Koron III
Kathedrale der Erlösung - Druckversion

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- Dev Mantris - 11-10-2016

Die Kathedrale der Erlösung


Die Menschheit hatte vergessen, so unendlich viel vergessen. Nicht nur den Schmerz und den Kummer, sondern auch das Wissen um die Dankbarkeit für alle das was war. Die Menschen kannten keine Opfer mehr, Worte wie Sehnsucht, Schmerz und Dunkelheit kamen allenfalls in Geschichten vor, die Kinder ängstigen sollten, waren aber sonst aus dem Wortschatz der meisten Einwohner von Athenaios III gewichen. Aber Spurian erinnerte sich. Er erinnerte sich gut. Gemessenen Schrittes ging der alternde Mann, der die 200 Jahre beinahe überschritten hatte, auf die Gestalt zu, die in der Mitte des aus konzentrischen Kreisen bestehenden Parks stand, zu und kniete vor ihr nieder. Zu sagen, dass die Zeit Spuren an Spurian hinterlassen hatte, wäre eine maßlose Untertreibung gewesen. Spurian war alt und trug die Zeichen seines Alters mit stolz. Der Adept des Adeptus Ministratum hatte nunmehr fast 135 Jahre seines Lebens in den Dienst des Imperators gestellt; 135 Jahre voller Hingabe, Askese und Arbeit. Natürlich wusste er, das das Imperium sich seiner nicht erinnern würde. Er war nur eine Fußnote in der Geschichte eines Planeten. Aber Er würde sich erinnern. Ja, das würde er. Spurian erinnerte sich an die Liturgie des vergangenen Morgens. Schwester Adriana hatte die Gemeinde durch die morgendliche Andacht geführt. Sie hatte von den Versuchungen gepredigt, von den lauernden Gefahren, denen die Aufrechten, die Gläubigen, die Diener des Imperators ausgesetzt waren. Langsam begann Spurian zu beten. Nicht für sich, nein. Er betete zu Ihm auf Terra, dass die Dunkelheit nicht wieder erwachen möge. Er wusste, dass es nie den Sieg gegeben hatte. Es gab den Sieg nicht. Es gab nur den tiefen Schlaf, bewacht von Engeln und ihren Dienern. Die Dunkelheit würde wieder kommen. Spurian sah auf, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hinter dem Horizont versanken und der Statue einen rötlich-goldenen Schein verliehen. Er lächelte und wusste: Solange das Licht war, musste die Dunkelheit vergehen. Langsam stand der alte Adept auf und ging steifbeinig und auf zitternden Knien in Richtung seines in den länger werdenden Schatten versinkenden Hab-Blocks davon. ,,Aus dem Licht des Glaubens will ich zehren, der Dunkelheit zum Trotze" stand in verblichenen Lettern am Tor zum Park. Spurian lächelte und entschwand aus der Dämmerung in das zwielichtige Dunkel, in dem die Stadt versank.

Schwester Athena stand am Fenster der kleinen Kapelle und betrachtete die vor ihr liegende Szenerie. Ihren Bolter hatte sie neben sich auf den kleinen Tisch gelegt, auf dem eine ausgeblichene Abschrift der Lectitio Divinitatus lag. Ihre weiße Rüstung war mit Gebetspergamenten und Litaneien des Glaubens verziert, die nicht nur von ihrer Hingabe, sondern vielmehr auch von ihrem Rang im Orden zeugten. Als Celestia Elohim genoss sie hohes Ansehen und war eine der Sororitas, die zum engen Zirkel der Ekklesiarchie auf dieser Welt gehörten. Diese Welt, Athenaios, benannt nach dem Konfessor, der mit einem Kreuzzug von Flagellanten und Zeloten diese Welt befreit hatte. Eine Welt, die weder eine sonderlich günstige Lage, noch besondere Industrieanlagen oder Rohstoffvorkommen vorzuweisen hatte. Und trotzdem war sie hier, eine Celestia Elohim. Seit nunmehr drei Jahren war die Schwester des Ordo Militaris zusammen mit den Anderen hier auf diesem Hinterwältlerplaneten, wie es der Wille des Imperators war. Drei Jahre hatte sie die Menschen auf dieser Welt in ihrem Glauben bestärkt, sie durch kleinere Krisen hindurch geleitet, die nicht mehr waren, als Dürreperioden und Unfälle in den dicht bevölkerten Zentren der Stadt, die verhältnismäßig wenige Opfer gekostet hatten. Athena belächelte das gemeine Volk des Imperators oft, waren sie doch wie eine Herde von Schafen, die sich der Gefahr nicht bewusst war die überall um sie herum lauerte. Mutanten, Ketzer, Xenos - vor all diesen Dingen warnte die Ekklesiarchie, aber wie sollte man eine Bevölkerung, deren Glaube fast so gefestigt war, wie der von Bewohnern einer Schreinwelt, solche Gefahren begreiflich machen? Die Celestia atmete tief ein und aus. Manchmal, in schwachen Momenten wünschte sie sich eine Rückkehr des Kampfes, einen Feind, dem sie ins Auge blicken konnte. Langeweile und Routine waren hier ihre größten Gegner. Doch aus Müßiggang entsprang Ketzerei.
Sie maßregelte sich im Innern und wandte sich mit einer ruckartigen Bewegung vom Fenster ab. In einer halben Stunde würden Ihre Schwestern erscheinen, um mit ihr das Morgengebet zu sprechen. Ihre grünen, mandelförmigen Augen blickten unter einer blonden Strähne ihres ansonsten zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebundenen Haares hervor und betrachteten die in der Mitte des Raumes stehende Figur. Diese Kapelle war nicht dem Imperator gewidmet, sondern Schwester Lucretia, einer lokalen Heldin, die zusammen mit Konfessor Athenaios diese Welt verlassen hatte. Die ersten Strahlen der Sonne des Planeten zauberten tiefe Schatten in die Märtyrerin, die ihre Hände gen Himmel reckte und ließen ihr Gesicht unter der Kapuze ihrer Robe unter einer Geflecht von schwarzen Schatten verschwinden das in starkem Kontrast zu dem alabasterfarbenen Marmor stand, aus dem die Statue gefertigt war. Athena ging langsam auf die Figur zu und legte eine Hand auf die nackten Füße der einstigen Heldin. ,,Lucretia lehrt uns, dass wir alle unsere Opfer bringen müssen'' sagte eine Stimme hinter ihr. ,,Sie ist ein leuchtendes Bild reinen Glaubens in einer Welt voll von Egoismus und Sünde. Geschichte lehrt und vieles und wiederholt sich ständig.'' Athena wirbelte herum, Jahre des Training ließen sie automatisch zu ihrem Bolter greifen. Sie erstarrte mitten in der Bewegung, ließ ihre Hände sinken und neigte ihren Kopf. ,,Pater Niokletian." Ihre Worte, sowohl Feststellung, als auch Begrüßung hallten in der kleinen Kapelle wieder.
,, Verzeiht, Schwester Elohim, ich wollte euch nicht erschrecken.'' Das Alter war dem Pater anzusehen. Niemand wusste genau wie lange er schon hier auf Athenaios III war, aber niemand konnte sich an eine Zeit ohne den sanftmütigen Priester der Ekklesiarchie erinnern. ,,Es ist für mich immer wieder eine Lust, so reine Geschöpfe des Glaubens zu sehen, Schwester Elohim. Doch sagt mir: Welches Opfer habt ihr gebracht?" Athena sah den Mann an, musterte seine vom Alter ergrauten, schulterlangen Haare und die tief in den von dunklen Ringen und Tränensäcken umrandeten blassgrauen Augen, die trotz der fragilen Knochen seines Leibes seinem Auftreten noch immer etwas Ehrfurchteinflößendes gaben. ,,Meine Schwester und meinen Bruder, Pater. Beide starben bei der Eroberung von Gorania, während ich damit beschäftigt war, zu sündigen. Ich suchte Zuflucht bei der Kirche des Imperators und erhielt die Chance Buße und Vergeltung gleichermaßen zu erhalten.'' Athena sah bei diesen Worten beschämt zu Boden. Seit Jahren hatte sie ihr Geheimnis niemandem erzählt. Niokletian musterte sie mit Augen, die so leer und gleichzeitig doch so weise waren, wie die Unendlichkeit des Alls. ,,Habt Ihr beides oder auch nur eines von beidem erhalten?" Athena schüttelte den Kopf. ,,Nein, Pater, meine Rache blieb mir verwehrt und meine Buße ist ein ewiger Kreuzzug, der erst mit meinem Tod endet. Dann, wenn meine Pflicht auf dieser Welt getan ist, werde ich hinaufsteigen zu Ihm und vor seinem Thron wird mein letztes Gericht gehalten. So der Imperator will, werde ich dann meinen Platz in seinen Heerscharen an der Seite meiner Schwestern einnehmen und ihn in das letzte Gefecht gegen die Mächte der Finsternis begleiten." ,,Ihr seid eine gelehrige Schülerin des Credos der Kirche, Athena. Und doch spüre ich den Zweifel in euch. Doch wisst, dass aller Zweifel beseitigt sein wird, wenn Ihr erst dem Gott gegenübertreten werdet. Dann werdet ihr sehen, dass alles, was geschieht und geschehen ist, einen Grund hat.'' Mit einem warmen Lächeln verschwand der Priester durch die Tür und ließ Athena in der Gesellschaft der weißen und kalten Statue zurück. Athena erwiderte das Lächeln halbherzig. Sie würde sich von ihren Sünden im Blute der Ketzer und Häretiker reinwaschen. Sie musste. Sie war es ihrer Familie schuldig. Sie musste nur ihre Zeit hier überstehen, um dann wieder an eine der vielen Fronten verlegt zu werden.

Spurian hatte schlecht geschlafen. Auf dem Weg nach Hause war ihm gewesen, als ob sich die Schatten bewegen würden. Er hatte den Gedanken schnell verdrängt, denn er war nun einmal nicht mehr der jüngste Adept und der Schlafentzug der letzten Wochen machte sich nun wohl bemerkbar. Jedes Jahr um diese Zeit war es das selbe: Arbeit über den regulären Dienstbetrieb von 14 Stunden hinaus, danach der weite Weg zu seinem Hab-Block und dazwischen die Messen und Liturgiefeiern. Vielleicht sollte er doch langsam den Antrag auf Nutzung der Beförderungsmittel stellen? Nein. Der Weg des Imperators wurde seit Jahren durch Leid bestimmt. Wie konnte er je vor seinen Gott treten und dann sagen, dass er des Weges überdrüssig geworden wäre? Nein, Spurian würde wie immer auch in Zukunft seinen Weg gehen. Vorbei an den alten, grauen Industriekomplexen, durch den Park, dessen Wege sich durch geborstene Steine und wucherndes Unkraut in tückische Fallen verwandelt hatten bis hin zu dem Moloch, der eigentlich das große Komplexgebäude des Adeptus Ministratum war, wo er im 27. Stockwerk seinen Arbeitsplatz hatte. Langsamen Schrittes ging der alte Adept die mit Abfall verdreckten Wege entlang. Doch die Erinnerungen der letzten Nacht blieben wie zäher Leim in seinen Gedanken hängen. Er hatte sich eingebildet flüsternde Stimmen gehört zu haben, einmal sogar Schreie. Entnervt schüttelte er den Kopf. Der Jahrestag der Befreiung nahte, und es gab noch viel zu tun.

