06-12-2014, 10:24 PM
Wie lang lag er jetzt eigentlich hier im Schnee? Musste wohl eine gute halbe Stunde sein, wenn nicht länger.
Kurt hatte kein Problem damit zu kämpfen, auch nicht in einem Rückzugsgefecht, wo die Chancen für die verzögernden Truppen nie sehr rosig aussahen.
Nein, was ihn wurmte war die Tatsache, dass sie sich absetzen und längst auf dem Rückweg hätten sein können. Seit ungefähr fünfzehn Minuten war schon keiner mehr zu ihnen durchgedrungen. Jedenfalls keiner der nicht ein Horninger, Truztler oder Zeffa war. Da draußen war keine PVS- Seele mehr am Leben oder noch nicht in Gefangenschaft. Sie kämpften hier nicht nur einen mittlerweile sinnlosen Kampf, sondern hatten inzwischen auch keine Chance mehr zu entkommen. Die anderen hatten den Sack zugemacht, sie eingekeilt und abgeschnitten. Jetzt konnten sie sich aussuchen wie und wann sie sie erledigen wollten.
Kurt spähte über seine kleine Festung, bestehend aus einem handtiefen Graben, drei Sandsäcken und der Leiche eines PVSlers.
Viel zu sehen gab es nicht.
Neben dem Pulverdampf und dem gasförmigen Schnee, hatten die Bastarde auch noch Nebelgranaten gezündet. Unter diesem Sichtschutz hatten sie sie einkesseln und sammelten sich vermutlich gerade für den finalen Schlag.
Irgendwo in dieser Wand aus Weiß blitzte ein Mündungsfeuer auf und Kurt glaube auch einige schemenhafte Gestalten zu erkennen. Er zielte darauf, schoss dann aber doch nicht. Sein Lasergewehr war lang schon entleert und er hatte sich das Zwo- Einer seiner Deckung angeeignet. In dem war jedoch auch nur noch ein halbes Magazin und ein paar Schrotschüsse. Also nur schießen wenn es auch definitiv was zu treffen gab.
Er senkte den Kopf wieder, zog das Gewehr ein und machte sich so klein wie möglich. Dabei blieb es unvermeidlich in das Gesicht des Toten zu schauen. Ein älterer Soldat, der ihn mit gebrochenem Blick und offenem Mund anstarrte, als empöre er sich über irgendeine Ungeheuerlichkeit. Kurt tätschelte das Gesicht beiläufig. Unter den Handschuhen, die er dem toten Horninger bei ihrem letzten kleinen Tête-à-Tête abgenommen hatte, fühlte sich die Haut wie eine steif gefrorene Plane an.
Mach dir nichts draus, Paps... Hier verpasst du nichts und wenn du Glück hast und ein sündiger Mensch warst, dann bist du jetzt an einem wärmeren Ort.
Bei Sünde fiel ihm etwas ein.
Sein eigener Glühstängelvorrat war zwar noch verbrauchter als seine Munitionsbestände, aber vielleicht hatte der Bursche hier...
Er begann die Beintaschen der Leiche zu untersuchen und zerrte heraus was sich finden ließ. Erste Hilfe- Päckchen, Feldbesteck, Truppenausweis und Schwefelhölzer. Letztere steckte Kurt ein, während er den Ausweis begutachtete. Er klappte ihn auch und überflog die Informationen. Das Dokument steckte in einer Schutzhülle, auf dessen Rückseite eine Fotografie mit Klebeband befestigt war. Es zeigte den Toten neben einer Frau um die Vierzig, davor zwei Kinder.
Ganz schön was vor der Hütte, deine Alte. kommentierte Messer und warf den ganzen, unnützen Scheiß über seinen lächerlichen Schutzwall. Wenn die Leiche Kippen hatte, dann vermutlich in der Brusttasche und da war der dämliche Harnisch drüber. Naja egal, man konnte nicht alles haben und wenn der Tag schon so Kacke war, dann würde ein bisschen Glück nur die Gesamtstimmung versauen.
Schuld an allem war ohnehin diese geisteskranke Kommissarin. Sie stolzierte zwischen den verbleibenden Kämpfern umher, machte große Worte über Heldenmut und große Schritte über Heldenleichen. Während jegliche Form von Deckung kein Garant dafür war nicht getroffen zu werden, schienen die Kugeln einen Bogen um sie zu machen. Ganz so als teilten sie Kurts Abneigung. Er hätte sie an der Küste ersäufen können.
Tja, keine gute Tat blieb ungestraft.
Ihre Kräfte waren sichtlich zusammengeschrumpft. Zwei Panzer und ein LKW voller Fleischwolffutter waren angekommen. Die Panzer waren gut und schön und einer der neuen Bewohner ihres ganz privaten Stückchen Hölle machte sich gleich mal selbst zum General und ließ behelfsmäßige Barrikaden errichten. Naja, immerhin schienen einige der Glatten auf ihn zu hören und schaden konnte ein bisschen mehr Deckung nicht.
Kurt richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Noch immer wurden ihre Stellungen beschossen, doch die Angriffe wirkten irgendwie... ja irgendwie lustlos. Ganz so als müssten die da drüben nur ein bisschen Munition loswerden und feuerten daher ab und zu in ihre Richtung.
Hinter ihm brüllte das Geschütz des Panzers auf und für einen Moment hörte der Pilger alles wie durch eine Wand aus Watte. Die Hitze der Entladung rollte über ihn hinweg und war angenehm und bedrohlich zugleich. Keine Ahnung was der Richtschütze zu sehen geglaubt hatte. Vielleicht wollte er auch nur in Erinnerung bringen, dass er noch da war und ein lohnendes Ziel darstellte.
