich Rollins mit Cleverness und Rücksichtslosigkeit nach oben geboxt hatte. Bis er Besitzer des Clubs ‚Schwarze Nacht’ war, eine Party- und Drogenhöhle genau an der Grenze zwischen den unteren und den mittleren Ebenen. Ein beliebtes Ziel für unwichtige Adlige, die hier den Nervenkitzel und die Befriedigung ihrer Süchte suchte. Es schien als wenn Rollins auf dem Weg nach wirklich ganz oben war, bis er im Rausch eine seiner Gäste vögelte. Das Mädchen war wohl nicht so ganz damit einverstanden gewesen, auf jeden Fall aber war ihr Vater es nicht, er setzte ein Belohnung von 2000 Schekel auf Rollins Kopf aus. Das ganze lief über Major Lucky, war also ein reiner Killauftrag. Die Sache hatte bloß einen Haken: Jemand hatte bereits Rollins Kopf abgeliefert und kassiert. Zu erkennen war er ja einfach, bei dem komplett tätowierten Schädel. Irgendeine ganz ausgebuffte Seele hatte wohl einen Kopf der nach Rollins aussah nachträglich mit dem ihm eigenen Mustern verschönert. Ein gefährliches Spiel, Lucky stand im Ruf keine Sachen unter 1000 Schekel anzunehmen und er hatte eine halbe Armee von Söldnern in der Hinterhand wenn es nötig war. Das Kopfgeld auf Rollins konnte sie vergessen, es war bereits gezahlt und Lucky würde sicher nicht zweimal zahlen. Allerdings war es nicht verkehrt wenn er einem eine Gefälligkeit schuldete, na ja zumindest besser als nichts. Sie wandte sich wieder Bernard zu, ihrer eigentlichen Beute, keine traumhaften 2000 Schekel, sondern nur ein kleiner Fisch für 250, aber bekanntlich macht Kleinvieh auch Mist und im Moment konnte sie wirklich nicht wählerisch sein. Wenigstens konnte sie nun die Miete für den letzten und den nächsten Monat zahlen, auch der Verkauf der Waffen dürfte noch nen paar zusätzliche Schekel bringen, Rollins Waffe war eine teure Vollautomatik.
Der Rückweg war noch länger als der Hinweg auch wenn Bernard zum Glück keine unsinnigen Fluchtversuche anstellte. Offenbar saß der Schock über ihre Kaltblütigkeit ihm noch in den Knochen. So stolperte er nun vor ihr durch die Tunnel. Endlich gelangten sie an ihr Ziel: Deadman´s End, eine kleine Siedlung in den unteren Ebenen, mit einer Handelsstation, die von einem begildeten Händler betrieben wurde. Bernard, der Schlaukopf hatte den Händler überfallen und 970 Schekel geraubt, aber sich dann nicht schnell genug verdünnisiert. Trottel wie er wurden nie alt, wobei Bernard schon zweiundzwanzig war, ein erstaunliches Alter für jemanden wie ihn. Seine Glückssträhne war wohl nun endgültig vorbei, als einer der stämmigen Wächter der Station ihn in einen kleinen Raum schubste und ihn dort auf einen wackeligen Sitz drückte, der aus einem halben Fass hergestellt worden war.
„Woher hattest du die Information wann das Geld weggebracht werden sollte? Rede lieber, tut dir besser…glaubs mir.“
„Nen Scheißdreck werd ich euch erzählen!“
Claire beugte sich vor und lächelte kalt.
„Du willst also die harte Tour?“
Zu spät erkannte sie ihren Fehler, auch wenn die Hände in Handschellen stecken mochten, so konnte er seinen Oberkörper doch frei bewegen. Schneller als sie es für möglich gehalten hätte versetzte er ihr eine Kopfnuss. Claire taumelte zurück, Blut lief ihr ins Gesicht.
„Das war für den Tritt du Miststück!“
Tatsächlich war die Platzwunde an seiner Schläfe noch mit geronnenem Blut bedeckt.
Wortlos repetierte sie das Gelgeschoss aus dem Lauf und lud ein Vollmantelgeschoss. Sie nahm die Flinte und rammte sie ihm in den Unterleib.
