02-10-2025, 09:34 PM
Würden all die Befürchtungen und geahnten Schrecken der Thalassophobie an einem Ort kondensieren, so wäre es gewiss Nuklitar-378.
Dieser wasserbedeckte Kleinstplanet im äußersten galaktischen Süden des Segmentum Tempestus war keine Chaoswelt. Doch es hätte eine sein können, ging man nur nach den Monstrositäten, die dort hausten.
In den lichtlosen Tiefen, der Ozeanen von Nuklitar-378 tummelten sich all die Dinge, die sonst nur Alpträume zu bewohnen pflegten. Gewaltige Leviathane, mehr zahnbewehrte Mäuler als Leiber. Klauen und Tentakel, Nesseln und Gifte wetteiferten darin, sich gegenseitig zu entleiben. Dabei waren dies noch die vertrautesten, da nachvollziehbarsten Ungeheuer, schrecklich aber doch einem greifbaren Verständnis des Grauens entsprungen. Kiefer und Stacheln konnte der Mensch in gewöhnlicher Angst erfassen.
Es gab jedoch noch jene, an denen die Evolution die Grenzen ausgetestet zu haben schien. Geschöpfe wie die Gorgone – ein kristalliner Organismus, der lebendes Gewebe langsam versteinert und zu einer unbeweglichen Skulptur transformiert, während die Salze seiner Opfer absorbierte. Farblose Friedhöfe versteinerter Meeresbestien, Gärten der Medusa, markieren sein Territorium.
Der Fraktale Jäger wiederum mutete wie das genaue Gegenteil an. Ein flüssiges Wesen, das seine Molekularstruktur zu lockern vermochte, um durch engste Spalten zu gleiten. Gefährliches Wasser, im Wasser. Es drang durch die Körperöffnungen in seine Opfer ein und begann zu fressen. Ihm wiederum stellte die Königsmauer nach. Ein gallertartiges, walzenförmigen Wesen mit Hunderten, teilweise Kilometer langer Filterarme welche seine Opfer, mit besonderer Vorliebe Fraktale Jäger, durch Ultraschallvibrationen betäubte.
Zwischen all diesen Geschöpfen nahm sich die Zephrische Peitsche, benannt nach dem Graben, in welchem sie zu finden war, geradezu unscheinbar aus. Ein etwa unterarmlanges, wurmartiges Geschöpf mit feingliedrigen Bewegungsfilamenten. Sein durchscheinend rötlich schimmernder, biolumineszenter Körper gemahnte an eine Feder oder einen dünnen Farnwedel. Mit hochspezialisierten Saugmechanismen heftete sich dieses Tier an größere Meereslebewesen. So extrahierte es Nährstoffe aus seinen Wirtsorganismen, während es gleichzeitig deren Körper von Giftstoffen und schädlichen Substanzen befreite. Seine komplexen biochemischen Filter und regenerativen Zellsysteme ermöglichten es ihm, selbst in den brutalsten marinen Umgebungen zu überleben.
Bei Bedrohung konnte die Zephrische Peitsche giftige Substanzen absondern, die sie im Laufe ihres Lebens von ihren Wirten absorbiert und gespeichert hatte. Nicht das gefährlichste, gefräßigste und vielleicht nicht einmal das beeindruckendste Geschöpf Nuklitars und doch das einzige, das seine Reise durch das All angetreten hatte. Von einem Ort des Schreckens und der Dunkelheit zu einem anderen. Hier jedoch wurde es wohlbehütet.
So etwa die vier Exemplare, die in gläsernen Röhren trieben, die mit einer Nachahmung des hochbasischen Wassers ihrer Heimat gefüllt waren. Für die Peitschen wohltemperiert und durch genau angepasste Vibrationen eingelullt.Ihr kleiner Kosmos wurde von einem Akolythen auf einem kleinen Wägelchen durch verwaiste Gänge geschoben.
