03-02-2018, 10:22 PM
In der Masse waren Surrer einfach nur lästig, aus der Nähe betrachtet waren sie darüber hinaus auch noch ausnehmend hässlich. Mit trägem Interesse beobachtete er wie das Insekt über seinen Arm kroch und mit seinen langen haarigen Beinen die Haare seines Landeplatzes überwand. Die Fühler der Stechfliege trommelten suchend auf den Untergrund und fanden endlich eine Stelle, die genehm zu sein schien. Dann versenkte er langsam, man könnte meinen genüsslich, seinen Stechrüssel.
Dieser war am Ende mit mehreren Widerhaken besetzt, wie bei einer Harpune. Wie das Tier seinen Strohhalm aus dem leckeren Shake wieder raus gezogen bekam, war Gefreitem Löfgren ein Rätsel. Ihm gehörte nämlich besagter Arm und er stellte mit zäh tropfendem Interesse fest, dass der Stich nicht weh tat. Langsam schwoll der Hinterleib des Surrers an und das aufgenommene Blut ließ ihn durchsichtig rot werden.
Der Gefreite gedachte nicht den kleinen Gast zu erschlagen. Zwar sagte man ihnen, dass die Viecher Krankheiten übertragen konnten, aber er wurde stündlich von gefühlt fünf Tausend der Quälgeister gestochen, da kam es auf den einen auch nicht an. Die meisten hatten ihre Schadstoffkompies bis zu den Hüften herunter gezogen und dann die Ärmel verknotet. Die Anzüge hätte zwar vor einigen Stichen geschützt, dafür nahm man aber den Tod durch Hitzschlag billigend in Kauf.
Löfgren stellte sich vor wie der Surrer mit seinem Blut davonfliegen würde. Hoch über die Wipfel der Bäume und weit, weit fort von diesem Ort. Ein Teil von ihm wäre dann raus.
Das hatte doch etwas Poetisches.
Kurz blickte er über den Lauf seines Gewehres auf den Bereich, denn er sichern sollte.
Sichern! Was für ein ausgemachter Unsinn. Eine verdammte grüne Wand war das, hinter der sich alles und nichts verbergen konnte. Überall war Bewegung, überall kroch und krabbelte es, alles nur dazu gemacht etwas anderes zu jagen und zu erlegen. Was sollte er da sichern können?
Er wollte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Speisung der Hungrigen auf seinem Arm richten, als ihn etwas seitlich am Helm traf. Ein Stöckchen oder kleiner Stein. Er ignorierte es, doch ein zweites Wurfgeschoss folgte, dann noch eins.
Löfgren wollte nicht über die Schulter schauen, zu Hohenheim, die die rechte Seite abdeckte und offenkundig nach seiner Aufmerksamkeit verlangte. Er wollte nicht zu ihr Blicken, weil der dann das Ding sehen würde, wenn auch nur in den Augenwinkeln.
Aber was blieb ihm übrig? Er musste schließlich reagieren, wenn sein Nebenmann etwas zu vermelden hatte.
Also drehte er den Kopf, suchte nach ihr, fand sie nicht. Doch dort, zwischen zwei ausladendenen Wurzeln hockte sie. Sie kroch immer in solche Nischen und Winkel ohne zu wissen was da unter vermoderten Schichten aus Blättern auf sie lauern mochte. Irgendwann würde ihr Übereifer sie gehörig in den Arsch beißen.
„Was?“ Fragte er sie wortlos, nur mit schräg gelegtem Kopf und hochgezogenen Augenbrauen.
Sie nickte nach hinten.
Er sollte hinsehen.
Löfgren schüttelte gequält den Kopf. Sie forderte es ein, ebenso wortlos wie vehement.
Also tat er es und musste ein Ächzen unterdrücken. Jetzt wurden ihm auch das Summen wieder gewahr, nicht das feine Surren, der geflügelten Vampire, sondern das schwere Brummen von fetten Schmeißfliegen. Ganz zu schweigen von dem Gestank, der sich mit dem süßen Duft von Blüten oder irgendwelchen Baumharzen vermischte und eine Brechreiz erzeugende Kombination ergab.
Am schlimmsten war aber Jokerlokka, der verfluchte irre Sanitäter, der sich an dem toten Ding zu schaffen machte.
Er hatte vorher schon den Ruf gehabt nicht ganz dicht zu sein, aber je länger sie hier waren, umso mehr verwandelte sich die ihm ehr scherzhaft nachgesagte Verrücktheit in echten Irrsinn. Als wäre diese ganze Scheiße nicht schon albtraumhaft genug, sang der Irre bei seiner widerlichen Tätigkeit selbstvergessen ein Kinderlied vor sich hin.
