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Orogangwa
#22
Die Prognosen der Flussschiffer lagen relativ richtig.
Zwei Tage später, am späten Nachmittag, erreichten sie ein Dorf. In den grünen Saum des Waldes war eine Lücke geschlagen und Einbäume und grobe Flöße schaukelten auf dem braunen Wasser, alle samt an einem simplen Steg vertäut. Nackte Kinder spielten im und am Wasser. Hunde tollten ausgelassen zwischen ihnen herum, eine Vogelart, die an federlose Hühner erinnerte, suchte den schlammigen Hang nach Fressbarem ab. Weiter hinten ließen sich Hütten erkennen.
Sie schienen aus Pflanzenfasern geflochten zu sein und hingen, zwischen Stangen gespannt, einige Meter in der Höhe. Das gab ihnen ein seltsam organisches Aussehen, das an die Eier von Spinnen oder anderen Wesen mit zu vielen Beinen denken ließ. Einige der Bauwerke bestanden aus mehreren der kugelförmigen Gebilde, was den Eindruck noch verstärkte.
Das heranstampfende Dampfschiff sorgte natürlich für helle Aufregung und Ignatz war ein wenig verwundert über die Arglosigkeit dieser Menschen. Sie schienen die Fremden wirklich erst zu bemerken, als das Gefährt die letzte Biegung des Flusses genommen hatte. Bei allen vorherigen Siedlungen die sie angesteuert hatten, war ihre Ankunft lange vorher durch Späher oder Fischer auf dem Fluss entdeckt und weitergegeben wurden. Johlend und schreiend tobten die Kinder den Hang empor und blieben dort gaffend und weit mehr neugierig als ängstlich stehen.
Jedenfalls so lange, bis Mütter ihre zeternden Sprösslinge davonzerrten. Die Kinder wurden von erwachsenden Männern abgelöst, die Speere und Keulen mit steinernen Spitzen in den Händen hielten. Ein Mann trug sogar, man mochte es nicht glauben, ein rostiges Kampfgewehr der PVS. Nicht die aktuelle Ausführung, ein AG -17 wie Ignatz vermutete.
Die versammelten Krieger des Dorfes wirkten bereit aber nicht aggressiv und fasziniert betrachtete er sie genauer.
Sehr dünn und groß waren sie und ihre Haut war auf Brust und Gesichtern mit dem Schlamm des Flusses beschmiert, auf welchen wiederum Muster aus gelber und weißer Farbe aufgetragen waren.
Die Haartracht war nicht einheitlich. Lang und kurz, aufwendige und simple Frisuren gaben sich ein Stelldichein. Einer schien ein Anführer, Schamane oder eine andere Art von wichtiger Persönlichkeit darzustellen. Ein Kopfschmuck aus Dornen oder Fischgräten zierte sein Haupt und verlieh ihm ein überaus fremdartiges Aussehen.
Wer unter der Mannschaft des Dampfers nicht zu dessen Steuerung gebraucht wurde, stand an der Reling und gaffte wie die Kinder es zuvor getan hatten.
Waffen waren ausgegeben wurden, gleichwohl mit der strikten Order damit nicht den starken Mann zu markieren, sondern lediglich für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Niemand wusste zu sagen, wie Stämme so tief im Wald auf Eindringlinge reagieren mochten. Immerhin ließ man sie anlegen, wenn auch niemand Anstalten machte ihnen beim Landen behilflich zu sein.
Das fällt in ihren Fachbereich Professor. Blaffte der Kapitän aus dem erhöhten Steuerhaus, nachdem der Kahn festgemacht hatte. Machen Sie den Wilden verständlich, dass wir Nahrung und Holz eintauschen wollen. Reine Schikane, denn bis jetzt hatte der Kapitän sich immer damit gebrüstet die Einheimischen übervorteilen zu können, wenn es um Tausch und Handel gegangen war. Es galt wohl mehr Ignatz einen Denkzettel zu verpassen und ihn vorzuführen. Der jedoch gedachte nicht sich die Blöße zu geben. Wenn er und Sequoyah von hier aus alleine weiter machen wollten, dann musste er ohne hin einen guten Kontakt zu den Eingeborenen herstellen. Also gürtete Ignatz sich mit seinem Säbel, eine gute Gelegenheit die Waffe wie beiläufig repräsentativ mit sich zu führen und ging an Land. Nicht ohne vorher ein paar getrocknete Fische und einen Nährriegel mitzunehmen. Vorsichtig passierte er den wackeligen Steg und hielt gemessenen Schrittes auf die Mauer aus Männern zu, die noch immer ungerührt dastanden. Er musste sich den Hang hinauf mühen, schaffte es jedoch ohne die Peinlichkeit hinzufallen.
Ich bin Ignatz! Sprach er sehr deutlich und durch übertriebene Gesten unterstrichen. Meine Freunde und ich, er deutete zum Boot, wollen handeln, dann zu den Fischen und dem Riegel in glänzender Aluminiumfolie. Natürlich waren weder die Fische noch der fade Riegel aus Armeebeständen von wirklichem Interesse.
Allerdings erhoffte sich Ignatz sein Anliegen generell klar machen zu können. Die Dorfbewohner blieben regungslos.
Kann mich jemand verstehen? Meine Sprache sprechen. Eine bescheidene Hoffnung, doch am heutigen Tage fiel ein Glanz des goldenen Throns auf sie. Nachdem es schon so aussah, als sei hier alles vergebens, wandte sich ein einzelner Krieger um und verschwand in Richtung Dorf. Die anderen schienen immer noch wie aus Stein gehauen und unbehaglich wischte sich Ignatz den Schweiß mit seinem Taschentuch von Stirn und Nacken. Er kam sich unendlich albern vor, wie er da mit seinen Fischen und seinem dummen Nährriegel stand.