Der blasse Mann hatte keinen Blick für die stummen Wächter, die aus schwarzem Granit gehauen auf ihn herabstarrten, die titanischen Hände auf Schwerter, Bolter und andere Instrumente der finalen Rechtsprechung gestützt. Auch die schaurigen Stapel aus Gebeinen und grinsenden Schädeln, welche die Wände bis hinauf zur Decke schmückten, nötigten ihm keinen zweiten Blick ab. In die gebleichten Knochen waren Worte geritzt und mit Gold ausgelegt worden. Worte, die von Aufopferung, Heldenmut und großen Taten berichteten.
Der Akolyth bugsierte den Rollwagen vorsichtig über eine Unebenheit im Boden. Die Zephrischen Peitschen waren zwar bestmöglich ruhiggestellt, doch es galt dennoch, jedwede Aufregung für sie zu vermeiden. Nicht auszudenken, wenn sie die gespeicherten Gifte ihrer Leiber im falschen Moment extrahiert hätten. Strafen war er gewohnt, wusste sie zu vermeiden und gegebenenfalls zu erdulden. Doch wenn dies passieren würde …
Er fokussierte sich und öffnete die Tür zu seinem Ziel.
Das hohe Gewölbe war seinerseits groß, wirkte im Vergleich zu den ausladenden Gängen und Hallen seines Herweges wie eine geradezu bescheidene Kammer. In der Mitte dieses Raumes saß ein Mann auf einem Schemel. Weit vornübergebeugt und auf einem groben Holztisch abgestützt.
Mit entblößtem Oberkörper saß er im Lichtschein einiger weniger Elektrokerzen, die ihn illuminierten wie ein groteskes Kunstwerk. Unmöglich, das Alter des Mannes zu schätzen. Er hätte dreißig oder dreihundert sein können. Er war groß und dünn, muskulös und so bar jeden Gramm Fettes, dass er dennoch abgemagert und sehnig wirkte. Als wäre er das Schaffensprodukt eines Malers, der Zeit seines Lebens nur Verfall und Krankheit porträtierte und nun den Auftrag bekommen hätte, Kraft und zähes Wollen allein nach mündlicher Beschreibung in einem Werk zu bannen.
Schläuche entrangen seinen Armen und einem metallenen Kragen. Der kahle Schädel war von bläulichen Adern durchwirkt.
"Herr …" sprach der Akolyth mit demütig gesenkter Stimme. "Ich bringe die Zephrischen Peitschen."
Der Mann am Tisch hätte ihn darauf hinweisen können, dass er spät dran war, und er hätte versuchen können, diesen Umstand zu erklären. Doch die Natur von Anschuldigung und Rechtfertigung war in diesen Mauern auf einen derart heiligen Grad erhoben worden, dass es Sünde gewesen wäre, sie durch so profane Anwendung zu entweihen.
Der Mann machte eine unbestimmte Geste mit dem Zeigefinger, die heißen mochte, dass der Akolyth seines Amtes walten sollte.
Er fuhr das Wägelchen näher und entnahm die erste Röhre. Der Rücken des Sitzenden zeigte sich als eine Landkarte aus Narben unterschiedlichsten Alters. Die vier roten Ringe, nach denen der Akolyth Ausschau hielt, waren hingegen jüngeren Datums.
Oben links, knapp unter dem Schulterblatt, setzte er das Ende der ersten Röhre an und drehte den Verschluss. Mit einem scharfen Schnappen fuhr der gezahnte Rand des Behälters aus und grub sich in das Fleisch des Sitzenden, verankerte sich. Ein paar Schlieren dünnen Blutes trieben wie Tinte durch das Wasser und erregten die Zephrische Peitsche.
Sie geriet in Bewegung, begann rötlich zu pulsieren. Sie suchte und fand die entblößte Haut, die sich nun dort darbot, wo eben noch der Verschluss des Gefängnisses gewesen war. Das Tier entrollte ein Gespinst aus Tastorganen und befühlte die dargebotene Futterkrippe, bevor es sich genüsslich damit verband.
So geschah es drei weitere Male, bis der Mann am Tisch aussah, als entwüchsen ihm die Röhren aus dem Rücken.
Der Akolyth beendete seine Arbeit und prüfte noch einmal den festen Sitz der Gefäße.
"Benötigt Ihr noch etwas, Herr?" fragte er flüsternd.
