10-02-2019, 07:53 PM
Nun, da der Plan nicht nur gefasst war, sondern tatsächlich in die Ausführung überging, war Ignatz von fieberhafter Aktivität ergriffen.
Eine Reise ins Unbekannte war diese ganze Expedition gewesen. In vielerlei Hinsicht und die Gefahren des Dschungels waren dabei nur ein Faktor. Doch jetzt würden sie auch die letzte dünne Halteleine durchtrennen, die ihnen Sicherheit gab.
Er baute auf die Fähigkeiten Sequoyahs, doch man durfte nicht vergessen, dass bei all seiner Vertrautheit mit der Wildnis, dies hier ein fremder Planet für ihn war. War ihnen das Glück nicht hold, dann war ihr Leben keinen Pfifferling wert. Die Angst wühlte flau in Ignatz Magen, doch zu gleichen Teilen kam dies auch durch die schiere Aufregung und Vorfreude auf dieses Abenteuer.
Wie sich herausstellte ebnete der übermäßige Konsum von Alkohol und frisch zubereiteter Nahrung nicht etwa der Gewalt den Weg, sondern schien die Gemüter aller zu erden und zu besänftigen.
Zaghaft kamen auch die Frauen und Kinder aus den Hütten und beäugten die Fremden neugierig. Die willkommene Pause stand den Flussfahrern gut an. Es schien tatsächlich, als hätten sie in Gedanken bereits das Ende ihrer Reise erreicht und würden nach einem angenehmen Aufenthalt mit Verköstigung, die Heimreise antreten. Das immerhin stimmte sie milde und Gewalt lag nicht unmittelbar in der Luft.
Als Ignatz auf das Schiff kletterte um seine letzten Habseligkeiten zu holen, tat er dies nicht heimlich, sondern in offensiver Manier. Er grummelte und fluchte vor sich hin und stieß Verwünschungen gegen den Kapitän aus. Als die beiden Deckswachen ihn grinsend fragten ob alles in Ordnung sei, machte er auch sie zum Ziel ausgesuchter Flüche.
Als sie dann schon etwas kleinlauter wissen wollten, warum er sein Zeug an Land schaffte, wo sie doch bald genug zurück fahren würden, bediente er sich des Bildes, welches sie wohl ohnehin von ihm hatten. Nämlich das des arroganten Akademikers.
Ob sie wüssten, wie man Feldforschung durchführte, schnauzte er sie an. Ob ihnen der Verlust für die Wissenschaft klar wäre, den er hier mit ein paar verbleibenden Stunden so weit wie möglich abzuschwächen gedachte. Überhaupt sei es eine Frechheit, dass ihre Umkehr bereits als beschlossene Sache gelten würde, wo ihm Miller doch zugesagt habe, das man beim Erreichen eines Dorfes über die Weiterfahrt entscheiden würde.
Die Männer waren am Ende regelrecht eingeschüchtert und heil froh, als er sich wieder dem Zusammenpacken zuwandte.
Sich auf diese Art von neugierigen Blicken über die Schulter entledigt, machte sich Ignatz daran eine schwere Entscheidung zu treffen. Nämlich was er mitnehmen würde. Persönliche Dinge, wie sein Moskitonetz und die Hängematte waren dabei klar.
Er wickelte seinen Säbel in das Tuch und steckte sich die Pistole in den Gürtel. Er würde sie später laden, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Gern hätte er seine Kiste im Ganzen mitgenommen, doch ihm war klar, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Selbst wenn sie unbehelligt in den Dschungel kamen, ohne vor den Männern fliehen zu müssen, die er mit seiner Abwesenheit um die Hälfte der versprochenen Zahlung prellen würde. Das Vorankommen mit dem unhandlichen Ungetüm würde unnötig schwer sein. Also suchte er das Wichtigste heraus.
Das war natürlich der Einwegsender und die beiden Notizbücher mit seinen bisherigen Erkenntnissen. Die gesammelten Exponate und Proben würde er zurücklassen müssen. Vielleicht war der Kapitän integer genug sie zu übergeben, so dass sie nach Gohmor gebracht werden konnten. Sei es auch nur, weil er sich davon eine Belohnung versprach.