Meine Augen sind verschwunden, ich habe keine Augen mehr.
Ei da sind meine Augen wieder, trallalallallala. Im unschuldigen Kontext des Liedes half es Kleinkindern ihren Köper benennen zu können. Sie hielten die „verschwundenen“ Teile zu oder hinter den Rücken und präsentierten sie dann allen anderen mit fröhlichem Überschwang. Hier und jetzt war nichts Unschuldiges oder Heiteres an den Zeilen zu finden. Sie waren einfach nur bizarr.
Meine Arme sind verschwunden, ich habe keine Arme mehr.
Ei da sind meine Arme wieder trallalallallala
Löfgren blickte zu Hohenheim und zuckte die Achseln. Sie beschrieb mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung an der Schläfe.
Er blickte wieder nach vorne in das undurchdringliche Grün und versuchte sich einzureden die Präsenz des toten Dinges in seinem Rücken nicht zu spüren.
Zum wahrscheinlich hundertsten Mal fragte er sich wo der Kommissar und die Priesterin blieben.
Altmann und Esemah bahnten sich ihren Weg durch das Dickicht, begleitet von zwei Soldaten, die ihnen Geleitschutz gaben.
Auch nach zwei Wochen begegnete niemand dem Wald mit Gewöhnung oder gar mit der Akzeptanz als vorübergehendes Zuhause. Ausgenommen vielleicht einmal jene Soldaten der Zehnten, die ohnehin von Welten mit vergleichbaren Bedingungen stammten.
Zwei Wochen und ihre anfänglichen, kläglichen kleinen Schützenlöcher hatten sich in eine ansehnliche Festung verwandelt, die einem Angriff die Stirn bieten konnte.
Einem Angriff jedoch, der seit zwei Wochen nicht kam.
Die Landebahn nahm mehr und mehr Gestalt an und fast täglich kamen Senkrechtstarter um Vorräte zu liefern, sofern es das Wetter zuließ. Nur der Feind ließ sich nicht blicken. Ein Umstand über den man hätte glücklich sein können, spürte nicht jeder in seinen Eingeweiden, dass die Ruhe nur das Ducken vor dem Sprung war. Es nagte an den Nerven, ließ die Disziplin an den Rändern ausfransen. Die Soldaten begannen Gespenster zu sehen. Fast jede nächtliche Patrouille hatte Fehlmeldungen zu verzeichnen und auch am Tage waren alle bis ans Äußerste angespannt. Ausfälle hatte es trotzdem gegeben.
Zwei Unfälle während der Rodungsarbeiten und fast zwanzig wegen lokalen Krankheiten. Das, was die PVSler die "Braune Flut“ nannten, hatte dabei besonders viele auf dem Gewissen und verhieß einen Freiflugschein in das Lazarett in Taggo.
Eines der Opfer war Parther Grundtvig, der sich, um den behandelnden Sanitäter zu zitieren, "die erleuchtete Seele aus dem Leib geschissen hatte." Er fiel auf unbestimmte Zeit aus, was Katherine in den Rang des amtierenden Einheitsgeistlichen hatte nachrücken lassen. Ersatz der Ekklesiarchie würde man nicht schicken, da der Primarchenkult anerkannt und ihr Status damit legitim war.
Major Klein hatte sich damit abgefunden. Seine Jungs und Mädels mochten Mutter Katherine und er war niemand der sich aus eigenen Vorbehalten gegen das Interesse seiner Einheit stellte. Ihre Fürsorge war direkt, aufdringlich hätte Klein vielleicht gesagt und die Verehrung der Primarchen war nichts, woran sich jeder bedenkenlos gewöhnte, wenn man die Anbetung des Gottkaisers oder des lokalen Septinanus mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Aber trotzdem gab es eine kleine Gemeinde die an ihren Lippen hing, wann immer sie predigte. Sie waren Soldaten und konnten sich nun einmal mit dem kämpferischen Aspekt der Primarchen durchaus identifizieren und aus ihrem Vorbild Kraft schöpfen.
Dennoch hatte Klein verlangt, dass Esemah nach dem Wegfall Grundtvigs auch die Riten der Gottkaiserverehrung zu übernehmen und regelmäßig die Messe zu lesen hatte.
Das waren bisher die größten Problemchen der Zehnten gewesen, zuzüglich von schwer zu entfernenden Baumwurzeln, Schlingpflanzen sowie Matsch und noch mal Matsch.