"Ja Arron, ich gedenke, noch etwas zu arbeiten."
"Sehr wohl."
Arron nahm das Buch fort, in dem sein Meister gelesen hatte. Ein Lesezeichen war nicht nötig. Sein Herr behielt ganz andere Dinge als so etwas wie Seitenzahlen.
Dann baute er den Logikverarbeiter auf dem Tisch auf, sodass er bequem zu erreichen war. Mit seinem nun leeren Wägelchen verließ er danach schweigend das Zimmer.
Der Mann blieb mit sich selbst zurück. Mit dem Geräusch der summenden Röhren des Bildschirms und dem Rumoren im kantigen Leib des Logikverarbeiters. Und mit den Schmerzen in seinem Leib.
Die Peitschen würden ihm Linderung verschaffen, das Xenogift aus seinem Körper extrahieren, während ihm Nährstoffe zugeführt wurden, welche dafür sorgen sollte, dass die Alienparasiten nicht ihn auslaugten. Im Moment brannte ihr heilsamer Hunger aber wie flüssiges Feuer in seinem Rücken. Selbst die Labsal kam mit einem Preis.
Er rief die schriftliche Konversation auf den Bildschirm, die seine Behandlung und die damit verbundene Phase des Nichtstuns in den letzten Wochen bestimmt hatte. Wie alles in dieser Zeit war diese Unterhaltung von quälender Langsamkeit geprägt gewesen. Jede Frage, jede Antwort hatte mehrere Stunden für die Überbrückung der interstellaren Entfernungen gebraucht. Manchmal Tage, wenn seine Gesprächspartnerin mit anderen Dingen beschäftigt war.
Sein Berufsstand war für gewöhnlich nicht mit Nichtstun gestraft. Mit Langweile und Eintönigkeit dann und wann, aber nicht mit Nichtstun. Ihm hatte dies jedoch die unliebsame Möglichkeit gegeben, jedes gewechselte Wort ein Dutzend Mal zu lesen und mit Implikationen aufzuladen. So auch jetzt wieder, als die grün auf grün flackernden Zeilen einmal mehr auf dem Bildschirm erschienen.
Sie: Wie geht es dir?
Er: Den Umständen entsprechend. Der Zersetzungsprozess ist aufgehalten. Sie beginnen jetzt mit der Wiederherstellung des Gewebes. Es war ein sehr aggressives Gift, aber die Ärzte haben ein Wunder vollbracht. Ich werde zeitnah in den aktiven Dienst zurückkehren.
Sie: Freut mich zu hören. Dein mentaler Status?
Er: Der Erfolg tröstet über den Verlust hinweg. Aber es wäre Selbstbetrug, nicht zuzugeben, dass es hart ist.
Sie: Das ist es immer, ich weiß es aus eigener Erfahrung. Sie sind unsere Werkzeuge, und es ist klar, dass sie früher oder später während der Nutzung zerbrechen. Aber der Verlust eines liebgewonnenen Agenten schmerzt. Dann noch das ganze Team …
Er: Wenn du versuchst, mich auf diese Art an meine Verfehlung zu erinnern, so ist es nicht nötig. Wenn du mich aufmuntern willst, ist es dir nicht gelungen.
Sie: Nein, ich will dich nicht quälen. Das tut das Gift der Ayauhteotl schon zur Genüge. Außerdem war es keine Verfehlung. Es war ein teurer Erfolg.
Er: Was verschafft mir dann die Ehre deiner Beachtung? Du willst mich nicht quälen, und dir Sorge um mein Wohlbefinden zu unterstellen, hieße, dich nicht gut genug zu kennen.
Sie: Du hast Recht, aber Zynismus steht dir trotzdem nicht gut zu Gesicht. Ich habe Arbeit für dich, wenn du dich dazu schon wieder in der Lage fühlst.
Im Anschluss daran hatte sie ihm ein Datenpaket geschickt. Allgemeine Informationen über einen Planeten an der hypothetischen Grenze zwischen dem Segmentum Ultima und dem Segmentum Obscurus. Trojan-Subsektor.
