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Ignatz zeigte sich ergriffen von den vertraulichen und durchaus anrührenden Worten seines Kameraden. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann das letzte Mal so offenherzig mit ihm gesprochen wurden war. Einzig vielleicht der Orgyn, der fast an seiner Expedition teilgenommen hätte. Aber so recht konnte man diesen nicht mitzählen, da dessen kindliches Gemüt ihn die meisten Dinge mit rückhaltloser, ja naiver Offenheit hatte begegnen lassen.
Seine Verbundenheit mit dem Buch, dass ihm gleichsam als Inspiration wie als Glücksbringer und Mahnung an die eigene Jugend gereichte, mochte er nicht als ersten Schritt auf einem Pfad der Vorherbestimmung sehen. Freilich, im Licht der Ereignisse und Begebenheiten wäre es vermessen gewesen Schicksal und Vorsehung als gänzlich unsinnig abzutun.
War es nicht die Piratenrasse der Eldar, die von sich behauptete sogar die Zukunft und damit die Vorherbestimmung sehen zu können? Ignatz aber hatte zu viele Jahre seines Lebens im Schoss der Rationalität und wissenschaftlichen Evidenz geruht, um sich jetzt Hals über Kopf in die Esoterik zu stürzen. Er gab daher eine wage Antwort und blieb Sequoyah auch die Antwort auf das erwähnte Ritual schuldig oder formulierte sie bestenfalls schwammig.
Ich muss darüber nachdenken. Solche Dinge funktionieren nur wenn man die nötige Bereitschaft mitbringt. Jedenfalls nehme ich das stark an. Ich kann allerdings noch nicht mit Sicherheit sagen, ob ich die nötige Offenheit schon habe.
Nicht lange danach beendeten sie ihr Gespräch. Trotz gegenteiliger Aussage glaubte Ignatz nicht, dass die Brustverletzung seines Freundes so harmlos war wie dieser tat. Außerdem war er auch selber wie erschlagen und schlief keine zehn Minuten später den Schlaf der Gerechten, die Blutsauger gar nicht bemerkend die es unter sein Moskitonetz geschafft hatten.
Die nächsten Tage verliefen in monotoner Gleichförmigkeit. Der Regen hatte wieder eingesetzt und ließ die Welt erneut zusammenschrumpfen. Der Kapitän verkündete unheilsschwer, dass ihnen langsam aber sicher die Kohlen ausgingen und er entweder Holz bunkern musste oder die eiserne Reserve an mitgeführten Chem- Blöcken an den Kessel verfüttern musste. Man mochte nun glauben das Holz kein Problem sei, in Mitten eines Dschungels. Doch Kapitän Miller meinte, dass Holz sei so mit Flüssigkeit vollgesogen, dass es leichter wäre einen Eimer Flusswasser zum Brennen zu kriegen. Ob das stimmte vermochte Ignatz nicht zu sagen. Er musste sich auf die Fachexpertise des Mannes verlassen, von dem er vermutete, er suche einen Anlass umzukehren.
Die Chem- Blocks wiederum dienten genau dafür, den Rückweg zu gewährleisten und der Kapitän würde sie nur dann an die Heizer ausgeben wenn er das Ruder herumreißen konnte.
Eines Abends setzte er ein barsches Ultimatum.
Wenn man bis Ende der Woche kein Eingeborendorf finden würde, so würde er umkehren. Ignatz sagte dazu nichts. Scheinbar hatte ihm seine erste Konfrontation mit dem Alten gereicht.
Er zog sich in seinen Elfenbeinturm der Feldforschung zurück, zeichnete Pflanzen, Insekten und kleine Amphibien.
Davon ab machte Cordell Stimmung gegen den Professor, Sequoyah und diejenigen, so wenige es auch waren, die eher an der Expedition festhalten wollten, als sie vorschnell zu beenden. Jedem der es hören wollte und oftmals auch ohne diese Voraussetzung, erzählte Cordell wie Sequoyah sie durch seinen idiotische Fackeljagd in Gefahr gebracht und wie der zögerliche Professor eine schlimme Situation noch schlimmer gemacht hatte. Die Langeweile und die entnervende Umgebung ließen dieses Gift auf fruchtbaren Boden rieseln und Sequoyah musste sich manchen drohenden Blick und halblaut gemurmelte Bemerkung gefallen lassen. Ihn mit der Schulter anzurempeln, wenn man sich an der schmalen Außenreling begegnete schien einige zu verlocken. Aber zu sehr sah er nach Menschenfresser uns skalpierenden Wilden aus, dass es jemand gewagt hätte. Das Manko des Fremden, seit jeher einen bequeme Grundlage für Abscheu und Missgunst, war ihm gleichermaßen Schutz wie Markel.
Noch!
Bijan blieb weiterhin sonderbar. Von seinen oberflächlichen Verletzungen weitgehend und schnell genesen, übernahm er seine alten Aufgaben. Wie ein Tagträumer ging er seinen Verpflichtungen nach, still vor sich hinlächelnd. Sprach man ihn an, so antwortete er kurz und knapp, aber freundlich und konkret. An die Zeit seiner Entführung vermochte er sich noch immer nicht zu erinnern.
Ignatz war derweil nur zum Teil unrettbar in den Brunnenschacht des Forschertums hinabgestiegen. Wohl war sein befleißigtes Abzeichnen, Konservieren und Katalogisieren nicht vorgetäuscht, aber nahm es ihn in Wahrheit nicht so gefangen wie es den Anschein hatte. Die Gespräche mit Sequoyah wurden kürzer, für neugierige Augen eher beiläufiger Natur. Bewusst, denn so sehr sich der Rest der Mannschaft auch in verschwörerischer Manier zusammen hockte und der Kapitän gleich gar nicht mehr aus seiner Kajüte zu kommen schien, versuchten Ignatz und Sequoyah den Anschein des Normalen aufrecht zu erhalten.
In Wirklichkeit aber brachten sie ihre Spielsteine in Position. Eines der Gewehre zu ergattern war nicht möglich, da diese vom Kapitän in der Waffenkiste unter Verwahrung gehalten wurden.
Es blieben also ihre primitiven Vorderlader und der blanke Stahl ihrer Nahkampfwaffen. Nun nicht ganz so blank, denn als Ignatz seinen treuen Säbel nach Wochen, in denen dieser schändlich am Boden seiner eigenen Kiste vergessen wurden war, wieder hervorholte und aus der Scheide zog, zeigte sich dieser rot von Flugrost. Ihn lang und auffällig zu polieren wagte er vorläufig nicht und daher musste rostige Schärfe erst einmal genügen.
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Die Prognosen der Flussschiffer lagen relativ richtig.
Zwei Tage später, am späten Nachmittag, erreichten sie ein Dorf. In den grünen Saum des Waldes war eine Lücke geschlagen und Einbäume und grobe Flöße schaukelten auf dem braunen Wasser, alle samt an einem simplen Steg vertäut. Nackte Kinder spielten im und am Wasser. Hunde tollten ausgelassen zwischen ihnen herum, eine Vogelart, die an federlose Hühner erinnerte, suchte den schlammigen Hang nach Fressbarem ab. Weiter hinten ließen sich Hütten erkennen.
Sie schienen aus Pflanzenfasern geflochten zu sein und hingen, zwischen Stangen gespannt, einige Meter in der Höhe. Das gab ihnen ein seltsam organisches Aussehen, das an die Eier von Spinnen oder anderen Wesen mit zu vielen Beinen denken ließ. Einige der Bauwerke bestanden aus mehreren der kugelförmigen Gebilde, was den Eindruck noch verstärkte.