Pontifex Urba Juri Norod setzte sein Monokel ein und sah die vor ihm knienden Ministranten verächtlich an. Sein aufgedunsener Leib zitterte vor wütender Erregung, als er sie der Reihe nach ansah, allesamt stattlich gebaut und in den weißen und schwarzen Roben der Ekklesiarchie gekleidet. Seine dünne Stimme, die immer am Rande des Überschlagens zu sein schien, ließ die Ministranten zucken, als würde eine Peitsche auf sie herab geschwungen. ,,Was soll das bedeuten, es ist zu Unregelmäßigkeiten gekommen?" Norod stand auf, eine groteske Figur mit dünnen Armen und Beinen enthüllend, deren Masse kaum länger als einige Minuten ohne die Suspensorfelder seines Sessels gehalten werden konnte. ,,In seiner Heiligkeit Namen, was für Ereignisse sollen das gewesen sein?" Ein Ministrant blickte auf, ein Lektor noch dem Schnitt seiner Robe zu urteilen. Mit zitternder Stimme antworte er: ,,Der Imperator sei mein Zeuge, in den vergangenen Nächten vernahmen wir Stimmen, die unheilige Worte murmelten und..." seine Stimme erstarb, als er den eisigen Blick des Pontifex auf sich ruhen sah. Tödlich Kälte hatte sich in die Worte gelegt, die sich aus dem mit mehr als einem Doppelkinn gezierten Gesicht des Ekklesiarchen formten. ,,Ihr habt also unheilige Worte gehört, Lektor? Ihr wollt mir sagen, dass ihr Worte vernehmen konntet, nur ihr und eure Bruderschaft? Und sonst niemand? Ihr unterstellt mir, dass ich nicht weiß, was innerhalb dieser Mauern vorgeht? Oder seid ihr es vielleicht allein, zu dem diese Stimmen sprechen?" ,,Nein, eure Exzellenz!" beeilte sich der Liktor mit panischer Stimme zu erwidern. ,,Es war sicher nur der Wind. Verzeiht, dass wir euch belästigt...." ,,Die Stimmen waren da! Ich bin nicht verrückt! Libitina hat sie gesagt. Die Stimme. Sie kommt!" Der Schrei des gehetzt aussehenden Ministranten zur linke des Lektors drang in den Raum mit der Macht einer Explosion. Während die anderen Ministranten um den Liktor leichenblass wurden, verfärbte sich das Gesicht des fettleibigen Pontifex Urba puterrot. ,,Schweigt, Armseeliger! Lektor, ihr habt genug meiner Zeit gestohlen. Ihr werdet Buße tun, eure gesamte Bruderschaft, dafür, dass ihr ketzerische Gedanken hegtet. Dieser aber" und damit zeigte er mit einem Finger auf den Ministranten mit den blutunterlaufenen Augen, der sich nicht hatte beherrschen können, ,,wird sich für den Rest der Zeit bis zum großen Fest den Flagellanten und Geißlern anschließen. Verschwindet! Sofort!" Überstürzt verließen die Tempeldiener den opulenten Raum des höchsten Ekklesiarchen und ließen Norod allein zurück, der sich erschöpft in seinen Sessel sinken ließ und dann begann, sich von zwei Knaben gefüllte Pasteten reichen zu lassen. Seine Gedanken verweilten noch einen Moment bei dem armen Teufel, der sich nun in der Obhut von Tannhäuser wiederfinden würde. Bei dem Gedanken daran, dass der Mann von diesem Zeloten und dem Schmerz geläutert und nie wieder solche Dinge sagen würde, glitt ein seliges, selbstzufriedenes Lächeln über das feiste Gesicht des Pontifex.

Der Raumhafen der Hauptstadt Renovatio schmiegte sich auf einem Plateau an die in der Dämmerung nebelumhüllten Berge, auf denen die Klosterfestung der Ekklesiarchie beheimatet war. Wie auf allen Welten des Imperiums waren auch hier die Bildnisse und Schreine zu Ehren der Heiligen des Imperiums omnipräsent. Ob nun in Form von kleinen Gebetsnischen, Kapellen oder aber opulenten Statuen - überall fand man die offen zur Schau gestellte Hingabe an den Imperator und seinen Kult. Unzählige Pilger und Prediger bevölkerten die Straßen der Hauptstadt und strömten vom Raumhafen aus in Richtung der altehrwürdigen, verwitterten Kathedralen. Endlose Reihen von gemurmelten Gebeten und monotonen Lobpreisungen vermischten sich mit den Crescendi der ekklesiarchischen Hymnen, die von Lautsprechern auf nahezu jedem Gebäude erschallten. Inmitten dieses geordneten Chaos lag die "Sturmbote", ein wenn auch altes, so doch aber schnelles und zuverlässiges Schiff mit Warpantrieb und auffälligen Modifikationen, und wartete auf ihren Kapitän. Horatio Gerhard, Freihändler, Abenteurer und Vertrauter der Ekklesiarchie würde jeden Moment von seinem Besuch in der Klosterfestung zurückerwartet. Sein Pilot, eine junge blonde Frau, kniff die Augen zusammen. Sicher, ihr Arbeitgeber war ein frommer Mann und ein angesehener Freihändler dazu, aber das hieß nicht, dass sie einer Meinung mit ihm sein musste. Imperator, dieser Planet stank. Angewidert rümpfte sie die Nase und schüttelte den Kopf, als eine Gruppe von Zeloten an ihr vorbeizog, die sich selbst mit neunschwänzigen Katzen auf den Rücken schlug. Der Geruch nach Blut, altem Schweiß und Krankheit, den ihre mit schwärenden Wunden bedeckten Körper verströmten, füllte ihre Nase und vermischte sich dort mit den Aromen von weiteren ungewaschenen Leibern, Unrat und Weihrauch. Schnell ließ diese Mischung aus der bloßen Verachtung blanke Übelkeit werden. Schlimmer als das waren die fanatischen, in religiöser Ekstase geröteten Gesichter der Flagellanten. Wie jemand ein solches Leben führen konnte, entzog sich ihrem Verständnis. Sie war gläubig, das war nicht das Problem, aber das hier... nein. Nein, sie glaubte einfach nicht, dass der Imperator ihr diesen Weg vorgezeichnet hatte. Die Pilotin wandte sich ab und blickte auf die Stadt, die wie ein grauer Leviathan am Rande des Berges hockte. Spitzen von Gebäuden ragten wie aufgerichtete Stacheln aus ihr hervor und reckten sich drohend gen Himmel, während die Gebäude vor dem Farbenspiel der untergehenden Sonne im Grauschwarz der Schatten verschwammen. Dann verstummten die Lautsprecher einen Moment und eine nur durch die gemurmelten Gebet untermalte Stille senkte sich für einige Sekunden über den Raumhafen, bevor die Hymnen der Ekklesiarchie durch das Läuten der archaischen Bronzeglocken ersetzt wurden, die die Bevölkerung in die vielen Tempel der Stadt zum gemeinsamen Gebet riefen. Trotzdem versiegten die Ströme auf den mit Unrat gesäumten Straßen von Renovatio nicht. Stereotyp floss der Strom der Pilger und Prediger weiter, hin zu den Tempeln oder zurück zum Raumhafen. Asketisch ausgemergelte Körper drängelten und trampelten, manche fielen, aber nie hörte der Strom auf. Noch einmal schüttelte die Pilotin den Kopf und stieg dann wieder ins Innere ihres Raumschiffes, um bei verschlossener Luke und eingeschalteter Luftumwälzanlage auf ihren Kapitän zu warten. Die Stadt stank.

Mit einem Lächeln und einer tiefen Verbeugung verabschiedete sich Horatio Gerhard von Pontifex Norod, was dieser mit einem angedeuteten Nicken quittierte, dass allerdings durch seine Kinnmasse nach wenigen Millimetern gebremst wurde. Gerhard drehte sich fast militärisch auf den Fersen und verließ dann den Raum, um sich wieder auf sein Schiff zu begeben. Er war ein frommer Mann, aber seine Geschäfte warteten und er hatte immerhin Aufträge zu erfüllen. Gemessenen Schrittes ging er den ausladend geschmückten und mit Basalt ausgelegten Säulengang entlang, der ihn zum Haupttor des Klosters führen würde. Schwestern des Ordo Militaris standen regungslos an beiden Seiten der Tür und hielten Wache, unbeweglich, wie Felsen. Ihre absolute Hingabe war bewundernswert. Wie Statuen, entrückt und gefühlslos, standen sie als krasser Gegensatz vor der ausschweifend geschmückten Tür zum Dienstraum des Pontifex'. Der Rest der wenigen Kriegerinnen war nicht zu sehen gewesen - bis jetzt. Mit langen, hallenden Schritten sah er Celestia Elohim Athena auf sich zukommen, das Gesicht eine Maske aus kaum verhohlener Erregung. "Ave Imperator, Schwester Elohim", rief ihr Gerhard zu, als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. "Ave Imperator, Kapitän" antwortete die Schwester und formte mit ihren Händen das Zeichen des Aquila vor der Brust. Während Gerhard noch die Geste erwiderte, fuhr sie fort: "Es ist lange her, dass Ihr hier wart. Sagt, was bringt Ihr an Neuigkeiten?" Gerhard sah sie an und nickte dann. "Schwester, die Dinge stehen nicht gut. Torghast V ist gefallen, wenn auch niemand weiß, wie das geschehen konnte. In den äußeren Marken haben sich Kulte gebildet und Aufstände gegen den Goldenen Thron nehmen zu. Noch haben die planetaren Verteidigungskräfte alles unter Kontrolle, aber ihr solltet wachsam sein." Er blickte an der Celestia vorbei auf die untergehende Sonne und fuhr dann fort: "Noch sind die Konflikte einige Systeme entfernt, aber wer weiß? Wachsamkeit und Glaube haben nie geschadet, Schwester. Der Imperator beschützt - aber man sollte sich auch beschützen lassen."
Athena blickte wenig erbaut, vielmehr enttäuscht. "Ihr habt Recht, Kapitän. Ich werde an eure Worte denken, wenn ich wieder bei meinen Schwestern bin. Wir sind alle Werkzeuge des Imperators. In seinem Namen." Mit einem kurzen, abgehackten Nicken verabschiedete sie sich und verschwand in Richtung einer kleinen Kapelle. Gerhard schüttelte den Kopf. Er hatte die Launen der Kriegerinnen noch nie nachvollziehen können. Langsam verließ er durch die hohe Tür die Klosterfestung und trat in die gepflegten Lustgärten vor der Symbiose aus Festung und Kloster. Steinerne, regungslose Abbildungen der Essenz des imperialen Glaubens säumten die gepflasterte Straße, die am Fuße des Berges in das schmutzige Grau der Bauten Renovatios mündete, hinter der nun die Sonne verschwunden war, um am nächsten Morgen hinter der Klosterfestung wieder aufzutauchen. Seufzend machte sich der Freihändler auf den Weg, um den Abstieg hin zur Stadt und zu seinem Schiff hinter sich zu bringen, während die Schatten der Nacht aus der Stadt zum Berg hinauf krochen und den Planeten in Dunkelheit hüllten.