Er hatte noch nie davon gehört, und auch so schien die Welt bestenfalls ein gesundes Mittelmaß strategischer Bedeutung darzustellen. Eine imperiale Industriewelt, aber noch immer mit natürlichen Ressourcen gesegnet. Politische Bedeutung in den umliegenden Subsektoren. Eine adlige Elite, die den Gouverneur stellte und das Ganze mit einem Zuckerguss aus Parlamentarismus überzog, um den anderen Akteuren ihrer Gesellschaft den Schein von Mitbestimmung vorzugaukeln.
Lokale Konflikte, ab und an Auseinandersetzungen mit Orks und Weltraumpiraten. So weit, so gewöhnlich. Vor etwa dreihundert Jahren hatte es einen Weltkrieg gegeben, bei dem eine Fraktion beteiligt gewesen war, die sich der Ketzerei im großen Stil schuldig gemacht hatte.
Ungewöhnlich war eine Raumschlacht gegen die Tau, aus welcher die imperialen Kräfte als Sieger hervorgegangen waren. Das war in der Tat bemerkenswert, denn die Xenos operierten fast nie so weit von ihrem Kollektiv entfernt. Es gab einige Spekulationen darüber, was hinter der Sache steckte, aber alle Untersuchungen seiner Kollegen hatten nur lose Enden offenbart.
Ansonsten wenig Spannendes. Einige Helden, einige Heilige und einige Schurken.
Bemerkenswert war bestenfalls noch das auffällige Interesse des Mechanicus an Koron 3. Dabei hatten sie keine übermäßige Präsenz vor Ort. Gleichwohl tauchte der Planet einige Male in Gesprächen und Konferenzen auf, die abzuhören ihre Organisation für nötig befunden hatte.
Der Planet stellte keine Truppen für die Imperiale Armee, wohl aufgrund eines Formfehlers nach der Befreiung durch das Imperium. Ein Fehler, den nicht zu beheben, man sich einige Mühe zu machen schien. Warum, war unklar.
Aber in der Konsequenz hatte Koron 3 eine sehr starke und verhältnismäßig gut ausgerüstete planetare Verteidigungsarmee. Durch den föderalen Charakter der Welt, mit verschiedenen Ländern und Nationen, war sie zwar etwas fragmentiert, aber dennoch wohl ganz brauchbar.
Er: Habe die Daten angesehen. Was ist mit dieser Welt?
Separat schickte sie ihm ein weiteres Datenpaket, damit vorschnelle Vermutungen nicht seinen Ersteindruck beeinflussten. In diesem Dokument ging es um einige Ereignisse der letzten zweihundert Jahre im Allgemeinen und der letzten Jahre im Besonderen.
Organisierte Kriminalität. Waffenschmuggel, Kultaktivitäten und dann Anschläge und Aufruhr.
Er: Du vermutest eine Infektion durch Genräuber?
Sie: Meine Gedanken gehen in diese Richtung, ja.
Er: Wer hat dich kontaktiert?
Sie: Der Gouverneur des Planeten. Gedenkst du, dir diese Angelegenheit anzusehen?
Er: Warum machst du es nicht?
Sie: Ich bin in anderer Sache disponiert.
Sie: Gallianos, es wäre eine Möglichkeit für dich, das Heft des Handelns wieder aufzunehmen.
Er: Ich müsste ein neues Team zusammenstellen. Am besten vor Ort.
Sie: Ich sehe, die alten Lebensgeister sind wieder geweckt. Ich werde schauen, ob ich dir auch noch ein paar Leute zusenden kann.
Er: Das wäre gut. Ich werde noch etwas organisieren müssen, mache mich dann aber auf den Weg.
Sie: Schön, dass du wieder da bist.
Er tippte: Es wurde Zeit.
Dieser wasserbedeckte Kleinstplanet im äußersten galaktischen Süden des Segmentum Tempestus war keine Chaoswelt. Doch es hätte eine sein können, ging man nur nach den Monstrositäten, die dort hausten.