Das heranstampfende Dampfschiff sorgte natürlich für helle Aufregung und Ignatz war ein wenig verwundert über die Arglosigkeit dieser Menschen. Sie schienen die Fremden wirklich erst zu bemerken, als das Gefährt die letzte Biegung des Flusses genommen hatte. Bei allen vorherigen Siedlungen die sie angesteuert hatten, war ihre Ankunft lange vorher durch Späher oder Fischer auf dem Fluss entdeckt und weitergegeben wurden. Johlend und schreiend tobten die Kinder den Hang empor und blieben dort gaffend und weit mehr neugierig als ängstlich stehen.
Jedenfalls so lange, bis Mütter ihre zeternden Sprösslinge davonzerrten. Die Kinder wurden von erwachsenden Männern abgelöst, die Speere und Keulen mit steinernen Spitzen in den Händen hielten. Ein Mann trug sogar, man mochte es nicht glauben, ein rostiges Kampfgewehr der PVS. Nicht die aktuelle Ausführung, ein AG -17 wie Ignatz vermutete.
Die versammelten Krieger des Dorfes wirkten bereit aber nicht aggressiv und fasziniert betrachtete er sie genauer.
Sehr dünn und groß waren sie und ihre Haut war auf Brust und Gesichtern mit dem Schlamm des Flusses beschmiert, auf welchen wiederum Muster aus gelber und weißer Farbe aufgetragen waren.
Die Haartracht war nicht einheitlich. Lang und kurz, aufwendige und simple Frisuren gaben sich ein Stelldichein. Einer schien ein Anführer, Schamane oder eine andere Art von wichtiger Persönlichkeit darzustellen. Ein Kopfschmuck aus Dornen oder Fischgräten zierte sein Haupt und verlieh ihm ein überaus fremdartiges Aussehen.
Wer unter der Mannschaft des Dampfers nicht zu dessen Steuerung gebraucht wurde, stand an der Reling und gaffte wie die Kinder es zuvor getan hatten.
Waffen waren ausgegeben wurden, gleichwohl mit der strikten Order damit nicht den starken Mann zu markieren, sondern lediglich für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Niemand wusste zu sagen, wie Stämme so tief im Wald auf Eindringlinge reagieren mochten. Immerhin ließ man sie anlegen, wenn auch niemand Anstalten machte ihnen beim Landen behilflich zu sein.
Das fällt in ihren Fachbereich Professor. Blaffte der Kapitän aus dem erhöhten Steuerhaus, nachdem der Kahn festgemacht hatte. Machen Sie den Wilden verständlich, dass wir Nahrung und Holz eintauschen wollen. Reine Schikane, denn bis jetzt hatte der Kapitän sich immer damit gebrüstet die Einheimischen übervorteilen zu können, wenn es um Tausch und Handel gegangen war. Es galt wohl mehr Ignatz einen Denkzettel zu verpassen und ihn vorzuführen. Der jedoch gedachte nicht sich die Blöße zu geben. Wenn er und Sequoyah von hier aus alleine weiter machen wollten, dann musste er ohne hin einen guten Kontakt zu den Eingeborenen herstellen. Also gürtete Ignatz sich mit seinem Säbel, eine gute Gelegenheit die Waffe wie beiläufig repräsentativ mit sich zu führen und ging an Land. Nicht ohne vorher ein paar getrocknete Fische und einen Nährriegel mitzunehmen. Vorsichtig passierte er den wackeligen Steg und hielt gemessenen Schrittes auf die Mauer aus Männern zu, die noch immer ungerührt dastanden. Er musste sich den Hang hinauf mühen, schaffte es jedoch ohne die Peinlichkeit hinzufallen.
Ich bin Ignatz! Sprach er sehr deutlich und durch übertriebene Gesten unterstrichen. Meine Freunde und ich, er deutete zum Boot, wollen handeln, dann zu den Fischen und dem Riegel in glänzender Aluminiumfolie. Natürlich waren weder die Fische noch der fade Riegel aus Armeebeständen von wirklichem Interesse.
Allerdings erhoffte sich Ignatz sein Anliegen generell klar machen zu können. Die Dorfbewohner blieben regungslos.
Kann mich jemand verstehen? Meine Sprache sprechen. Eine bescheidene Hoffnung, doch am heutigen Tage fiel ein Glanz des goldenen Throns auf sie. Nachdem es schon so aussah, als sei hier alles vergebens, wandte sich ein einzelner Krieger um und verschwand in Richtung Dorf. Die anderen schienen immer noch wie aus Stein gehauen und unbehaglich wischte sich Ignatz den Schweiß mit seinem Taschentuch von Stirn und Nacken. Er kam sich unendlich albern vor, wie er da mit seinen Fischen und seinem dummen Nährriegel stand.
Dann endlich teilten sich die Reihen und ein uralter Greis, von zwei Kindern begleitet, von denen eines ihn führte und das andere ihn stützte, schlurfte heran.
Der Alte war krumm wie ein Fragezeichen, dürr wie der Tod und schien nur aus Runzeln und Falten zu bestehen. Die Augen waren milchig weiß und weder Haare noch Zähne hatte ihm sein langes Leben gelassen.
Bleiche Männert? Fragte er den Kopf zur Seite gelegt und mit einer Stimme, die kaum mehr war als das Flüstern von Wind in getrockneten Blättern. Vom Anblick des Alten und dem schieren Umstand hier imperiales Gotisch zu hören gebannt, musste sich Ignatz einen Ruck geben zu antworten.
J.. ja! Mein Name ist Ignatz und ich möchte die Gastfreundschaft dieses Ortes in Anspruch nehmen. Wir müssen uns ausruhen und wollen gerne Handel treiben. Der Greis lauschte und übersetzte dann mit seiner brüchigen Stimme.
Der Stachelhaarige antwortete.
Die Sprache dieses Volkes war kehlig und klang ein wenig, als würde sich ein Sprecher abmühen eine große Menge Fleisches zu schlucken.
Der mit Geistern singt sagt kommen. Damit löste sich der Wall aus Kriegern auf und Ignatz atmete erleichtert aus. Der Mann mit dem Gewehr riss ihm Fisch und Riegel aus der Hand und legte ihm dann eine Kette aus Flussmuscheln um den Hals, die er sich selbst vorher abgenommen hatte. Der Professor sah dies als ein angenommenes Begrüßungsgeschenk. Zu den Wartenden auf dem Boot rief er.
Man gewährt uns Gastfreundschaft. Kommen sie, kommen sie!
Eine Stunde später saß man gemeinsam im der großen Hütte, einige Meter über dem Erdboden. Eine erstaunliche Konstruktion, tatsächlich aus geflochtenem Material, eine Art Lianen wie es schien.
Selbst die zwanzig hier versammelten Männer nötigten dem Gebäude und dem Gestänge auf dem es ruhte, nicht einmal ein Ächzen ab. Wenn man sich daran gewöhnt hatte, dass alles etwas konkav ausfiel war es gar recht gemütlich. Mehr noch, im Zentrum stand ein ausgehöhlter Stein, indem ein Feuer brannte und über dem Früchte, Fisch und Fleisch die Reisenden mit ihrem Geruch verlockten. Der Rauch zog nach oben durch ein Loch ab. Man hatte viel Zeit damit verbracht sich gegenseitig vorzustellen und Geschenke auszutauschen. Nippes für die Seite die es hergab, exotische Kostbarkeiten für die die es erhielten. Einfache Überlebensmesser aus gohmorscher Produktion, imperiale Adler aus poliertem Stanzblech und Notrationen gegen kleine rundlich geschnitzte Götzenbilder aus Holz und Bernstein, Trockenfleisch oder Kürbisflaschen voll vergorener Früchte. Gerade letzteres erfreute sich bedenklich großer Beliebtheit. Ignatz hatte einen der geschnitzten Götzen betrachtet, ein rundliches Ei mit angedeuteten Armen und Beinen und einem breiten Grinsen. Interpretation war natürlich trügerisch, doch dieser Heidengott wirkte gutmütig, fast kindlich. Kein Vergleich zu dem Schlangendämon, der ihm ein Loch in die Tasche zu brennen schien.