Dann waren jedoch vor zwei Tagen drei Fernaufklärer verschwunden.
Vorn wurde eine Faust gehoben und die Soldaten, der Kommissar und die Missionarin gingen in die Knie.
Der Mann an der Spitze verschwand im Unterholz und der Rest des Trupps wartete. Ohnehin war Warten der Grundtenor im Dschungel. Nie hatte jemand den kompletten Überblick über alles was vor sich ging. Irgendjemand sah etwas oder glaubte etwas zu sehen. Abwarten und auf einen möglichen Kampf vorbereiten. Wenn nichts dergleichen geschah, wurde aufgeklärt und so keine Attacke aus den eigenen Reihen gestartet werden konnte, ging der Marsch weiter.
Der Führungsmann erschien wieder, dieses Mal in sehr viel enspannterer Körperhaltung. Er winkte den anderen ihm zu folgen und sie begleiteten ihn auf eine Lichtung, wo sich bereits ein anderer Trupp PVSler verteilt hatte. Jener Trupp, der die Vermissten gefunden hatte.
Gefreiter Wolfe! Sprach Altmann den Sanitäter an. Lassen sie hören.
Tja also sind unsere Jungs, Herr Kommissar oder besser sie waren es. Unteroffizier Stirling, Hauptgefreiter Jadhav und Gefreiter Ogaleesha. Ich hab es mir angeschaut, sie sind nicht verkabelt. Ich würde die armen Schweine dann jetzt los schneiden.
Warten sie noch!
Der Kommissar trat beiseite um die Szenerie für Katherine freizugeben.
Ihr offenbarte sich eine abscheuliche „Skulptur“ aus menschlichen Überresten. Man hatte die drei Männer verstümmelt, zerhackt und neu zusammengesetzt. So drapiert, dass sie wie das Werk eines wahnsinnigen Künstlers aussahen. Ein Albtraumspross zusammengeschmettert aus drei, einstmals atmenden und fühlenden Menschen.
Das Fleischding hatte zwei Köpfe, die von Stirling und Ogaleesha.
Die Schädel waren seitlich jedoch so abgeschabt oder brachial zusammengedrückt worden, dass sie aneinandergeschmiegt aussahen, als bildeten sie ein einzelnes Gesicht. Die Unterkiefer waren ihnen ausgerissen und zu einem überdimensionalen Schrei wieder angepasst wurden. Der Kopf von Jadhav saß auf Brusthöhe, von einem Wurf- oder einem Kurzspeer in Position gehalten. Lianen hatten den Mördern als praktische Halteseile gedient. Sie fixierten die Leichen nicht nur am Stamm eines Bugaribaumes, sondern verbanden auch die zwei Arme mit dem Torso, die diesem hinzugefügt und die Fleischfigur so zu einem vierarmigen Wesen machten. Die Lianen waren auf Spannung gebunden und sorgten dafür, dass alle vier Arme seitlich ausgestreckt waren. Die Finger waren zu Fäusten geformt. In einer Faust baumelten die Erkennungsmarken der Toten, in der zweiten ihre Geschlechtsorgane. Die anderen Fäuste waren mit einer großen roten Blüte bestückt und mit einem weiteren Wurfspeer.
Als wäre das alles nicht schon bizarr genug gewesen, war aus den restlichen Körperteilen und Gedärmschlingen etwas geschaffen wurden, was ab der Taille abwärts aussah, wie der Leib einer Schlange oder eines Wurms. Ineinander verdreht und verknotet wandten sich Beine, Eingeweide und weitere Schlingpflanzen um den Baum, als kröche dieses tote Ding darum.
Können sie sich irgendeinen Reim auf diesen Frevel machen? Fragte Altmann an Katherine gewandt und bedeute Wolfe dabei Abstand zu gewinnen, da ihn die Antwort nichts anginge. Psychologische Kriegsführung ist mir, wie sie sich denken können, nicht unbekannt. Aber das hier scheint mir doch recht viel und sehr spezifischer Aufwand zu sein. Der Major hat sie mitgeschickt, in der wagen Hoffnung sie könnten sich einen Reim darauf machen. Außer, dass es ein Frevel ist denn ich bei der ersten, sich mir bietenden Gelegenheit mit meinem Kettenschwert sühnen werde, kann ich kaum mehr Sinn daraus ziehen. Aber ich weiß auch, dass heute Abend das gesamte Lager davon sprechen wird, ganz gleich welche Strafe ich den Männern und Frauen hier androhe, falls sie plaudern sollten. Wenn sie also eine Idee haben, dann stünden wir heute Nacht nicht nur mit einer Kompanie von Nervenbündeln da sondern hätten auch etwas über das wir konkret nachdenken können.