In den lichtlosen Tiefen, der Ozeanen von Nuklitar-378 tummelten sich all die Dinge, die sonst nur Alpträume zu bewohnen pflegten. Gewaltige Leviathane, mehr zahnbewehrte Mäuler als Leiber. Klauen und Tentakel, Nesseln und Gifte wetteiferten darin, sich gegenseitig zu entleiben. Dabei waren dies noch die vertrautesten, da nachvollziehbarsten Ungeheuer, schrecklich aber doch einem greifbaren Verständnis des Grauens entsprungen. Kiefer und Stacheln konnte der Mensch in gewöhnlicher Angst erfassen.
Es gab jedoch noch jene, an denen die Evolution die Grenzen ausgetestet zu haben schien. Geschöpfe wie die Gorgone – ein kristalliner Organismus, der lebendes Gewebe langsam versteinert und zu einer unbeweglichen Skulptur transformiert, während die Salze seiner Opfer absorbierte. Farblose Friedhöfe versteinerter Meeresbestien, Gärten der Medusa, markieren sein Territorium.
Der Fraktale Jäger wiederum mutete wie das genaue Gegenteil an. Ein flüssiges Wesen, das seine Molekularstruktur zu lockern vermochte, um durch engste Spalten zu gleiten. Gefährliches Wasser, im Wasser. Es drang durch die Körperöffnungen in seine Opfer ein und begann zu fressen. Ihm wiederum stellte die Königsmauer nach. Ein gallertartiges, walzenförmigen Wesen mit Hunderten, teilweise Kilometer langer Filterarme welche seine Opfer, mit besonderer Vorliebe Fraktale Jäger, durch Ultraschallvibrationen betäubte.
Zwischen all diesen Geschöpfen nahm sich die Zephrische Peitsche, benannt nach dem Graben, in welchem sie zu finden war, geradezu unscheinbar aus. Ein etwa unterarmlanges, wurmartiges Geschöpf mit feingliedrigen Bewegungsfilamenten. Sein durchscheinend rötlich schimmernder, biolumineszenter Körper gemahnte an eine Feder oder einen dünnen Farnwedel. Mit hochspezialisierten Saugmechanismen heftete sich dieses Tier an größere Meereslebewesen. So extrahierte es Nährstoffe aus seinen Wirtsorganismen, während es gleichzeitig deren Körper von Giftstoffen und schädlichen Substanzen befreite. Seine komplexen biochemischen Filter und regenerativen Zellsysteme ermöglichten es ihm, selbst in den brutalsten marinen Umgebungen zu überleben.
Bei Bedrohung konnte die Zephrische Peitsche giftige Substanzen absondern, die sie im Laufe ihres Lebens von ihren Wirten absorbiert und gespeichert hatte. Nicht das gefährlichste, gefräßigste und vielleicht nicht einmal das beeindruckendste Geschöpf Nuklitars und doch das einzige, das seine Reise durch das All angetreten hatte. Von einem Ort des Schreckens und der Dunkelheit zu einem anderen. Hier jedoch wurde es wohlbehütet.
So etwa die vier Exemplare, die in gläsernen Röhren trieben, die mit einer Nachahmung des hochbasischen Wassers ihrer Heimat gefüllt waren. Für die Peitschen wohltemperiert und durch genau angepasste Vibrationen eingelullt.Ihr kleiner Kosmos wurde von einem Akolythen auf einem kleinen Wägelchen durch verwaiste Gänge geschoben.
Der blasse Mann hatte keinen Blick für die stummen Wächter, die aus schwarzem Granit gehauen auf ihn herabstarrten, die titanischen Hände auf Schwerter, Bolter und andere Instrumente der finalen Rechtsprechung gestützt. Auch die schaurigen Stapel aus Gebeinen und grinsenden Schädeln, welche die Wände bis hinauf zur Decke schmückten, nötigten ihm keinen zweiten Blick ab. In die gebleichten Knochen waren Worte geritzt und mit Gold ausgelegt worden. Worte, die von Aufopferung, Heldenmut und großen Taten berichteten.