Sein Schreibzeug und Sezierbesteck würden ebenfalls mit auf die Reise gehen. Alles was einigermaßen handlich ausfiel nahm er mit und beschwichtigte sich damit, dass er es im Notfall auf ihrem Marsch noch zurücklassen konnte.
Auch den unheimlichen Fetisch wog er in der Hand, halb versucht ihn über Bord zu werfen, dabei aber wohl wissen, dass er es nicht tun würde. Das Ding wanderte in seine Tasche, wo es schwer und giftig lag wie ein Klumpen Uran.
Anschließend ging er hinauf zur Brücke und verschaffte sich Eintritt. Ein kurzer Blick offenbarte, dass niemand hier war und das ihn die Deckswachen von unten nicht sehen konnten.
Er ging an den Medikamentenschrank und plünderte gerade so viel, dass ein flüchtiges Begutachten der Bestände den Diebstahl nicht gleich entlarven würde.
Dann begab er sich mit seinem Bündel wieder an Land. Er brachte alles in den Pavillon aus Blättern, welchen man ihnen als Schlafplatz zugedacht hatte.
Als der Abend die Schatten länger werden ließ, ging der offizielle Teil in der hochgelegenen Hütte der Häuptlinge weiter. Es wurden weitere Geschichten erzählt, sowohl von Seiten der Reisenden, wie auch der Einheimischen. Der Kapitän hatte das Prozedere dieses Geschichtenerzählens, in Verbindung mit konkreten Anliegen oder Fragen ganz gut durchschaut. Er gab eine Anekdote zum Besten, wie er einmal mit einem überladenden Dampfer auf eine Sandbank gefahren war und sie wertvolle Handelsgüter in den Fluss hatten werfen müssen um wieder freizukommen. Die Geschichte mochte wahr sein oder auch nicht, doch sie gab ihm eine gelungene Überleitung zu seiner Frage nach Möglichkeiten des Handels.
Dem, so antworteten die Weisen des Dorfes, stünde generell nichts im Wege, auch wenn man freilich besprechen müsste was genau gegen was getauscht werden sollte. Damit immerhin gab sich Miller erst einmal zufrieden und zog sich mit verschränkten Armen in sich selbst zurück, um im Geiste bereits profitable Rechnungen anzustellen.
Ignatz hatte vor die Eingeborenen nach dem Monstrum zu fragen, welches sie bei der Fackeljagd angegriffen hatte. Da er jedoch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte, erzählte er, als es an ihm war etwas zum Besten zu geben, von ihrer Begegnung mit den Wahnwürmern.
Der Schilderung dieses unheimlichen Abenteuers stellte er die Frage nach, ob ihnen ähnliche Zwischenfälle bekannt seien. Die Übersetzung war langwierig und die Krieger und Ältesten des Dorfes berieten sich danach in ihrer eigenen Sprache.
Derweil wurden die Gäste weiter reichlich verköstigt und es gab mehr des vergorenen Fruchtsaftes. Da ihre Flucht anstand war das Letzte was der Professor wollte, sich zu betrinken. Er fürchtete jedoch auch, dass es auffallen würde, wenn er jedes Mal ablehnte, wenn die Kürbisflasche bei ihm ankam. Also genehmigte er sich ein, zwei Becher, vermischte diese reichlich mit Wasser und genoss viel gesalzenen Fisch dazu. Dennoch war der Kampf gegen den Alkohol kein Sieg auf voller Linie. Ignatz war nie ein standfester Trinker gewesen und wenn es den Schiffern auch wie Limonade vorkommen mochte, verspürte der Professor nach seinen zwei Bechern einen leichten Schwindel.
Sehr ärgerlich, vielleicht wieder verschwunden bis zur Stunde des Handelns.
Ja, die eingeborenen kannten diese erschreckenden Wesen in der Tat, auch wenn sie das Glück hatten, dass sie in ihrem Jagdgebiet nicht sehr häufig vorkamen. Anders als die Eingeborenen im Einzugsgebiet des Majors a.D. König, waren sich die Menschen hier sehr wohl darüber bewusst, dass der Wurm und keine bösen Geister Ursache für die Symptome war. Eine Heilung kannte man auch nicht, aber man tötete die Befallenen schnell und gnädig und überantwortete ihre Überreste dem Fluss, der sie und ihre gefährlichen Bewohner fort trug.
