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Kathedrale der Erlösung
#1
Die Kathedrale der Erlösung


Die Menschheit hatte vergessen, so unendlich viel vergessen. Nicht nur den Schmerz und den Kummer, sondern auch das Wissen um die Dankbarkeit für alle das was war. Die Menschen kannten keine Opfer mehr, Worte wie Sehnsucht, Schmerz und Dunkelheit kamen allenfalls in Geschichten vor, die Kinder ängstigen sollten, waren aber sonst aus dem Wortschatz der meisten Einwohner von Athenaios III gewichen. Aber Spurian erinnerte sich. Er erinnerte sich gut. Gemessenen Schrittes ging der alternde Mann, der die 200 Jahre beinahe überschritten hatte, auf die Gestalt zu, die in der Mitte des aus konzentrischen Kreisen bestehenden Parks stand, zu und kniete vor ihr nieder. Zu sagen, dass die Zeit Spuren an Spurian hinterlassen hatte, wäre eine maßlose Untertreibung gewesen. Spurian war alt und trug die Zeichen seines Alters mit stolz. Der Adept des Adeptus Ministratum hatte nunmehr fast 135 Jahre seines Lebens in den Dienst des Imperators gestellt; 135 Jahre voller Hingabe, Askese und Arbeit. Natürlich wusste er, das das Imperium sich seiner nicht erinnern würde. Er war nur eine Fußnote in der Geschichte eines Planeten. Aber Er würde sich erinnern. Ja, das würde er. Spurian erinnerte sich an die Liturgie des vergangenen Morgens. Schwester Adriana hatte die Gemeinde durch die morgendliche Andacht geführt. Sie hatte von den Versuchungen gepredigt, von den lauernden Gefahren, denen die Aufrechten, die Gläubigen, die Diener des Imperators ausgesetzt waren. Langsam begann Spurian zu beten. Nicht für sich, nein. Er betete zu Ihm auf Terra, dass die Dunkelheit nicht wieder erwachen möge. Er wusste, dass es nie den Sieg gegeben hatte. Es gab den Sieg nicht. Es gab nur den tiefen Schlaf, bewacht von Engeln und ihren Dienern. Die Dunkelheit würde wieder kommen. Spurian sah auf, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hinter dem Horizont versanken und der Statue einen rötlich-goldenen Schein verliehen. Er lächelte und wusste: Solange das Licht war, musste die Dunkelheit vergehen. Langsam stand der alte Adept auf und ging steifbeinig und auf zitternden Knien in Richtung seines in den länger werdenden Schatten versinkenden Hab-Blocks davon. ,,Aus dem Licht des Glaubens will ich zehren, der Dunkelheit zum Trotze" stand in verblichenen Lettern am Tor zum Park. Spurian lächelte und entschwand aus der Dämmerung in das zwielichtige Dunkel, in dem die Stadt versank.

Schwester Athena stand am Fenster der kleinen Kapelle und betrachtete die vor ihr liegende Szenerie. Ihren Bolter hatte sie neben sich auf den kleinen Tisch gelegt, auf dem eine ausgeblichene Abschrift der Lectitio Divinitatus lag. Ihre weiße Rüstung war mit Gebetspergamenten und Litaneien des Glaubens verziert, die nicht nur von ihrer Hingabe, sondern vielmehr auch von ihrem Rang im Orden zeugten. Als Celestia Elohim genoss sie hohes Ansehen und war eine der Sororitas, die zum engen Zirkel der Ekklesiarchie auf dieser Welt gehörten. Diese Welt, Athenaios, benannt nach dem Konfessor, der mit einem Kreuzzug von Flagellanten und Zeloten diese Welt befreit hatte. Eine Welt, die weder eine sonderlich günstige Lage, noch besondere Industrieanlagen oder Rohstoffvorkommen vorzuweisen hatte. Und trotzdem war sie hier, eine Celestia Elohim. Seit nunmehr drei Jahren war die Schwester des Ordo Militaris zusammen mit den Anderen hier auf diesem Hinterwältlerplaneten, wie es der Wille des Imperators war. Drei Jahre hatte sie die Menschen auf dieser Welt in ihrem Glauben bestärkt, sie durch kleinere Krisen hindurch geleitet, die nicht mehr waren, als Dürreperioden und Unfälle in den dicht bevölkerten Zentren der Stadt, die verhältnismäßig wenige Opfer gekostet hatten. Athena belächelte das gemeine Volk des Imperators oft, waren sie doch wie eine Herde von Schafen, die sich der Gefahr nicht bewusst war die überall um sie herum lauerte. Mutanten, Ketzer, Xenos - vor all diesen Dingen warnte die Ekklesiarchie, aber wie sollte man eine Bevölkerung, deren Glaube fast so gefestigt war, wie der von Bewohnern einer Schreinwelt, solche Gefahren begreiflich machen? Die Celestia atmete tief ein und aus. Manchmal, in schwachen Momenten wünschte sie sich eine Rückkehr des Kampfes, einen Feind, dem sie ins Auge blicken konnte. Langeweile und Routine waren hier ihre größten Gegner. Doch aus Müßiggang entsprang Ketzerei.