Dieser war am Ende mit mehreren Widerhaken besetzt, wie bei einer Harpune. Wie das Tier seinen Strohhalm aus dem leckeren Shake wieder raus gezogen bekam, war Gefreitem Löfgren ein Rätsel. Ihm gehörte nämlich besagter Arm und er stellte mit zäh tropfendem Interesse fest, dass der Stich nicht weh tat. Langsam schwoll der Hinterleib des Surrers an und das aufgenommene Blut ließ ihn durchsichtig rot werden.
Der Gefreite gedachte nicht den kleinen Gast zu erschlagen. Zwar sagte man ihnen, dass die Viecher Krankheiten übertragen konnten, aber er wurde stündlich von gefühlt fünf Tausend der Quälgeister gestochen, da kam es auf den einen auch nicht an. Die meisten hatten ihre Schadstoffkompies bis zu den Hüften herunter gezogen und dann die Ärmel verknotet. Die Anzüge hätte zwar vor einigen Stichen geschützt, dafür nahm man aber den Tod durch Hitzschlag billigend in Kauf.
Löfgren stellte sich vor wie der Surrer mit seinem Blut davonfliegen würde. Hoch über die Wipfel der Bäume und weit, weit fort von diesem Ort. Ein Teil von ihm wäre dann raus.
Das hatte doch etwas Poetisches.
Kurz blickte er über den Lauf seines Gewehres auf den Bereich, denn er sichern sollte.
Sichern! Was für ein ausgemachter Unsinn. Eine verdammte grüne Wand war das, hinter der sich alles und nichts verbergen konnte. Überall war Bewegung, überall kroch und krabbelte es, alles nur dazu gemacht etwas anderes zu jagen und zu erlegen. Was sollte er da sichern können?
Er wollte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Speisung der Hungrigen auf seinem Arm richten, als ihn etwas seitlich am Helm traf. Ein Stöckchen oder kleiner Stein. Er ignorierte es, doch ein zweites Wurfgeschoss folgte, dann noch eins.
Löfgren wollte nicht über die Schulter schauen, zu Hohenheim, die die rechte Seite abdeckte und offenkundig nach seiner Aufmerksamkeit verlangte. Er wollte nicht zu ihr Blicken, weil der dann das Ding sehen würde, wenn auch nur in den Augenwinkeln.
Aber was blieb ihm übrig? Er musste schließlich reagieren, wenn sein Nebenmann etwas zu vermelden hatte.
Also drehte er den Kopf, suchte nach ihr, fand sie nicht. Doch dort, zwischen zwei ausladendenen Wurzeln hockte sie. Sie kroch immer in solche Nischen und Winkel ohne zu wissen was da unter vermoderten Schichten aus Blättern auf sie lauern mochte. Irgendwann würde ihr Übereifer sie gehörig in den Arsch beißen.
„Was?“ Fragte er sie wortlos, nur mit schräg gelegtem Kopf und hochgezogenen Augenbrauen.
Sie nickte nach hinten.
Er sollte hinsehen.
Löfgren schüttelte gequält den Kopf. Sie forderte es ein, ebenso wortlos wie vehement.
Also tat er es und musste ein Ächzen unterdrücken. Jetzt wurden ihm auch das Summen wieder gewahr, nicht das feine Surren, der geflügelten Vampire, sondern das schwere Brummen von fetten Schmeißfliegen. Ganz zu schweigen von dem Gestank, der sich mit dem süßen Duft von Blüten oder irgendwelchen Baumharzen vermischte und eine Brechreiz erzeugende Kombination ergab.
Am schlimmsten war aber Jokerlokka, der verfluchte irre Sanitäter, der sich an dem toten Ding zu schaffen machte.
Er hatte vorher schon den Ruf gehabt nicht ganz dicht zu sein, aber je länger sie hier waren, umso mehr verwandelte sich die ihm ehr scherzhaft nachgesagte Verrücktheit in echten Irrsinn. Als wäre diese ganze Scheiße nicht schon albtraumhaft genug, sang der Irre bei seiner widerlichen Tätigkeit selbstvergessen ein Kinderlied vor sich hin.
Meine Augen sind verschwunden, ich habe keine Augen mehr.