Schemen schlichen auf den Berg, kaum zu erkennen unter ihren langen Kapuzenmänteln, verborgen in den Schatten der heruntergekommenen Gebäuden. Leises Scharren war zu hören, als ihre Füße über den mit dem Dreck von tausenden Pilgern bedeckten Boden schleiften. Langsam huschend bewegten sie sich auf ihr Ziel zu, das sich majestätisch erhaben und abweisend zugleich erhob. Kleine Lichter, nur Funken in der Dunkelheit, flackerten auf den Zinnen und Erkern der Festung des Glaubens und klammerten sich an ihre Existenz. Niemand ahnte, was sich in dieser Nacht auf die Festung zubewegte, keiner sah die Schemen, die sich in den Schatten der einstmals ruhmvollen Stadt sammelten. Zuerst vereinzelt, dann in Gruppen fanden sie sich zusammen, kaum sprechend, selten flüsternd, mit brennenden Augen und gierigen Gedanken. Zerfallene Gebäude und Statuen ließen sie zurück auf ihrem Weg, um ihre Träume wahr werden zu lassen. Ihr Meister würde sie erwarten und ihnen den Weg in eine glorreiche Zukunft weisen. Athenaios würde wieder in einstigem Glanz erstrahlen, das Leben würde in die Städte zurückkehren und der Ruhm alter Tage erneuert werden. So hatte es der Prophet vorhergesehen. Das Siegel würde gebrochen werden.

In einer kleinen Gebetsnische kniete Athena noch lange, nachdem sie mit dem Freihändler geredet hatte und dachte daran, dass Kriege tobten, dass Ruhm errungen und Feinde des Imperators vernichtet wurden. Tief in sich selbst versunken bemerkte sie nicht, dass sie nicht mehr allein war. Minuten vergingen, bevor sie das gleichmäßige Atmen einer anderen Person wahrnahm. Aestua, die jüngste Schwester in ihrem Trupp aus fünf Celestias, stand in einem respektvollen Abstand hinter ihr, Kopf gesenkt und vollkommen still, um abzuwarten, bis sich ihre Schwester Elohim ihr zuwandte. Langsam und gemessen stand Athena auf und betrachtete die junge Kriegerin. Ihre weiße Rüstung wies keinen Makel auf und war in tadellosem Zustand, die langen, dunklen Haare waren hinter dem Kopf mit einem dünnen Band zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre Hände hatte sie vor dem Bauch andächtig gefaltet. Athena mochte sie. Sie erinnerte sich, wie stolz sie damals war, als sie in die Ränge der Celestias aufgenommen wurde. Wie alle Schwestern des Adeptus Sororitas war es für sie die größte Ehre gewesen, die sie sich hatte vorstellen können. Doch das Privileg war auch eine Bürde, denn nur die reinsten, die stärksten und die im Glauben unbeugsamsten konnten und durften sich Celestia nennen. Sie waren die Flamme in der Dunkelheit des Universums, wenn alle anderen Lichter verloschen. Sie waren das Beispiel, die Elite, Inspiration und Hoffnung auf dem Schlachtfeld und während der Gebete. Diese Bürde lag schwer auf ihren Schultern, damals wie heute.
"Schwester, wie kann ich dir helfen?" fragte sie, als sie merkte, dass sie die andere Sororita anstarrte. Aestua blickte auf und ihre dunkelblauen Augen strahlten die absolute Sicherheit aus, die eine jede Celestia stets wie einen Schild um sich trug. "Verzeiht, Schwester Elohim, dass ich euch während eurer Meditation unterbreche, aber Konfessor Tannhäuser bittet euch, zu ihm zu kommen." Athena schluckte. Sicher, die Ekklesiarchie war nicht berühmt dafür, besonders feinfühlig zu sein, aber Tannhäuser war einzigartig. Verschlossen, alt, wortkarg, abweisend. Pontifex Norod hatte ihm die Wacht über die Flagellanten und Geißler übertragen, als er sich vor etlichen Jahren entschloss, auf Athenaios zu bleiben. Kaum jemand hatte die Entscheidung in Frage gestellt, da sich niemand für die armen Seelen verantwortlich gefühlt hatte. Tannhäuser machte keine Probleme und fiel nicht auf - tatsächlich hatte ihn in all der Zeit, die er nun in der Kathedrale auf dem Berg verbracht hatte, niemand wirklich beachtet. Athena selbst hatte seit ihrer Ankunft kaum mehr als zehn Wörter mit ihm gewechselt, denn Tannhäuser hielt sich in der Regel in den Katakomben der Festung auf, wo er eben jene Flagellanten und Geißler hinbringen ließ, die vor Schwäche auf den Stufen der Altäre und Kathedralen in der Stadt zusammenbrachen. Niemand konnte genau sagen, wie viele dieser halb Wahnsinnigen dort unten in den verlassenen Kellergewölben lagen, aber jetzt, kurz vor dem Fest der Erlösung, dem Jahrestag der Befreiung, waren es immer Dutzende von Fanatikern, die Zuflucht im Schmerz suchten. Athena konnte nur raten, wie viele dieser Gläubigen sich nun in der Obhut dieses Mannes befanden. Mit einem letzten Blick in die dunkle Gebetsnische entließ sie die junge Celestia mit einem Nicken und machte sich auf, um Konfessor Tannhäuser aufzusuchen.

Spurian sah die Schatten - und diesmal konnte er sie nicht durch ein einfaches Kopfschütteln leugnen. Er sah ihre Körper, roch den süßlichen, moschusartigen, Geruch, der von ihnen aufstieg und wollte sich angewidert abwenden. Es ging nicht. Morbide Faszination ließ seine Blicke immer und immer wieder über die Gestalten wandern, die in dunklen Schatten an ihm vorbeigingen. Einige waren Mutanten, das konnte Spurian deutlich erkennen, auch wenn er nur die Umrisse unter den dunklen Roben wahrnehmen konnte. Der alte Adept ging in Gedanken jedes Gebet durch, dass er seit seiner Geburt gelernt hatte und hoffte, dass diese Unreinheit ihn unbehelligt lassen werde. Als er die Psalmen der Lucretia in seinem Kopf abzuspulen begann, stellte er fest, dass er sich nicht mehr auf dem Weg zu seinem Hab-Block befand. Er passierte vielmehr gerade das Büßertor, ein altes, halb verfallenes Bauwerk, wo einstmals die Geißler ihre Ergebenheit gezeigt hatten. Es lag aber zu weit außerhalb des Zentrums und der neuen Tempel, und so hatte es seit Jahrzehnten kaum noch jemanden interessiert. Spurian sah neben dem alten Bauwerk die Hospize in noch schlechterem Zustand. Seit das Zentrum der Stadt sich verlagert hatte, waren zunächst die Wohltäter verschwunden, die noch an mit Grünspan übersäten Bronze- und Kupferplatten zu lesen waren. Spurian lief weiter. Er wusste nicht wohin und wurde einfach mitgerissen, ein Opfer seiner Neugier. Schmerzen durchzuckten seinen alten Körper, der nach der eigentlich nun anstehenden Ruhepause verlangte. Aber Spurian ging weiter, den seltsamen Gestalten folgend, die Neues versprachen, Veränderung. Wolken verdeckten die zwei Monde von Athenaios III, Modestia und Fidelitas, sodass nur das graue Schwarz der Nacht selber blieb, als sie auf den Berg Cardo zuliefen an dessen Hang das Kloster der Ekklesiarchie beheimatet war. "Arx Tennebrae" hauchte Spurian den Namen voller Ehrfurcht, bevor er seinen müden Körper zwang weiterzugehen, ohne auch nur einen Gedanken daran verschwenden zu können zu fliehen. Ein kleiner Teil von ihm rebellierte bei jedem Schritt, schrie Warnungen hinaus, doch Spurian konnte nicht auf sie hören. Zu stark war die Faszination, zu stark die Neugier.

In den Katakomben angekommen empfing sie die hagere, fast ausgemergelte Gestalt des Konfessors, der sich auf einen langen hölzernen Stab stützte. "Willkommen, Schwester Elohim." Tannhäusers Stimme war ein heiseres Kratzen, fast wie Stein, über den ein Messer gezogen wird. "Willkommen in der Unterwelt der Arx Tennebrae!" Athena blickte in das runzlige, uralte Gesicht des Konfessors. Zwei dunkle Augen blickten scharfsinnig unter buschigen Augenbrauen hervor. Der komplett kahle Kopf war von Tätowierungen übersät, von denen die Schwester nur die Hälfte der Symbole zweifelsfrei dem Imperatorkult zuordnen konnte. "Ihr wolltet mich sprechen, Konfessor?" erwiderte sie schnell und steif. Ihr Unwohlsein in den dunklen Gewölben war offensichtlich. "Folgt mir, Schwester." Ohne ein weiteres Wort oder eine Antwort abzuwarten drehte sich Tannhäuser um und begann, schwer auf seinen Stab gestützt, langsam tiefer in die Katakomben vorzudringen.
Lichtkugeln spendeten eben genug Helligkeit, um die Umrisse der gigantischen Kelleranlage zu erahnen. Die Luft war feucht und stickig, schwanger mit dem Geruch von Menschenleibern und Wunden. Überall sah sie Büßer in verschiedenen Zuständen. Einige von ihnen waren wenig mehr als sabbernde Wahnsinnige, die Masse aber schien in Gebete vertieft zu sein. Athena konnte sie nicht zählen, aber es waren hunderte, wenn nicht tausende, die ihren Weg hierherunter gefunden hatten. Kaum jemand nahm Notiz von der Schwester, die in ihrer weißen Rüstung mit dem Bolter im Seitenholster hier völlig deplatziert wirkte - ganz im Gegensatz zu dem vorausgehenden Konfessor: ihm schien tatsächlich eine Art Ergebenheit erwiesen zu werden, die sonst nur dem Imperator vorbehalten war. Nachdenklich runzelte Athena die Stirn. Was sollte sie hier? Tannhäuser führte sie langsam zu einer Zelle, in der neben einem grob gezimmerten Bett mit einer Matratze und dünnen Laken nur ein Tisch und zwei Stühle standen, die ebenfalls kaum mehr als mit gutem Willen und wenig Geschick zusammengewerkelte Bohlen waren. Der alte Konfessor deutete mit einer Hand auf einen der Stühle und setzte sich dann mit einem unbewussten Stöhnen auf den anderen. Athena schüttelte energisch den Kopf. Abgesehen davon, dass sie sich nicht sicher war, ob der Stuhl dem Gewicht ihrer Servorüstung gewachsen war, wollte sie nicht sitzen. Je eher sie diesen Ort wieder verlassen konnte, umso besser. Tannhäuser lächelte sie an. Verstört blickte Athena in seine Augen.