Sie maßregelte sich im Innern und wandte sich mit einer ruckartigen Bewegung vom Fenster ab. In einer halben Stunde würden Ihre Schwestern erscheinen, um mit ihr das Morgengebet zu sprechen. Ihre grünen, mandelförmigen Augen blickten unter einer blonden Strähne ihres ansonsten zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebundenen Haares hervor und betrachteten die in der Mitte des Raumes stehende Figur. Diese Kapelle war nicht dem Imperator gewidmet, sondern Schwester Lucretia, einer lokalen Heldin, die zusammen mit Konfessor Athenaios diese Welt verlassen hatte. Die ersten Strahlen der Sonne des Planeten zauberten tiefe Schatten in die Märtyrerin, die ihre Hände gen Himmel reckte und ließen ihr Gesicht unter der Kapuze ihrer Robe unter einer Geflecht von schwarzen Schatten verschwinden das in starkem Kontrast zu dem alabasterfarbenen Marmor stand, aus dem die Statue gefertigt war. Athena ging langsam auf die Figur zu und legte eine Hand auf die nackten Füße der einstigen Heldin. ,,Lucretia lehrt uns, dass wir alle unsere Opfer bringen müssen'' sagte eine Stimme hinter ihr. ,,Sie ist ein leuchtendes Bild reinen Glaubens in einer Welt voll von Egoismus und Sünde. Geschichte lehrt und vieles und wiederholt sich ständig.'' Athena wirbelte herum, Jahre des Training ließen sie automatisch zu ihrem Bolter greifen. Sie erstarrte mitten in der Bewegung, ließ ihre Hände sinken und neigte ihren Kopf. ,,Pater Niokletian." Ihre Worte, sowohl Feststellung, als auch Begrüßung hallten in der kleinen Kapelle wieder.
,, Verzeiht, Schwester Elohim, ich wollte euch nicht erschrecken.'' Das Alter war dem Pater anzusehen. Niemand wusste genau wie lange er schon hier auf Athenaios III war, aber niemand konnte sich an eine Zeit ohne den sanftmütigen Priester der Ekklesiarchie erinnern. ,,Es ist für mich immer wieder eine Lust, so reine Geschöpfe des Glaubens zu sehen, Schwester Elohim. Doch sagt mir: Welches Opfer habt ihr gebracht?" Athena sah den Mann an, musterte seine vom Alter ergrauten, schulterlangen Haare und die tief in den von dunklen Ringen und Tränensäcken umrandeten blassgrauen Augen, die trotz der fragilen Knochen seines Leibes seinem Auftreten noch immer etwas Ehrfurchteinflößendes gaben. ,,Meine Schwester und meinen Bruder, Pater. Beide starben bei der Eroberung von Gorania, während ich damit beschäftigt war, zu sündigen. Ich suchte Zuflucht bei der Kirche des Imperators und erhielt die Chance Buße und Vergeltung gleichermaßen zu erhalten.'' Athena sah bei diesen Worten beschämt zu Boden. Seit Jahren hatte sie ihr Geheimnis niemandem erzählt. Niokletian musterte sie mit Augen, die so leer und gleichzeitig doch so weise waren, wie die Unendlichkeit