Dann endlich teilten sich die Reihen und ein uralter Greis, von zwei Kindern begleitet, von denen eines ihn führte und das andere ihn stützte, schlurfte heran.
Der Alte war krumm wie ein Fragezeichen, dürr wie der Tod und schien nur aus Runzeln und Falten zu bestehen. Die Augen waren milchig weiß und weder Haare noch Zähne hatte ihm sein langes Leben gelassen.
Bleiche Männert? Fragte er den Kopf zur Seite gelegt und mit einer Stimme, die kaum mehr war als das Flüstern von Wind in getrockneten Blättern. Vom Anblick des Alten und dem schieren Umstand hier imperiales Gotisch zu hören gebannt, musste sich Ignatz einen Ruck geben zu antworten.
J.. ja! Mein Name ist Ignatz und ich möchte die Gastfreundschaft dieses Ortes in Anspruch nehmen. Wir müssen uns ausruhen und wollen gerne Handel treiben. Der Greis lauschte und übersetzte dann mit seiner brüchigen Stimme.
Der Stachelhaarige antwortete.
Die Sprache dieses Volkes war kehlig und klang ein wenig, als würde sich ein Sprecher abmühen eine große Menge Fleisches zu schlucken.
Der mit Geistern singt sagt kommen. Damit löste sich der Wall aus Kriegern auf und Ignatz atmete erleichtert aus. Der Mann mit dem Gewehr riss ihm Fisch und Riegel aus der Hand und legte ihm dann eine Kette aus Flussmuscheln um den Hals, die er sich selbst vorher abgenommen hatte. Der Professor sah dies als ein angenommenes Begrüßungsgeschenk. Zu den Wartenden auf dem Boot rief er.
Man gewährt uns Gastfreundschaft. Kommen sie, kommen sie!


Eine Stunde später saß man gemeinsam im der großen Hütte, einige Meter über dem Erdboden. Eine erstaunliche Konstruktion, tatsächlich aus geflochtenem Material, eine Art Lianen wie es schien.
Selbst die zwanzig hier versammelten Männer nötigten dem Gebäude und dem Gestänge auf dem es ruhte, nicht einmal ein Ächzen ab. Wenn man sich daran gewöhnt hatte, dass alles etwas konkav ausfiel war es gar recht gemütlich. Mehr noch, im Zentrum stand ein ausgehöhlter Stein, indem ein Feuer brannte und über dem Früchte, Fisch und Fleisch die Reisenden mit ihrem Geruch verlockten. Der Rauch zog nach oben durch ein Loch ab. Man hatte viel Zeit damit verbracht sich gegenseitig vorzustellen und Geschenke auszutauschen. Nippes für die Seite die es hergab, exotische Kostbarkeiten für die die es erhielten. Einfache Überlebensmesser aus gohmorscher Produktion, imperiale Adler aus poliertem Stanzblech und Notrationen gegen kleine rundlich geschnitzte Götzenbilder aus Holz und Bernstein, Trockenfleisch oder Kürbisflaschen voll vergorener Früchte. Gerade letzteres erfreute sich bedenklich großer Beliebtheit. Ignatz hatte einen der geschnitzten Götzen betrachtet, ein rundliches Ei mit angedeuteten Armen und Beinen und einem breiten Grinsen. Interpretation war natürlich trügerisch, doch dieser Heidengott wirkte gutmütig, fast kindlich. Kein Vergleich zu dem Schlangendämon, der ihm ein Loch in die Tasche zu brennen schien.
Er nahm sich vor den Alten oder gar den Schamanen danach zu befragen, wollte aber eine bessere Gelegenheit abwarten.
Sie hatten erfahren, dass der Alte keinen Ehrentitel wie Geistersinger hatte sondern schlicht Alter Mann hieß. Er mochte auch einen richtigen Namen haben, aber das Geräusch seiner Bezeichnung war für Fremde kaum zu imitieren. Er war in einem anderen Dorf aufgewachsen, in dem ein Missionar gepredigt und bekehrt hatte. Dieser hatte ihm auch die Sprache der bleichen Männer gelehrt und erzählt, dass auf einer anderen, auf einer weiten Welt ein großer Gott war, der lebte und doch tot war und dem sie alle huldigen sollten.
Den Dorfbewohnern war es nicht schwer gefallen dies zu glauben und zu akzeptieren. Wohl aber den praktischen Nutzen darin zu sehen. Dieser Gott war weit weg, sie aber mussten mit den Problemen des Alltages zu recht kommen und wandten sich daher natürlich an die Geister und Götter die ihnen unmittelbar zu helfen vermochten. Der weite Gott war mächtig und hatte Schiffe die durch die See der Sterne segelten und hatte Krieger, die unverletzlich wie die Berge waren. Einen Gott der Zerstörung und des Todes fürchtete man und es galt seinen Zorn zu vermeiden. Doch wozu nützte er wenn die Fische ausblieben, der Regen zu lange dauerte oder die Kinder krank wurden? Der Missionar sagte der weite Gott würde sie schützen.
Dann überfiel ein anderes Volk dieses Dorf, tötete den bleichen Mann und verschleppte die Kinder und Frauen in die Gefangenschaft. Der weite Gott half nicht und er beschützte nicht. Er wurde vergessen und nur der Alte Mann, der als Kind unter den Gefangenen gewesen war, wusste heute noch aus dieser Zeit zu erzählen.
Was man sonst noch aus den Tagen kannte die gewesen waren, waren Geschichten und Überlieferungen und das, was die Geister sangen.
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