- Dev Mantris - 11-10-2016

"Nun, Konfessor, was ist der Grund für mein Hiersein?" In ihrer Stimme klang Ungeduld mit, ohne dass sie dagegen etwas hätte tun können. "So ungeduldig, Celestia?" seine heiseres Lachen ging in ein keuchendes Husten über. "Geduld ist eine Tugend, Schwester. Geduld und Buße, damit wir unser persönliches Opfer bringen können, um dem Imperator zu dienen. Ich hoffe ihr werdet das vor dem Ende erkennen..." seine Stimme wurde leiser und sein Blick wurde leer, bevor er wieder die Sororita fokussierte. Dabei spielte sein Hand gedankenverloren mit einem Lehmbecher, der auf dem Tisch stand. Athenas Gemütszustand schwankte inzwischen deutlich zwischen Wut und Desinteresse. Das hier war nicht ihr Platz, sie sollte vielmehr ihre Schwestern auf die Zeit vorbereiten, wenn sie wieder ihrer Bestimmung zugeführt werden würden: den Makel der Mutanten vernichten, Häresie bekämpfen und Ketzer verbrennen. Als das hier um sie herum machte sie krank, die Menschen, die wie Lämmer zu Schlachtbank getrieben in die Stadt und in die Tempel strömten, ohne zu sehen, was wirklich zählte: die Schlacht, der Gefechtslärm, das Donnern der Bolter und das zischelnde Fauchen von Flammen, dass mit den Schreien der Verbrennenden zu einer Hymne zu Ehren des Imperators wurde. Was wusste ein Geißler schon von dieser erhabenen Form der Verehrung? Bevor sie aber ihre Gedanken aussprechen konnte, begann Tannhäuser erneut zu sprechen. "Dieser Ort, Schwester, ist Geschichte und Geschichte ist ein Kreislauf. Hier wurden Schlachten geschlagen, die Grauen hervorbrachten, wie es größer nicht sein konnte. An diesem Ort gab es für keine Seite Gewinner, nur Verlierer." Er hielt inne und trank einen Schluck aus dem Becher. "Ihr fragt euch, ob ich vielleicht verwirrt bin. Ihr fragt euch, warum ich euch das alles erzählen - und ihr wollt weg. Nun Schwester, vergebt einem alten Mann seinen Drang seine Geschichte zu erzählen, aber ich fürchte, diese Geschichte ist wichtiger als alles, was ihr heute sonst noch zu tun habt."
Tannhäuser sah sie nun direkt an und mit einem Mal sah Athena nicht mehr den alten und gebeugten Mann, sondern zum ersten Mal den Konfessor. "Mein Leben dauert nun schon über drei Jahrhunderte, Schwester Elohim. Ich behaupte nicht, dass es immer gut war, oh nein. Aber ich weiß, dass der Imperator einem jeden Vergebung gewährt, wenn er denn aufrichtig seine Sünden bereut. Ich habe gesündigt, Celestia. Mehr, als ihr euch vielleicht vorstellen könnt. Doch am Ende aller Tage will ich neben den Armeen des Throns in die Schlacht ziehen. Deshalb hört nun genau zu!" Bei diesen Worten blitzten seine Augen auf. Und er begann seine Geschichte zu erzählen. "Vor etwa 280 Jahren war dies meine Heimat. Ein Planet, der gerade durch das Imperium besiedelt wurde. Ich kam mit den Siedlern, ein bloßer Prediger, ein Diener der heiligen Ekklesiarchie. Ich hatte mein Leben dem Imperator gewidmet und war in der Schola Progenium ausgebildet und vorbereitet worden. Ich hielt mich für stark im Geiste. Das war meine erste Sünde: Hochmut. Ich lehrte dem Volk Demut, doch war selber zu stolz um zu erkennen, dass ich mich vom Goldenen Thron abwandte. Ich hielt mich selbst für ein Ideal. Ich sah in mir einen Auserwählten und folglich den einen, durch den die Vergebung des Imperators, sein Segen und sein Wohlwollen erlangt werden konnte. Ich ließ mich beschenken und versicherte im Gegenzug, dass der Imperator über den Spender wachen würde. Immer mehr und mehr verlangte ich nach weltlichen Gütern. Das war meine zweite Sünde. Ich wurde wohlhabend, doch gab ich nichts den Armen, den Sündern und wandte mich von ihnen ab. Das war meine dritte Sünde. Ich begann, anderen ihren Reichtum zu neiden. Meine vierte Sünde. Ich sah nicht, dass immer mehr meinem Beispiel folgten und sich meinen Lastern hingaben. Ich sah nicht, wie die Gesellschaft, die spirituell zu führen ich gelobt hatte, in die Dekadenz hinabstieg. Ich war ignorant, die fünfte Sünde. Dann begann ich anderen ihren Reichtum zu neiden, so sehr, dass ich in meiner Wut darüber tötete. Meine sechste Sünde. Mein Verhängnis aber wurde meine siebte Sünde: die Wollust. Ihr Name war Sybilla, sagte sie. Heute weiß ich, dass sie viele Namen trug. Ich war schwach und doch mächtig. Ich habe ihr die Tür geöffnet."
Der Konfessor brach ab, nun wieder der alte Mann, der die Celestia in Empfang genommen hatte. "Ich habe ihr geholfen, sie auf diese Welt gelassen. Ich war der Ursprung und vielleicht der Grund. Ich hatte Anteil!" Athena starrte in das Gesicht des Konfessors, verwirrt von all dem, was er gesagt hatte. Als sie gerade zu einer Frage ansetzen wollte, hob der Konfessor eine Hand. "Lasst mich ausreden, Schwester. Ich blieb blind, bis es zu spät war. Sybilla ließ mich nach kurzer Zeit fallen - nachdem ich sie den wichtigsten Würdenträgern vorgestellt hatte. Niemand hatte sie im Verdacht, denn sie war ja durch mich - und damit durch die Ekklesiarchie - über allen Zweifel erhaben. Wenige Monate danach zeigte sie ihr wahres Gesicht. Sie rief einen Kult der Freuden ins Leben, einen Kult, der gewisse... Praktiken inszenierte. Die Oberschicht fiel zuerst. Ich sah wie es geschah und tat nichts. Erst als es zu spät war, erkannte ich die wirkliche Gefahr, doch der Schaden war angerichtet. Dann kam der Moment, in dem die Kulte sich offenbarten. Ich versuchte zwar, nachdem die Blindheit von mir abgefallen war, meine Fehler wieder gut zu machen, doch es reichte nicht mehr, Sybilla war zu mächtig und der Einfluss der Ekklesiarchie geschwunden. Wenige nur blieben dem goldenen Thron treu und nicht lange, dann verfielen unsere Kathedralen - oder sie wurden zu Schauplätzen von ekelhaften Ritualen. Menschen, die noch wenige Wochen zuvor fromme Anhänger des Imperators waren, wandten sich von ihm ab. Und wofür? Für die Vergänglichkeit der Wollust, für eine kurze Ekstase. Der Preis den wir zahlten war hoch. Sybilla machte sich selber zur Hohepriesterin und vollzog immer grausamere Rituale. Abscheulichkeiten wurden geboren und geduldet und grässliche, verdorbene Runen zierten die Häuser. Dann..." Seine Stimme versagte den Dienst und eine Träne lief seine Wange hinunter, während sich seine Hand um den Becher Lehm krampfte.
"Dann", fuhr er mit erstickter Stimme fort, "öffnete sie das Portal. Ich weiß nicht wie, aber sie tat es und die Virgo Sacrosancta erschien. Ein Dämon und seine Horden von warpgeborenem Abschaum. Einige erkannten jetzt die Gefahr, andere waren immer noch treu, doch wir waren zu wenige. Wir flohen, Schwester. Wir flohen! Wir hätten sterben sollen, doch wir flohen in die Wüste und hofften, das Imperium würde uns retten. Sie schauten zu mir und wollten Führung, doch ich konnte nicht. Ich war einmal schwach. Ich zweifelte. Monate vergingen in der Wüste. Hunger und Durst als Begleiter waren wir stets des Todes als Begleiter gewiss, eine gerechte Strafe für uns, doch Sein Wille war nicht unser Tod. In eben jener Stunde unserer größten Not sandte der Imperator seinen Engel und unsere Erlösung. Lucretia, die vom Imperator gesandte Heilige selbst. Wir wenigen die übrig waren weinten, als wir sie sahen und ich schämte mich." Die Tränen flossen nun wie ein Strom seine Wangen herunter und fingen an, den Stoff der schmutzigen Tunika an der Halskrause dunkler zu färben. "Wer war ich, dass ich verschont worden war? Wieso ich, wo bessere Männer und Frauen getötet worden waren? Ich beschloss den Tod in der Schlacht zu suchen, einen ehrenvollen Tod, doch auch das war mir nicht vergönnt. So überlebte ich die Befreiung von Athenaios III. Mehr noch, für meine Dienste wurde ich zum Konfessor erhoben, denn niemand konnte sich an mich und meine Taten erinnern." Der Lehmkrug zersplitterte in seiner Hand und Blut tropfte auf den Boden. Tannhäuser schien es nicht einmal zu bemerken. Die nächsten Worte schrie er fast. "Niemand, versteht ihr? Niemand machte mich verantwortlich. Niemand erinnerte sich. Aber ich schämte mich."
Kraftlos setzte er sich wieder, erschöpft und niedergeschlagen. Athena blickte auf den Mann herab, der gerade gestanden hatte, ein Ketzer zu sein und beteiligt gewesen war, einen ganzen Planeten an Dämonen zu verlieren. An seinen Händen klebte das Blut all der Seelen, die in dem Befreiungskrieg für den Imperator gestorben waren. Ihre Hand wanderte zum Griffstück ihres Godwyn-Bolters und schloss sich darum. Ihre Augen, die sich zu Schlitzen verengt hatten, fixierten den greisen Mann, der sich langsam wieder fing. Langsam zog sie den Bolter aus seinem Holster und betätigte den Spannhebel. Mit einem deutlichen Klicken rastete eine Patrone im Patronenlager ein. Als sie die Waffe auf den Konfessor richtete, sah sie keine Angst in seinen Augen. Ein stummes Flehen nach Vergebung, erwartungsvolle Hingabe und die Ungewissheit vor dem Ende, ja - aber keine Angst. "Erschießt mich, Schwester, keinen anderen Lohn habe ich verdient. Aber hört meine Geschichte zu Ende." seufzte der alte Mann. Ohne ihre Waffe zu senken nickte Athena kurz und Tannhäuser fuhr fort. "Ich war hier, beim letzten Sturm auf den Berg. Ein Warpportal war dort geöffnet worden, ein letzter verzweifelter Versuch von Sybilla, ihre Macht zu erhalten und Horden von Dämonen stießen aus ihm hervor. Grausame Wesen, mit erotischer Ausstrahlung, denen viele unserer Krieger erlagen. Die Regimenter der Imperialen Armee wurden abgeschlachtet und erst als die Schwestern des Adeptus Sororitas in den Kampf eingriffen und letztendlich Sybilla töteten, wurde das Tor geschlossen. Wir alle erwarteten, dass der Planet mitsamt dem Tor vernichtet würde, doch offensichtlich hatte man andere Pläne. Wir stehen jetzt über eben der Stelle, Celestia, wo Sybilla getötet wurde. Eine Ebene unter uns ist nach wie vor das Warptor." Athena wurde bleich. "Lüge!" brüllte sie und schlug mit ihrem Bolter zu. Der Kopf des Konfessors wurde brutal zur Seite geschleudert und sofort begann Blut an seiner linken Schläfe herabzulaufen. Benommen blickte der Konfessor sie an. Athenas Atem ging stoßweise und ihre Augen waren jetzt weit aufgerissen. "Seid nicht so blind wie ich. Das Tor wurde nicht zerstört. Und es kann wieder geöffnet werden!"
Die Stimme des Greises war belegt und seine Aussprache zeigte, dass der impulsive Schlag der Sororita ihn härter getroffen hatte, als gut war. "Der Imperator..." setzte Athena an und brach ab. "Wieso jetzt?" fragte sie stattdessen. "Wieso ich?" Stumm bedeutet der Konfessor ihr ihm zu folgen. Den Bolter immer noch auf ihn gerichtet, ging sie hinter ihm her. Nur eine kurze Strecke bis sie zu einer Nische kamen, in der ein menschlicher Körper lag. Ein menschlicher Körper mit zu vielen Gliedmaßen. "Diesen haben wir vor einer Stunde in der Nähe der Krypta gefunden." antwortete Tannhäuser schleppend. Taumelnd hielt er sich nur noch durch seinen Willen aufrecht. "Ich verließ den Planeten und versuchte Buße zu tun, indem ich als Flagellant und predigender Konfessor an zwei Kreuzzügen teilnahm. Ich hoffte, dass ER mir vergeben würde, doch ich fürchte, ich habe mich getäuscht. Meine Sünden... sind zu schwer. In meinen Träumen sehe ich seither die letzten Dinge. Den Tod, den Untergang des Planeten, das Licht des... Imperators und die Abgründe des Warp. Wenn ich schon seine Vergebung nicht erlangen kann, so will ich... doch jenen Planeten schützen, der einstmals durch meine Hand... fast verloren... wurde." Seine Worte wurden schleppender. Er sank auf die Knie, schwer atmend. "Schwester Elohim, es gibt... zwei Eingänge zur Krypta... durch die Tunnel... und durch...Kapelle...Lucret..." Die Kraft verließ den Konfessor und zu Athenas Erschrecken stellte sie fest, dass es ihr Leid tat. Flehend blickten seine Augen sie an. "Wir müssen...alle...Opfer...bringen. Jedes Opfer...einzigartig." Athena nickte. Als sich ihr Finger um den Abzugsbügel krümmte, blickte sie zur Seite. Und in dem Moment, als ihre Patrone den Körper des Konfessors in eine Leiche verwandelte, sah sie ein einzelnes Grünes Blatt aus seinem Stab wachsen. Dann wandte sie sich um und schritt auf die Tunnel zu. Sie musste Gewissheit haben.