des Alls. ,,Habt Ihr beides oder auch nur eines von beidem erhalten?" Athena schüttelte den Kopf. ,,Nein, Pater, meine Rache blieb mir verwehrt und meine Buße ist ein ewiger Kreuzzug, der erst mit meinem Tod endet. Dann, wenn meine Pflicht auf dieser Welt getan ist, werde ich hinaufsteigen zu Ihm und vor seinem Thron wird mein letztes Gericht gehalten. So der Imperator will, werde ich dann meinen Platz in seinen Heerscharen an der Seite meiner Schwestern einnehmen und ihn in das letzte Gefecht gegen die Mächte der Finsternis begleiten." ,,Ihr seid eine gelehrige Schülerin des Credos der Kirche, Athena. Und doch spüre ich den Zweifel in euch. Doch wisst, dass aller Zweifel beseitigt sein wird, wenn Ihr erst dem Gott gegenübertreten werdet. Dann werdet ihr sehen, dass alles, was geschieht und geschehen ist, einen Grund hat.'' Mit einem warmen Lächeln verschwand der Priester durch die Tür und ließ Athena in der Gesellschaft der weißen und kalten Statue zurück. Athena erwiderte das Lächeln halbherzig. Sie würde sich von ihren Sünden im Blute der Ketzer und Häretiker reinwaschen. Sie musste. Sie war es ihrer Familie schuldig. Sie musste nur ihre Zeit hier überstehen, um dann wieder an eine der vielen Fronten verlegt zu werden.

Spurian hatte schlecht geschlafen. Auf dem Weg nach Hause war ihm gewesen, als ob sich die Schatten bewegen würden. Er hatte den Gedanken schnell verdrängt, denn er war nun einmal nicht mehr der jüngste Adept und der Schlafentzug der letzten Wochen machte sich nun wohl bemerkbar. Jedes Jahr um diese Zeit war es das selbe: Arbeit über den regulären Dienstbetrieb von 14 Stunden hinaus, danach der weite Weg zu seinem Hab-Block und dazwischen die Messen und Liturgiefeiern. Vielleicht sollte er doch langsam den Antrag auf Nutzung der Beförderungsmittel stellen? Nein. Der Weg des Imperators wurde seit Jahren durch Leid bestimmt. Wie konnte er je vor seinen Gott treten und dann sagen, dass er des Weges überdrüssig geworden wäre? Nein, Spurian würde wie immer auch in Zukunft seinen Weg gehen. Vorbei an den alten, grauen Industriekomplexen, durch den Park, dessen Wege sich durch geborstene Steine und wucherndes Unkraut in tückische Fallen verwandelt hatten bis hin zu dem Moloch, der eigentlich das große Komplexgebäude des Adeptus Ministratum war, wo er im 27. Stockwerk seinen Arbeitsplatz hatte. Langsamen Schrittes ging der alte Adept die mit Abfall verdreckten Wege entlang. Doch die Erinnerungen der letzten Nacht blieben wie zäher Leim in seinen Gedanken hängen. Er hatte sich eingebildet flüsternde Stimmen gehört zu haben, einmal sogar Schreie. Entnervt schüttelte er den Kopf. Der Jahrestag der Befreiung nahte, und es gab noch viel zu tun.