„Oh, Scheiße, ist gut, ist ja gut, Berkley hat es mir erzählt.“
Stammelte der Gefangene panisch, da er seine Männlichkeit von einer Killerin mit Gewehr bedroht sah.
„Berkley…soso.“ murmelte der Wächter. „Claire deine Aufgabe hier ist beendet.“
Sorgfältig zählte sie das Geld nach, während sie zusah wie zwei Wächter den sich nun entschieden wehrenden Bernard zu dem kleinen Gerüst trugen. Doch so viel er auch zappelte und schrie es half alles nix, die Schlinge wurde um seinen Hals gelegt und er vom Gerüst gestoßen. Drei oder vier Minuten baumelte der wildzappelnde Möchtegernräuber noch, dann endete seine Gegenwehr. Claire stand auf, nahm der Leiche die Handschellen ab und verstaute sie wieder. Kurz darauf verließ sie den zerfallenen Außenposten wieder und machte sich auf den Weg zum Waffenhändler ihres Vertrauens.
Dort verkaufte sie die beiden Waffen der Toten für eine hübsche Stange Geld und kaufte im Gegenzug die verbrauchte Munition nach. Ihre nächste Station waren die mittleren Ebenen, sie nahm einen wenig benutzten Weg um nicht in eine Kontrolle zu geraten, sicher sie war Kopfgeldjägerin und hatte auch eine Lizenz, aber mit einem abgetrennten Kopf durch die Gegend zu rennen konnte einem schon eine sehr gründliche Befragung einbringen, nicht in den unteren Ebenen, dort gab es keine Kontrollen, aber hier oben sah das anders aus. Erschöpft und abgekämpft kam sie in ihrer kleinen Wohnung an, Sie zwang sich den Kopf vom anhaftenden Gel des Geschosses und Blut zu reinigen, dann steckte sie ihn zurück in seine Tüte und legte ihn in einen Karton. Ebenso wie den Kopf reinigte sie ihre Kleider und Waffen, schließlich war sie durch die gesammelten Exkremente der Makropole gewatet und ihr Anzug verbreitete einen widerlichen Gestank in dem kleinen Zimmer. Ihr Kopf schmerzte schon vor Übermüdung, jetzt wo das Adrenalin nachließ, sie warf eine zweite Tablette ein, sie wusste, das diese weit weniger lange vorhalten würde als die erste und auch der Tribut den sie von ihrem Körper fordern würde ein weitaus schlimmerer sein würde. Trotz allem brachte sie es fertig sich noch mal zu überwinden, runter zu gehen und den Blockwart aufzusuchen. Sie zahlte die noch schuldige Miete und auch die für den laufenden Monat. Ein gebrummtes „Das wurd ja auch Zeit.“ war alles was der Fettsack dazu zu sagen hatte. Sie war kaum wieder in ihrer Wohnung angekommen als es an der Tür klopfte. Es war Sil, ein Hüne von Kopfgeldjäger, einer der wenigen dem sie vertraute, auch wenn Vertrauen in ihrem Geschäft eher die Ausnahme darstellte.
„Na Kleine warst du erfolgreich?“
„Ja und du?“
„Ebenfalls!“ Er grinste breit „Ich bin ein reicher Mann, 300 Schekel.“
Claire lachte „Und ich bin müde und schmutzig.“
„Ich hoffe du bist nicht zu müde um ein bisschen zu feiern.“
Die warme Dusche erweckte langsam ihren malträtierten Körper wieder zum Leben und auch ihre Kopfschmerzen ließen nach. Sich deutlich besser fühlend kam sie aus der Dusche, Sil hatte hinter der Tür gelauert und sie sich geschnappt als sie aus dem Bad trat. Sich gegen ihn zu wehren war zwecklos, er war einer der stärksten Männer die sie kannte, nicht das sie sich hätte wehren wollen. Ehe Claire sich versah hatte er ihr ihre Handschellen angelegt und sie aufs Bett geworfen. Sie stöhnte laut als er in sie eindrang. Der Sex war kurz und hart.
Noch immer gefesselt kuschelte sie sich in seinen Arm.