Verpackt waren diese Aussagen in zwei langatmige Geschichten, die halb mythisch und halb real klangen. Die Sage von zwei Brüdern, von denen der eine auf der Jagd dem Wahnsinn der Missgunst verfiel und seinen Anverwandten angriff. Dieser drohte den Attacken zu unterliegen, bis ihm die Geister mit Kraft erfüllten und er seinen Bruder so entkommen konnte. Anschließend lockte er ihn über eine Brücke aus einem umgestürzten Baum, welche er ins Wasser stieß, als sein Bruder auf der Mitte stand. Nicht fähig sein eigen Fleisch und Blut zu töten, überließ er es dem großen Wasser diese Aufgabe zu übernehmen. Die Geister des Wassers aber waren erzürnt darüber, diese Bürde für den jungen Jäger übernehmen zu müssen. Sie verwandelten den Wahnsinnigen Bruder in einen Wurm, dessen Nachfahren seit dem die Menschen für mangelnden Mut und für Feigheit strafen.
Die zweite Geschichte war für Ignatz noch interessanter, da sie ein Ereignis beschrieb, welches ihn über seine eigenen Theorien bezüglich des Wurmes nachdenken ließ.
Dereinst war ein ganzes Dorf dem Wahnwurm verfallen und hatte geschlossen die Nachbarsiedlung angegriffen. Die überraschten Bewohner waren getötet oder infiziert wurden. Auf diese Art hatte sich die Seuche des Wahnwurms verbreitet und erst der Zusammenschluss mehrere, bis dahin verfeindeter Dörfer hatte dem Ganzen ein Ende gemacht. Diese Erzählung passte nicht recht in das Bild, welches Igantz für den Guardian gezeichnet hatte. Es implizierte ein gesteuertes Vorgehen, wo er doch eher das Wirken des Zufalles am Werk gesehen hatte. Iganatz dankte für die Geschichte und während der nächste an der Reihe war, erhob er sich um dem Ruf der Natur nachzukommen. Draußen war es bereits stockdunkel und er stellte erstaunt fest, wie schnell doch die Zeit bei gutem Essen und guten Geschichten verging. Es musste auf Mitternacht zugehen und wenn er noch ein paar Stunden Schlaf finden wollte, dann galt es noch für einige Anstandsminuten an der Versammlung teilzunehmen und sich dann mit Verweis auf die fortgeschrittene Stunde zu entfernen.
Er hatte den Rand des Dorfes erreicht und suchte sich einem Baum, an dem er sich erleichtern konnte. Nach den Geschichten über den Wahnwurm war er sehr bedacht darauf nicht zu in die Dunkelheit zu geraten, welche das Dorf belagerte.
Schnellen Fußes ging er durch die Hütten zurück. Schon tagsüber hatte er den Eindruck gewonnen, dass der soziale Status im Dorf sich in der Höhe er Hütten wiederspiegelte. Ältere Eingeborene oder große Familien hatten die höchst gelegenen Hütten. Junge Paare und alleinstehende Jugendliche lebten ebenerdig. Die Hände in den Taschen vergrabend und dabei unangenehm an die Existenz des kleinen Fetischs erinnert, schlenderte Ignatz durch das Dorf zurück in Richtung Häuptlingshütte.
Als er dabei eine der ebenerdigen Hütten passierte, hörte er das typische Geräusch eines Liebesaktes. Eine Gemeinsamkeit, die Dschungelbewohner mit den Edlen in den Stratosphärentürmen einer Makropole teilten. Privatsphäre hatten die Liebenden dabei nur durch eine Grasmatte, die als Vorhang diente und selbst diese war nicht richtig zugezogen.
Jaja, die Leidenschaft ließ ringsherum alles vergessen. Als der Professor an der Öffnung vorbei ging konnte er sich einen verstohlenen Blick durch den schmalen Spalt nicht verkneifen. Ungehörig und respektlos, gewiss. Aber war nicht auch die Neugier eine nur allzu menschliche Eigenschaft.
Das verschmitzt, schuldbewusste Lächeln verflog jedoch, als sich ihm ein gänzlich anderes Bild als erwartet zeigte.