Pontifex Urba Juri Norod setzte sein Monokel ein und sah die vor ihm knienden Ministranten verächtlich an. Sein aufgedunsener Leib zitterte vor wütender Erregung, als er sie der Reihe nach ansah, allesamt stattlich gebaut und in den weißen und schwarzen Roben der Ekklesiarchie gekleidet. Seine dünne Stimme, die immer am Rande des Überschlagens zu sein schien, ließ die Ministranten zucken, als würde eine Peitsche auf sie herab geschwungen. ,,Was soll das bedeuten, es ist zu Unregelmäßigkeiten gekommen?" Norod stand auf, eine groteske Figur mit dünnen Armen und Beinen enthüllend, deren Masse kaum länger als einige Minuten ohne die Suspensorfelder seines Sessels gehalten werden konnte. ,,In seiner Heiligkeit Namen, was für Ereignisse sollen das gewesen sein?" Ein Ministrant blickte auf, ein Lektor noch dem Schnitt seiner Robe zu urteilen. Mit zitternder Stimme antworte er: ,,Der Imperator sei mein Zeuge, in den vergangenen Nächten vernahmen wir Stimmen, die unheilige Worte murmelten und..." seine Stimme erstarb, als er den eisigen Blick des Pontifex auf sich ruhen sah. Tödlich Kälte hatte sich in die Worte gelegt, die sich aus dem mit mehr als einem Doppelkinn gezierten Gesicht des Ekklesiarchen formten. ,,Ihr habt also unheilige Worte gehört, Lektor? Ihr wollt mir sagen, dass ihr Worte vernehmen konntet, nur ihr und eure Bruderschaft? Und sonst niemand? Ihr unterstellt mir, dass ich nicht weiß, was innerhalb dieser Mauern vorgeht? Oder seid ihr es vielleicht allein, zu dem diese Stimmen sprechen?" ,,Nein, eure Exzellenz!" beeilte sich der Liktor mit panischer Stimme zu erwidern. ,,Es war sicher nur der Wind. Verzeiht, dass wir euch belästigt...." ,,Die Stimmen waren da! Ich bin nicht verrückt! Libitina hat sie gesagt. Die Stimme. Sie kommt!" Der Schrei des gehetzt aussehenden Ministranten zur linke des Lektors drang in den Raum mit der Macht einer Explosion. Während die anderen Ministranten um den Liktor leichenblass wurden, verfärbte sich das Gesicht des fettleibigen Pontifex Urba puterrot. ,,Schweigt, Armseeliger! Lektor, ihr habt genug meiner Zeit gestohlen. Ihr werdet Buße tun, eure gesamte Bruderschaft, dafür, dass ihr ketzerische Gedanken hegtet. Dieser aber" und damit zeigte er mit einem Finger auf den Ministranten mit den blutunterlaufenen Augen, der sich nicht hatte beherrschen können, ,,wird sich für den Rest der Zeit bis zum großen Fest den Flagellanten und Geißlern anschließen. Verschwindet! Sofort!" Überstürzt verließen die Tempeldiener den opulenten Raum des höchsten Ekklesiarchen und ließen Norod allein zurück, der sich erschöpft in seinen Sessel sinken ließ und dann begann, sich von zwei Knaben gefüllte Pasteten reichen zu lassen. Seine Gedanken verweilten noch einen Moment bei dem armen Teufel, der sich nun in der Obhut von Tannhäuser wiederfinden würde. Bei dem Gedanken daran, dass der Mann von diesem Zeloten und dem Schmerz geläutert und nie wieder solche Dinge sagen würde, glitt ein seliges, selbstzufriedenes Lächeln über das feiste Gesicht des Pontifex.

Der Raumhafen der Hauptstadt Renovatio schmiegte sich auf einem Plateau an die in der Dämmerung nebelumhüllten Berge, auf denen die Klosterfestung der Ekklesiarchie beheimatet war. Wie auf allen Welten des Imperiums waren auch hier die Bildnisse und Schreine zu Ehren der Heiligen des Imperiums omnipräsent. Ob nun in Form von kleinen Gebetsnischen, Kapellen oder aber opulenten Statuen - überall fand man die offen zur Schau gestellte Hingabe an den Imperator und seinen Kult. Unzählige Pilger und Prediger bevölkerten die Straßen der Hauptstadt und strömten vom Raumhafen aus in Richtung der altehrwürdigen, verwitterten Kathedralen. Endlose Reihen von gemurmelten Gebeten und monotonen Lobpreisungen vermischten sich mit den Crescendi der ekklesiarchischen Hymnen, die von Lautsprechern auf nahezu jedem Gebäude erschallten. Inmitten dieses geordneten Chaos lag die "Sturmbote", ein wenn auch altes, so doch aber schnelles und zuverlässiges Schiff mit Warpantrieb und auffälligen Modifikationen, und wartete auf ihren Kapitän. Horatio Gerhard, Freihändler, Abenteurer und Vertrauter der Ekklesiarchie würde jeden Moment von seinem Besuch in der Klosterfestung zurückerwartet. Sein Pilot, eine junge blonde Frau, kniff die Augen