Er nahm sich vor den Alten oder gar den Schamanen danach zu befragen, wollte aber eine bessere Gelegenheit abwarten.
Sie hatten erfahren, dass der Alte keinen Ehrentitel wie Geistersinger hatte sondern schlicht Alter Mann hieß. Er mochte auch einen richtigen Namen haben, aber das Geräusch seiner Bezeichnung war für Fremde kaum zu imitieren. Er war in einem anderen Dorf aufgewachsen, in dem ein Missionar gepredigt und bekehrt hatte. Dieser hatte ihm auch die Sprache der bleichen Männer gelehrt und erzählt, dass auf einer anderen, auf einer weiten Welt ein großer Gott war, der lebte und doch tot war und dem sie alle huldigen sollten.
Den Dorfbewohnern war es nicht schwer gefallen dies zu glauben und zu akzeptieren. Wohl aber den praktischen Nutzen darin zu sehen. Dieser Gott war weit weg, sie aber mussten mit den Problemen des Alltages zu recht kommen und wandten sich daher natürlich an die Geister und Götter die ihnen unmittelbar zu helfen vermochten. Der weite Gott war mächtig und hatte Schiffe die durch die See der Sterne segelten und hatte Krieger, die unverletzlich wie die Berge waren. Einen Gott der Zerstörung und des Todes fürchtete man und es galt seinen Zorn zu vermeiden. Doch wozu nützte er wenn die Fische ausblieben, der Regen zu lange dauerte oder die Kinder krank wurden? Der Missionar sagte der weite Gott würde sie schützen.
Dann überfiel ein anderes Volk dieses Dorf, tötete den bleichen Mann und verschleppte die Kinder und Frauen in die Gefangenschaft. Der weite Gott half nicht und er beschützte nicht. Er wurde vergessen und nur der Alte Mann, der als Kind unter den Gefangenen gewesen war, wusste heute noch aus dieser Zeit zu erzählen.
Was man sonst noch aus den Tagen kannte die gewesen waren, waren Geschichten und Überlieferungen und das, was die Geister sangen.
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Während Ignatz erfolgreich das Recht der Gastfreundschaft eingefordert hatte, war Seqouyah damit beschäftigt gewesen ihre Abreise vorzubereiten. Alles was sie brauchen würden, hatte er sorgsam zusammengelegt, damit man es für den Aufbruch nur noch in Taschen oder Rucksäcke stopfen musste. Damit aber nicht auffiel was sie eigentlich planten, verwendete er große Mühe darauf alles andere möglichst beläufig so zu drappieren, sodass es aussah als würde es noch benutzt werden oder wäre vergessen worden wegzuräumen. Frisch gewaschene Wäsche von Ignatz hing zum trocknen an einer aufgespannten Leine und ein halbfertiger Fischspeer lag in der Sitzecke, in der er selbst immer zu schnitzen pflegte, umgeben von lauter anderen Jagdutensilien, die er aus Langeweile während der Bootsfahrt angefertigt hatte. Gerade als er ein Glas mit einem eingelegten Insekt auf den Klapptisch des Professors stellte und dessen Schreibsachen so ausbreitete, als würde dieser jeden Moment zurückkommen und sich wieder an seine Forschungsarbeiten machen, platzte ein Matrose herein. "Habe dich schon überall auf dem Schiff gesucht. Lass mal das Papier da liegen und komm gleich mit. Der Kapitän will, dass du den Professor begleitest. Sollst ihn bei den Verhandlungen begleiten, weil die Wilden ihm bei der Anwesenheit von deinesgleichen vielleicht freundlicher gegenüberstehen."
Sequoyha überging die Beleidigung und nickte dem Mann nur kurz zur Bestätigung zu. "Ich werde gleich gehen." Der Andere murmelte etwas unverständliches und verschwand wieder.
Sequoyah wusste, dass wenn er dem Professor helfen wollte, es das wichtigste war erst einmal Eindruck zu schinden. Wenn der Professor gut ausgestatte Begleiter und Untergeben hatte, steigerte das automatisch sein Ansehen, denn es zeigte seinen Wohlstand und Einfluss an. Zumindest vermutete Sequoyah, dass es so auch bei diesem Stamm funktionierte und so warf er sich in Schale und zog alles an Kleidung und Schmuck an, was er besaß. Schon auf halbem Weg zu der großen Hütte die in den Bäumen hing, bemerkte er, dass sich die Hitze unter der halb um seinen Körper geschlungenen Decke staute und der Schweiß begann in Strömen an ihm herunterzufließen, aber Opfer mussten nun einmal gebracht werden.
Im Inneren setzte Sequoyah sich gezielt direkt hinter Ignatz und machte damit klar, dass er und der Professor zueinander gehörten. Wie die anderen hatte auch Sequoyah sich kurz vorgestellt und mit den Einheimischen kleine Geschenke ausgetauscht, auch wenn er durch seine fremdartiges Aussehen im Vergleich zur restlichen Mannschaft etwas mehr Interesse auf sich gezogen hatte. Er erkannte auch das Muster in dem sich gegenseitigen Vorstellen und darin, wie das gegenseitige austauschen von Geschenken ablief, auch wenn es, vielleicht abgesehen vom Professor, den Matrosen verborgen blieb. Die ganze Begrüßung hatte etwas von einem Ritual, das trotz seiner scheinbaren Formlosgikeit einem genau festgelegtem Plan folgte. Sequoyah war dies vor allem deshalb aufgefallen, weil ihn der bisherige Ablauf frappierend an seine Heimat erinnerte wo Begrüßungen von Fremden ähnlich abgelaufen waren. Er wusste, dass als nächstes gemeinsam gespeist werden würde und danach die richtigen Gespräche zwischen den am höchsten Gestellten im Raum beginnen würden. Hier waren es Ignatz und der alte Mann und Sequoyah wollte dem Professor so gut es ging dabei helfen.
Die Gelegenheit dazu ergab sich, als der alte Mann einem seiner jüngeren Stammesmitglieder in seiner Sprache etwas sagte und dieser sich am Essen zu schaffen macht, das gerade angebraten wurde.
Sequoyah nutzte die sich bietende Gelegenheit, da jetzt gleich das Essen beginnen würde und beugte sich leicht nach vorne zu Ignatz. So leise und unauffällig, wie es ihm möglich war, begann er dem Professor zuzuflüstern.
"Gleich beginnt das Essen. Du bist der Höchste unter uns im Raum. Nimm alles an Essen an, was dir angeboten wird und probiere es. Gib es dann an mich und die anderen weiter und lobe denjenigen der es zubereitet hat. Wenn das Essen fertig ist, wirst du mit dem alten Mann das Gespräch führen und keiner von uns anderen wird sich einmischen dürfen. Denk daran ihn unter keinen Umständen zu unterbrechen und rede erst, wenn klar ist, dass man dir zuhören möchte."
Wie von ihm vermutet lief das Essen ab und der alte Mann begann eine lange Geschichte, der alle schweigend lauschten. Sogar die Matrosen, die von diesem langen Monolog gelangweilt waren, schafften es ihren vergorenen Früchtesaft so zu trinken, dass sie die Anderen nicht über die Gebühr störten.