Die Granate raste durch den Nebel und fraß für einen Moment einen verwirbelten Tunnel hinein. Das Vorfeld war pockennarbig von den Einschlägen der Mörser und Artillerie. Vereinzelt lagen ein Tote herum, auch wenn Messer nicht genau ausmachen konnte wer zu welcher Fraktion gehörte. Bevor sich der Vorhang wieder zuzog erkannte er zwei Gestalten in einem flachen Granattrichter. Mit einem Grinsen legte er an und Feuerte eine kurze Salve. Dreck spritze vor der Stellung der beiden auf und sie nahmen die Köpfe runter.
HE IHR PISSER! brüllte Kurt so laut er konnte in die Richtung der beiden Schützen. WENN IHR SACKHAARFLECHTER HIER WAS REIßEN WOLLT, DANN MÜSST IHR EUCH EIN BISSCHEN MEHR MÜHE GEBEN.
Ob sie ihn gehört hatten oder nur allgemein auf seine leichtsinnige Preisgabe der eignen Position reagierten war weder klar noch wirklich wichtig.
Sie gaben ein paar wütende Schüsse in seine Richtung ab, was Kurt nun seinerseits in Deckung zwang. Huhuuu... bisschen angefressen wa? Klumpen aus harter Erde flogen ihm um die Ohren. Als sich die Nebelwand wieder schloss gaben sie es auf auf ihn zu ballern.
Dann passierte eine kleine Weile gar nichts. Jedenfalls nichts in Kurts unmittelbarer Nähe. Links und rechts brachen ab und an Schüsse. Manchmal Salven, meistens Einzelfeuer. Hinten brüllte diese schreckliche Frau und noch einmal feuerte der Panzer.
Eine Schlacht... oder ein Gefecht, wie auch immer, dem Betreffenden war das für gewöhnlich egal, war nicht so wie in den Geschichten, Filmen oder Romanen. Man kämpfte nicht ununterbrochen und nicht jeder Schuss fällte einen grimmen Feind oder einen treuen Kameraden. Es waren Minuten oder Stunden angespannten Nichtstuns, durchzuckt von Auseinandersetzungen, gegenseitigen Austestens von starken Stellen und Schwachpunkten. Wie zwei Boxer, die sich so lange umkreisten, bis einer glaubte die Sache in einer finalen Explosion aus Schlägen beenden zu können.
Neben kurt landete etwas im Schnee.
In der ersten Sekunde war er davon überzeugt, dass es eine Granate war und sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Dann erkannte er, dass es sich um eine Glasflasche handelte. Eine von der Sorte, die jeder Kiosk für einen Schekel oder weniger verkaufte. Sie war noch zu einem Drittel mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt.
Kurt grapschte danach und angelte sie zu sich heran. Dabei folgte sein Blick der Flugbahn, welche die Flasche beschrieben haben musste. An deren Ende lag Fedor flach auf dem Bauch. Der Pilger war soweit herangerobbt, wie es das Terrain erlaubte und hatte den Rest der Strecke mit einem Wurf überbrückt.
Du Arschloch! zischte Kurt in die Richtung seines Mitstreiters Ich hätte mir fast in die Hose geschissen.
Fedor grinste, was ihn auch nicht hübscher machte.
Hab ich bei einem gefunden der keinen Durst mehr hat. Dachte könntest einen Schluck Mut gebrachen.
Auf dem Edikte war ein bärtiger Seemann abgebildet, der an der Reling einer sturmgepeitschten Nussschale saß. Mit der einen Hand umklammerte er ein Tau, mit der anderen eine Steingutflasche.
GILDESCHLUCK verkündete eine Schrift die altertümlich anmuten sollte.
Kurt warf den Schraubverschluss über die Sandsäcke.
Auf den Mut... prostete er verdrossen in die Runde und leere die Flasche. Der Fusel schmeckte widerlich, rann aber heiß die Kehle herunter und lag dann in seinem leeren Magen wie ein Stein.
Die Flasche flog auch über die Balustrade.
Sind ziemlich nah dran, was?
Fedor hatte recht, sie gehörten mit zur ersten Linie.
So mussten sie nicht mit bei der Befestigung der Stellungen mitwirken und sich von den Volksreden der Kommissarin quälen lassen. Auf der anderen Seite waren sie auch unschön nah am Gegner.
Haste Recht. Vielleicht sollten wir mal...
Ein hohes Heulen schnitt ihm das Wort ab.
Kurt und Fedor starrten sich an, im Blick beider stand Erkennen über die Ursache und die Unausweichlichkeit des Folgenden.
Dann brach das Stahlgewitter über sie herein.
Das waren keine paar Mörser. Was da auf sie eintrommlte mussten mehrere Batterien an Artillerie sein. Kurt wurde die Luft aus den Lungen gerissen. Der Lärm brachte Trommelfelle zum Platzen Männer und Frauen wie Spielzeug in die Luft geschleudert. Die Gewalten zerpflückten sie und vermischten ihre Leiber mit dem aufgerissenen, schwarzen Boden der Schwämme. Die Leman Russ wurden getroffen und während einer den Einschlägen tatsächlich standhielt, auch wenn sein Kommandant in der offenen Luke getötet wurde, explodierte die Munition des zweiten. Den Panzer zerriss es regelrecht und er verspritzte glühend tödliche Schrabnells nach allen Seiten. Der Geschützturm rollte davon, überschlug sich und sprang in die Höhe, so als wiege er nur ein paar Gramm, anstatt zwanzig oder mehr Tonnen. Das kullernde Stück Schrott hätte Kurt dabei beinahe den Garaus gemacht, wäre es nur zehn Meter weiter links entlanggewütet.