„Weißt du rein zufällig wer damals Rollins kalt gemacht hat?“
„Das war Trevor, wieso fragst du?“
„Ach bloß so, ging mir gerade durch den Kopf.“
Trevor, ja das hätte sie sich denken können, der war so abgezuckt, der wagte es sogar Lucky zu bescheißen. Trevor hatte schon immer ein zu großes Ego gehabt, das Problem war jedoch, das er beinahe so gut war, wie er dachte.
„Ja, das wär nen schöner Haufen Schotter gewesen.“
„Silvi ist scharf auf dich, wusstest du das?.“ Er lachte. „Die Kleine aus dem Loch?“
[B]„Ja, ich hab ihr gesagt das wir nur Freunde sind. Sie wollte es erst nicht glauben, ich glaub ich sollte in Zukunft wieder auf nem Stuhl und nicht auf deinem Schoß sitzen.“
Claire genoss das Glück des Augenblicks und einen Moment später war sie auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Vorsichtig um sie nicht zu wecken nahm Sil ihr die Handschellen ab. „Silvi…hmm, na ja…“Murmelte er noch bevor er selber einschlief.
Sie erwachte spät am nächsten Morgen. Sil war schon weg, hatte ihr aber ne Notiz dagelassen, das sie ihn im Loch finden könne.
Ob Silvi wohl weiß was du magst? Vielleicht ist sie dann nicht mehr ganz so versessen auf dich.
Claire zog sich an, besah noch kurz ihre Platzwunde über der Augenbraue und nahm dann die Bahn bis kurz vor Luckys Büro. Sie betrat den Raum mit dem Karton unter dem Arm und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Sie kannte Lucky, wenn auch nur flüchtig, sie hatte zwei oder drei kleine Aufträge von ihm erledigt, nichts aus seinem Stammgeschäft, nur Kleinigkeiten.
„Claire richtig?“
„Ja, es gibt ein Problem.“
Sie stellte den Karton auf seinen Schreibtisch.
„Schau dir den mal an. Den hab ich vorgestern von seinen Schultern geholt…“
Es war klar, das dies Rollins echter Kopf sein musste denn im Gegensatz zu Trevors Exemplar, war dieser hier unversehrt.
Sie erreichte eine kleine Halle, in der die träge vor sich hinfließende Suppe in einen offenen Schacht stürzte, geschickt schwang sie sich an der bodenlosen Öffnung vorbei und betrat eine kleine Wartungsplattform in der Mitte des Schachtes. Eine verrostete Stahlleiter führte von hier nach oben. Claire löschte die Lampe und schulterte ihre Schrotflinte. Völlige Dunkelheit umgab sie nun, kein einziger Lichtstrahl fiel in dieses Gottverlassene Loch. Vorsichtig tastend fand sie die Leiter vor sich. Leise und methodisch stieg sie empor, stets tastend ob der rissige Stahl ihr Gewicht würde halten können. Endlich erreichte sie die darüber liegende Ebene, fast sechzig Meter über der Plattform. Trotz der merklichen Kühle die hier herrschte schwitzte sie und sie bemühte sich trotz der Filtermaske ruhig und gleichmäßig zu atmen. Es war lange her seit sie das letzte mal hier gewesen war, dieser Teil der Makropole war beinahe Menschenleer, verlassene Kavernen und Abwassertunnel. Der Gestank der Exkremente von Millionen, die seit Jahrhunderten den selben Weg nahmen lag in der Luft wie eine bleischwere Decke. Claire betrat zielsicher einen weiteren Tunnel und folgte ihm leise im Schein ihrer Lampe bis zu einer Einmündung eines trockengelegten Kanals, der sich ein Stück oberhalb des ursprünglichen Tunnels befand. Geschickt kletterte sie in das staubige Kanalbett und folgte diesem mit raschem Schritt eine Weile. Unvermittelt knipste sie wieder ihre Leuchte aus, behielt diesmal jedoch ihr Gewehr in der Hand. Vorsichtig schob sie sich ihre Infrarotbrille auf die Augen. Die Infrarotsicht mochte einen Menschen in der Dunkelheit sofort verraten, doch zu ihrer Orientierung trug sie nichts bei, hier hatte alles die gleiche Temperatur. In einer Umgebung in der sich vielleicht seit Jahren oder gar Jahrzehnten kein Lufthauch mehr bewegt hatte, hatte die Konvektion jeden Unterschied, der einmal zwischen der Luft und dem umgebenden Gestein geherrscht haben mochte verschwinden lassen. Wieder verließ sie sich auf ihren Tastsinn und auf ihre Erinnerungen. Schon bald hatte sie gefunden was sie suchte, eine Öffnung seitlich des Kanalbettes, welche zu einem Sammelbecken führte. Zu ihrer Enttäuschung jedoch war das Sammelbecken leer. Hier war er also nicht untergekrochen, aber es gab fast zwei Dutzend solcher Sammelbecken an diesem Kanal. Claire unterdrückte einen Fluch und ertastete ihren Weg zurück in den Staubigen Kanal. Eine Stunde verging in der Dunkelheit und sie fand zwei weitere leere Becken vor. Sie wusste sie war hier richtig, sie hatte Fußspuren im Staub gesehen, als sie es noch wagen konnte ihre Lampe zu benutzen.