Ei da sind meine Augen wieder, trallalallallala. Im unschuldigen Kontext des Liedes half es Kleinkindern ihren Köper benennen zu können. Sie hielten die „verschwundenen“ Teile zu oder hinter den Rücken und präsentierten sie dann allen anderen mit fröhlichem Überschwang. Hier und jetzt war nichts Unschuldiges oder Heiteres an den Zeilen zu finden. Sie waren einfach nur bizarr.
Meine Arme sind verschwunden, ich habe keine Arme mehr.
Ei da sind meine Arme wieder trallalallallala
Löfgren blickte zu Hohenheim und zuckte die Achseln. Sie beschrieb mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung an der Schläfe.
Er blickte wieder nach vorne in das undurchdringliche Grün und versuchte sich einzureden die Präsenz des toten Dinges in seinem Rücken nicht zu spüren.
Zum wahrscheinlich hundertsten Mal fragte er sich wo der Kommissar und die Priesterin blieben.
Altmann und Esemah bahnten sich ihren Weg durch das Dickicht, begleitet von zwei Soldaten, die ihnen Geleitschutz gaben.
Auch nach zwei Wochen begegnete niemand dem Wald mit Gewöhnung oder gar mit der Akzeptanz als vorübergehendes Zuhause. Ausgenommen vielleicht einmal jene Soldaten der Zehnten, die ohnehin von Welten mit vergleichbaren Bedingungen stammten.
Zwei Wochen und ihre anfänglichen, kläglichen kleinen Schützenlöcher hatten sich in eine ansehnliche Festung verwandelt, die einem Angriff die Stirn bieten konnte.
Einem Angriff jedoch, der seit zwei Wochen nicht kam.
Die Landebahn nahm mehr und mehr Gestalt an und fast täglich kamen Senkrechtstarter um Vorräte zu liefern, sofern es das Wetter zuließ. Nur der Feind ließ sich nicht blicken. Ein Umstand über den man hätte glücklich sein können, spürte nicht jeder in seinen Eingeweiden, dass die Ruhe nur das Ducken vor dem Sprung war. Es nagte an den Nerven, ließ die Disziplin an den Rändern ausfransen. Die Soldaten begannen Gespenster zu sehen. Fast jede nächtliche Patrouille hatte Fehlmeldungen zu verzeichnen und auch am Tage waren alle bis ans Äußerste angespannt. Ausfälle hatte es trotzdem gegeben.
Zwei Unfälle während der Rodungsarbeiten und fast zwanzig wegen lokalen Krankheiten. Das, was die PVSler die "Braune Flut“ nannten, hatte dabei besonders viele auf dem Gewissen und verhieß einen Freiflugschein in das Lazarett in Taggo.
Eines der Opfer war Parther Grundtvig, der sich, um den behandelnden Sanitäter zu zitieren, "die erleuchtete Seele aus dem Leib geschissen hatte." Er fiel auf unbestimmte Zeit aus, was Katherine in den Rang des amtierenden Einheitsgeistlichen hatte nachrücken lassen. Ersatz der Ekklesiarchie würde man nicht schicken, da der Primarchenkult anerkannt und ihr Status damit legitim war.
Major Klein hatte sich damit abgefunden. Seine Jungs und Mädels mochten Mutter Katherine und er war niemand der sich aus eigenen Vorbehalten gegen das Interesse seiner Einheit stellte. Ihre Fürsorge war direkt, aufdringlich hätte Klein vielleicht gesagt und die Verehrung der Primarchen war nichts, woran sich jeder bedenkenlos gewöhnte, wenn man die Anbetung des Gottkaisers oder des lokalen Septinanus mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Aber trotzdem gab es eine kleine Gemeinde die an ihren Lippen hing, wann immer sie predigte. Sie waren Soldaten und konnten sich nun einmal mit dem kämpferischen Aspekt der Primarchen durchaus identifizieren und aus ihrem Vorbild Kraft schöpfen.
Dennoch hatte Klein verlangt, dass Esemah nach dem Wegfall Grundtvigs auch die Riten der Gottkaiserverehrung zu übernehmen und regelmäßig die Messe zu lesen hatte.
Das waren bisher die größten Problemchen der Zehnten gewesen, zuzüglich von schwer zu entfernenden Baumwurzeln, Schlingpflanzen sowie Matsch und noch mal Matsch.
Dann waren jedoch vor zwei Tagen drei Fernaufklärer verschwunden.
Vorn wurde eine Faust gehoben und die Soldaten, der Kommissar und die Missionarin gingen in die Knie.