Davon bekam der Pilger jedoch nichts mit. Er lag mit dem Gesicht im Dreck, beide Hände über dem Kopf ausgebreitet, als würde das irgendetwas bringen. Nur einmal blickte er nach hinten, zu den anderen. Was er sah, ließ ihn diese Tat sofort bereuen. In einer Welt, die nur aus aufspritzender Erde zu bestehen schien, stand ein PVSler ohne Kopf. Beim Goldenen Throne und allen Heiligen, der Soldat stand in mitten dieser entfesselten Zerstörung und tastete nach seinem fehlenden Haupt. Hinterher hätte Kurt weder sagen können wie lange er das gesehen hatte, noch ob er es wirklich gesehen hatten. Ihm fiel ein dämlicher Spruch ein, denn er mal irgendwo gehört hatte. „Verstand ist wie Affe, mal mag Banane, mal mag Banane nicht.“
Wie dem auch sei, hätte er in diesem Moment mehr im Magen gehabt als einen Fingerhut voll billigen Schnaps, er hätte sich übergeben.
Schnell nahm er das Haupt wieder zwischen die Hände und begann zu beten. Der Imperator und er hatten keine Beziehung die man als sehr innig bezeichnen konnte. Doch im Schützengraben gab es keine Atheisten.
Wie lange der Wahnsinn dauerte hätte er nicht einmal unter der Folter sagen können. Ewigkeiten!
Eine Riesenfaust hatte sich auf seinen Rücken gelegt und ihn mit aller Macht nach unten gedrückt, hatte versucht ihn im Schlamm aus geschmolzenen Schnee zu ertränken. Auch hatte sie alle Sinneswahrnehmungen ausgelöscht.
Er musste tot sein... so war es irgendwo in der Erde zu verrotten.
Dann, als seine Lungen nach Luft schrien, verflog diese Vision.
Toten wollten nicht atmen!
Er stemmte sich mit aller Macht hoch. Die Riesenfinger war Erde, die auf ihn geschleudert wurden war und ihn um ein Haar lebendig begraben hätte. Erde war auch in seinen Augen, seiner Nase, Ohren und sogar im Mund. Der Pilger setzte sich benommen auf und schüttelte sich dann wie ein Hund. Wie in Trance tastete er nach seinen Zigaretten und es dauerte eine ganze Weile, bis er sich daran erinnerte, dass er alle aufgeraucht hatte. Dann suchte er nach seinem Helm, was genauso der Verwirrung geschuldet war, denn er hatte keine mehr... war kein Angehöriger irgendeiner Armee. Nur ein Pilger, dem die heilige Sache am Arsch vorbei ging und den Leute, die er nicht kannte, mit Artillerie beschossen und unter Dreck begruben.
Er hocke am Boden wie ein Betrunkener und starrte auf das, was von der Stellung der Gohmorer noch übrig war. Der Untergrund war buchstäblich umgegraben. Alles in tiefem Schwarz, kein Fitzelchen Schnee mehr zu erkennen. Aus den Kratern ragten an einigen Stellen Arme und Beine heraus. Einige bewegten sich schwach, andere waren in ihrer grotesken Parodien auf das Leben angeordnet. So ragten ein Paar Füße so aus dem Erdreich, als habe ein Soldat mit einem Kopfsprung versucht vor dem Beschuss in die Tiefe der Erde zu fliehen. Verwundete krochen über den Boden, einige mit Verletzungen die ein Mensch unmöglich überleben konnte.
Der Panzer brannte wie eine Fackel, aus der Öffnung, dort wo der Turm noch vor wenigen Augenblicken gesessen hatte, fauchte eine Feuersäule in Richtung Himmel.
Kurt versuchte aufzustehen und setzte sich sogleich wieder auf den Hintern.
Er konnte die Kommissarin sehen. Sie hatte ihre Mütze verloren und blutete aus Wunden an Kopf und Oberarm. Sie taumelte, als hätte sie Einen zu viel gehabt, stürzte ebenfalls leicht und rappelte sich wieder auf. Ein Soldat, vielleicht ihr Adjutant, wollte sie stützen, doch sie stieß ihn beiseite.
Messer erschien es unmöglich, aber es hatten doch tatsächlich einige PVSler diesen Feuersturm überlebt. Da war der Bärtige, der sich eben noch soviel Mühe mit der Befestigung gegeben hatte. Als wäre es von irgendeiner Bedeutung registrierte Kurt, dass der Kerl ein echter Hüne war. Auch er mutete ziemlich benommen an, obwohl er nicht wirklich was abbekommen zu haben schien. Er blickte auf die wenigen Panzersperren, die noch standen und blinzelte immer wieder, wie um einen bösen Traum zu verscheuchen.
Überall kamen Überlebende aus ihren Stellungen. Einige gruben mit den Händen nach verschütteten Kameraden, andere reinigten ihre Waffen von Schmutz. Wirklich klar bei sich schienen, so kurz nach dem Schlag, die Allerwenigsten zu sein.
Das Verwundetennest hatte es nicht getroffen, wie es aussah. Aber dafür hatten sie verteufelt nah an dem explodierenden Leman Russ gestanden. Ein Trümmerstück steckte sogar in der Seite des LKWs. Die Schreie der Verwundeten waren auch das Erste, was wieder bewusst an sein Ohr drang.
Der Donner der Geschütze war verstummt und die plötzliche Stille... nicht wirklich Stille, doch im Gegensatz zu allem davor war es süße, süße Ruhe, summte in seinen geschundenen Ohren wie ein Insektenschwarm. Angelova hatte sich derweil wieder so weit in Griff, dass sie die Überlebenden anbrüllte die Toten, Tote sein zu lassen und Posten zu beziehen. Wie Gespenster mit leeren Gesichtern kamen die Meisten ihren Befehlen nach. Wer es nicht tat, denn zerrten sie persönlich auf die Beine oder verpasste ihnen Tritte.
Kurt suchte nach seinem Gewehr und entdeckte den Riemen aus dem Dreck ragend. Gerade wollte er sich danach strecken, als er ein weiteres Geräusch wahrnahm. Sein gepeinigter Verstand brauchte einen Augenblick um das Gehörte einzuordnen.
Ein Teekessel, in dem das Wasser kochte.
Nein... Blödsinn!