Der Akolyth bugsierte den Rollwagen vorsichtig über eine Unebenheit im Boden. Die Zephrischen Peitschen waren zwar bestmöglich ruhiggestellt, doch es galt dennoch, jedwede Aufregung für sie zu vermeiden. Nicht auszudenken, wenn sie die gespeicherten Gifte ihrer Leiber im falschen Moment extrahiert hätten. Strafen war er gewohnt, wusste sie zu vermeiden und gegebenenfalls zu erdulden. Doch wenn dies passieren würde …
Er fokussierte sich und öffnete die Tür zu seinem Ziel.
Das hohe Gewölbe war seinerseits groß, wirkte im Vergleich zu den ausladenden Gängen und Hallen seines Herweges wie eine geradezu bescheidene Kammer. In der Mitte dieses Raumes saß ein Mann auf einem Schemel. Weit vornübergebeugt und auf einem groben Holztisch abgestützt.
Mit entblößtem Oberkörper saß er im Lichtschein einiger weniger Elektrokerzen, die ihn illuminierten wie ein groteskes Kunstwerk. Unmöglich, das Alter des Mannes zu schätzen. Er hätte dreißig oder dreihundert sein können. Er war groß und dünn, muskulös und so bar jeden Gramm Fettes, dass er dennoch abgemagert und sehnig wirkte. Als wäre er das Schaffensprodukt eines Malers, der Zeit seines Lebens nur Verfall und Krankheit porträtierte und nun den Auftrag bekommen hätte, Kraft und zähes Wollen allein nach mündlicher Beschreibung in einem Werk zu bannen.
Schläuche entrangen seinen Armen und einem metallenen Kragen. Der kahle Schädel war von bläulichen Adern durchwirkt.
"Herr …" sprach der Akolyth mit demütig gesenkter Stimme. "Ich bringe die Zephrischen Peitschen."
Der Mann am Tisch hätte ihn darauf hinweisen können, dass er spät dran war, und er hätte versuchen können, diesen Umstand zu erklären. Doch die Natur von Anschuldigung und Rechtfertigung war in diesen Mauern auf einen derart heiligen Grad erhoben worden, dass es Sünde gewesen wäre, sie durch so profane Anwendung zu entweihen.
Der Mann machte eine unbestimmte Geste mit dem Zeigefinger, die heißen mochte, dass der Akolyth seines Amtes walten sollte.
Er fuhr das Wägelchen näher und entnahm die erste Röhre. Der Rücken des Sitzenden zeigte sich als eine Landkarte aus Narben unterschiedlichsten Alters. Die vier roten Ringe, nach denen der Akolyth Ausschau hielt, waren hingegen jüngeren Datums.
Oben links, knapp unter dem Schulterblatt, setzte er das Ende der ersten Röhre an und drehte den Verschluss. Mit einem scharfen Schnappen fuhr der gezahnte Rand des Behälters aus und grub sich in das Fleisch des Sitzenden, verankerte sich. Ein paar Schlieren dünnen Blutes trieben wie Tinte durch das Wasser und erregten die Zephrische Peitsche.
Sie geriet in Bewegung, begann rötlich zu pulsieren. Sie suchte und fand die entblößte Haut, die sich nun dort darbot, wo eben noch der Verschluss des Gefängnisses gewesen war. Das Tier entrollte ein Gespinst aus Tastorganen und befühlte die dargebotene Futterkrippe, bevor es sich genüsslich damit verband.
So geschah es drei weitere Male, bis der Mann am Tisch aussah, als entwüchsen ihm die Röhren aus dem Rücken.
Der Akolyth beendete seine Arbeit und prüfte noch einmal den festen Sitz der Gefäße.
"Benötigt Ihr noch etwas, Herr?" fragte er flüsternd.
"Ja Arron, ich gedenke, noch etwas zu arbeiten."
"Sehr wohl."
Arron nahm das Buch fort, in dem sein Meister gelesen hatte. Ein Lesezeichen war nicht nötig. Sein Herr behielt ganz andere Dinge als so etwas wie Seitenzahlen.
Dann baute er den Logikverarbeiter auf dem Tisch auf, sodass er bequem zu erreichen war. Mit seinem nun leeren Wägelchen verließ er danach schweigend das Zimmer.