Ihre Infrarotsicht zeigte ihr die vierte Öffnung an, etwas war hier anders sie konnte sie deutlich ausmachen und auch der Kanal hatte seine Temperatur geändert, wenn auch nur minimal. Langsam schob sie die Brille nach oben, aus der Öffnung kam ein warmer flackernder Schein und ihr war als hätte sie gerade eine Stimme gehört. Ja, da wieder, sie waren mindestens zu Zweit. Sie war sich sicher es waren zwei Stimmen, nicht eine einsame Seele die Selbstgespräche führte. Geduld war eine Tugend für einen Jäger, doch warten war ihr schon immer schwer gefallen. Leise schlich sie ein Stück des Weges zurück und lehnte sich mit dem Rücken an die Kanalwand. Hin und wieder setzte sie die Brille ab um zu sehen ob das Flackern des Feuers langsam verlosch, vor allem aber um selber nicht einzuschlafen. Mittlerweile saß sie im Staub des Kanalbodens sie war so müde, das sie vorsichtshalber eine Aufputschtablette eingeworfen hatte. Endlich, nach Stunden, verlosch das Feuer. Sie rückte ihre Infrarotsicht zurecht, überprüfte blind ob ihre Waffe entsichert war und schlich auf die Tür zu. Sie konnte gut die Wärme der verlöschenden Glut ausmachen und die der beiden Körper die dort lagen. Es waren zwei Männer. Vorsichtig und ohne ein Geräusch zu verursachen glitt sie näher. Offenbar hatten die beiden sich sicher gefühlt, keiner hielt Wache und sie hatten auch sonst keine unliebsamen Überraschungen hinterlassen. Kaum hatte Claire den Gedanken zu ende gedacht, als etwas laut scheppernd von ihrer Anwesenheit zeugte. Scheiße! Einer der Männer sprang in einer fließenden Bewegung auf und griff reflexartig nach seiner Waffe. Noch bevor er seine Waffe heben konnte schoss Claire. Das Gelgeschoss traf ihn im Bauch und riss ihn zu Boden, ein zweiter Schuss traf ihn am Hinterkopf, jetzt regte er sich nicht mehr. Der zweite Mann setzte sich verschlafen auf nur um im selben Moment von einem weiteren Gelgeschoss getroffen zu werden, das Projektil traf ihn an der Brust, presste die Luft aus seiner Lunge und warf ihn in den Staub. Stöhnend und nach Atem ringend versuchte er erneut auf die Beine zu kommen. Mühsam erhob er sich auf alle Viere und spukte eine gute Portion Dreck aus. Im schwachen Licht der letzten Glut konnte er gerade noch einen Schatten ausmachen, als ihn Claires Stiefel hart am Kopf traf und er das Bewusstsein verlor. Sein Kopf dröhnte als er wieder zu sich kam, das erste was er bemerkte war das Feuer, jemand hatte es wieder entfacht. Hände und Füße waren gefesselt, jetzt hatte er Gewissheit, er war von einem der Bluthunde gefunden worden, die ihn jagten. Er blinzelte um seinen Häscher im flackernden Schein des Feuers erkennen zu können. Eine Frau? Sie sprach mit seinem Begleiter.