Als der Alte seine Geschichte beendet hatte, wusste Sequoyah, dass jetzt von Ignatz erwartet wurde seine eigene Geschichte zu erzählen. Zwar mochte seine Heimatwelt viele Lichtjahre von Koron III entfernt liegen, aber die Rituale der Stämme waren sich in der Hinsicht erstaunlicherweise doch sehr ähnlich. Er hoffte, dass der Professor wusste was von ihm erwartet wurde und seine Rolle entsprechend spielen würde. Er selbst durfte nicht eingreifen und Ignatz unterstützen und blieb daher unbewegt und schweigend hinter dem Professor sitzen.
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Ignatz nahm die geflüsterten Anweisungen hin ohne dem Ratgeber Dank aussprechen zu können. Er blickte lächelnd in die Runde und wartete darauf, dass das eintrat, was Sequoyah prophezeite.
Es geschah nicht ganz so, doch bedachte man, dass die naturnahen Kulturen ihrer Gastgeber und Sequoyahs Lichtjahre weit auseinander lagen, war es verblüffend wie ähnlich sich manche Gebräuche doch waren. Es wurde in der Tat aufgetafelt und das reichlich.
Ignatz fragte sich ob der Stamm auch ohne ihre Ankunft ein Festmahl vorgehabt hätte, denn es schien ihm unmöglich, dass sie solch eine Masse an Nahrung nur ihretwegen zubereitet hatten und das obendrein auch noch so schnell. Der Hauptanteil der Speisen bestand aus dem, was der Fluss lieferte. Fische, Krebse und anderes Getier, das Ignatz lieber unter dem Mikroskop gehabt hätte, als es auf seine kulinarische Eignung hin zu testen.
Man reichte ihm ein Holzbrett voller geräucherter Fische. Schweigen legte sich über die Versammelten und alle Blicke richteten sich auf Ignatz. Der bemühte sich sehr wählerisch zu sein und nahm schließlich einen ausnehmend hässlichen Burschen, brach ihn auf und begann das fettige, weiße Fleisch zu essen. Er schmatzte ausgiebig und sprach dann seine Anerkennung für den Koch und den großartigen Angler aus, was nach erfolgter Übersetzung zu allgemeiner Heiterkeit führte. Der Alte erklärte, dass diese Fische im Dorf nur die Kinder fingen, weswegen man seine Wahl für ausnehmend komisch befand.
Immerhin schien sich niemand daran zu stören.
Ignatz gab den Fisch am Sequoyah weiter, während er selbst sich schon die nächste Leckerei auswählte.
Man musste sich die Speisen keineswegs hinunter zwingen. Nach den Verbrechen des Schiffskochs waren dies hier Köstlichkeiten. Sequoyahs Fehler hatte darin bestanden, dass vor dem Alten jene dran zu sein schienen, die in der Gemeinschaft etwas zu sagen hatten.
Zwei junge Männer stritten sich und trugen ihren Fall, wenn es denn einer war einem Gestirn aus drei anderen Männern vor. Einer davon war der Stachelhaarige, die anderen beiden waren vorhin nicht mit bei den Kriegern gewesen und wirkten um einiges älter. Häuptlinge oder Obere des Stammes vermutete Ignatz.
Er wollte sich gerade vorbeugen um ihren Übersetzer zu befragen, spürte aber sogleich Sequoyahs Hand auf der Schulter, was ihn zum Innehalten bewegte. Zwischen zwei Bissen raunzte der Kapitän den Professor an, wann er denn gedenke wegen des Nachschubs und des Handels zu fragen und Ignatz geriet in einen Streit mit ihm, was Feingefühl und Takt anbelangte.
Auch die anderen Männer vom Boot unterhielten sich lautstark, was die Eingeborenen jedoch gänzlich ignorierten.
Ignatz fiel auf, dass keine Frauen in der Hütte waren. Entweder war die Gesellschaft nach Geschlechtern geteilt oder diese Leute waren klug genug ihre Frauen und Kinder nicht allzu leichtfertig in die Nähe bewaffneter und nicht eben sehr gesitteter Fremder zu lassen.
Nach den beiden Streithammeln berieten die Männer andere Dinge und er konnte nur Vermutungen anstellen. Es schien um irgendwelche Vorräte zu gehen, jedenfalls wurde heftig diskutiert. Die Besatzung des Dampfers war derweil handzahm, solange Essen und alkoholhaltiger Saft vorhanden waren. Dieser Saft erschien Ignatz immerhin nicht so alkoholhaltig, dass die trinkfesten Flussschiffer gleich aus den Stiefeln kippen würden. Das war zumindest zu hoffen.
Endlich wandte sich die Aufmerksamkeit den Fremden zu.
Der Alte erzählte noch einmal seine Geschichte, dieses Mal jedoch in leichter, gleichwohl sonderbarer Abwandlung. Ignatz konnte nur vermuten, dass es sich um eine rituelle Art des Erzählens handelte, denn der Greis holte weit aus, nahm immer wieder Bezug auf andere Legenden und Ereignisse. Eine ungemein ermüdende Art des Berichtens und nach fast einer Stunde und mit gefülltem Bauch fiel Ignatz das Zuhören zunehmend schwer. Ein ums andere Mal musste er blinzeln, dass ihm nicht die Augen zufielen. Feuerknistern und verbrauchte Luft erleichterten die Konzentration auch nicht eben. Einer der Häuptlinge bemerkte es und fiel dem Alten ins Wort. Die Rüge schien jedoch nicht dem erlahmenden Zuhörer zu gelten, sondern dem Erzähler.
Ich bin dumm, ihr müde. Alter nichts merken, blind mein Auge, nachlässig die Jungen die mein Auge. Ihr gehen jetzt, gehen! Ruhen bis Nacht, dann mehr… Masch… eine Geste zum Mund. Mehr essen, mehr reden. Zeigen wo Augen zu für Gast. Daraufhin wurde das Treffen offiziell pausiert.
Die Schimpftriaden des Kapitäns hielten sich in Grenzen, da er froh zu sein schien austreten zu können. Man wies ihnen eine Hütte am Rand des Dorfes, zur Flussseite hin. Diese war auf dem Boden gebaut und nicht zwischen Stämmen und hohen Stangen. Vielleicht überließ man es der Eigenverantwortung von Gästen sich mit dem Getier zu plagen, das auf der Erde herumkroch oder man gewährte ihnen generell nicht den Vorteil erhöhter Position. Unbedarft waren diese Menschen zweifelsohne nicht.
Die Hütte war groß und hätte problemlos der gesamten Mannschaft Platz geboten. Sie war allerdings auch scheinbar lange nicht mehr in Gebrauch gewesen, wirkte etwas verwahrlost und karg. Die meisten Männer entschieden ohnehin auf dem Dampfer zu nächtigen und nicht im Kreise von Wilden. All das kam Ignatz, Sequoyah und ihrem Plan einer Flucht auf eigene Faust zu Pass. Natürlich würden sie hier nächtigen.
Ich schätze wir haben drei Stunden bis die Sonne untergeht. Vielleicht kannst du dich in der Zeit ein wenig umschauen. Mal sehen wo der Dschungel nicht ganz so dicht ist und welche Wege sich bieten. Du weißt schon… Ich werde derweil versuchen den Kapitän von den Vorzügen eines längeren Aufenthalts zu überzeugen.
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„Ich habe unsere Sachen auf dem Boot schon einmal sortiert und das zusammengepackt, was wir brauchen werden. Hol sie schon mal her wenn sich die Gelegenheit bieten sollte und nimm auch noch ein paar andere Sachen mit, die wir definitiv nicht brauchen werden. Irgendwas sperriges wäre praktisch. Aber denk dran, dass du bei Rückfragen den Mannschaftsmitgliedern klar machen kannst, warum du die Sachen an Land brauchst.