Der Eingang stand offen. Spurian folgte den Schemen in die Tunnel, durch die Kapelle hinunter. Der Gang war geschickt verborgen gewesen, unter dem Sockel der Heiligen Lucretia. Der Geruch nach Moschus war in der Nähe der Schemen überwältigend geworden und Spurian fiel es schwer zu denken. Mechanisch bewegte er seine Beine, immer einen Fuß vor den anderen setzend, während er tiefer und immer tiefer hinabstieg. Zunächst war der Tunnel und die darin verborgene Wendeltreppe noch mit Steinen gemauert gewesen, doch bald wich das Mauerwerk unter Spurians tastenden Fingern behauenem Fels. Tiefer, immer tiefer stieg er in die Dunkelheit hinab. Kein Licht schien ihm. Schabende Geräusche und seltsame Laute umgaben ihn und zeigten, dass die Schemen immer noch um ihn herum waren. Dann hörte er etwas in der Ferne, wie ein Echo. Ein misstönendes an- und abschwellendes Heulen, wie von wilden Tieren. Tiefes Stöhnen und leise Schreie untermalten in der Dunkelheit die Töne und gaben ihnen etwas unweltliches. Spurians benebelter Geist wollte Angst empfinden, wollte rennen, aber immer noch setzte er mechanisch einen Fuß vor den anderen.

Athena sprach leise in ihr Vox-Gerät. Keine Antwort. Sie war zu tief in den Katakomben, die Reichweite des Gerätes war zu kurz. Vor ihr lag die Krypta mit ihren zwei Eingängen. An dem einen, von dem Treppenstufen entlang des grob behauenen Steins an den Wänden hinabführten verharrte sie hinter einer Balustrade, währen aus dem anderen Eingang, der nur spärlich durch den Schein einer Fackel . Ein großer Raum mit Säulen an den Seiten, die aus dem Fels herausgeschlagen waren. Jede der Säulen war mit Runen bedeckt - ähnliche Runen, wie sie auch auf dem Kopf von Konfessor Tannhäuser zu sehen gewesen waren. In der Mitte des Raumes stand eine Art Altar auf einem quadratischen Podest, zu dem an jeder seiner Seiten einige Treppenstufen führten. Die Mitte des Altars wurde durch eine über und über mit Symbolen verzierte Kugel eingenommen. Ein seltsames, unwirkliches Licht umgab die Kugel. Neben dem Altar standen ... Gestalten. Sie konnte es nicht anders beschreiben, denn in dem verzerrenden Licht waren in den Schatten nur Umrisse von Schatten zu erkennen, die sich beständig zu bewegen schienen oder ihre Form veränderten. Ein Wispern erfüllte den Raum, ein Flüstern, das flüchtig wie der Wind war, nicht zu hören und trotzdem da. Athena lauschte, doch jedesmal, wenn sie glaubte, etwas herauszuhören, entflohen ihr die Geräusche und sie musste von neuem beginnen. Immer wieder erschienen neue Schemen, immer mehr, bis eine wogende Masse von Schatten im Zwielicht tanzte. Dann geschah etwas. Athena konnte nicht sagen was es war, aber etwas änderte sich. Kurz danach hörte sie es: Ein monotones Geräusch, wie das Rauschen von Wellen, das aus weiter Ferne zu kommen schien. Hektisch blickte sich die Sororita um. Die Runen an den Säulen begannen zu leuchten, schwach zunächst, dann mit zunehmender Intensität. Immer greller begannen sie zu glühen und den Raum mit einem Spiel von Farben zu erleuchten, der weit über das hinaus ging, was eigentlich sein durfte. Athena hielt den Atem an. Die Gestalten, die vorher nur schemenhaft zu erkennen gewesen waren, zeichneten sich jetzt deutlich ab. Athenas Gedanken rasten. Optionen wurden in ihrem auf Kampf gedrillten Gehirn abgespult, Möglichkeiten evaluiert und Handlungswege verworfen. Im Bruchteil einer Zehntelsekunde hatte die Sororita eine Entscheidung getroffen. Doch eben als sie sich umwenden wollte, entdeckte sie zwei Dinge, die ihr Blut in den Adern zu Eis werden ließen. Das erste war ein Schock, nicht nur für Ihre Gedanken, sondern insbesondere für ihre Seele.
Mit einem dümmlich abwesenden Lächeln schob sich eine Gestalt durch die Ränge der Kultisten und walzte auf das Podest mit dem Altar zu. Pontifex Norod. Der feiste höchste Ekklesiarch von Athenaios III ging wie ein geistloser Automat durch die Menge der ekstatisch singenden Kultisten. Sein fetter Körper zitterte bei jedem Schritt und er hatte seine Insignien und Amtskleidung abgelegt, um sie gegen eine verstörende Robe zu tauchen, auf der sich windende Körper und arkane, Kopfschmerzen verursachende Zeichen zu finden waren. Fasziniert und abgestoßen sah Athena genauer hin. Kopulierende Gestallten, die mit verzerrten Gesichtern voller Freude und Schmerz stumme Schreie ausstießen, tauchten aus den Falten des ganz in pink und lila gehaltenen Gewandes auf und verschwanden wieder, wie ewig in einem Traum gefangene Seelen. Für einen kurzen Moment erstarrte Athena und fragte sich, welche Versprechungen einen Menschen dazu treiben konnten, seine Seele aufzugeben und die Ewigkeit in der Verdammnis zu fristen. "Keine Versprechen, sondern Gaben und Geschenke." sagte eine Stimme zu Ihr, die aus dem Nichts zu entspringen schien. Die Temperatur um Athena sank und es bildeten Eiskristalle auf dem schmutzigen Grau, dass das sonst makellose weiß ihrer Rüstung überdeckte, nachdem sie in die Katakomben hinabgestiegen war. Nervös begannen ihre Augen zu zucken und ruhten für eine Sekunde auf den Gestalten unterhalb ihres Verstecks. Es dauerte einige Sekunden, bis sie merkte, was falsch an dem Bild war. Es war zu still. Eine absolute Stille hatte den Sprechchor in der Krypta ersetzt und lag wie eine erstickende Decke über der bizarren Szenerie. Kultisten mit weit aufgerissenen Augen blickten leer und regungslos auf den mitten in der Bewegung eingefrorenen Pontifex Urba. Selbst das Flackern der Fackeln war zum Stillstand gekommen. Athena fror. "Elohim...so fern von deinen Schwestern. So fern von den Orten, wo du sein willst." Die androgyne Stimme hatte keinen Ursprung. Sie war einfach da. Dann begannen die Visionen.