„Rollins? Ich dachte du wärst tot. Dachte auf ner Kugel hätte dein Name gestanden.“
Die beiden schienen sich zu kennen, vielleicht gab es ja doch noch die Hoffnung hier raus zu kommen.
„Tja, nicht dein Glückstag heute Rollins.“ „Fahr zur Hölle Claire.“ „Du trittst den Weg wohl vor mir an, machs gut Rollins.“
Er konnte sehen wie das Mädchen einen Revolver zog und auf Rollins richtete.
„Scheiße, du verfluchte Hu…“ Der letzte Teil des Satzes ging in einem Lauten Knall unter, dicht gefolgt von einem weiteren Schuss. Sein Gefährte stöhnte noch einmal, zuckte kurz, dann war es vorbei. Entsetzt sah er zu wie das Mädchen ein Nahkampfmesser zog und damit begann dem eben Verstorbenen den Kopf abzutrennen. Ein blutiges Handwerk, auch wenn das Herz des Unglücklichen, von zwei Kugeln zerfetzt, aufgehört hatte zu schlagen, so bildete sich doch schnell eine große Blutlache im Dreck. Die abscheuliche Arbeit fand ihren grausigen Höhepunkt und Ende in einem knirschenden Schmatzen, mit dem sie in einer Drehbewegung den Kopf von der Halswirbelsäule trennte. Der Kopf wanderte dann in eine Plastiktüte und verschwand im Rucksack der Kopfjägerin.
„Er hätte das hübsche kleine Spielzeug nicht bumsen sollen, nicht wahr Bernard? Es soweit zu bringen und dann das…“ Sie ließ den Satz unvollendet. Sie beide kannten die Story, wie sich Rollins mit Cleverness und Rücksichtslosigkeit nach oben geboxt hatte. Bis er Besitzer des Clubs ‚Schwarze Nacht’ war, eine Party- und Drogenhöhle genau an der Grenze zwischen den unteren und den mittleren Ebenen. Ein beliebtes Ziel für unwichtige Adlige, die hier den Nervenkitzel und die Befriedigung ihrer Süchte suchte. Es schien als wenn Rollins auf dem Weg nach wirklich ganz oben war, bis er im Rausch eine seiner Gäste vögelte. Das Mädchen war wohl nicht so ganz damit einverstanden gewesen, auf jeden Fall aber war ihr Vater es nicht, er setzte ein Belohnung von 2000 Schekel auf Rollins Kopf aus. Das ganze lief über Major Lucky, war also ein reiner Killauftrag. Die Sache hatte bloß einen Haken: Jemand hatte bereits Rollins Kopf abgeliefert und kassiert. Zu erkennen war er ja einfach, bei dem komplett tätowierten Schädel. Irgendeine ganz ausgebuffte Seele hatte wohl einen Kopf der nach Rollins aussah nachträglich mit dem ihm eigenen Mustern verschönert. Ein gefährliches Spiel, Lucky stand im Ruf keine Sachen unter 1000 Schekel anzunehmen und er hatte eine halbe Armee von Söldnern in der Hinterhand wenn es nötig war. Das Kopfgeld auf Rollins konnte sie vergessen, es war bereits gezahlt und Lucky würde sicher nicht zweimal zahlen. Allerdings war es nicht verkehrt wenn er einem eine Gefälligkeit schuldete, na ja zumindest besser als nichts. Sie wandte sich wieder Bernard zu, ihrer eigentlichen Beute, keine traumhaften 2000 Schekel, sondern nur ein kleiner Fisch für 250, aber bekanntlich macht Kleinvieh auch Mist und im Moment konnte sie wirklich nicht wählerisch sein. Wenigstens konnte sie nun die Miete für den letzten und den nächsten Monat zahlen, auch der Verkauf der Waffen dürfte noch nen paar zusätzliche Schekel bringen, Rollins Waffe war eine teure Vollautomatik.
