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Orogangwa
#14
Auch wenn er es vor Ignatz nie zugeben würde, so hatte die Müdigkeit und Erschöpfung auch Sequoyah, während der Nacht fast überwältigt. Mehrmals war er für einige Momente eingenickt und wieder hochgeschreckt. Nur Cordell schien durchzuhalten, auch wenn das Sequoyah von seiner Position in der Spitze des Bootes nicht sicher sagen konnte.
Die Nacht endete so plötzlich, wie der vorherige Tag geendet hatte. Innerhalb weniger Minuten ging die Sonne auf und vertrieb die Dunkelheit. Durch den feinen Nebel konnten sie endlich wieder ihre komplette Umgebung wahrnehmen und waren nicht mehr auf das dürftige Licht der Fackeln und Taschenlampen angewiesen. Angesichts der Schrecken der letzten Nacht eine pure Wohltat für alle Bootsinsassen. Nur Ignatz schien es nicht mitzubekommen, war doch sein Kopf nach vorne gefallen und die Anspannung zum Teil aus seinem schlafenden Körper gewichen. Sequoyah machte sich nicht die Mühe ihn aufzuwecken und ließ ihn ruhen. Der Professor würde froh sein, wenn er dem Kapitän nicht übernächtigt, sondern ausgeschlafen gegenüber treten und sich für den Tod von Bijan rechtfertigen würde.
Langsam ließ Sequoyah seinen Blick über beide Ufer gleiten, wo alles ruhig war. Noch ruhig war um genau zu sein. Denn in weniger als einer Stunde würden sich die Geschöpfe des Waldes wieder in voller Lautstärke bemerkbar machen. Gerade als er sich nach einer Trinkflasche beugen wollte, bemerkte er aus dem Augenwinkel am Ufer eine Bewegung. Erst vermutete er ein Tier, doch das konnte es nicht sein, schließlich lief es auf zwei Beinen, wie ein Mensch. Ja, ein Mensch und nicht irgendeiner. Sequoyah kniff die Augen zusammen, um die Gestalt genauer zu betrachten und hörte Cordell scharf ausatmen.
"Unmöglich!"
Ja, das war es. Anders war es nicht erklärbar, dass Bijan ein Stück weit vor ihnen am linken Flussufer entlangeilte. Er war noch völlig durchnässt, als wäre er eben erst aus dem Wasser gekrochen und hetzte scheinbar blindlings vorwärts.
Hinter sich hörte Sequoyah den Professor sprechen, der scheinbar auch schon aufgewacht war.
"Die Kreatur muss ihn wieder freigelassen haben."
"Unmöglich," entgegnete Sequoyah. "Es gibt keinen Grund warum sie so etwas tun sollte. Es muss eine Falle sein. Sie will uns in ihre Nähe locken oder ablenken. Ich sagte doch, dass es ein Geist gewesen sein muss. Und das da vorne ist nicht Bijan. Der Geist hat seine Gestalt angenommen und will uns täuschen. Das macht ihn noch um einiges gefährlicher, als ich dachte. Wir sollten nicht auf seine Tricks hereinfallen. Haltet Abstand Cordell und fahrt weiter. Auf solche primitiven Tricks werden wir nicht hereinfallen."
Die beiden anderen Männer starrten ihn nur entgeistert an.
"Bist du wahnsinnig?" Zischte der Bootsführer "Das da vorne ist eindeutig Bijan und nicht irgendein Hokuspokus an den vielleicht glauben magst. Ich habe mir den Schwachsinn schon lang genug anhören müssen und werde nicht deinem Aberglauben zuliebe einen Kameraden im Stich lassen!"
Mit diesen Worten lenkte er das Boot in Richtung Ufer und schaute nach einer passenden Anlegestelle.
"Ich verstehe deine Sorgen, aber hier besteht eine reale Chance unseren Begleiter wieder zu retten. Und diese Gelegenheit sollten wir beim Schopfe packen, finde ich." Versuchte der Professor Sequoyah zu besänftigen.
Langsam brachte Cordell sie näher ans Ufer, hielt aber einen gewissen Sicherheitsabstand. Einerseits traute auch er der wundersamen Wiederkehr von Bijan nicht richtig und wenn sie schon in die Falle tappten, würde wenigstens nur Sequoyah dran glauben müssen. Außerdem mochten sich im Flachwasser Hindernisse befinden auf denen sich das Dingi festsetzen konnte.
Sequoyah bedeutete dem Seemann nicht weiter heranzufahren, überreichte Ignatz seine Muskete und sprang in das trübe Wasser. Hier war es noch etwas mehr als hüfttief und er musste sich gegen die Strömung in den Schlamm stemmen, um nicht abgetrieben zu werden. Entlang der Luftwurzeln der Bäume zog er sich langsam in Richtung Ufer und erkletterte sie um das Wasser so schnell wie möglich zu verlassen. Man wusste ja schließlich nie was in den Fluten lauern mochte. Dann hangelte er sich so geschickt es ging in Richtung Ufer und nahm, das Messer in der rechten Hand, die Verfolgung auf. Wobei von einer Verfolgung eigentlich nicht die Rede sein konnte. Bijan hetzte zwar so schnell es ging voran, war aber eindeutig an seiner Belastungsgrenze angekommen, taumelte eher als das er lief und war mehrmals kurz davor hinzufallen. Sequoyah hingegen verringerte mit federnden Schritten spielend die Distanz, setzte ohne abzubremsen über Hindernisse hinweg, packte den völlig durchnässten Mann, riss ihn zu Boden und setzte ihm das Messer an die Kehle. Für ein paar quälend lange Sekunden wartete er darauf, dass sich Bijan als der Gestaltwandler entpuppte, den Sequoah in ihm sah. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen glotzte ihn der Überwältigte verwirrt an, als ob er gerade erst aufgewacht wäre.
"Was soll das Sequoyah? Warum hälst du mir dein Messer an den Hals? Und was machen wir hier am Ufer?"
Der so Angesprochene reagierte in keinerlei Weise auf die Fragen, schaute sich stattdessen misstrauisch um und zog ihn schließlich auf die Beine.
"Wir haben keine Zeit. Müssen sofort weg." Mit diesen Worten packte Sequoyah Bijan und schliff ihn Richtung Fluss zum Boot. Zusammen mit Ignatz gelang es ihm den noch immer Verwirrten aus dem Wasser ins Boot zu hieven und sich selbst hineinzuziehen, ehe Cordell sie wieder in Richtung Flussmitte steuerte und Fahrt aufnahm. Die Versorgung von Bijan überließ er zum Großteil dem Professor, wie auch die Fragen die auf den Geretteten einprasselten. Nur vereinzelt mischte Sequoyah sich kurz ein, bat Bijan einzelen Dinge zu wiederholen oder stellte ihm selbst ein paar kurze Fragen, bei denen es meist um dessen Sinneseindrücke ging, seitdem er im Wald aufgewacht war, oder wie er sich an seinen Angreifer erinnerte. Ansonsten sagte er aber nicht viel, da seiner Meinung nach nur ein Schamane ihnen wirklich dabei behilflich sein würde, die vergangene Nacht und Bijans Zustand zu verstehen.
Erst knappe zwei Stunden später erhob er wieder seine Stimme für eine kurze Ansage.
"Ich rieche Rauch. Das Schiff ist nahe."
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