Wenn wie der Alte gesagt hat, später in der Nacht noch mehr gegessen und geredet werden soll, wird sich der Rest der Mannschaft dabei restlos betrinken und wir sollten das zu unserem Vorteil machen und die Nacht über auch noch etwas schlafen.
Da wir hier im Dschungel keine richtige Dämmerung haben, denke ich, dass wir morgen früh, vielleicht eine Stunde vor Sonnenaufgang, aufbrechen sollten. So wie die Mannschaft sich bisher verhält, wird sie da noch in Ruhe ihren Rausch auschlafen und wir werden im Wald nicht so leicht über Dinge stolpern, die uns dort nachts begegnen könnten. Die Nachtjagd sollte uns da ja schon einmal eine gute Warnung sein."
Nachdem Sequoyah mit Ignatz gesprochen hatte und er kein Mitglied der Schiffsbesatzung draußen sehen konnte, begab er sich zum Rand des Dorfes, um sich nach Wegen in den Wald umzusehen. Den Waldrand markierten nicht die Bäume selbst, da in diese auch die Häuser des Dorfes gebaut worden waren, sondern die Büsche und anderes Untergehölz, das hier ungestört vor sich hinwuchern konnte. Schmale Trampelpfade führten tiefer in den Wald, auch wenn nicht absehbar war, wohin sie führten.
Er entschied sich alle Wege testweise zumindest ein Stück weit abzulaufen, um entscheiden zu können, welchen er mit Ignatz nehmen sollte. Da sich aber alle drei Wege nach kurzer Zeit auflösten und er keinerlei Möglichkeit sah die Himmelsrichtungen zu bestimmen, geschweige denn wusste in welche Richtung im Wald Ignatz wollte, kehrte er um, um dem Professor seine mageren Erkenntnisse zu präsentieren.
Als er aus dem Wald heraustrat stand er zwei Männern des Stammes gegenüber, die gerade zwischen den Hütten entlangliefen und ihn verwundert anblickten, da er nicht beim Rest der Bootsbesatzung war. Sein Versuch sie zu fragen, welcher Weg in den Dschungel hinein ihrer Meinung nach am besten war, scheiterte daran, dass sie alle nicht die Sprache des jeweils anderen sprachen.
Auch sein Versuch sich mittels Händen und Füßen mit den beiden Stammesmitgliedern zu unterhalten, scheiterten kläglich, da sie nicht verstanden, was er von ihnen wissen wollte. Mit dem wenigen Wissen, das er hatte auftreiben können, begab er sich zur Hütte zurück, um Ignatz von ihren möglichen Fluchtwegen zu erzählen. Hoffentlich war es dem Professor in der Zwischenzeit gelungen die benötigte Ausrüstung vom Schiff zu schmuggeln.
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Nun, da der Plan nicht nur gefasst war, sondern tatsächlich in die Ausführung überging, war Ignatz von fieberhafter Aktivität ergriffen.
Eine Reise ins Unbekannte war diese ganze Expedition gewesen. In vielerlei Hinsicht und die Gefahren des Dschungels waren dabei nur ein Faktor. Doch jetzt würden sie auch die letzte dünne Halteleine durchtrennen, die ihnen Sicherheit gab.
Er baute auf die Fähigkeiten Sequoyahs, doch man durfte nicht vergessen, dass bei all seiner Vertrautheit mit der Wildnis, dies hier ein fremder Planet für ihn war. War ihnen das Glück nicht hold, dann war ihr Leben keinen Pfifferling wert. Die Angst wühlte flau in Ignatz Magen, doch zu gleichen Teilen kam dies auch durch die schiere Aufregung und Vorfreude auf dieses Abenteuer.
Wie sich herausstellte ebnete der übermäßige Konsum von Alkohol und frisch zubereiteter Nahrung nicht etwa der Gewalt den Weg, sondern schien die Gemüter aller zu erden und zu besänftigen.
Zaghaft kamen auch die Frauen und Kinder aus den Hütten und beäugten die Fremden neugierig. Die willkommene Pause stand den Flussfahrern gut an. Es schien tatsächlich, als hätten sie in Gedanken bereits das Ende ihrer Reise erreicht und würden nach einem angenehmen Aufenthalt mit Verköstigung, die Heimreise antreten. Das immerhin stimmte sie milde und Gewalt lag nicht unmittelbar in der Luft.
Als Ignatz auf das Schiff kletterte um seine letzten Habseligkeiten zu holen, tat er dies nicht heimlich, sondern in offensiver Manier. Er grummelte und fluchte vor sich hin und stieß Verwünschungen gegen den Kapitän aus. Als die beiden Deckswachen ihn grinsend fragten ob alles in Ordnung sei, machte er auch sie zum Ziel ausgesuchter Flüche.
Als sie dann schon etwas kleinlauter wissen wollten, warum er sein Zeug an Land schaffte, wo sie doch bald genug zurück fahren würden, bediente er sich des Bildes, welches sie wohl ohnehin von ihm hatten. Nämlich das des arroganten Akademikers.
Ob sie wüssten, wie man Feldforschung durchführte, schnauzte er sie an. Ob ihnen der Verlust für die Wissenschaft klar wäre, den er hier mit ein paar verbleibenden Stunden so weit wie möglich abzuschwächen gedachte. Überhaupt sei es eine Frechheit, dass ihre Umkehr bereits als beschlossene Sache gelten würde, wo ihm Miller doch zugesagt habe, das man beim Erreichen eines Dorfes über die Weiterfahrt entscheiden würde.
Die Männer waren am Ende regelrecht eingeschüchtert und heil froh, als er sich wieder dem Zusammenpacken zuwandte.
Sich auf diese Art von neugierigen Blicken über die Schulter entledigt, machte sich Ignatz daran eine schwere Entscheidung zu treffen. Nämlich was er mitnehmen würde. Persönliche Dinge, wie sein Moskitonetz und die Hängematte waren dabei klar.
Er wickelte seinen Säbel in das Tuch und steckte sich die Pistole in den Gürtel. Er würde sie später laden, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Gern hätte er seine Kiste im Ganzen mitgenommen, doch ihm war klar, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Selbst wenn sie unbehelligt in den Dschungel kamen, ohne vor den Männern fliehen zu müssen, die er mit seiner Abwesenheit um die Hälfte der versprochenen Zahlung prellen würde. Das Vorankommen mit dem unhandlichen Ungetüm würde unnötig schwer sein. Also suchte er das Wichtigste heraus.
Das war natürlich der Einwegsender und die beiden Notizbücher mit seinen bisherigen Erkenntnissen. Die gesammelten Exponate und Proben würde er zurücklassen müssen. Vielleicht war der Kapitän integer genug sie zu übergeben, so dass sie nach Gohmor gebracht werden konnten. Sei es auch nur, weil er sich davon eine Belohnung versprach.
Sein Schreibzeug und Sezierbesteck würden ebenfalls mit auf die Reise gehen. Alles was einigermaßen handlich ausfiel nahm er mit und beschwichtigte sich damit, dass er es im Notfall auf ihrem Marsch noch zurücklassen konnte.
Auch den unheimlichen Fetisch wog er in der Hand, halb versucht ihn über Bord zu werfen, dabei aber wohl wissen, dass er es nicht tun würde. Das Ding wanderte in seine Tasche, wo es schwer und giftig lag wie ein Klumpen Uran.
Anschließend ging er hinauf zur Brücke und verschaffte sich Eintritt. Ein kurzer Blick offenbarte, dass niemand hier war und das ihn die Deckswachen von unten nicht sehen konnten.