Der Rückweg war noch länger als der Hinweg auch wenn Bernard zum Glück keine unsinnigen Fluchtversuche anstellte. Offenbar saß der Schock über ihre Kaltblütigkeit ihm noch in den Knochen. So stolperte er nun vor ihr durch die Tunnel. Endlich gelangten sie an ihr Ziel: Deadman´s End, eine kleine Siedlung in den unteren Ebenen, mit einer Handelsstation, die von einem begildeten Händler betrieben wurde. Bernard, der Schlaukopf hatte den Händler überfallen und 970 Schekel geraubt, aber sich dann nicht schnell genug verdünnisiert. Trottel wie er wurden nie alt, wobei Bernard schon zweiundzwanzig war, ein erstaunliches Alter für jemanden wie ihn. Seine Glückssträhne war wohl nun endgültig vorbei, als einer der stämmigen Wächter der Station ihn in einen kleinen Raum schubste und ihn dort auf einen wackeligen Sitz drückte, der aus einem halben Fass hergestellt worden war.
„Woher hattest du die Information wann das Geld weggebracht werden sollte? Rede lieber, tut dir besser…glaubs mir.“
„Nen Scheißdreck werd ich euch erzählen!“
Claire beugte sich vor und lächelte kalt.
„Du willst also die harte Tour?“
Zu spät erkannte sie ihren Fehler, auch wenn die Hände in Handschellen stecken mochten, so konnte er seinen Oberkörper doch frei bewegen. Schneller als sie es für möglich gehalten hätte versetzte er ihr eine Kopfnuss. Claire taumelte zurück, Blut lief ihr ins Gesicht.
„Das war für den Tritt du Miststück!“
Tatsächlich war die Platzwunde an seiner Schläfe noch mit geronnenem Blut bedeckt.
Wortlos repetierte sie das Gelgeschoss aus dem Lauf und lud ein Vollmantelgeschoss. Sie nahm die Flinte und rammte sie ihm in den Unterleib.
„Oh, Scheiße, ist gut, ist ja gut, Berkley hat es mir erzählt.“
Stammelte der Gefangene panisch, da er seine Männlichkeit von einer Killerin mit Gewehr bedroht sah.
„Berkley…soso.“ murmelte der Wächter. „Claire deine Aufgabe hier ist beendet.“
Sorgfältig zählte sie das Geld nach, während sie zusah wie zwei Wächter den sich nun entschieden wehrenden Bernard zu dem kleinen Gerüst trugen. Doch so viel er auch zappelte und schrie es half alles nix, die Schlinge wurde um seinen Hals gelegt und er vom Gerüst gestoßen. Drei oder vier Minuten baumelte der wildzappelnde Möchtegernräuber noch, dann endete seine Gegenwehr. Claire stand auf, nahm der Leiche die Handschellen ab und verstaute sie wieder. Kurz darauf verließ sie den zerfallenen Außenposten wieder und machte sich auf den Weg zum Waffenhändler ihres Vertrauens.
Dort verkaufte sie die beiden Waffen der Toten für eine hübsche Stange Geld und kaufte im Gegenzug die verbrauchte Munition nach. Ihre nächste Station waren die mittleren Ebenen, sie nahm einen wenig benutzten Weg um nicht in eine Kontrolle zu geraten, sicher sie war Kopfgeldjägerin und hatte auch eine Lizenz, aber mit einem abgetrennten Kopf durch die Gegend zu rennen konnte einem schon eine sehr gründliche Befragung einbringen, nicht in den unteren Ebenen, dort gab es keine Kontrollen, aber hier oben sah das anders aus. Erschöpft und abgekämpft kam sie in ihrer kleinen Wohnung an, Sie zwang sich den Kopf vom anhaftenden Gel des Geschosses und Blut zu reinigen, dann steckte sie ihn zurück in seine Tüte und legte ihn in einen Karton. Ebenso wie den Kopf reinigte sie ihre Kleider und Waffen, schließlich war sie durch die gesammelten Exkremente der Makropole gewatet und ihr Anzug verbreitete einen widerlichen Gestank in dem kleinen Zimmer. Ihr Kopf schmerzte schon vor Übermüdung, jetzt wo das Adrenalin nachließ, sie warf eine zweite Tablette ein, sie wusste, das diese weit weniger lange vorhalten würde als die erste und auch der Tribut den sie von ihrem Körper fordern würde ein weitaus schlimmerer sein würde. Trotz allem brachte sie es fertig sich noch mal zu überwinden, runter zu gehen und den Blockwart aufzusuchen. Sie zahlte die noch schuldige Miete und auch die für den laufenden Monat. Ein gebrummtes „Das wurd ja auch Zeit.“ war alles was der Fettsack dazu zu sagen hatte. Sie war kaum wieder in ihrer Wohnung angekommen als es an der Tür klopfte. Es war Sil, ein Hüne von Kopfgeldjäger, einer der wenigen dem sie vertraute, auch wenn Vertrauen in ihrem Geschäft eher die Ausnahme darstellte.