Eine Trillerpfeife.
Spielten die im Nebel da drüben Ragg?
Die Vorstellung hätte ihn beinahe schmunzeln lassen, wenn ihm nicht im selben Moment die wahre Bedeutung gedämmert wäre.
Er selbst kannte dieses Kommando aus früheren Zeiten, aus früheren Kriegen.
Sie hatten in langen Reihen in unendlich weiten Gräben gestanden und das Trommelfeuer abgewartet. Dann hatte ein Offizier mit der einen Hand seinen Säbel, oder seine Pistole geschwängt, während er mit der anderen in die Pfeife blies.
Dann waren sie wie ein Mann aus den Gräben geklettert und hatten...
Scheiße! Kurt hievte sich in die Höhe, vergaß das Gewehr und starrte in den Nebel, dann auf das kleine Häufchen PVSler hinter sich.
Sturm... Sturmangriff hatte er rufen wollen, doch seine Stimme hatte keine Kraft. Erde knischte zwischen seinen Zähnen, noch immer schien er halb Horning im Mund zu haben.
Dann wurde seine Warnung sowieso hinfällig, denn aus dem Nebel drang ein Kriegsschrei, aus unzähligen Kehlen.
Der erste, der auf ihn zukam war ein Bursche, nicht älter als zwanzig Jahre. Er war gut einen Kopf größer als Kurt und brüllte aus vollen Lungen sein Hurra. Ihm voran eilte sein Essar- 19 Karabiner, den er wie ein stoßbereiten Speer hielt und dessen Bajonett ihm tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit verlieh.
Mit drei langen Schritten war er heran und Kurts Verstand ging in Urlaub um seinen Reflexen die Regie zu überlassen.
Der Kerl war nicht nur größer als Kurt, sondern sicherlich auch um einiges stärker. Aber auf den ersten Blick war zu erkennen, dass er ein Neuling im Spiel war. Er hielt seine Waffe so, wie man es ihm in der Grundausbildung, Lehrstunde Nahkampfangriff, beigebracht hatte. Ran, Zustoßen, Klinge umdrehen, rausziehen, nächsten angehen.
Schon war er bei ihm, stieß die Klinge in Richtung Feindesbrust.
Kurt machte nicht den Fehler nach hinten entkommen zu wollen, was bei der Länge der Waffe sein Todesurteil gewesen wäre. Er machte einen Satz zur Seite und hieb mit der flachen Hand seitlich gegen das Gewehr. Der Horninger geriet ins Straucheln, wurde vom eigenen Schwung, stolpernd weitergetragen. Kurt nutzte sein Taumeln und rammte ihm den Ellenbogen gegen das Gesicht. Irgendetwas brach unter seinem Schlag, Zähne oder Nasenbein. Der Jungspund schrie auf. Kurt gönnte ihm keine Pause, warf sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den Kämpfer und fiel mit ihm zusammen zu Boden. Das Gewehr klemmte zwischen ihren Körpern und der andere versuchte nicht länger es freizubekommen. Stattdessen legte er beide Hände um den Hals des Pilgers und drückte zu. Er hatte tatsächlich Bärenkräfte. Kurt kam es vor als hätte man seine Atemröhre in einen Schraubstock gespannt, schwarze Punkte flimmerten vor seinen Augen. Ihre Gesichter waren keine Handbreit voneinander entfernt, er konnte den Atem des anderen riechen und sah das er blaue Augen hatte.
Mit der Linken versuchte Kurt das blutige Gesicht seines Gegners von sich wegzudrücken, mit den Fingern die verwundete Stelle zu finden. Derweil zog er das Bein an und tastete mit der Rechten nach dem Messer in seinem Stiefel. Die Finger fanden den Griff und schlossen sich darum.
Als er dem Horninger den Stahl in die Seite rammte erschlafften die Hände um seinen Hals. Er rollte den Sterbenden ächzend von sich und zwang sich wieder auf die Füße. Wie oft hatte er heute eigentlich schon mit der Fresse im Dreck gelegen?
Zum gedanklichen Nachzählen blieb keine Zeit, denn der Bursche denn er gerade abgestochen hatte, hatte bereits einen Nachfolger.
Der wiederum sah nicht so aus als wäre dies sein erster Kampf dieser Art. Er trug eine Spangenrüstung und darüber einen gesteppten Feldmantel.
Und verflucht noch mal... war der mit einer Mistgabel bewaffnet?
Nein definitiv kein Gerät um Kuhscheiße zu wenden. Das war ein Dreizack um Menschen wie Fische aufzuspießen. Kurt fingerte nach seiner Pistole, doch der andere dachte nicht daran ihm die Zeit zum Ziehen zu geben. Auch er stieß mit seiner Waffe zu, aber um einiges geschickter als sein Kamerad. Als Kurt wie bei der ersten Attacke zur Seite sprang, wirbelte er den Dreizack herum und eine der drei scharfen Klingenspitzen erwischte ihm am Bein. Der Schnitt in seinem Fleisch war tief und er knickte auf ein Knie ein. Dann bekam er einen Tritt gegen die Brust und fand sich erneut liegend wieder, dieses Mal auf dem Rücken wie ein Käfer. Er fuchtelte mit dem blutigen Messer in die Richtung des über ihm aufregenden Schatten. Der hob seinen Dreizack um ihm den Rest zu geben.
Dann beulte sich plötzlich sein Helm ein. Sein Kopf wurde zur Seite geschleudert, Funken stieben vom Metall auf. Ein zweiter Schuss sprengte die Wangenspange weg und riss ihm den sichtbaren Teil des Schädels weg. Der Unterkiefer flog davon und ein blutiger Brocken landete in Kurts Schoss. Erst später sollte er realisieren, dass es sich dabei um die Zunge des Mannes handelte. Der Getroffene fiel wie eine gefällte Eiche und gab die Sicht auf Fedor frei, der mit gefletschten Zähnen und rauchender Waffe auf ihn zu eilte.