zusammen. Sicher, ihr Arbeitgeber war ein frommer Mann und ein angesehener Freihändler dazu, aber das hieß nicht, dass sie einer Meinung mit ihm sein musste. Imperator, dieser Planet stank. Angewidert rümpfte sie die Nase und schüttelte den Kopf, als eine Gruppe von Zeloten an ihr vorbeizog, die sich selbst mit neunschwänzigen Katzen auf den Rücken schlug. Der Geruch nach Blut, altem Schweiß und Krankheit, den ihre mit schwärenden Wunden bedeckten Körper verströmten, füllte ihre Nase und vermischte sich dort mit den Aromen von weiteren ungewaschenen Leibern, Unrat und Weihrauch. Schnell ließ diese Mischung aus der bloßen Verachtung blanke Übelkeit werden. Schlimmer als das waren die fanatischen, in religiöser Ekstase geröteten Gesichter der Flagellanten. Wie jemand ein solches Leben führen konnte, entzog sich ihrem Verständnis. Sie war gläubig, das war nicht das Problem, aber das hier... nein. Nein, sie glaubte einfach nicht, dass der Imperator ihr diesen Weg vorgezeichnet hatte. Die Pilotin wandte sich ab und blickte auf die Stadt, die wie ein grauer Leviathan am Rande des Berges hockte. Spitzen von Gebäuden ragten wie aufgerichtete Stacheln aus ihr hervor und reckten sich drohend gen Himmel, während die Gebäude vor dem Farbenspiel der untergehenden Sonne im Grauschwarz der Schatten verschwammen. Dann verstummten die Lautsprecher einen Moment und eine nur durch die gemurmelten Gebet untermalte Stille senkte sich für einige Sekunden über den Raumhafen, bevor die Hymnen der Ekklesiarchie durch das Läuten der archaischen Bronzeglocken ersetzt wurden, die die Bevölkerung in die vielen Tempel der Stadt zum gemeinsamen Gebet riefen. Trotzdem versiegten die Ströme auf den mit Unrat gesäumten Straßen von Renovatio nicht. Stereotyp floss der Strom der Pilger und Prediger weiter, hin zu den Tempeln oder zurück zum Raumhafen. Asketisch ausgemergelte Körper drängelten und trampelten, manche fielen, aber nie hörte der Strom auf. Noch einmal schüttelte die Pilotin den Kopf und stieg dann wieder ins Innere ihres Raumschiffes, um bei verschlossener Luke und eingeschalteter Luftumwälzanlage auf ihren Kapitän zu warten. Die Stadt stank.

Mit einem Lächeln und einer tiefen Verbeugung verabschiedete sich Horatio Gerhard von Pontifex Norod, was dieser mit einem angedeuteten Nicken quittierte, dass allerdings durch seine Kinnmasse nach wenigen Millimetern gebremst wurde. Gerhard drehte sich fast militärisch auf den Fersen und verließ dann den Raum, um sich wieder auf sein Schiff zu begeben. Er war ein frommer Mann, aber seine Geschäfte warteten und er hatte immerhin Aufträge zu erfüllen. Gemessenen Schrittes ging er den ausladend geschmückten und mit Basalt ausgelegten Säulengang entlang, der ihn zum Haupttor des Klosters führen würde. Schwestern des Ordo Militaris standen regungslos an beiden Seiten der Tür und hielten Wache, unbeweglich, wie Felsen. Ihre absolute Hingabe war bewundernswert. Wie Statuen, entrückt und gefühlslos, standen sie als krasser Gegensatz vor der ausschweifend geschmückten Tür zum Dienstraum des Pontifex'. Der Rest der wenigen Kriegerinnen war nicht zu sehen gewesen - bis jetzt. Mit langen, hallenden Schritten sah er Celestia Elohim Athena auf sich zukommen, das Gesicht eine Maske aus kaum verhohlener Erregung. "Ave Imperator, Schwester Elohim", rief ihr Gerhard zu, als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. "Ave Imperator, Kapitän" antwortete die Schwester und formte mit ihren Händen das Zeichen des Aquila vor der Brust. Während Gerhard noch die Geste erwiderte, fuhr sie fort: "Es ist lange her, dass Ihr hier wart. Sagt, was bringt Ihr an Neuigkeiten?" Gerhard sah sie an und nickte dann. "Schwester, die Dinge stehen nicht gut. Torghast V ist gefallen, wenn auch niemand weiß, wie das geschehen konnte. In den äußeren Marken haben sich Kulte gebildet und Aufstände gegen den Goldenen Thron nehmen zu. Noch haben die planetaren Verteidigungskräfte alles unter Kontrolle, aber ihr solltet wachsam sein." Er blickte an der Celestia vorbei auf die untergehende Sonne und fuhr dann fort: "Noch sind die Konflikte einige Systeme entfernt, aber wer weiß? Wachsamkeit und Glaube haben nie geschadet, Schwester. Der Imperator beschützt - aber man sollte sich auch beschützen lassen."