Dort war ein Akt im Gange, das ja. Aber war dies kein Produkt gegenseitigen Einvernehmens.
Ihn starrte das verängstigte Gesicht einer jungen Frau an, fast noch ein Kind. Ihr lief Blut aus der Nase und auch eine Augenbraue war aufgeplatzt. Auf ihr, die Hose in den Kniekehlen, ächzte und grunzte ein Mann mit heller Haut und gelockten, schwarzen Haaren. Die Eingeborene wimmerte und sagte etwas in ihrer Sprache. Auch ohne deren Kenntnis erkannte Ignatz ein Flehen wenn er es hörte.
Er zerrte den Vorhang zur Seite und zückte die noch immer ungeladene Pistole.
Weg von ihr du Bastard! Stieß er zwischen zusammenpressten Zähnen hervor. Der Flussschiffer drehte ihm den Kopf zu.
Zu Ignatz maßloser Verblüffung handelte es sich um Bijan. Er runzelte die Stirn als er Ignatz sah. Dann lächelte er mild und machte mit den Bewegungen des Unterleibes weiter. Der Professor brauchte eine lange Sekunde das gesehene auch nur zu begreifen. Der gutmütige und immer gut gelaunte Bijan? Der nach dem Zwischenfall während der Jagd sogar noch sanftmütiger und verträumter geworden war? Das konnte nicht sein. Und doch vergewaltigte er, der selbst kaum dem Knabenalter entwachsen war, hier eine Eingeborene.
Ignatz explodierte in zornige Bewegung. Er packte Bijan am Kragen und zog ihn rückwärts.
Lass mich! Schrie dieser mit den Armen rudernd. Ich muss es tun.
Du bist ja von Sinnen. Ignatz versuchte ihn aus der Hütte zu schleifen, doch Bijan ging zum Angriff über. Er legte seine Hände um den Hals des Wissenschaftlers und drückte zu. Ein Leben harter Arbeit hatte ihn mit beachtlicher Kraft ausgestattet und er hielt sich nicht zurück. Ich muss es tun, ich muss es tun! Wiederholte er und drückte fester zu. Sein Gesichtsausdruck war dabei verzerrt, doch in den dämmerigen Augen lag kein Zorn. Nur Entschlossenheit. Das Ignatz kein Mann der Gewalt war, hieß nicht das er wehrlos war. Mit dem Handballen drückte er von unten gegen die Nase seines Bedrängers, was zuweilen genügte jemanden schmerzhaft von sich zu weisen. Bijan machte jedoch keine Anstalten von ihm abzulassen. Kurzentschlossen schmetterte Ignatz ihm den Griff seiner Pistole gegen die Schläfe.
Das lockerte den Griff.
Ein zweiter Treffer verschaffte ihm buchstäblich Luft. Bijan stolperte benommen gegen die Hüttenwand, was das gesamte Gebäude erschütterte. Die geschändete Frau nutzte die Lücke, die so zwischen den Kämpfenden entstand und eilte nach draußen. Lauthals schreiend. Nun kam Leben in die Siedlung. Würden sie sich verantworten und erklären müssen, war jedes Entkommen gescheitert. Selbst wenn die Dorfbewohner nicht auf Rache sannen.
Er fluchte laut.
Jetzt galt es eine Entscheidung zu treffen. Versuchen alles aufzuklären oder die geplante Tat jetzt ausführen? Er entschied sich für Letzteres, ließ. Bijan, Bijan sein und marschierte so schnell er konnte ohne Rennen zu müssen in Richtung Pavillon. Die geflüchtete Frau schrie derweil Zeter und Mordio. Wer konnte es ihr verübeln?
Vor dem Professor trat ein verschlafen dreinschauender Mann aus einem Eingang, den Speer in der Hand. Noch ehe dessen Blick auf ihn fallen konnte, war er abgebogen und zwischen zwei Bäumen verschwunden. Von dort aus schlich Ignatz hinten um einige weitere Hütten herum und näherte sich ihrer Unterkunft.
Dann zerriss ein Schuss die ohnehin entweihte Nachtruhe und in das laute Gezeter der Frau mischten sich andere Rufe. Nun war alles verloren. Ignatz begann zu rennen.