Er ging an den Medikamentenschrank und plünderte gerade so viel, dass ein flüchtiges Begutachten der Bestände den Diebstahl nicht gleich entlarven würde.
Dann begab er sich mit seinem Bündel wieder an Land. Er brachte alles in den Pavillon aus Blättern, welchen man ihnen als Schlafplatz zugedacht hatte.
Als der Abend die Schatten länger werden ließ, ging der offizielle Teil in der hochgelegenen Hütte der Häuptlinge weiter. Es wurden weitere Geschichten erzählt, sowohl von Seiten der Reisenden, wie auch der Einheimischen. Der Kapitän hatte das Prozedere dieses Geschichtenerzählens, in Verbindung mit konkreten Anliegen oder Fragen ganz gut durchschaut. Er gab eine Anekdote zum Besten, wie er einmal mit einem überladenden Dampfer auf eine Sandbank gefahren war und sie wertvolle Handelsgüter in den Fluss hatten werfen müssen um wieder freizukommen. Die Geschichte mochte wahr sein oder auch nicht, doch sie gab ihm eine gelungene Überleitung zu seiner Frage nach Möglichkeiten des Handels.
Dem, so antworteten die Weisen des Dorfes, stünde generell nichts im Wege, auch wenn man freilich besprechen müsste was genau gegen was getauscht werden sollte. Damit immerhin gab sich Miller erst einmal zufrieden und zog sich mit verschränkten Armen in sich selbst zurück, um im Geiste bereits profitable Rechnungen anzustellen.
Ignatz hatte vor die Eingeborenen nach dem Monstrum zu fragen, welches sie bei der Fackeljagd angegriffen hatte. Da er jedoch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte, erzählte er, als es an ihm war etwas zum Besten zu geben, von ihrer Begegnung mit den Wahnwürmern.
Der Schilderung dieses unheimlichen Abenteuers stellte er die Frage nach, ob ihnen ähnliche Zwischenfälle bekannt seien. Die Übersetzung war langwierig und die Krieger und Ältesten des Dorfes berieten sich danach in ihrer eigenen Sprache.
Derweil wurden die Gäste weiter reichlich verköstigt und es gab mehr des vergorenen Fruchtsaftes. Da ihre Flucht anstand war das Letzte was der Professor wollte, sich zu betrinken. Er fürchtete jedoch auch, dass es auffallen würde, wenn er jedes Mal ablehnte, wenn die Kürbisflasche bei ihm ankam. Also genehmigte er sich ein, zwei Becher, vermischte diese reichlich mit Wasser und genoss viel gesalzenen Fisch dazu. Dennoch war der Kampf gegen den Alkohol kein Sieg auf voller Linie. Ignatz war nie ein standfester Trinker gewesen und wenn es den Schiffern auch wie Limonade vorkommen mochte, verspürte der Professor nach seinen zwei Bechern einen leichten Schwindel.
Sehr ärgerlich, vielleicht wieder verschwunden bis zur Stunde des Handelns.
Ja, die eingeborenen kannten diese erschreckenden Wesen in der Tat, auch wenn sie das Glück hatten, dass sie in ihrem Jagdgebiet nicht sehr häufig vorkamen. Anders als die Eingeborenen im Einzugsgebiet des Majors a.D. König, waren sich die Menschen hier sehr wohl darüber bewusst, dass der Wurm und keine bösen Geister Ursache für die Symptome war. Eine Heilung kannte man auch nicht, aber man tötete die Befallenen schnell und gnädig und überantwortete ihre Überreste dem Fluss, der sie und ihre gefährlichen Bewohner fort trug.
Verpackt waren diese Aussagen in zwei langatmige Geschichten, die halb mythisch und halb real klangen. Die Sage von zwei Brüdern, von denen der eine auf der Jagd dem Wahnsinn der Missgunst verfiel und seinen Anverwandten angriff. Dieser drohte den Attacken zu unterliegen, bis ihm die Geister mit Kraft erfüllten und er seinen Bruder so entkommen konnte. Anschließend lockte er ihn über eine Brücke aus einem umgestürzten Baum, welche er ins Wasser stieß, als sein Bruder auf der Mitte stand. Nicht fähig sein eigen Fleisch und Blut zu töten, überließ er es dem großen Wasser diese Aufgabe zu übernehmen. Die Geister des Wassers aber waren erzürnt darüber, diese Bürde für den jungen Jäger übernehmen zu müssen. Sie verwandelten den Wahnsinnigen Bruder in einen Wurm, dessen Nachfahren seit dem die Menschen für mangelnden Mut und für Feigheit strafen.
Die zweite Geschichte war für Ignatz noch interessanter, da sie ein Ereignis beschrieb, welches ihn über seine eigenen Theorien bezüglich des Wurmes nachdenken ließ.
Dereinst war ein ganzes Dorf dem Wahnwurm verfallen und hatte geschlossen die Nachbarsiedlung angegriffen. Die überraschten Bewohner waren getötet oder infiziert wurden. Auf diese Art hatte sich die Seuche des Wahnwurms verbreitet und erst der Zusammenschluss mehrere, bis dahin verfeindeter Dörfer hatte dem Ganzen ein Ende gemacht. Diese Erzählung passte nicht recht in das Bild, welches Igantz für den Guardian gezeichnet hatte. Es implizierte ein gesteuertes Vorgehen, wo er doch eher das Wirken des Zufalles am Werk gesehen hatte. Iganatz dankte für die Geschichte und während der nächste an der Reihe war, erhob er sich um dem Ruf der Natur nachzukommen. Draußen war es bereits stockdunkel und er stellte erstaunt fest, wie schnell doch die Zeit bei gutem Essen und guten Geschichten verging. Es musste auf Mitternacht zugehen und wenn er noch ein paar Stunden Schlaf finden wollte, dann galt es noch für einige Anstandsminuten an der Versammlung teilzunehmen und sich dann mit Verweis auf die fortgeschrittene Stunde zu entfernen.
Er hatte den Rand des Dorfes erreicht und suchte sich einem Baum, an dem er sich erleichtern konnte. Nach den Geschichten über den Wahnwurm war er sehr bedacht darauf nicht zu in die Dunkelheit zu geraten, welche das Dorf belagerte.
Schnellen Fußes ging er durch die Hütten zurück. Schon tagsüber hatte er den Eindruck gewonnen, dass der soziale Status im Dorf sich in der Höhe er Hütten wiederspiegelte. Ältere Eingeborene oder große Familien hatten die höchst gelegenen Hütten. Junge Paare und alleinstehende Jugendliche lebten ebenerdig. Die Hände in den Taschen vergrabend und dabei unangenehm an die Existenz des kleinen Fetischs erinnert, schlenderte Ignatz durch das Dorf zurück in Richtung Häuptlingshütte.
Als er dabei eine der ebenerdigen Hütten passierte, hörte er das typische Geräusch eines Liebesaktes. Eine Gemeinsamkeit, die Dschungelbewohner mit den Edlen in den Stratosphärentürmen einer Makropole teilten. Privatsphäre hatten die Liebenden dabei nur durch eine Grasmatte, die als Vorhang diente und selbst diese war nicht richtig zugezogen.
Jaja, die Leidenschaft ließ ringsherum alles vergessen. Als der Professor an der Öffnung vorbei ging konnte er sich einen verstohlenen Blick durch den schmalen Spalt nicht verkneifen. Ungehörig und respektlos, gewiss. Aber war nicht auch die Neugier eine nur allzu menschliche Eigenschaft.
Das verschmitzt, schuldbewusste Lächeln verflog jedoch, als sich ihm ein gänzlich anderes Bild als erwartet zeigte.
Dort war ein Akt im Gange, das ja. Aber war dies kein Produkt gegenseitigen Einvernehmens.