Athena blickte wenig erbaut, vielmehr enttäuscht. "Ihr habt Recht, Kapitän. Ich werde an eure Worte denken, wenn ich wieder bei meinen Schwestern bin. Wir sind alle Werkzeuge des Imperators. In seinem Namen." Mit einem kurzen, abgehackten Nicken verabschiedete sie sich und verschwand in Richtung einer kleinen Kapelle. Gerhard schüttelte den Kopf. Er hatte die Launen der Kriegerinnen noch nie nachvollziehen können. Langsam verließ er durch die hohe Tür die Klosterfestung und trat in die gepflegten Lustgärten vor der Symbiose aus Festung und Kloster. Steinerne, regungslose Abbildungen der Essenz des imperialen Glaubens säumten die gepflasterte Straße, die am Fuße des Berges in das schmutzige Grau der Bauten Renovatios mündete, hinter der nun die Sonne verschwunden war, um am nächsten Morgen hinter der Klosterfestung wieder aufzutauchen. Seufzend machte sich der Freihändler auf den Weg, um den Abstieg hin zur Stadt und zu seinem Schiff hinter sich zu bringen, während die Schatten der Nacht aus der Stadt zum Berg hinauf krochen und den Planeten in Dunkelheit hüllten.

Schemen schlichen auf den Berg, kaum zu erkennen unter ihren langen Kapuzenmänteln, verborgen in den Schatten der heruntergekommenen Gebäuden. Leises Scharren war zu hören, als ihre Füße über den mit dem Dreck von tausenden Pilgern bedeckten Boden schleiften. Langsam huschend bewegten sie sich auf ihr Ziel zu, das sich majestätisch erhaben und abweisend zugleich erhob. Kleine Lichter, nur Funken in der Dunkelheit, flackerten auf den Zinnen und Erkern der Festung des Glaubens und klammerten sich an ihre Existenz. Niemand ahnte, was sich in dieser Nacht auf die Festung zubewegte, keiner sah die Schemen, die sich in den Schatten der einstmals ruhmvollen Stadt sammelten. Zuerst vereinzelt, dann in Gruppen fanden sie sich zusammen, kaum sprechend, selten flüsternd, mit brennenden Augen und gierigen Gedanken. Zerfallene Gebäude und Statuen ließen sie zurück auf ihrem Weg, um ihre Träume wahr werden zu lassen. Ihr Meister würde sie erwarten und ihnen den Weg in eine glorreiche Zukunft weisen. Athenaios würde wieder in einstigem Glanz erstrahlen, das Leben würde in die Städte zurückkehren und der Ruhm alter Tage erneuert werden. So hatte es der Prophet vorhergesehen. Das Siegel würde gebrochen werden.

In einer kleinen Gebetsnische kniete Athena noch lange, nachdem sie mit dem Freihändler geredet hatte und dachte daran, dass Kriege tobten, dass Ruhm errungen und Feinde des Imperators vernichtet wurden. Tief in sich selbst versunken bemerkte sie nicht, dass sie nicht mehr allein war. Minuten vergingen, bevor sie das gleichmäßige Atmen einer anderen Person wahrnahm. Aestua, die jüngste Schwester in ihrem Trupp aus fünf Celestias, stand in einem respektvollen Abstand hinter ihr, Kopf gesenkt und vollkommen still, um abzuwarten, bis sich ihre Schwester Elohim ihr zuwandte. Langsam und gemessen stand Athena auf und betrachtete die junge Kriegerin. Ihre weiße Rüstung wies keinen Makel auf und war in tadellosem Zustand, die langen, dunklen Haare waren hinter dem Kopf mit einem dünnen Band zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre Hände hatte sie vor dem Bauch andächtig gefaltet. Athena mochte sie. Sie erinnerte sich, wie stolz sie damals war, als sie in die Ränge der Celestias aufgenommen wurde. Wie alle Schwestern des Adeptus Sororitas war es für sie die größte Ehre gewesen, die sie sich hatte vorstellen können. Doch das Privileg war auch eine Bürde, denn nur die reinsten, die stärksten und die im Glauben unbeugsamsten konnten und durften sich Celestia nennen. Sie waren die Flamme in der Dunkelheit des Universums, wenn alle anderen Lichter verloschen. Sie waren das Beispiel, die Elite, Inspiration und Hoffnung auf dem Schlachtfeld und während der Gebete. Diese Bürde lag schwer auf ihren Schultern, damals wie heute.