Hoffentlich hatte Sequoyah die gleiche Idee wie er.
Eine Reise ins Unbekannte war diese ganze Expedition gewesen. In vielerlei Hinsicht und die Gefahren des Dschungels waren dabei nur ein Faktor. Doch jetzt würden sie auch die letzte dünne Halteleine durchtrennen, die ihnen Sicherheit gab.
Er baute auf die Fähigkeiten Sequoyahs, doch man durfte nicht vergessen, dass bei all seiner Vertrautheit mit der Wildnis, dies hier ein fremder Planet für ihn war. War ihnen das Glück nicht hold, dann war ihr Leben keinen Pfifferling wert. Die Angst wühlte flau in Ignatz Magen, doch zu gleichen Teilen kam dies auch durch die schiere Aufregung und Vorfreude auf dieses Abenteuer.
Wie sich herausstellte ebnete der übermäßige Konsum von Alkohol und frisch zubereiteter Nahrung nicht etwa der Gewalt den Weg, sondern schien die Gemüter aller zu erden und zu besänftigen.
Zaghaft kamen auch die Frauen und Kinder aus den Hütten und beäugten die Fremden neugierig. Die willkommene Pause stand den Flussfahrern gut an. Es schien tatsächlich, als hätten sie in Gedanken bereits das Ende ihrer Reise erreicht und würden nach einem angenehmen Aufenthalt mit Verköstigung, die Heimreise antreten. Das immerhin stimmte sie milde und Gewalt lag nicht unmittelbar in der Luft.
Als Ignatz auf das Schiff kletterte um seine letzten Habseligkeiten zu holen, tat er dies nicht heimlich, sondern in offensiver Manier. Er grummelte und fluchte vor sich hin und stieß Verwünschungen gegen den Kapitän aus. Als die beiden Deckswachen ihn grinsend fragten ob alles in Ordnung sei, machte er auch sie zum Ziel ausgesuchter Flüche.
Als sie dann schon etwas kleinlauter wissen wollten, warum er sein Zeug an Land schaffte, wo sie doch bald genug zurück fahren würden, bediente er sich des Bildes, welches sie wohl ohnehin von ihm hatten. Nämlich das des arroganten Akademikers.
Ob sie wüssten, wie man Feldforschung durchführte, schnauzte er sie an. Ob ihnen der Verlust für die Wissenschaft klar wäre, den er hier mit ein paar verbleibenden Stunden so weit wie möglich abzuschwächen gedachte. Überhaupt sei es eine Frechheit, dass ihre Umkehr bereits als beschlossene Sache gelten würde, wo ihm Miller doch zugesagt habe, das man beim Erreichen eines Dorfes über die Weiterfahrt entscheiden würde.
Die Männer waren am Ende regelrecht eingeschüchtert und heil froh, als er sich wieder dem Zusammenpacken zuwandte.
Sich auf diese Art von neugierigen Blicken über die Schulter entledigt, machte sich Ignatz daran eine schwere Entscheidung zu treffen. Nämlich was er mitnehmen würde. Persönliche Dinge, wie sein Moskitonetz und die Hängematte waren dabei klar.
Er wickelte seinen Säbel in das Tuch und steckte sich die Pistole in den Gürtel. Er würde sie später laden, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Gern hätte er seine Kiste im Ganzen mitgenommen, doch ihm war klar, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Selbst wenn sie unbehelligt in den Dschungel kamen, ohne vor den Männern fliehen zu müssen, die er mit seiner Abwesenheit um die Hälfte der versprochenen Zahlung prellen würde. Das Vorankommen mit dem unhandlichen Ungetüm würde unnötig schwer sein. Also suchte er das Wichtigste heraus.
Das war natürlich der Einwegsender und die beiden Notizbücher mit seinen bisherigen Erkenntnissen. Die gesammelten Exponate und Proben würde er zurücklassen müssen. Vielleicht war der Kapitän integer genug sie zu übergeben, so dass sie nach Gohmor gebracht werden konnten. Sei es auch nur, weil er sich davon eine Belohnung versprach.