Athena stand auf einer weiten Ebene, umringt von Kriegern in Rüstungen. Frauen wie Männer, weiße Kapuzen auf den Köpfen, blickten sie mit einer Mischung aus Begierde und Eifer an. An ihrer Seite hing ein Schwert, das ständig seine Form zu verändern schien. Neben ihr stand eine Frau. Groß und feingliedrig, mit Augen, die wie von grünem Feuer brannten und mit Haaren, die wie flüssiger Stein in den letzten Strahlen einer untergehenden Sonne strahlten, blickte diese Frau sie mit unverhohlenem Interesse an. Athena konnte ihren Blick nicht von diesen Augen lösen, die sie gleichzeitig faszinierten und abstießen. Sie widerstand dem Drang dieses Geschöpf zu berühren, auch wenn ihre Hand bereits den halben Weg zu dem makellosen Gesicht zurückgelegt hatte. "Athena." flüsterte die Frau ohne ihre sinnlichen Lippen zu bewegen. "Sie dich um. Das ist dein Krieg, deine Zukunft. Du wirst im Namen der Menschheit viele Siege erringen." Athenas Blick folgte dem ausgestreckten Arm der Frau und sah in der Ferne die Ruinen einer Stadt, in der ein Inferno loderte. "Ungläubige und Unreine werden unter deinem Schwert fallen, wie Korn unter dem Sensenblatt. Die wahren Jünger werden zu deinem Banner strömen und schon bald wird dein Name in der Galaxis für Ruhm bei deinen Freunden und Tod bei deinen Feinden stehen." Langsam und mit schwingenden Hüften drehte sich die Frau um und machte eine ausladende Bewegung mit ihren Armen, als ob sie die ganze Welt umschließen wollte. Athenas Augen brannten und ihr Kopf schmerzte. All der Ruhm. All die Möglichkeiten. In ihrem Geiste formten sich Zukunftsvisionen. Lachend stand sie umringt von den erschlagenen Leibern ihrer Feinde inmitten eines Schlachtfeldes. Blut bedeckte ihr Gesicht und ihre Rüstung, tropfte von ihrem Schwert und rann in Strömen über den Boden des Schlachtfeldes. Tausende riefen ihren Namen und ebensoviele erzitterten, wenn er nur geflüstert wurde. All die Schmach - vergessen. Sie konnte endlich ihre Rache bekommen. Sie würde endlich ihre Rache Gestalt annehmen. Die Leben ihrer Geschwister würden im Blut ihrer Feinde gerächt. Ein leiser Schauer der Erregung durchfuhr sie und sie lächelte bei dem Gedanken an die Freude, die ihr jeder Tod geben würde, an die Genugtuung, die sie empfinden würde, wenn sie jene abschlachten würde, die ihr das genommen hatten, was sie mehr als alles andere geliebt hatte. Ihre Eltern würden... Beim Gedanken an ihrer Eltern hielt sie inne. Sie erinnerte sich an die von harter Arbeit gebeugte Frau, die ihr jeden Abend vom Imperator erzählt hatte, wenn sie Alpträume hatte. Sie erinnerte sich an ihren Vater, der als Soldat fortgegangen war und nie wieder zurück kam. Sie erinnerte sich an Orte, an Gefühle - aber nicht an ihre Gesichte. Imperator, sie konnte sich nicht an die Gesichter ihrer Eltern erinnern. Zorn durchfuhr sie, als sie versuchte, sich die Gesichter in Erinnerung zu rufen. Hilfesuchend blickte sie sich um und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. "Nimm deinen Platz an meiner Seite ein." wisperte die Frau und ihre Worte hatten eine beruhigende Wirkung auf die einsame Sororita. "Die Zukunft kann dein sein, weißt du?" Athena spürte den Drang in ihr nachzugeben, wollte ihr folgen, es schien so einfach. Ein letztes Mal versuchte sie, sich an ihre Eltern zu erinnern. Sie rief sich den Tag in Erinnerung, an dem sie beschlossen hatte, sich den Schwestern anzuschließen. Ihre Mutter war so traurig gewesen, so traurig und stolz zugleich. Sie würde nie die Worte vergessen, die sie an jenem letzten Tag zu ihr gesagt hatte. "Du verlässt mich, Kind, und ich werde wieder einsam sein. Dein Vater und deine Geschwister sind bereits gegangen und werden nicht mehr wiederkehren. Du, das letzte was mir geblieben ist, wirst in ihre Fußstapfen treten und demselben Pfad folgen. Es tröstet mich, dass ihr im Dienste des Imperators steht und seinem Opfer Ehre macht. Dadurch weiß ich eines Gewiss: Wir werden uns am Ende widersehen. Ich liebe dich mein Kind. Und ich bin stolz auf dich!." Eine vergessene Wärme erfüllte Athena und ließ sie lächeln. Danach hatte sie mit ihrer Mutter das Gebet in der Kathedrale von Nuntius Prime gesucht. Lange hatten sie schweigend nebeneinander gekniet, vertieft in die Gebete. Als die Stunde des Abschiedes kam, hatte keiner von beiden Gesprochen. Unter der vom warmen Licht hunderter Kerzen angestrahlten Statue des Imperators in seinem Aspekt als Beschützer der Menschheit hatten sie stumm Abschied genommen. Ihre Mutter hatte damals geweint. Jetzt rann eine einzelne Träne die Wange der Celestia herunter und benetzte das Fleurs de Lis Tattoo, dass ihre linke Wange zierte. In diesem Moment veränderte sich erneut etwas. Athena konnte es nicht genau erfassen - es war, als wäre etwas, das immer da war, wieder an seinen rechten Platz gerückt worden. Verloren blickte sie auf und sah die Frau noch einmal an. Doch wo eben noch ein Wesen von unbeschreiblicher Schönheit war, stand nun ein Dämon. Zugegeben ein verführerischer Dämon, aber nichtsdestotrotz ein Wesen des Bösen mit langen Gliedern, die in Hufe und Scheren endeten. Der Körper war der einer Tänzerin, elegant und schmal, doch mit nur einer Brust. Auf dem humanoiden und doch entstellten Körper thronte ein verstörend schöner Kopf, der von zwei kleinen Hörnern gekrönt wurde. Es lachte. "Komm, Athena. Lass mich dir den Weg zur Rache zeigen. Lass deine Träume wahr werden." Athena wich zurück und flammende Wut stieg in ihr auf. "Dämon!" Sie spuckte das Wort förmlich aus. Gerade als sie ihre Waffe ziehen wollte, zersplitterte ihre Vision und sie wurde in die Wirklich zurückgeworfen. Das Lachen des Dämonen folgte ihr.

Die Stille wich erneut dem sonoren Sprechgesang der Kultisten, in den sich jetzt Schreie und Stöhnen mischte. Athena blinzelte und erbrach dann zitternd einen Schwall Galle. Schwankend erhob sie sich auf die Beine und wandte sich von der ekelhaften Zeremonie ab, um dann wieder auf dem Weg, den sie gekommen war, zurückzusprinten. Ihre zweite Entdeckung war weitaus gefährlicher gewesen, als es das Erkennen eines der Kultisten gewesen war. Sie hatte nur wenig Zeit.


- Dev Mantris - 11-10-2016

Der Hierophant betrat die Krypta und lächelte. Jahre der Saat und der Pflege hatten Früchte getragen, soviel konnte man seinem selbstzufriedenen Gesicht ansehen. Spurian stand wie ein unauffälliger Fremdkörper in der wabernden Masse der Kultisten, unschlüssig, was er tun sollte. Selten hatte er mehr Ekel empfunden, als in dem Moment, in dem die Anhänger des Kultes ihre Schattenmäntel abgeworfen hatten und die grellen Farben ihrer Roben seine Sinne zu überwältigen drohten. Sein alter Körper brannte und schmerzte und doch war er unfähig sich zu entfernen. Zu viel Angst hielt ihn im Griff, zu viel Neugier zwang seine tränenden Augen zum Hinsehen. Gemessen ging der Hohepriester zum Altar und betrachtete seine Anhänger. Der Makel des Chaos war überall präsent. Ob nun in Form des stechenden Verlangens und der perversen Spiele, die einige Anhänger zelebrierten, oder in den Auswüchsen der Unreinheit. Was unter den Kapuzen und Mänteln der Kultisten verborgen gewesen war, drängte nun mit macht in das flackernde Zwielicht der Krypta, jeder Fesseln beraubt und nur durch animalische Triebe gelenkt. Blut floss aus dutzenden Wunden auf den staubigen Boden und vermengte sich mit dem Dreck der Jahre. Spurian hatte Angst. Er wusste nicht genau, was er sah, aber er wusste, dass er nach dem heutigen Abend nicht mehr der selbe sein würde. Wenn er denn noch sein würde. Langsam hob der Hohepriester seine Hand und der Lärm erstarb. Pontifex Urba Norod, immer noch dass unsagbar dümmliche Grinsen im fetten Gesicht, hatte sich direkt vor ihm postiert. Geifer lief ihm aus dem leicht geöffneten Mund und vermischte sich mit dem Schweiß, der ihm aus jeder Pore zu strömen schien. Kleine Wunden zeichneten seinen Körper, wo rituelle Schnitte seine Haut geöffnet hatten. Der Hierophant drehte sich im Kreis. Er war kein großer Mann und seine Hände zeigten, dass er seine besten Jahre schon vor einiger Zeit hinter sich gelassen hatte. Sein Gesicht war hinter einer silbernen Maske verborgen, die unter der lilafarbenen Kapuze blitzte. Als er sprach, war seine Stimme auf eine seltsame Art angenehm. Alter und Weisheit schwangen ebenso in den dünnen und nichtsdestotrotz kraftvollen Worten mit, wie Fanatismus und Hingabe zu hören waren. "Brüder und Schwestern, freut euch, denn der Tag des Erwachens, prophezeit seit nunmehr über 200 Jahren, ist gekommen." Stille kehrte ein, obwohl der Mann nicht lauter gesprochen hatte, als es ein Mann tat, der sich mit seinem Gegenüber unterhält. Die Menge der Versammelten Kultisten blickte durch einen Schleier von Verzückung und Erwartung auf ihren Propheten und Hohepriester, der vor dem Altar stand und auf sie herabsah. Spurian wollte zurückweichen, spürte Grauen in ihm aufsteigen und konnte doch nicht zurück. Es gab kein zurück. Dicht gedrängt standen nun dutzende und aber dutzende Kultisten in der Krypta und versperrten den Weg. Der alte Adept kämpfte die Panik nieder und konzentrierte sich darauf nicht aufzufallen, zu überleben. "Das Siegel wird gebrochen und Sybilla wird zurückkehren. Der Meister der Freuden wird sein Auge auf uns richten und alle die belohnen, die seinen Namen so lange im Verborgenen genannt haben. Doch die Zeit des Versteckens ist nun vorbei. Die Zeit des schwachen Imperators ist vorbei. Eine neue Zeit, eine Zeit der Freuden und der Ekstase hat begonnen. Nun endlich, nach all den Jahren, wird Athenaios wieder seinen alten Namen tragen und in den Schoß seines Herren zurückkehren." Mit einer Geste bedeutete der Hohepriester Pontifex Urba Norod zu ihm hinaufzusteigen. "Sehet, die Rückkehr von Sybilla auf Voluptas Major." Wie um seine Worte zu unterstreichen erfüllte ein leichtes Beben die Krypta. Und dann verlosch die erste der Runen an den Säulen.