Ihn starrte das verängstigte Gesicht einer jungen Frau an, fast noch ein Kind. Ihr lief Blut aus der Nase und auch eine Augenbraue war aufgeplatzt. Auf ihr, die Hose in den Kniekehlen, ächzte und grunzte ein Mann mit heller Haut und gelockten, schwarzen Haaren. Die Eingeborene wimmerte und sagte etwas in ihrer Sprache. Auch ohne deren Kenntnis erkannte Ignatz ein Flehen wenn er es hörte.
Er zerrte den Vorhang zur Seite und zückte die noch immer ungeladene Pistole.
Weg von ihr du Bastard! Stieß er zwischen zusammenpressten Zähnen hervor. Der Flussschiffer drehte ihm den Kopf zu.
Zu Ignatz maßloser Verblüffung handelte es sich um Bijan. Er runzelte die Stirn als er Ignatz sah. Dann lächelte er mild und machte mit den Bewegungen des Unterleibes weiter. Der Professor brauchte eine lange Sekunde das gesehene auch nur zu begreifen. Der gutmütige und immer gut gelaunte Bijan? Der nach dem Zwischenfall während der Jagd sogar noch sanftmütiger und verträumter geworden war? Das konnte nicht sein. Und doch vergewaltigte er, der selbst kaum dem Knabenalter entwachsen war, hier eine Eingeborene.
Ignatz explodierte in zornige Bewegung. Er packte Bijan am Kragen und zog ihn rückwärts.
Lass mich! Schrie dieser mit den Armen rudernd. Ich muss es tun.
Du bist ja von Sinnen. Ignatz versuchte ihn aus der Hütte zu schleifen, doch Bijan ging zum Angriff über. Er legte seine Hände um den Hals des Wissenschaftlers und drückte zu. Ein Leben harter Arbeit hatte ihn mit beachtlicher Kraft ausgestattet und er hielt sich nicht zurück. Ich muss es tun, ich muss es tun! Wiederholte er und drückte fester zu. Sein Gesichtsausdruck war dabei verzerrt, doch in den dämmerigen Augen lag kein Zorn. Nur Entschlossenheit. Das Ignatz kein Mann der Gewalt war, hieß nicht das er wehrlos war. Mit dem Handballen drückte er von unten gegen die Nase seines Bedrängers, was zuweilen genügte jemanden schmerzhaft von sich zu weisen. Bijan machte jedoch keine Anstalten von ihm abzulassen. Kurzentschlossen schmetterte Ignatz ihm den Griff seiner Pistole gegen die Schläfe.
Das lockerte den Griff.
Ein zweiter Treffer verschaffte ihm buchstäblich Luft. Bijan stolperte benommen gegen die Hüttenwand, was das gesamte Gebäude erschütterte. Die geschändete Frau nutzte die Lücke, die so zwischen den Kämpfenden entstand und eilte nach draußen. Lauthals schreiend. Nun kam Leben in die Siedlung. Würden sie sich verantworten und erklären müssen, war jedes Entkommen gescheitert. Selbst wenn die Dorfbewohner nicht auf Rache sannen.
Er fluchte laut.
Jetzt galt es eine Entscheidung zu treffen. Versuchen alles aufzuklären oder die geplante Tat jetzt ausführen? Er entschied sich für Letzteres, ließ. Bijan, Bijan sein und marschierte so schnell er konnte ohne Rennen zu müssen in Richtung Pavillon. Die geflüchtete Frau schrie derweil Zeter und Mordio. Wer konnte es ihr verübeln?
Vor dem Professor trat ein verschlafen dreinschauender Mann aus einem Eingang, den Speer in der Hand. Noch ehe dessen Blick auf ihn fallen konnte, war er abgebogen und zwischen zwei Bäumen verschwunden. Von dort aus schlich Ignatz hinten um einige weitere Hütten herum und näherte sich ihrer Unterkunft.
Dann zerriss ein Schuss die ohnehin entweihte Nachtruhe und in das laute Gezeter der Frau mischten sich andere Rufe. Nun war alles verloren. Ignatz begann zu rennen.
Hoffentlich hatte Sequoyah die gleiche Idee wie er.
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Das schrille Frauengeschrei hatte Sequoyah nervös gemacht, hatte er doch damit gerechnet, dass die Nacht ruhig verlaufen und sie beide sich heimlich aus dem Staub machen können würden. Eigentlich sollte Ignatz ja die Schiffsbesatzung und die Einheimischen durch seine Anwesenheit bei ihrer Sitzung in Sicherheit wiegen, während Sequoyah alles für ihre Flucht zusammenpackte und bereithielt. Mit der Muskete in der Hand harrte er im Inneren der Hütte der Dinge aus.
Dann kam auch schon Ignatz mit besorgtem Blick durch die Tür zu ihrer Hütte gestolpert, welcher sich bei Sequoyahs Anblick etwas löste. Hastig und abgehackt erzählte der Professor von was für Ereignissen er vor wenigen Augenblicken unfreiwillig Zeuge geworden war. Das ihre Flucht jetzt spontan vorgezogen werden musste, war ihnen beiden ohne weitere Aussprache sofort klar und so warfen sie sich ihr Reisegepäck über die Schultern und machten sich für den Aufbruch bereit.
„Wir werden einen Bogen um das Dorf herum machen und uns dann in den Wald schlagen. Die Hütten sollten uns genügend Deckung bieten.“
Dann drehte Sequoyah sich auch schon herum und schlich aus der Hütte heraus und ein Stück weit das Ufer entlang, um dann zwischen dem Gebüsch und den äußersten Hüttenreihen landeinwärts zu biegen. Mit einem Schulterblick versicherte er sich, dass Ignatz dicht hinter ihm folgte und auch wenn der Professor sich alle Mühe gab zu schleichen, war er dabei bei weitem nicht so unauffällig wie sein Begleiter. Sie entwickelten dabei einen fließenden Wechsel, da die Distanz zwischen den Hütten durch kurze, geduckte Sprints zurückgelegt wurden, während während die Abschnitte zwischen den Behausungen langsam und bedächtig angegangen wurden, um ja niemanden auzuschrecken, der sich vielleicht noch in seinem Zuhause aufhielt.
Zur Sicherheit warf er jeweils noch einen Blick durch die Fenster oder Eingänge in sie hinein, um sicher zu gehen, dass sich in ihnen niemand befand, der sie verraten konnte.
In der zweiten Hütte, die er so überprüfte hielt sich zwar niemand auf, dafür fiel ihm etwas anderes auf. Mehrere Kalebassen hingen an der einen Hüttenwand und da sie bisher keine Trinkbehälter mit sich führten, beschloss er diesen Mangel zu beheben. Sequoyah gab dem Professor kurz das Signal zu warten und stieg dann lautlos durch die Fensteröffnung in den Raum ein.
Er griff sich zwei der Kalebassen und reichte sie Ignatz durch das Fenster, ehe er selbst wieder herauskletterte. Zurück blieb nur seine rote Wolldecke, die er ordentlich gefaltet auf einer der Schlafstellen zurückließ. Diese Entscheidung fiel ihm nicht leicht, war sie doch eine der wenigen Erinnerungsstücke an seine ursprüngliche Heimat, von der er durch die unendlichen Weiten zwischen den Sternen getrennt war. Aber er konnte und wollte auch nicht ihre Gastgeber als Dieb in der Nacht bestehlen, da sie von ihnen in Gastfreundschaft aufgenommen worden waren. Es blieb also nur dieses Tauschgeschäft, bei dem er sich hoffentlich nicht selbst übers Ohr haute.