Sein Schreibzeug und Sezierbesteck würden ebenfalls mit auf die Reise gehen. Alles was einigermaßen handlich ausfiel nahm er mit und beschwichtigte sich damit, dass er es im Notfall auf ihrem Marsch noch zurücklassen konnte.
Auch den unheimlichen Fetisch wog er in der Hand, halb versucht ihn über Bord zu werfen, dabei aber wohl wissen, dass er es nicht tun würde. Das Ding wanderte in seine Tasche, wo es schwer und giftig lag wie ein Klumpen Uran.
Anschließend ging er hinauf zur Brücke und verschaffte sich Eintritt. Ein kurzer Blick offenbarte, dass niemand hier war und das ihn die Deckswachen von unten nicht sehen konnten.
Er ging an den Medikamentenschrank und plünderte gerade so viel, dass ein flüchtiges Begutachten der Bestände den Diebstahl nicht gleich entlarven würde.
Dann begab er sich mit seinem Bündel wieder an Land. Er brachte alles in den Pavillon aus Blättern, welchen man ihnen als Schlafplatz zugedacht hatte.
Als der Abend die Schatten länger werden ließ, ging der offizielle Teil in der hochgelegenen Hütte der Häuptlinge weiter. Es wurden weitere Geschichten erzählt, sowohl von Seiten der Reisenden, wie auch der Einheimischen. Der Kapitän hatte das Prozedere dieses Geschichtenerzählens, in Verbindung mit konkreten Anliegen oder Fragen ganz gut durchschaut. Er gab eine Anekdote zum Besten, wie er einmal mit einem überladenden Dampfer auf eine Sandbank gefahren war und sie wertvolle Handelsgüter in den Fluss hatten werfen müssen um wieder freizukommen. Die Geschichte mochte wahr sein oder auch nicht, doch sie gab ihm eine gelungene Überleitung zu seiner Frage nach Möglichkeiten des Handels.
Dem, so antworteten die Weisen des Dorfes, stünde generell nichts im Wege, auch wenn man freilich besprechen müsste was genau gegen was getauscht werden sollte. Damit immerhin gab sich Miller erst einmal zufrieden und zog sich mit verschränkten Armen in sich selbst zurück, um im Geiste bereits profitable Rechnungen anzustellen.
Ignatz hatte vor die Eingeborenen nach dem Monstrum zu fragen, welches sie bei der Fackeljagd angegriffen hatte. Da er jedoch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte, erzählte er, als es an ihm war etwas zum Besten zu geben, von ihrer Begegnung mit den Wahnwürmern.
Der Schilderung dieses unheimlichen Abenteuers stellte er die Frage nach, ob ihnen ähnliche Zwischenfälle bekannt seien. Die Übersetzung war langwierig und die Krieger und Ältesten des Dorfes berieten sich danach in ihrer eigenen Sprache.
Derweil wurden die Gäste weiter reichlich verköstigt und es gab mehr des vergorenen Fruchtsaftes. Da ihre Flucht anstand war das Letzte was der Professor wollte, sich zu betrinken. Er fürchtete jedoch auch, dass es auffallen würde, wenn er jedes Mal ablehnte, wenn die Kürbisflasche bei ihm ankam. Also genehmigte er sich ein, zwei Becher, vermischte diese reichlich mit Wasser und genoss viel gesalzenen Fisch dazu. Dennoch war der Kampf gegen den Alkohol kein Sieg auf voller Linie. Ignatz war nie ein standfester Trinker gewesen und wenn es den Schiffern auch wie Limonade vorkommen mochte, verspürte der Professor nach seinen zwei Bechern einen leichten Schwindel.
Sehr ärgerlich, vielleicht wieder verschwunden bis zur Stunde des Handelns.
Ja, die eingeborenen kannten diese erschreckenden Wesen in der Tat, auch wenn sie das Glück hatten, dass sie in ihrem Jagdgebiet nicht sehr häufig vorkamen. Anders als die Eingeborenen im Einzugsgebiet des Majors a.D. König, waren sich die Menschen hier sehr wohl darüber bewusst, dass der Wurm und keine bösen Geister Ursache für die Symptome war. Eine Heilung kannte man auch nicht, aber man tötete die Befallenen schnell und gnädig und überantwortete ihre Überreste dem Fluss, der sie und ihre gefährlichen Bewohner fort trug.