Kurt hatte kein Problem damit zu kämpfen, auch nicht in einem Rückzugsgefecht, wo die Chancen für die verzögernden Truppen nie sehr rosig aussahen.
Nein, was ihn wurmte war die Tatsache, dass sie sich absetzen und längst auf dem Rückweg hätten sein können. Seit ungefähr fünfzehn Minuten war schon keiner mehr zu ihnen durchgedrungen. Jedenfalls keiner der nicht ein Horninger, Truztler oder Zeffa war. Da draußen war keine PVS- Seele mehr am Leben oder noch nicht in Gefangenschaft. Sie kämpften hier nicht nur einen mittlerweile sinnlosen Kampf, sondern hatten inzwischen auch keine Chance mehr zu entkommen. Die anderen hatten den Sack zugemacht, sie eingekeilt und abgeschnitten. Jetzt konnten sie sich aussuchen wie und wann sie sie erledigen wollten.
Kurt spähte über seine kleine Festung, bestehend aus einem handtiefen Graben, drei Sandsäcken und der Leiche eines PVSlers.
Viel zu sehen gab es nicht.
Neben dem Pulverdampf und dem gasförmigen Schnee, hatten die Bastarde auch noch Nebelgranaten gezündet. Unter diesem Sichtschutz hatten sie sie einkesseln und sammelten sich vermutlich gerade für den finalen Schlag.
Irgendwo in dieser Wand aus Weiß blitzte ein Mündungsfeuer auf und Kurt glaube auch einige schemenhafte Gestalten zu erkennen. Er zielte darauf, schoss dann aber doch nicht. Sein Lasergewehr war lang schon entleert und er hatte sich das Zwo- Einer seiner Deckung angeeignet. In dem war jedoch auch nur noch ein halbes Magazin und ein paar Schrotschüsse. Also nur schießen wenn es auch definitiv was zu treffen gab.
Er senkte den Kopf wieder, zog das Gewehr ein und machte sich so klein wie möglich. Dabei blieb es unvermeidlich in das Gesicht des Toten zu schauen. Ein älterer Soldat, der ihn mit gebrochenem Blick und offenem Mund anstarrte, als empöre er sich über irgendeine Ungeheuerlichkeit. Kurt tätschelte das Gesicht beiläufig. Unter den Handschuhen, die er dem toten Horninger bei ihrem letzten kleinen Tête-à-Tête abgenommen hatte, fühlte sich die Haut wie eine steif gefrorene Plane an.
Mach dir nichts draus, Paps... Hier verpasst du nichts und wenn du Glück hast und ein sündiger Mensch warst, dann bist du jetzt an einem wärmeren Ort.
Bei Sünde fiel ihm etwas ein.
Sein eigener Glühstängelvorrat war zwar noch verbrauchter als seine Munitionsbestände, aber vielleicht hatte der Bursche hier...
Er begann die Beintaschen der Leiche zu untersuchen und zerrte heraus was sich finden ließ. Erste Hilfe- Päckchen, Feldbesteck, Truppenausweis und Schwefelhölzer. Letztere steckte Kurt ein, während er den Ausweis begutachtete. Er klappte ihn auch und überflog die Informationen. Das Dokument steckte in einer Schutzhülle, auf dessen Rückseite eine Fotografie mit Klebeband befestigt war. Es zeigte den Toten neben einer Frau um die Vierzig, davor zwei Kinder.
Ganz schön was vor der Hütte, deine Alte. kommentierte Messer und warf den ganzen, unnützen Scheiß über seinen lächerlichen Schutzwall. Wenn die Leiche Kippen hatte, dann vermutlich in der Brusttasche und da war der dämliche Harnisch drüber. Naja egal, man konnte nicht alles haben und wenn der Tag schon so Kacke war, dann würde ein bisschen Glück nur die Gesamtstimmung versauen.
Schuld an allem war ohnehin diese geisteskranke Kommissarin. Sie stolzierte zwischen den verbleibenden Kämpfern umher, machte große Worte über Heldenmut und große Schritte über Heldenleichen. Während jegliche Form von Deckung kein Garant dafür war nicht getroffen zu werden, schienen die Kugeln einen Bogen um sie zu machen. Ganz so als teilten sie Kurts Abneigung. Er hätte sie an der Küste ersäufen können.
Tja, keine gute Tat blieb ungestraft.
Ihre Kräfte waren sichtlich zusammengeschrumpft. Zwei Panzer und ein LKW voller Fleischwolffutter waren angekommen. Die Panzer waren gut und schön und einer der neuen Bewohner ihres ganz privaten Stückchen Hölle machte sich gleich mal selbst zum General und ließ behelfsmäßige Barrikaden errichten. Naja, immerhin schienen einige der Glatten auf ihn zu hören und schaden konnte ein bisschen mehr Deckung nicht.
Kurt richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Noch immer wurden ihre Stellungen beschossen, doch die Angriffe wirkten irgendwie... ja irgendwie lustlos. Ganz so als müssten die da drüben nur ein bisschen Munition loswerden und feuerten daher ab und zu in ihre Richtung.
Hinter ihm brüllte das Geschütz des Panzers auf und für einen Moment hörte der Pilger alles wie durch eine Wand aus Watte. Die Hitze der Entladung rollte über ihn hinweg und war angenehm und bedrohlich zugleich. Keine Ahnung was der Richtschütze zu sehen geglaubt hatte. Vielleicht wollte er auch nur in Erinnerung bringen, dass er noch da war und ein lohnendes Ziel darstellte.