Außer Atem und mit brennenden Muskeln erreichte Athena die Katakomben, in denen sich die Flagellanten und Geißler befanden. Trauer und Wut lagen schwer in der Luft. Der Leichnam des toten Konfessors lag aufgebahrt vor seinen auserwählten Gefährten, die in Scharen Gebete murmelten und ihm die letzte Ehre erwiesen. Nicht wenige blickten bei ihrer Ankunft mit vor Hass brennenden Augen auf die Celestia, doch niemand wagte es Hand an sie zu legen. Als Athena ihren Mund öffnete, um sich Gehör zu verschaffen, schrillte ein Alarm durch die "Arx Tennebrae" und Explosionen dröhnten dumpf in die Katakomben hinunter. Dann erwachte das Voxgerät knisternd und eine wohlbekannte Stimme ertönte. "Schwester Elohim? Hier Aestua. Wir werden angegriffen." Die ruhige Stimme der jungen Sororita schwankte leicht, ob vor Erregung oder Furcht konnte Athena aber nicht aus der durch das Vox verzerrten Stimme entnehmen. "Hier Athena. Was ist passiert?" Athenas Gesicht was aschfahl geworden. Sie hätte es wissen müssen. Niemand war so dumm die Gefahr der Entdeckung auf sich zu nehmen, nicht einmal die Anhänger des Chaos. "Wir wissen es noch nicht genau, Schwester Elohim. Es sind hunderte, wenn nicht tausende vor den Mauern der Burg. Deformierte und solche, die normal aussehen. In den Ostwall wurde eine Lücke gesprengt und die Frateris Militia zusammen mit den Ministranten versucht die Bresche zu schließen. Gleichzeitig ist das Haupttor auf der Nordseite stark bedrängt. Der Feind setzt leichte und mittelschwere Waffen ein. Mindestens eine Mörserstellung liegt über dem Kloster." Eine kurze Pause folgte, bevor Aestua fortfuhr. "Schwester Elohim, wir wissen nicht, wo der Pontifex Urba ist. Konfessor Tannhäuser ist ebenfalls nicht zu erreichen." Athena dachte fieberhaft nach. Dann antwortete sie mit fester Stimme: "Schwester Celestia, der Pontifex Urba ist vom Glauben abgefallen. Ich spreche gegen ihn kommissarisch in Abwesenheit eines Inquisitors "Excommunicate Haereticus" aus. Alle, die in seinem persönlichen Stab eingesetzt waren, werden verhaftet und bis zur Befragung durch die Inquisition inhaftiert, Quarantänelevel Epsilon-Delta-Vier-Zwo-Null-Rho. Zudem verhänge ich mit sofortiger Wirkung das Kriegsrecht. Das Ordo Militaris übernimmt damit die sofortige Führung aller Truppen. Lassen Sie das Adeptus Arbites und die PVS alle Straßen zum Kloster abriegeln. Mit sofortiger Wirkung tritt eine Ausgangssperre in Kraft." Athena atmete durch. Jetzt kam der schwierige Teil. Eine Schrift zitierend sprach sie weiter: "Die Menschheit steht an einer Weggabelung. Ein Pfad führt in ein Reich unvorstellbarer Macht, der andere in Dunkelheit, Tod und ewige Verdammnis. Nur die, die dem Licht des Imperators folgen, werden ihre Seelen retten können. Ich übertrage Schwester Valea das Kommando bis zu meiner Rückkehr. Merzt die Ketzer aus, Schwester. Haltet das Kloster und gebt keinen Boden preis. Lieber sterben als mit den Konsequenzen leben." Sie machte noch einmal eine kurze Pause, bevor sie ihren letzten Befehl gab, "Ich werde gleich ein kodiertes Signal senden. Leitet es an Horatio Gerhard weiter. Ave Imperator." Ein knappes "Amen" ertönte und das klicken in ihrem Voxgerät zeigte der Celestia, dass die Verbindung unterbrochen worden war. Sie blickte wieder auf den Leichnam des toten Konfessors und hoffte, dass noch nicht alles zu spät war.

Das dumpfe Dröhnen der Mörsergeschosse und die unverkennbaren, wenn auch gedämpften, Geräusche des Krieges verliefen sich in den Katakomben, als Athena an der Spitze ihrer schnell formierten Gruppe aus etwa 50 Flagellanten, alle, die Willens und kräftig genug waren ihr zu folgen, erneut den Weg zur Krypta ging. Wo sie mit ihrem Godwyn-Bolter und dem an ihrer Seite hängenden Kettenschwert bewaffnet war, trugen die Geißler nur leichte Waffen. Einige alte Schrotflinten machten den Hauptteil ihrer Fernkampfwaffen aus, die Masse jedoch hatte sich mit dem bewaffnet, was gerade zu finden war: Küchenmesser, Spitzhacken oder auch einfache Holzbretter mit Nägeln und schwere Hämmer komplettierten das eher überschaubare Arsenal. Athena hoffte, dass es gegen die Kultisten genügen würde.

Horatio Gerhard, Freihändler und Abenteurer blickte entsetzt auf das Pergament, dass den soeben dekodierten Funkspruch zeigte. Nervös strich sich der sonst eher gefasste und gelegentlich sogar zu Späßen aufgelegte Mann durch die Haare, bevor er seine Pilotin fokussierte. "Schlechte Nachrichten, Boss?" fragte sie mit ruhiger Stimme. "Stellen Sie sich vor, wir würden vor einem riesigen Krokodil sitzen, das schläft und es für einen Baumstamm halten. Dann reißt das Krokodil seine Augen auf und sie erkennen, dass sie blind waren. Jetzt bleibt nur die Frage: werden wir dem Tier entkommen?" antwortete der Freihändler nachdenklich. "Ich habe keine Ahnung wovon Sie sprechen, Boss, aber wenn das bedeutet, dass wir dieses Loch endlich verlassen können, dann soll es mir Recht sein." kam sofort die Antwort seiner Pilotin. "Es gefällt mir nicht, wenn es in der Nähe von Ekklesiarchie-Gebäuden kracht. Das bedeutet nie etwas Gutes." Gerhard nickte. "Ich fürchte, Sie haben mehr Recht als Ihnen lieb ist." Mit einer kurzen Bewegung seiner Hand legte er einen Schalter um. "Renovatio Tower, hier spricht die Sturmbote. Ich erbitte Startfreigabe für extra-orbitalen Flug. Freigabeschlüssel ist Charly-Echo-Lima-Echo-Sierra-Terra-India-Alpha - Eins. Bestätigen." Wenige Sekunden später starte die Sturmbote mit heulenden Triebwerken und begann ihren Aufstieg.

Mit jedem Schritt, den Athena vorwärts ging, verschwanden das Dröhnen der Explosionen und das Stakkato der Gewehre und Pistolen, in das sich das Schreien der Verwundeten und Sterbenden mischte, hinter einem Vorhang aus beschwörendem Sprechgesang. Je näher die sonoren Stimmen und ihr stetiger Singsang rückten, desto kälter wurde die Luft. Athena schaute über die Schulter. Die ihr folgenden Männer und Frauen trugen steinerne Mienen zur Schau, doch ein hektisches Flackern in den Augen hier und ein nervöses Zucken dort zeigte deutlich, dass es sich eben nicht um willenlose Maschinen handelte, sondern dass sie an der Seite von Menschen den Kampf suchen würde. Sie mussten das Ritual aufhalten, egal wie. Ihr fiel auf, dass sie nicht einmal wusste, was sie aufhalten sollte, doch für solche Gedanken war es nun schon zu spät. Als sie den Eingang zur Krypta fast erreicht hatten, ließ sie noch einmal kurz halten. Sie kannte nun die Zweifel, die Tannhäuser geplagt hatten. Gab es noch Hoffnung für sie? Nachdem ein Dämon in ihren Gedanken gewühlt hatte? Sie unterdrückte die aufkeimende Verzweiflung und konzentrierte sich auf die vor ihr liegende Aufgabe. Entschlossen verstärkte sie noch einmal den Griff um ihren Bolter und gab dann das Zeichen.

Norod lag auf dem Altar in der Mitte der Krypta, als Athena an der Spitze ihrer Fanatiker in die Säulenhalle stürmte. Der Hierophant über ihm hatte ein Messer erhoben und stieß Laute hervor, die nicht für Menschliche Kehlen gemacht waren. Es war kalt und die Luft stank nach Schweiß und dem kupferartigen Geschmack von Blut. Athena hörte würgende Geräusche in ihrem Rücken und auch ihr Magen rebellierte. Die Krypta schimmerte nun nicht mehr nur in dem Licht der Fackeln und Runen, sondern auch im Lichte von Farben, die von einem Wirbel über dem mit Blut bedeckten Altar ausgingen. Mehrere Frauen und Männer lagen nackt auf den Stufen, die zum Altar hinaufführten. Ihre Körper waren grausam zugerichtet, übersät mit Schnitten und Kratzern. Eine Frau hatte man gepfählt, einem Mann die Eingeweide entfernt, um ihm dann das eigene Herz essen zu lassen. Trotzdem strahlten die Gesichter der toten absolute Ekstase aus und nicht wäre es nur um die Köpfe gegangen, so hätte man keinen Hinweis auf das perverse Schlachtfest zu Ehren des dunklen Gottes finden können.
Der Hierophant stieß weiter Silben hervor und mit jedem Wort verlosch eine weitere Rune und der Wirbel wurde größer. Dann unterbrach das Donnern des Bolters in Athenas Händen die Zeremonie und es geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Ein blasses Licht flackerte um den Hierophanten auf und ließ ihre Boltpatrone harmlos in der Luft explodieren. Der Hierophant kreischte, nicht vor Angst oder Überraschung, sondern vielmehr vor Wut nun doch noch unterbrochen zu werden. Der Mann wirbelte herum und deutete mit einer Hand auf die in die Krypta stürmenden Kämpfer. Letztendlich bildete sich unter einer einzelnen Gestalt im Hintergrund eine scharf riechende Pfütze. Dann stürmte der Mob aus Kultisten los, um die Imperatortreuen abzufangen.

Spurian fluchte leise vor sich hin und versuchte möglichst unauffällig aus dem Gewühl der Leiber zu entkommen. Die Faszination war in dem Moment verschwunden, als die in schmutziges Weiß gekleidete Schwester der Sororitas den Raum betreten hatte. Langsam stieg er aus der Pfütze - dem Ergebnis seines Erschreckens - und wich langsam in Richtung der Säulen zurück. Er hatte Angst. Seine Augen suchten im Gedränge einen Ausgang, aber fanden ihn nicht. Dann traf ihn ein Schlag, den er nicht einmal hatte kommen sehen an der Schulter und ließ seinen Arm nutzlos herunterhängen. In genau diesem Moment wurde aus seiner noch halbwegs kontrollierten Angst Panik. Seine Augen weiteten sich und seine Blase hätte sich - Inhalt vorausgesetzt - beinahe nochmals entleert. Überall um ihn herum tobte nun das Chaos. Mutanten rangen mit Menschen, die halb wahnsinnig waren vor Eifer und Furcht. Spurian sah, wie eine behelfsmäßige Keule das Augen eines Kultisten traf. Das matschende, dumpfe Geräusch ließ Spurian erzittern. An anderer Stelle schrie ein Fanatiker auf, als ihm ein Kultist seine klauenbewehrte Hand von hinten in den Rücken stieß und versuchte, die Wirbelsäule zu zerbrechen. Spurian schlug einem neben ihm stehenden Wesen seinen Ellenbogen ins Gesicht und spürte wie etwas nachgab. Er konnte nicht sagen was er getroffen hatte. Er musste weg. Tretend und beißend drängte er sich in Richtung der Säulen durch. Sein Gesicht war mittlerweile mit Blut bedeckt und seine Robe mit Körpersäften von Kultisten und Fanatikern gleichermaßen durchtränkt. Seine Ohren dröhnten und Tränen liefen ihm in einem steten Strom die Wangen herab. Er sah nicht mehr richtig, alles verschwamm zu einem Meer aus Farben und Bewegungen. Dann erreichte er die Säule und lehnte sich daran. Eben diesen Moment nutzte sein alter geschundener Körper um zu kollabieren. Das letzte was Spurian sah, war ein weißer Fleck, der sich auf den zentralen lila Flecken zubewegte. Dann hörte er nur noch das Rauschen des Blutes in seinen Ohren und sackte bewusstlos auf dem dreckigen Boden an der Säule herunter, auf der immer noch mehr und mehr Runen verloschen.