Verpackt waren diese Aussagen in zwei langatmige Geschichten, die halb mythisch und halb real klangen. Die Sage von zwei Brüdern, von denen der eine auf der Jagd dem Wahnsinn der Missgunst verfiel und seinen Anverwandten angriff. Dieser drohte den Attacken zu unterliegen, bis ihm die Geister mit Kraft erfüllten und er seinen Bruder so entkommen konnte. Anschließend lockte er ihn über eine Brücke aus einem umgestürzten Baum, welche er ins Wasser stieß, als sein Bruder auf der Mitte stand. Nicht fähig sein eigen Fleisch und Blut zu töten, überließ er es dem großen Wasser diese Aufgabe zu übernehmen. Die Geister des Wassers aber waren erzürnt darüber, diese Bürde für den jungen Jäger übernehmen zu müssen. Sie verwandelten den Wahnsinnigen Bruder in einen Wurm, dessen Nachfahren seit dem die Menschen für mangelnden Mut und für Feigheit strafen.
Die zweite Geschichte war für Ignatz noch interessanter, da sie ein Ereignis beschrieb, welches ihn über seine eigenen Theorien bezüglich des Wurmes nachdenken ließ.
Dereinst war ein ganzes Dorf dem Wahnwurm verfallen und hatte geschlossen die Nachbarsiedlung angegriffen. Die überraschten Bewohner waren getötet oder infiziert wurden. Auf diese Art hatte sich die Seuche des Wahnwurms verbreitet und erst der Zusammenschluss mehrere, bis dahin verfeindeter Dörfer hatte dem Ganzen ein Ende gemacht. Diese Erzählung passte nicht recht in das Bild, welches Igantz für den Guardian gezeichnet hatte. Es implizierte ein gesteuertes Vorgehen, wo er doch eher das Wirken des Zufalles am Werk gesehen hatte. Iganatz dankte für die Geschichte und während der nächste an der Reihe war, erhob er sich um dem Ruf der Natur nachzukommen. Draußen war es bereits stockdunkel und er stellte erstaunt fest, wie schnell doch die Zeit bei gutem Essen und guten Geschichten verging. Es musste auf Mitternacht zugehen und wenn er noch ein paar Stunden Schlaf finden wollte, dann galt es noch für einige Anstandsminuten an der Versammlung teilzunehmen und sich dann mit Verweis auf die fortgeschrittene Stunde zu entfernen.
Er hatte den Rand des Dorfes erreicht und suchte sich einem Baum, an dem er sich erleichtern konnte. Nach den Geschichten über den Wahnwurm war er sehr bedacht darauf nicht zu in die Dunkelheit zu geraten, welche das Dorf belagerte.
Schnellen Fußes ging er durch die Hütten zurück. Schon tagsüber hatte er den Eindruck gewonnen, dass der soziale Status im Dorf sich in der Höhe er Hütten wiederspiegelte. Ältere Eingeborene oder große Familien hatten die höchst gelegenen Hütten. Junge Paare und alleinstehende Jugendliche lebten ebenerdig. Die Hände in den Taschen vergrabend und dabei unangenehm an die Existenz des kleinen Fetischs erinnert, schlenderte Ignatz durch das Dorf zurück in Richtung Häuptlingshütte.
Als er dabei eine der ebenerdigen Hütten passierte, hörte er das typische Geräusch eines Liebesaktes. Eine Gemeinsamkeit, die Dschungelbewohner mit den Edlen in den Stratosphärentürmen einer Makropole teilten. Privatsphäre hatten die Liebenden dabei nur durch eine Grasmatte, die als Vorhang diente und selbst diese war nicht richtig zugezogen.
Jaja, die Leidenschaft ließ ringsherum alles vergessen. Als der Professor an der Öffnung vorbei ging konnte er sich einen verstohlenen Blick durch den schmalen Spalt nicht verkneifen. Ungehörig und respektlos, gewiss. Aber war nicht auch die Neugier eine nur allzu menschliche Eigenschaft.
Das verschmitzt, schuldbewusste Lächeln verflog jedoch, als sich ihm ein gänzlich anderes Bild als erwartet zeigte.
Dort war ein Akt im Gange, das ja. Aber war dies kein Produkt gegenseitigen Einvernehmens.