Die Granate raste durch den Nebel und fraß für einen Moment einen verwirbelten Tunnel hinein. Das Vorfeld war pockennarbig von den Einschlägen der Mörser und Artillerie. Vereinzelt lagen ein Tote herum, auch wenn Messer nicht genau ausmachen konnte wer zu welcher Fraktion gehörte. Bevor sich der Vorhang wieder zuzog erkannte er zwei Gestalten in einem flachen Granattrichter. Mit einem Grinsen legte er an und Feuerte eine kurze Salve. Dreck spritze vor der Stellung der beiden auf und sie nahmen die Köpfe runter.
HE IHR PISSER! brüllte Kurt so laut er konnte in die Richtung der beiden Schützen. WENN IHR SACKHAARFLECHTER HIER WAS REIßEN WOLLT, DANN MÜSST IHR EUCH EIN BISSCHEN MEHR MÜHE GEBEN.
Ob sie ihn gehört hatten oder nur allgemein auf seine leichtsinnige Preisgabe der eignen Position reagierten war weder klar noch wirklich wichtig.
Sie gaben ein paar wütende Schüsse in seine Richtung ab, was Kurt nun seinerseits in Deckung zwang. Huhuuu... bisschen angefressen wa? Klumpen aus harter Erde flogen ihm um die Ohren. Als sich die Nebelwand wieder schloss gaben sie es auf auf ihn zu ballern.
Dann passierte eine kleine Weile gar nichts. Jedenfalls nichts in Kurts unmittelbarer Nähe. Links und rechts brachen ab und an Schüsse. Manchmal Salven, meistens Einzelfeuer. Hinten brüllte diese schreckliche Frau und noch einmal feuerte der Panzer.
Eine Schlacht... oder ein Gefecht, wie auch immer, dem Betreffenden war das für gewöhnlich egal, war nicht so wie in den Geschichten, Filmen oder Romanen. Man kämpfte nicht ununterbrochen und nicht jeder Schuss fällte einen grimmen Feind oder einen treuen Kameraden. Es waren Minuten oder Stunden angespannten Nichtstuns, durchzuckt von Auseinandersetzungen, gegenseitigen Austestens von starken Stellen und Schwachpunkten. Wie zwei Boxer, die sich so lange umkreisten, bis einer glaubte die Sache in einer finalen Explosion aus Schlägen beenden zu können.
Neben kurt landete etwas im Schnee.
In der ersten Sekunde war er davon überzeugt, dass es eine Granate war und sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Dann erkannte er, dass es sich um eine Glasflasche handelte. Eine von der Sorte, die jeder Kiosk für einen Schekel oder weniger verkaufte. Sie war noch zu einem Drittel mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt.
Kurt grapschte danach und angelte sie zu sich heran. Dabei folgte sein Blick der Flugbahn, welche die Flasche beschrieben haben musste. An deren Ende lag Fedor flach auf dem Bauch. Der Pilger war soweit herangerobbt, wie es das Terrain erlaubte und hatte den Rest der Strecke mit einem Wurf überbrückt.
Du Arschloch! zischte Kurt in die Richtung seines Mitstreiters Ich hätte mir fast in die Hose geschissen.
Fedor grinste, was ihn auch nicht hübscher machte.
Hab ich bei einem gefunden der keinen Durst mehr hat. Dachte könntest einen Schluck Mut gebrachen.
Auf dem Edikte war ein bärtiger Seemann abgebildet, der an der Reling einer sturmgepeitschten Nussschale saß. Mit der einen Hand umklammerte er ein Tau, mit der anderen eine Steingutflasche.
GILDESCHLUCK verkündete eine Schrift die altertümlich anmuten sollte.
Kurt warf den Schraubverschluss über die Sandsäcke.
Auf den Mut... prostete er verdrossen in die Runde und leere die Flasche. Der Fusel schmeckte widerlich, rann aber heiß die Kehle herunter und lag dann in seinem leeren Magen wie ein Stein.
Die Flasche flog auch über die Balustrade.
Sind ziemlich nah dran, was?
Fedor hatte recht, sie gehörten mit zur ersten Linie.
So mussten sie nicht mit bei der Befestigung der Stellungen mitwirken und sich von den Volksreden der Kommissarin quälen lassen. Auf der anderen Seite waren sie auch unschön nah am Gegner.
Haste Recht. Vielleicht sollten wir mal...
Ein hohes Heulen schnitt ihm das Wort ab.
Kurt und Fedor starrten sich an, im Blick beider stand Erkennen über die Ursache und die Unausweichlichkeit des Folgenden.
Dann brach das Stahlgewitter über sie herein.
Das waren keine paar Mörser. Was da auf sie eintrommlte mussten mehrere Batterien an Artillerie sein. Kurt wurde die Luft aus den Lungen gerissen. Der Lärm brachte Trommelfelle zum Platzen Männer und Frauen wie Spielzeug in die Luft geschleudert. Die Gewalten zerpflückten sie und vermischten ihre Leiber mit dem aufgerissenen, schwarzen Boden der Schwämme. Die Leman Russ wurden getroffen und während einer den Einschlägen tatsächlich standhielt, auch wenn sein Kommandant in der offenen Luke getötet wurde, explodierte die Munition des zweiten. Den Panzer zerriss es regelrecht und er verspritzte glühend tödliche Schrabnells nach allen Seiten. Der Geschützturm rollte davon, überschlug sich und sprang in die Höhe, so als wiege er nur ein paar Gramm, anstatt zwanzig oder mehr Tonnen. Das kullernde Stück Schrott hätte Kurt dabei beinahe den Garaus gemacht, wäre es nur zehn Meter weiter links entlanggewütet.