Ihr Bolter war ihr beim Nachladen entrissen worden. Es spielte keine Rolle. Dutzende von Kultisten lagen bereits am Boden und Dampf stieg auf, von all den Gedärmen. Die Luft war immer noch beißend kalt. Sie würde es nicht schaffen. Immer schneller verloschen die Runen an den Säulen und immer größer wurde der Wirbel über dem Altar. In dem bunten Farbenspiel des unnatürlichen Wirbels konnte man bereits schlanke Schemen erkennen, die auf ihre Gelegenheit warteten, in diese Realität vorzudringen. Athena kämpfte mit dem Mut und der Kraft der Verzweiflung. Ihr Kettenschwert schnitt eine Schneise der Verwüstung in die Reihen der Kultisten. Die normalerweise Weiße Rüstung war mit halb geronnenem Blut und Innereien bedeckt, ihr Gesicht wie Kratzer auf und ihre Rüstung war verbeult. Nur noch eine Granate übrig. Sie blickt auf. wenige Meter vor ihr, umgeben von einem Ring aus abscheulichen Mutanten stand der Hohepriester und intonierte weiter seine Beschwörungsformeln. Athena bildete sich ein wieder das Lachen des Dämonen zu hören. Sie schloss ihre Augen und schüttelte den Kopf. Selbst wenn das hier ihr Ende sein sollte, sie würde dafür sorgen, dass es etwas zählte. Sie würde nicht kampflos sterben. Ein weiterer Kultist starb unter dem Hieb ihres Kettenschwertes, als dessen Adamantiumzähne seinen Hals aufrissen. Für einen kurzen Moment hatte Athena eine Atempause und blickte sich um. Weniger als die Hälfte ihrer Kampfgefährten standen noch und keiner von ihnen war unverletzt. Hymnen singend und Gebete brüllend warfen sie sich in voller Hingabe und Selbstaufopferung gegen die Kultisten. Athena war klar, dass ihr Überraschungsmoment vorbei war.
Ihr Versuch war gescheitert. Sie war eben nicht mit 50 Schwestern, sondern mit 50 ausgemergelten Fanatikern hierhergekommen. Sie bemerkte wie eine weitere Rune erlosch. Ohne Waffen. Und eigentlich auch ohne Plan. Noch eine Rune erlosch. Sie stieß einen Schrei der Frustration aus. Sollte das ihr Ende sein? Vergessen auf einem Planeten, weil sie den Ruhm suchte? Welche Ironie. Ein Schlag auf ihren Schulterpanzer ließ sie aufstöhnen. Die Farben einer weiteren Rune verblassten. Mit einer nach hinten gerichteten Bewegung ihres Kettenschwertes durchbohrte sie den Angreifer, ein schuppiges Ding mit langer Zunge, und traf dann eine Entscheidung. Sie begann zu sprinten. Sie hatte nur einen Versuch. Eine Rune zu ihrer linken wurde dunkel. Sie musste den Kreis der Kultisten um den Altar durchbrechen, das war die einzige Möglichkeit. Sie nahm Anlauf und prallte gegen die lebende Mauer aus Abscheulichkeiten. Ein Arm ragte aus dem Wirbel. Statt in einer Hand endete er in einer langen Klaue, die wie eine überdimensionale Schere eine Krebses geformt war. Die letze Rune verblasste. Athena erkannte die Form, erkannte den Dämonen, der in ihrem Kopf gewesen war. Die Zeit schien in Zeitlupe abzulaufen. Sie sah den Hierophanten den Zeremoniendolch haben. Sie merkte, wie sie durch die Mauer aus entstelltem Fleisch brach. Der Dolch senkte sich und zerteilte das fette Doppelkinn des Pontifex Urba. Blut floss auf den Altar und färbte ihn rot. Der Hohepriester lachte schrill und schrie: "Sybilla!"

Mit einem Beben, dass den bewusstlosen Spurian aus den Tiefen seiner Ohnmacht in die schwindende Realität zurückholte, zerriss die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn. Spurian würgte und erbrach einen Schwall Galle, der an seinen besudelten Roben herunterlief, bevor er sich auf dem Boden mit all den anderen Flüssigkeiten vermischte. Athena lag vor den Füßen des Hohepriester, offensichtlich benommen, und starrte mit geweiteten Pupillen auf die Dämonin, die aus dem Tor trat, dass durch das Blut des Pontifex Urba geöffnet worden war. Das Beben, mit dem das Portal geöffnet worden war, hatte die umstehenden Kultisten zu Boden geschleudert. Viele waren ohnehin nicht mehr übrig. Im Kampf gegen die Fanatiker waren die meisten gefallen und auch den Fanatikern selbst war es nicht besser gegangen. Der Boden der Krypta war über und über mit den Leichen der Gefallenen bedeckt. Es stank. Spurian spürte, wie noch einmal der ätzende Geschmack von Galle in seiner Kehle emporstieg und versuchte rückwärts davonzukriechen. Dann hörte er die Stimme des Hohepriesters. "Ihr seid zu spät, Celestia. Sybilla ist zurückgekehrt und mit ihr werden die Dienerinnen des Herrn der Freuden diesen Planeten wieder zu einem Paradies machen." Ein glucksendes Lachen ertönte unter der silbernen Gesichtsmaske. "Kriecht zurück zu eurer heiligen Lucretia - kein Opfer dieser Welt wird mich noch aufhalten!" Spurian kroch auf den Ausgang der Krypta zu. Sein Körper war geschunden, sein Geist malträtiert und bis an die Zerreisprobe gedehnt. Er schniefte und wimmerte. Seine Handertaste die nächsten Zentimeter. Eine Klaue schloss sich um seinen Unterarm. Mit einem erstickten Schrei riss er sich los. Ohne zu wissen woher, hatte er plötzlich einen Dolch in der Hand. Blind stieß er mit seinem guten Arm zu und wurde mit einem Grunzen und einem Schwall Blut belohnt, der ihm noch einmal die Galle bis in die Kehle steigen lies. Er versuchte sich weiter rückwärts zu bewegen und stöhnte auf, als er seinen verletzten Arm einsetzte. Mit dem Gesicht voran fiel er in den nach Tod stinkenden Boden und schob sich auf den Bauch weiter auf den Ausgang der Krypta zu. Zentimeter für Zentimeter, weinend und fast wahnsinnig vor Angst floh er aus der Hölle.

"Kriecht zurück zu eurer heiligen Lucretia - kein Opfer dieser Welt wird mich noch aufhalten! Die Geschichte wiederholt sich!" Athena wusste plötzlich. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. "Ihr?" war das einzige was sie herausbekam. Sie lag auf dem Rücken und sah zu dem Mann hoch, der die Hölle auf Athenaios III losgelassen hatte. "Ihr ward blind, ihr alle!" erwiderte Niokletian und nahm die silberne Maske ab, während der Dämon neben ihn trat. Es war allzu leicht Norod, diesen feisten Idioten, zu bekehren. Seine Liebe zu jungen Knaben war der Schlüssel? Und wer verdächtigt schon den alten, guten Mann?" Sein höhnisches Lachen traf sie wie ein Schlag. Sie war belogen und verraten worden von denen, die sie hatten leiten sollen. Sie hatte versagt, hatte all jene enttäuscht, die ihr vertraut hatten.
Ihr Blick fiel auf die Dämonin, die nun neben Spurian stand und sie mit diesen brennenden grünen Augen fixierte. Sie beugte sich herab, fuhr mit der Zunge über das Gesicht der Sororita und lächelte ein mit makellosen weißen Zähnen gespicktes Lächeln. "So süß, der Geruch der Verzweiflung. So herrlich, der Geschmack der Angst." "Wenigstens eines habt ihr mich lehren können, Niokletian." Athena schloss die Augen und spürte die fragenden, neugierigen Blicke des Hohepriesters und der Dämonin auf sich ruhen. "Ich kenne jetzt das Opfer, das ich bringen muss." Als sie ihre Augen wieder öffnete und den Splint der Meltabombe zog, sah sie die Angst und Verzweiflung in den Augen von Dämon und Hohepriester, bevor die Explosion der superheißen Gase ihrer aller Augen für immer schloss. Ihre letzten Gedanken galten dem wunderschönen Antlitz ihrer Mutter Nortia.


Athena öffnete die Augen. Um sie herum waren Menschen. Menschen die sie kannte. Aestua war da und lächelte ihr aufmunternd zu. Dann erblickte sie Tannhäuser, der mit einer ganzen Hundertschaft von Männern und Frauen an ihr vorbeimarschierte. Sie stand auf. Dann blickte sie zur Seite und fühlte sofort, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Ihre Mutter stand neben ihr und blickte sie liebevoll an. "Ich freue mich, dass du deinen Weg gefunden hast, Athena." Sie nahm sie fest in die Arme. "Komm, wir wollen Ihn doch nicht warten lassen, oder?" Hand in Hand gingen Mutter und Tochter zusammen mit all den anderen ins Licht.

Epilog:


Aus den Trümmern einer Kapelle vor den brennenden Mauern der Arx Tennebrae erhob sich eine Gestalt und verschwand wimmernd in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Sein alter Körper war zerschunden und er stützte sich schwer auf einen Stock, während er auf das Büßertor zuschritt. Er würde nie vergessen, was er erlebt hatte.

Ein anderer Wanderer im All war weniger zerschunden und trotzdem in Schweiß gebadet. Den Kopf gegen die Bordwand gelehnt, nahm er den Finger von der Taste, die die Codes gesendet hätte, um die Freigabe für die neben der Sturmbote im Orbit liegende "Schwert des Glaubens" zu senden. Athenaios III würde vermutlich nie erfahren, wie knapp sie einem Exterminatus entkommen waren. "Scheiß Krokodile," murmelte Gerhard.