"Schwester, wie kann ich dir helfen?" fragte sie, als sie merkte, dass sie die andere Sororita anstarrte. Aestua blickte auf und ihre dunkelblauen Augen strahlten die absolute Sicherheit aus, die eine jede Celestia stets wie einen Schild um sich trug. "Verzeiht, Schwester Elohim, dass ich euch während eurer Meditation unterbreche, aber Konfessor Tannhäuser bittet euch, zu ihm zu kommen." Athena schluckte. Sicher, die Ekklesiarchie war nicht berühmt dafür, besonders feinfühlig zu sein, aber Tannhäuser war einzigartig. Verschlossen, alt, wortkarg, abweisend. Pontifex Norod hatte ihm die Wacht über die Flagellanten und Geißler übertragen, als er sich vor etlichen Jahren entschloss, auf Athenaios zu bleiben. Kaum jemand hatte die Entscheidung in Frage gestellt, da sich niemand für die armen Seelen verantwortlich gefühlt hatte. Tannhäuser machte keine Probleme und fiel nicht auf - tatsächlich hatte ihn in all der Zeit, die er nun in der Kathedrale auf dem Berg verbracht hatte, niemand wirklich beachtet. Athena selbst hatte seit ihrer Ankunft kaum mehr als zehn Wörter mit ihm gewechselt, denn Tannhäuser hielt sich in der Regel in den Katakomben der Festung auf, wo er eben jene Flagellanten und Geißler hinbringen ließ, die vor Schwäche auf den Stufen der Altäre und Kathedralen in der Stadt zusammenbrachen. Niemand konnte genau sagen, wie viele dieser halb Wahnsinnigen dort unten in den verlassenen Kellergewölben lagen, aber jetzt, kurz vor dem Fest der Erlösung, dem Jahrestag der Befreiung, waren es immer Dutzende von Fanatikern, die Zuflucht im Schmerz suchten. Athena konnte nur raten, wie viele dieser Gläubigen sich nun in der Obhut dieses Mannes befanden. Mit einem letzten Blick in die dunkle Gebetsnische entließ sie die junge Celestia mit einem Nicken und machte sich auf, um Konfessor Tannhäuser aufzusuchen.

Spurian sah die Schatten - und diesmal konnte er sie nicht durch ein einfaches Kopfschütteln leugnen. Er sah ihre Körper, roch den süßlichen, moschusartigen, Geruch, der von ihnen aufstieg und wollte sich angewidert abwenden. Es ging nicht. Morbide Faszination ließ seine Blicke immer und immer wieder über die Gestalten wandern, die in dunklen Schatten an ihm vorbeigingen. Einige waren Mutanten, das konnte Spurian deutlich erkennen, auch wenn er nur die Umrisse unter den dunklen Roben wahrnehmen konnte. Der alte Adept ging in Gedanken jedes Gebet durch, dass er seit seiner Geburt gelernt hatte und hoffte, dass diese Unreinheit ihn unbehelligt lassen werde. Als er die Psalmen der Lucretia in seinem Kopf abzuspulen begann, stellte er fest, dass er sich nicht mehr auf dem Weg zu seinem Hab-Block befand. Er passierte vielmehr gerade das Büßertor, ein altes, halb verfallenes Bauwerk, wo einstmals die Geißler ihre Ergebenheit gezeigt hatten. Es lag aber zu weit außerhalb des Zentrums und der neuen Tempel, und so hatte es seit Jahrzehnten kaum noch jemanden interessiert. Spurian sah neben dem alten Bauwerk die Hospize in noch schlechterem Zustand. Seit das Zentrum der Stadt sich verlagert hatte, waren zunächst die Wohltäter verschwunden, die noch an mit Grünspan übersäten Bronze- und Kupferplatten zu lesen waren. Spurian lief weiter. Er wusste nicht wohin und wurde einfach mitgerissen, ein Opfer seiner Neugier. Schmerzen durchzuckten seinen alten Körper, der nach der eigentlich nun anstehenden Ruhepause verlangte. Aber Spurian ging weiter, den seltsamen Gestalten folgend, die Neues versprachen, Veränderung. Wolken verdeckten die zwei Monde von Athenaios III, Modestia und Fidelitas, sodass nur das graue Schwarz der Nacht selber blieb, als sie auf den Berg Cardo zuliefen an dessen Hang das Kloster der Ekklesiarchie beheimatet war. "Arx Tennebrae" hauchte Spurian den Namen voller Ehrfurcht, bevor er seinen müden Körper zwang weiterzugehen, ohne auch nur einen Gedanken daran verschwenden zu können zu fliehen. Ein kleiner Teil von ihm rebellierte bei jedem Schritt, schrie Warnungen hinaus, doch Spurian konnte nicht auf sie hören. Zu stark war die Faszination, zu stark die Neugier.