Der Lärm hatte inzwischen weiter zugenommen. Schrilles Geschrei, das ineinander überging und aus dem Wut sprach, einzelne Wortfetzen, die für Ignatz und Sequoyah verständlich waren und wohl von der Schiffsmannschaft stammten und mehr Schüsse. Zwar konnten sie aus ihrer randlichen Lage nicht erkennen, was genau passierte, aber es war ersichtlich, dass irgendeine Art von Kampf auszubrechen schien. Wahrscheinlich würde die Mannschaft zum Schiff zurückfallen und dann ihr Fehlen bemerken. Auch von den Einheimischen wollte Sequoyah sich nicht finden lassen, zählten er und der Professor für die Dorfbewohner genauso zum Schiff und daher jetzt vermutlich als Feind.
Es war also äußerst dringend sich aus dem Staub zu machen und so hetzten sie schneller durch die Ausläufer der Siedlung.
Plötzlich fuhr Sequoyahs linker Arm wie eine Schranke vor Ignatz Brust nieder, stoppte ihn im Lauf und zog ihn dann am Hemd gepackt zu sich in den Schatten. Bevor der Professor ihn fragen konnte was es mit der rüden Behandlung auf sich hatte, deutete Sequoyah ihm an zu schweigen. Nur wenige Herzschläge später stolperten zwei Matrosen des Dampfbootes zwischen den Hütten hindurch, scheinbar auf der Suche nach einem Weg zum Schiff und übersahen dabei die sich in den Schatten der Hütte gekauerten Männer. Erst als sie außer Sichtweite waren, wagte sich Sequoyah wieder aus der Deckung und bedeutete Ignatz ihm weiter zu folgen.
Vorsichtig blickte er hinter der letzten Hütte hervor, um zu sehen, ob der Weg frei war. Niemand war zu sehen oder zu hören und daher gab er dem Professor kurz das Signal, bevor er in Richtung Wald zu sprinten begann, dabei die Heimlichkeit aufgebend, die sie eben noch so sehr eingehalten hatten.
Die Entscheidung für ihren Weg in den Dschungel fällte er spontan, da jeder der Wege sich nach kurzer Zeit auflöste und mit all dem Chaos in ihrem Rücken keine Zeit für lange Debatten war. Sequoyah drehte sich kurz um und deutete dem Professor kurz die Richtung an in die sie mussten, ehe er schnellen Schrittes in den Schatten der Bäume eintauchte.
Er konnte nur hoffen, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte und Ignatz nicht in den Abgrund führen würde.
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Licht Terras… was für eine Nacht!
Ignatz streckte sich und hätte sich nicht gewundert, wenn sein durchgedrückter Rücken wie ein Pistolenschuss gekracht hätte. Er tat es aber nicht.
Sie waren die ganze Nacht hindurch gelaufen, gerutscht, geschlittert und gefallen. Durch einen Urwald, der so dunkel wie die Verzweiflung selbst war. Eine Erdspalte, eine Grube oder ein hungriger Jäger und es wäre um sie geschehen gewesen. Was immer hier aber für höhere Mächte das Sagen hatten, ob der Gottkaiser oder Waldgeister, sie waren ihnen gewogen und hatten sie beschirmt.
Irgendwann waren sie auf eine kleine Lichtung gestolpert, erschöpft und völlig außer Atem. Vermutlich waren sie da noch nicht so weit gekommen wie es sich anfühlte. Durch das Dickicht kam einem ein Kilometer wie zehn vor. Der Platz an dem sie rasteten war so gut wie jeder andere und obwohl ihr notdürftiges Lager nicht eben bequem gewesen war, war Ignatz fast augenblicklich in jenen Schlaf gefallen, der einen ereilte, wenn Adrenalin den Körper verließ. Als er erwachte, war die Sonne noch nicht ganz aufgegangen, ein dumpfes Grau rang aber bereits die Nacht nieder. Die tierischen Beherrscher der Nacht wechselten mit jenen des Tages. Dieser Austausch war aber noch nicht zur Gänze vollzogen und so war es in diesem Moment so ruhig, wie es im Dschungel eben maximal sein konnte.
Das Bild welches sich vor ihnen abzeichnete war eines der Idylle und Schönheit, die ein Teil dieser Welt war, wie es auch die Gefahr und die Extreme waren.
Sie hatten sich an einem kleinen Teich gelagert. Die leichten Bewegungen an der Wasseroberfläche ließen vermuten, dass er von einer Quelle gespeist wurde. Das Wasser war so klar, dass man problemlos bis auf den Blätter bedeckten Grund sehen konnte. Gegenüber ihrer Position lag ein gewaltiger Findling am Fuße eines Hügels. Dieser Felsen war von den Mangroven eines Baumes umschlungen. Jener Baum wiederum war über und über mit tiefblauen Blüten bedeckt.
Ein malerischer Anblick. Wenn die Menschen Gohmors oder in den vergifteten Einöden dieser Welt nur wüssten, was für Orte es auf ihrer Heimat gab.
Und wie gut das sie es nicht wussten…
Das Knurren seines Magens beendete Ignatz romantischen Anwandlungen. Sequoyah erwies sich einmal mehr als ein Heiliger. Er hatte bereits ein Feuer entzündet, so klein, dass es in eine Handfläche zu passen schien. Das minimierte Rauch und Sichtbarkeit so weit, wie es die Umstände erlaubten. Auf drei Ästen brieten darüber zwei Fische und etwas, das entfernt an eine Heuschrecke erinnerte.
Wie sieht es mit unseren Vorräten aus? Fragte der Professor, als sie sich mit spitzen Fingern an ihr Frühstück wagten. Der Fremdweltler fragte ihn mit verblüfften Blick zurück, was er damit meine. Schließlich bewegten sie sich in einer riesigen Vorratskammer, in welcher einem die Zwischenmahlzeit in den Mund krabbelte, wenn man diesen beim Schlafen offen hielt. Als er den sauertöpfischen Blick seines Gefährten sah, lachte Sequoyah. Er hatte natürlich einiges an Proviant mitgehen lassen. Getrocknetes Fleisch, Suppenpulver, Tee und dergleichen mehr. Das war gut, würde ihren Speiseplan aber bestenfalls ergänzen können. Ignatz nahm sich daher vor, sich alles über das Jagen und zielgerichtete Sammeln beibringen zu lassen. Er wollte seinem Begleiter nicht immer nur eine Belastung sein.
Dann werteten sie noch einmal den vorangegangenen Abend aus. Ignatz berichtete ausführlich, wie er Bjian bei dem Versuch der Vergewaltigung überrascht und an selbiger gehindert hatte.
Ich habe dir auf dem Schiff von dem Bösen erzählt, was sich in dem vielarmigen Monster manifestiert hat. Oder was ich zumindest für mich so sehe. Es hat sich den armen Bjian geschnappt und ihn korrumpiert. Frag mich nicht wie, aber doch muss es so sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass der harmloseste Kerl der Mannschaft plötzlich zu so einem Schurken verkommt? Vorher lief er immer knall rot an, wenn die anderen groben Burschen ihre anzüglichen Scherzchen machten.
Dann fällt er aus heiterem Himmel über ein schlafendes Mädchen her? Das passt doch alles nicht? Ich hoffe nur, das dieser Horror, der für all das verantwortlich ist, nicht hier durchs Unterholz streicht. Er blickte unbehaglich in die Runde und was er eben noch für die Ruhe zwischen Nacht und Morgen gehalten hatte, schien sie jetzt wie etwas Lauerndes zu beobachten. Ignatz versuchte diesen Gedanken zu verscheuchen, Was meinst du wie wir weitermachen sollten? Zu fuß durch den Dschungel oder wieder zurück auf den Fluss? Mit einem Floß oder soetwas?
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