Davon bekam der Pilger jedoch nichts mit. Er lag mit dem Gesicht im Dreck, beide Hände über dem Kopf ausgebreitet, als würde das irgendetwas bringen. Nur einmal blickte er nach hinten, zu den anderen. Was er sah, ließ ihn diese Tat sofort bereuen. In einer Welt, die nur aus aufspritzender Erde zu bestehen schien, stand ein PVSler ohne Kopf. Beim Goldenen Throne und allen Heiligen, der Soldat stand in mitten dieser entfesselten Zerstörung und tastete nach seinem fehlenden Haupt. Hinterher hätte Kurt weder sagen können wie lange er das gesehen hatte, noch ob er es wirklich gesehen hatten. Ihm fiel ein dämlicher Spruch ein, denn er mal irgendwo gehört hatte. „Verstand ist wie Affe, mal mag Banane, mal mag Banane nicht.“
Wie dem auch sei, hätte er in diesem Moment mehr im Magen gehabt als einen Fingerhut voll billigen Schnaps, er hätte sich übergeben.
Schnell nahm er das Haupt wieder zwischen die Hände und begann zu beten. Der Imperator und er hatten keine Beziehung die man als sehr innig bezeichnen konnte. Doch im Schützengraben gab es keine Atheisten.
Wie lange der Wahnsinn dauerte hätte er nicht einmal unter der Folter sagen können. Ewigkeiten!
Eine Riesenfaust hatte sich auf seinen Rücken gelegt und ihn mit aller Macht nach unten gedrückt, hatte versucht ihn im Schlamm aus geschmolzenen Schnee zu ertränken. Auch hatte sie alle Sinneswahrnehmungen ausgelöscht.
Er musste tot sein... so war es irgendwo in der Erde zu verrotten.
Dann, als seine Lungen nach Luft schrien, verflog diese Vision.
Toten wollten nicht atmen!
Er stemmte sich mit aller Macht hoch. Die Riesenfinger war Erde, die auf ihn geschleudert wurden war und ihn um ein Haar lebendig begraben hätte. Erde war auch in seinen Augen, seiner Nase, Ohren und sogar im Mund. Der Pilger setzte sich benommen auf und schüttelte sich dann wie ein Hund. Wie in Trance tastete er nach seinen Zigaretten und es dauerte eine ganze Weile, bis er sich daran erinnerte, dass er alle aufgeraucht hatte. Dann suchte er nach seinem Helm, was genauso der Verwirrung geschuldet war, denn er hatte keine mehr... war kein Angehöriger irgendeiner Armee. Nur ein Pilger, dem die heilige Sache am Arsch vorbei ging und den Leute, die er nicht kannte, mit Artillerie beschossen und unter Dreck begruben.
Er hocke am Boden wie ein Betrunkener und starrte auf das, was von der Stellung der Gohmorer noch übrig war. Der Untergrund war buchstäblich umgegraben. Alles in tiefem Schwarz, kein Fitzelchen Schnee mehr zu erkennen. Aus den Kratern ragten an einigen Stellen Arme und Beine heraus. Einige bewegten sich schwach, andere waren in ihrer grotesken Parodien auf das Leben angeordnet. So ragten ein Paar Füße so aus dem Erdreich, als habe ein Soldat mit einem Kopfsprung versucht vor dem Beschuss in die Tiefe der Erde zu fliehen. Verwundete krochen über den Boden, einige mit Verletzungen die ein Mensch unmöglich überleben konnte.
Der Panzer brannte wie eine Fackel, aus der Öffnung, dort wo der Turm noch vor wenigen Augenblicken gesessen hatte, fauchte eine Feuersäule in Richtung Himmel.
Kurt versuchte aufzustehen und setzte sich sogleich wieder auf den Hintern.
Er konnte die Kommissarin sehen. Sie hatte ihre Mütze verloren und blutete aus Wunden an Kopf und Oberarm. Sie taumelte, als hätte sie Einen zu viel gehabt, stürzte ebenfalls leicht und rappelte sich wieder auf. Ein Soldat, vielleicht ihr Adjutant, wollte sie stützen, doch sie stieß ihn beiseite.
Messer erschien es unmöglich, aber es hatten doch tatsächlich einige PVSler diesen Feuersturm überlebt. Da war der Bärtige, der sich eben noch soviel Mühe mit der Befestigung gegeben hatte. Als wäre es von irgendeiner Bedeutung registrierte Kurt, dass der Kerl ein echter Hüne war. Auch er mutete ziemlich benommen an, obwohl er nicht wirklich was abbekommen zu haben schien. Er blickte auf die wenigen Panzersperren, die noch standen und blinzelte immer wieder, wie um einen bösen Traum zu verscheuchen.
Überall kamen Überlebende aus ihren Stellungen. Einige gruben mit den Händen nach verschütteten Kameraden, andere reinigten ihre Waffen von Schmutz. Wirklich klar bei sich schienen, so kurz nach dem Schlag, die Allerwenigsten zu sein.
Das Verwundetennest hatte es nicht getroffen, wie es aussah. Aber dafür hatten sie verteufelt nah an dem explodierenden Leman Russ gestanden. Ein Trümmerstück steckte sogar in der Seite des LKWs. Die Schreie der Verwundeten waren auch das Erste, was wieder bewusst an sein Ohr drang.
Der Donner der Geschütze war verstummt und die plötzliche Stille... nicht wirklich Stille, doch im Gegensatz zu allem davor war es süße, süße Ruhe, summte in seinen geschundenen Ohren wie ein Insektenschwarm. Angelova hatte sich derweil wieder so weit in Griff, dass sie die Überlebenden anbrüllte die Toten, Tote sein zu lassen und Posten zu beziehen. Wie Gespenster mit leeren Gesichtern kamen die Meisten ihren Befehlen nach. Wer es nicht tat, denn zerrten sie persönlich auf die Beine oder verpasste ihnen Tritte.
Kurt suchte nach seinem Gewehr und entdeckte den Riemen aus dem Dreck ragend. Gerade wollte er sich danach strecken, als er ein weiteres Geräusch wahrnahm. Sein gepeinigter Verstand brauchte einen Augenblick um das Gehörte einzuordnen.
Ein Teekessel, in dem das Wasser kochte.
Nein... Blödsinn!
Eine Trillerpfeife.
Spielten die im Nebel da drüben Ragg?