In den Katakomben angekommen empfing sie die hagere, fast ausgemergelte Gestalt des Konfessors, der sich auf einen langen hölzernen Stab stützte. "Willkommen, Schwester Elohim." Tannhäusers Stimme war ein heiseres Kratzen, fast wie Stein, über den ein Messer gezogen wird. "Willkommen in der Unterwelt der Arx Tennebrae!" Athena blickte in das runzlige, uralte Gesicht des Konfessors. Zwei dunkle Augen blickten scharfsinnig unter buschigen Augenbrauen hervor. Der komplett kahle Kopf war von Tätowierungen übersät, von denen die Schwester nur die Hälfte der Symbole zweifelsfrei dem Imperatorkult zuordnen konnte. "Ihr wolltet mich sprechen, Konfessor?" erwiderte sie schnell und steif. Ihr Unwohlsein in den dunklen Gewölben war offensichtlich. "Folgt mir, Schwester." Ohne ein weiteres Wort oder eine Antwort abzuwarten drehte sich Tannhäuser um und begann, schwer auf seinen Stab gestützt, langsam tiefer in die Katakomben vorzudringen.
Lichtkugeln spendeten eben genug Helligkeit, um die Umrisse der gigantischen Kelleranlage zu erahnen. Die Luft war feucht und stickig, schwanger mit dem Geruch von Menschenleibern und Wunden. Überall sah sie Büßer in verschiedenen Zuständen. Einige von ihnen waren wenig mehr als sabbernde Wahnsinnige, die Masse aber schien in Gebete vertieft zu sein. Athena konnte sie nicht zählen, aber es waren hunderte, wenn nicht tausende, die ihren Weg hierherunter gefunden hatten. Kaum jemand nahm Notiz von der Schwester, die in ihrer weißen Rüstung mit dem Bolter im Seitenholster hier völlig deplatziert wirkte - ganz im Gegensatz zu dem vorausgehenden Konfessor: ihm schien tatsächlich eine Art Ergebenheit erwiesen zu werden, die sonst nur dem Imperator vorbehalten war. Nachdenklich runzelte Athena die Stirn. Was sollte sie hier? Tannhäuser führte sie langsam zu einer Zelle, in der neben einem grob gezimmerten Bett mit einer Matratze und dünnen Laken nur ein Tisch und zwei Stühle standen, die ebenfalls kaum mehr als mit gutem Willen und wenig Geschick zusammengewerkelte Bohlen waren. Der alte Konfessor deutete mit einer Hand auf einen der Stühle und setzte sich dann mit einem unbewussten Stöhnen auf den anderen. Athena schüttelte energisch den Kopf. Abgesehen davon, dass sie sich nicht sicher war, ob der Stuhl dem Gewicht ihrer Servorüstung gewachsen war, wollte sie nicht sitzen. Je eher sie diesen Ort wieder verlassen konnte, umso besser. Tannhäuser lächelte sie an. Verstört blickte Athena in seine Augen.
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[Kein Betreff] - von - 11-10-2016, 12:33 AM
[Kein Betreff] - von - 11-10-2016, 12:34 AM
[Kein Betreff] - von - 11-10-2016, 12:34 AM

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