„Na Kleine warst du erfolgreich?“
„Ja und du?“
„Ebenfalls!“ Er grinste breit „Ich bin ein reicher Mann, 300 Schekel.“
Claire lachte „Und ich bin müde und schmutzig.“
„Ich hoffe du bist nicht zu müde um ein bisschen zu feiern.“
Die warme Dusche erweckte langsam ihren malträtierten Körper wieder zum Leben und auch ihre Kopfschmerzen ließen nach. Sich deutlich besser fühlend kam sie aus der Dusche, Sil hatte hinter der Tür gelauert und sie sich geschnappt als sie aus dem Bad trat. Sich gegen ihn zu wehren war zwecklos, er war einer der stärksten Männer die sie kannte, nicht das sie sich hätte wehren wollen. Ehe Claire sich versah hatte er ihr ihre Handschellen angelegt und sie aufs Bett geworfen. Sie stöhnte laut als er in sie eindrang. Der Sex war kurz und hart.
Noch immer gefesselt kuschelte sie sich in seinen Arm.
„Weißt du rein zufällig wer damals Rollins kalt gemacht hat?“
„Das war Trevor, wieso fragst du?“
„Ach bloß so, ging mir gerade durch den Kopf.“
Trevor, ja das hätte sie sich denken können, der war so abgezuckt, der wagte es sogar Lucky zu bescheißen. Trevor hatte schon immer ein zu großes Ego gehabt, das Problem war jedoch, das er beinahe so gut war, wie er dachte.
„Ja, das wär nen schöner Haufen Schotter gewesen.“
„Silvi ist scharf auf dich, wusstest du das?.“ Er lachte. „Die Kleine aus dem Loch?“
[B]„Ja, ich hab ihr gesagt das wir nur Freunde sind. Sie wollte es erst nicht glauben, ich glaub ich sollte in Zukunft wieder auf nem Stuhl und nicht auf deinem Schoß sitzen.“
Claire genoss das Glück des Augenblicks und einen Moment später war sie auch schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Vorsichtig um sie nicht zu wecken nahm Sil ihr die Handschellen ab. „Silvi…hmm, na ja…“Murmelte er noch bevor er selber einschlief.
Sie erwachte spät am nächsten Morgen. Sil war schon weg, hatte ihr aber ne Notiz dagelassen, das sie ihn im Loch finden könne.
Ob Silvi wohl weiß was du magst? Vielleicht ist sie dann nicht mehr ganz so versessen auf dich.
Claire zog sich an, besah noch kurz ihre Platzwunde über der Augenbraue und nahm dann die Bahn bis kurz vor Luckys Büro. Sie betrat den Raum mit dem Karton unter dem Arm und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Sie kannte Lucky, wenn auch nur flüchtig, sie hatte zwei oder drei kleine Aufträge von ihm erledigt, nichts aus seinem Stammgeschäft, nur Kleinigkeiten.
„Claire richtig?“
„Ja, es gibt ein Problem.“
Sie stellte den Karton auf seinen Schreibtisch.
„Schau dir den mal an. Den hab ich vorgestern von seinen Schultern geholt…“
Es war klar, das dies Rollins echter Kopf sein musste denn im Gegensatz zu Trevors Exemplar, war dieser hier unversehrt.