Der Mann an der Spitze verschwand im Unterholz und der Rest des Trupps wartete. Ohnehin war Warten der Grundtenor im Dschungel. Nie hatte jemand den kompletten Überblick über alles was vor sich ging. Irgendjemand sah etwas oder glaubte etwas zu sehen. Abwarten und auf einen möglichen Kampf vorbereiten. Wenn nichts dergleichen geschah, wurde aufgeklärt und so keine Attacke aus den eigenen Reihen gestartet werden konnte, ging der Marsch weiter.
Der Führungsmann erschien wieder, dieses Mal in sehr viel enspannterer Körperhaltung. Er winkte den anderen ihm zu folgen und sie begleiteten ihn auf eine Lichtung, wo sich bereits ein anderer Trupp PVSler verteilt hatte. Jener Trupp, der die Vermissten gefunden hatte.
Gefreiter Wolfe! Sprach Altmann den Sanitäter an. Lassen sie hören.
Tja also sind unsere Jungs, Herr Kommissar oder besser sie waren es. Unteroffizier Stirling, Hauptgefreiter Jadhav und Gefreiter Ogaleesha. Ich hab es mir angeschaut, sie sind nicht verkabelt. Ich würde die armen Schweine dann jetzt los schneiden.
Warten sie noch!
Der Kommissar trat beiseite um die Szenerie für Katherine freizugeben.
Ihr offenbarte sich eine abscheuliche „Skulptur“ aus menschlichen Überresten. Man hatte die drei Männer verstümmelt, zerhackt und neu zusammengesetzt. So drapiert, dass sie wie das Werk eines wahnsinnigen Künstlers aussahen. Ein Albtraumspross zusammengeschmettert aus drei, einstmals atmenden und fühlenden Menschen.
Das Fleischding hatte zwei Köpfe, die von Stirling und Ogaleesha.
Die Schädel waren seitlich jedoch so abgeschabt oder brachial zusammengedrückt worden, dass sie aneinandergeschmiegt aussahen, als bildeten sie ein einzelnes Gesicht. Die Unterkiefer waren ihnen ausgerissen und zu einem überdimensionalen Schrei wieder angepasst wurden. Der Kopf von Jadhav saß auf Brusthöhe, von einem Wurf- oder einem Kurzspeer in Position gehalten. Lianen hatten den Mördern als praktische Halteseile gedient. Sie fixierten die Leichen nicht nur am Stamm eines Bugaribaumes, sondern verbanden auch die zwei Arme mit dem Torso, die diesem hinzugefügt und die Fleischfigur so zu einem vierarmigen Wesen machten. Die Lianen waren auf Spannung gebunden und sorgten dafür, dass alle vier Arme seitlich ausgestreckt waren. Die Finger waren zu Fäusten geformt. In einer Faust baumelten die Erkennungsmarken der Toten, in der zweiten ihre Geschlechtsorgane. Die anderen Fäuste waren mit einer großen roten Blüte bestückt und mit einem weiteren Wurfspeer.
Als wäre das alles nicht schon bizarr genug gewesen, war aus den restlichen Körperteilen und Gedärmschlingen etwas geschaffen wurden, was ab der Taille abwärts aussah, wie der Leib einer Schlange oder eines Wurms. Ineinander verdreht und verknotet wandten sich Beine, Eingeweide und weitere Schlingpflanzen um den Baum, als kröche dieses tote Ding darum.
Können sie sich irgendeinen Reim auf diesen Frevel machen? Fragte Altmann an Katherine gewandt und bedeute Wolfe dabei Abstand zu gewinnen, da ihn die Antwort nichts anginge. Psychologische Kriegsführung ist mir, wie sie sich denken können, nicht unbekannt. Aber das hier scheint mir doch recht viel und sehr spezifischer Aufwand zu sein. Der Major hat sie mitgeschickt, in der wagen Hoffnung sie könnten sich einen Reim darauf machen. Außer, dass es ein Frevel ist denn ich bei der ersten, sich mir bietenden Gelegenheit mit meinem Kettenschwert sühnen werde, kann ich kaum mehr Sinn daraus ziehen. Aber ich weiß auch, dass heute Abend das gesamte Lager davon sprechen wird, ganz gleich welche Strafe ich den Männern und Frauen hier androhe, falls sie plaudern sollten. Wenn sie also eine Idee haben, dann stünden wir heute Nacht nicht nur mit einer Kompanie von Nervenbündeln da sondern hätten auch etwas über das wir konkret nachdenken können.