Die Vorstellung hätte ihn beinahe schmunzeln lassen, wenn ihm nicht im selben Moment die wahre Bedeutung gedämmert wäre.
Er selbst kannte dieses Kommando aus früheren Zeiten, aus früheren Kriegen.
Sie hatten in langen Reihen in unendlich weiten Gräben gestanden und das Trommelfeuer abgewartet. Dann hatte ein Offizier mit der einen Hand seinen Säbel, oder seine Pistole geschwängt, während er mit der anderen in die Pfeife blies.
Dann waren sie wie ein Mann aus den Gräben geklettert und hatten...
Scheiße! Kurt hievte sich in die Höhe, vergaß das Gewehr und starrte in den Nebel, dann auf das kleine Häufchen PVSler hinter sich.
Sturm... Sturmangriff hatte er rufen wollen, doch seine Stimme hatte keine Kraft. Erde knischte zwischen seinen Zähnen, noch immer schien er halb Horning im Mund zu haben.
Dann wurde seine Warnung sowieso hinfällig, denn aus dem Nebel drang ein Kriegsschrei, aus unzähligen Kehlen.
Der erste, der auf ihn zukam war ein Bursche, nicht älter als zwanzig Jahre. Er war gut einen Kopf größer als Kurt und brüllte aus vollen Lungen sein Hurra. Ihm voran eilte sein Essar- 19 Karabiner, den er wie ein stoßbereiten Speer hielt und dessen Bajonett ihm tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit verlieh.
Mit drei langen Schritten war er heran und Kurts Verstand ging in Urlaub um seinen Reflexen die Regie zu überlassen.
Der Kerl war nicht nur größer als Kurt, sondern sicherlich auch um einiges stärker. Aber auf den ersten Blick war zu erkennen, dass er ein Neuling im Spiel war. Er hielt seine Waffe so, wie man es ihm in der Grundausbildung, Lehrstunde Nahkampfangriff, beigebracht hatte. Ran, Zustoßen, Klinge umdrehen, rausziehen, nächsten angehen.
Schon war er bei ihm, stieß die Klinge in Richtung Feindesbrust.
Kurt machte nicht den Fehler nach hinten entkommen zu wollen, was bei der Länge der Waffe sein Todesurteil gewesen wäre. Er machte einen Satz zur Seite und hieb mit der flachen Hand seitlich gegen das Gewehr. Der Horninger geriet ins Straucheln, wurde vom eigenen Schwung, stolpernd weitergetragen. Kurt nutzte sein Taumeln und rammte ihm den Ellenbogen gegen das Gesicht. Irgendetwas brach unter seinem Schlag, Zähne oder Nasenbein. Der Jungspund schrie auf. Kurt gönnte ihm keine Pause, warf sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den Kämpfer und fiel mit ihm zusammen zu Boden. Das Gewehr klemmte zwischen ihren Körpern und der andere versuchte nicht länger es freizubekommen. Stattdessen legte er beide Hände um den Hals des Pilgers und drückte zu. Er hatte tatsächlich Bärenkräfte. Kurt kam es vor als hätte man seine Atemröhre in einen Schraubstock gespannt, schwarze Punkte flimmerten vor seinen Augen. Ihre Gesichter waren keine Handbreit voneinander entfernt, er konnte den Atem des anderen riechen und sah das er blaue Augen hatte.
Mit der Linken versuchte Kurt das blutige Gesicht seines Gegners von sich wegzudrücken, mit den Fingern die verwundete Stelle zu finden. Derweil zog er das Bein an und tastete mit der Rechten nach dem Messer in seinem Stiefel. Die Finger fanden den Griff und schlossen sich darum.
Als er dem Horninger den Stahl in die Seite rammte erschlafften die Hände um seinen Hals. Er rollte den Sterbenden ächzend von sich und zwang sich wieder auf die Füße. Wie oft hatte er heute eigentlich schon mit der Fresse im Dreck gelegen?
Zum gedanklichen Nachzählen blieb keine Zeit, denn der Bursche denn er gerade abgestochen hatte, hatte bereits einen Nachfolger.
Der wiederum sah nicht so aus als wäre dies sein erster Kampf dieser Art. Er trug eine Spangenrüstung und darüber einen gesteppten Feldmantel.
Und verflucht noch mal... war der mit einer Mistgabel bewaffnet?
Nein definitiv kein Gerät um Kuhscheiße zu wenden. Das war ein Dreizack um Menschen wie Fische aufzuspießen. Kurt fingerte nach seiner Pistole, doch der andere dachte nicht daran ihm die Zeit zum Ziehen zu geben. Auch er stieß mit seiner Waffe zu, aber um einiges geschickter als sein Kamerad. Als Kurt wie bei der ersten Attacke zur Seite sprang, wirbelte er den Dreizack herum und eine der drei scharfen Klingenspitzen erwischte ihm am Bein. Der Schnitt in seinem Fleisch war tief und er knickte auf ein Knie ein. Dann bekam er einen Tritt gegen die Brust und fand sich erneut liegend wieder, dieses Mal auf dem Rücken wie ein Käfer. Er fuchtelte mit dem blutigen Messer in die Richtung des über ihm aufregenden Schatten. Der hob seinen Dreizack um ihm den Rest zu geben.
Dann beulte sich plötzlich sein Helm ein. Sein Kopf wurde zur Seite geschleudert, Funken stieben vom Metall auf. Ein zweiter Schuss sprengte die Wangenspange weg und riss ihm den sichtbaren Teil des Schädels weg. Der Unterkiefer flog davon und ein blutiger Brocken landete in Kurts Schoss. Erst später sollte er realisieren, dass es sich dabei um die Zunge des Mannes handelte. Der Getroffene fiel wie eine gefällte Eiche und gab die Sicht auf Fedor frei, der mit gefletschten Zähnen und rauchender Waffe auf ihn zu eilte.