Ihn starrte das verängstigte Gesicht einer jungen Frau an, fast noch ein Kind. Ihr lief Blut aus der Nase und auch eine Augenbraue war aufgeplatzt. Auf ihr, die Hose in den Kniekehlen, ächzte und grunzte ein Mann mit heller Haut und gelockten, schwarzen Haaren. Die Eingeborene wimmerte und sagte etwas in ihrer Sprache. Auch ohne deren Kenntnis erkannte Ignatz ein Flehen wenn er es hörte.
Er zerrte den Vorhang zur Seite und zückte die noch immer ungeladene Pistole.
Weg von ihr du Bastard! Stieß er zwischen zusammenpressten Zähnen hervor. Der Flussschiffer drehte ihm den Kopf zu.
Zu Ignatz maßloser Verblüffung handelte es sich um Bijan. Er runzelte die Stirn als er Ignatz sah. Dann lächelte er mild und machte mit den Bewegungen des Unterleibes weiter. Der Professor brauchte eine lange Sekunde das gesehene auch nur zu begreifen. Der gutmütige und immer gut gelaunte Bijan? Der nach dem Zwischenfall während der Jagd sogar noch sanftmütiger und verträumter geworden war? Das konnte nicht sein. Und doch vergewaltigte er, der selbst kaum dem Knabenalter entwachsen war, hier eine Eingeborene.
Ignatz explodierte in zornige Bewegung. Er packte Bijan am Kragen und zog ihn rückwärts.
Lass mich! Schrie dieser mit den Armen rudernd. Ich muss es tun.
Du bist ja von Sinnen. Ignatz versuchte ihn aus der Hütte zu schleifen, doch Bijan ging zum Angriff über. Er legte seine Hände um den Hals des Wissenschaftlers und drückte zu. Ein Leben harter Arbeit hatte ihn mit beachtlicher Kraft ausgestattet und er hielt sich nicht zurück. Ich muss es tun, ich muss es tun! Wiederholte er und drückte fester zu. Sein Gesichtsausdruck war dabei verzerrt, doch in den dämmerigen Augen lag kein Zorn. Nur Entschlossenheit. Das Ignatz kein Mann der Gewalt war, hieß nicht das er wehrlos war. Mit dem Handballen drückte er von unten gegen die Nase seines Bedrängers, was zuweilen genügte jemanden schmerzhaft von sich zu weisen. Bijan machte jedoch keine Anstalten von ihm abzulassen. Kurzentschlossen schmetterte Ignatz ihm den Griff seiner Pistole gegen die Schläfe.
Das lockerte den Griff.
Ein zweiter Treffer verschaffte ihm buchstäblich Luft. Bijan stolperte benommen gegen die Hüttenwand, was das gesamte Gebäude erschütterte. Die geschändete Frau nutzte die Lücke, die so zwischen den Kämpfenden entstand und eilte nach draußen. Lauthals schreiend. Nun kam Leben in die Siedlung. Würden sie sich verantworten und erklären müssen, war jedes Entkommen gescheitert. Selbst wenn die Dorfbewohner nicht auf Rache sannen.
Er fluchte laut.
Jetzt galt es eine Entscheidung zu treffen. Versuchen alles aufzuklären oder die geplante Tat jetzt ausführen? Er entschied sich für Letzteres, ließ. Bijan, Bijan sein und marschierte so schnell er konnte ohne Rennen zu müssen in Richtung Pavillon. Die geflüchtete Frau schrie derweil Zeter und Mordio. Wer konnte es ihr verübeln?
Vor dem Professor trat ein verschlafen dreinschauender Mann aus einem Eingang, den Speer in der Hand. Noch ehe dessen Blick auf ihn fallen konnte, war er abgebogen und zwischen zwei Bäumen verschwunden. Von dort aus schlich Ignatz hinten um einige weitere Hütten herum und näherte sich ihrer Unterkunft.
Dann zerriss ein Schuss die ohnehin entweihte Nachtruhe und in das laute Gezeter der Frau mischten sich andere Rufe. Nun war alles verloren. Ignatz begann zu rennen.
Hoffentlich hatte Sequoyah die gleiche Idee wie er.