Der Mann blieb mit sich selbst zurück. Mit dem Geräusch der summenden Röhren des Bildschirms und dem Rumoren im kantigen Leib des Logikverarbeiters. Und mit den Schmerzen in seinem Leib.
Die Peitschen würden ihm Linderung verschaffen, das Xenogift aus seinem Körper extrahieren, während ihm Nährstoffe zugeführt wurden, welche dafür sorgen sollte, dass die Alienparasiten nicht ihn auslaugten. Im Moment brannte ihr heilsamer Hunger aber wie flüssiges Feuer in seinem Rücken. Selbst die Labsal kam mit einem Preis.
Er rief die schriftliche Konversation auf den Bildschirm, die seine Behandlung und die damit verbundene Phase des Nichtstuns in den letzten Wochen bestimmt hatte. Wie alles in dieser Zeit war diese Unterhaltung von quälender Langsamkeit geprägt gewesen. Jede Frage, jede Antwort hatte mehrere Stunden für die Überbrückung der interstellaren Entfernungen gebraucht. Manchmal Tage, wenn seine Gesprächspartnerin mit anderen Dingen beschäftigt war.
Sein Berufsstand war für gewöhnlich nicht mit Nichtstun gestraft. Mit Langweile und Eintönigkeit dann und wann, aber nicht mit Nichtstun. Ihm hatte dies jedoch die unliebsame Möglichkeit gegeben, jedes gewechselte Wort ein Dutzend Mal zu lesen und mit Implikationen aufzuladen. So auch jetzt wieder, als die grün auf grün flackernden Zeilen einmal mehr auf dem Bildschirm erschienen.
Sie: Wie geht es dir?
Er: Den Umständen entsprechend. Der Zersetzungsprozess ist aufgehalten. Sie beginnen jetzt mit der Wiederherstellung des Gewebes. Es war ein sehr aggressives Gift, aber die Ärzte haben ein Wunder vollbracht. Ich werde zeitnah in den aktiven Dienst zurückkehren.
Sie: Freut mich zu hören. Dein mentaler Status?
Er: Der Erfolg tröstet über den Verlust hinweg. Aber es wäre Selbstbetrug, nicht zuzugeben, dass es hart ist.
Sie: Das ist es immer, ich weiß es aus eigener Erfahrung. Sie sind unsere Werkzeuge, und es ist klar, dass sie früher oder später während der Nutzung zerbrechen. Aber der Verlust eines liebgewonnenen Agenten schmerzt. Dann noch das ganze Team …
Er: Wenn du versuchst, mich auf diese Art an meine Verfehlung zu erinnern, so ist es nicht nötig. Wenn du mich aufmuntern willst, ist es dir nicht gelungen.
Sie: Nein, ich will dich nicht quälen. Das tut das Gift der Ayauhteotl schon zur Genüge. Außerdem war es keine Verfehlung. Es war ein teurer Erfolg.
Er: Was verschafft mir dann die Ehre deiner Beachtung? Du willst mich nicht quälen, und dir Sorge um mein Wohlbefinden zu unterstellen, hieße, dich nicht gut genug zu kennen.
Sie: Du hast Recht, aber Zynismus steht dir trotzdem nicht gut zu Gesicht. Ich habe Arbeit für dich, wenn du dich dazu schon wieder in der Lage fühlst.
Im Anschluss daran hatte sie ihm ein Datenpaket geschickt. Allgemeine Informationen über einen Planeten an der hypothetischen Grenze zwischen dem Segmentum Ultima und dem Segmentum Obscurus. Trojan-Subsektor.
Er hatte noch nie davon gehört, und auch so schien die Welt bestenfalls ein gesundes Mittelmaß strategischer Bedeutung darzustellen. Eine imperiale Industriewelt, aber noch immer mit natürlichen Ressourcen gesegnet. Politische Bedeutung in den umliegenden Subsektoren. Eine adlige Elite, die den Gouverneur stellte und das Ganze mit einem Zuckerguss aus Parlamentarismus überzog, um den anderen Akteuren ihrer Gesellschaft den Schein von Mitbestimmung vorzugaukeln.
Lokale Konflikte, ab und an Auseinandersetzungen mit Orks und Weltraumpiraten. So weit, so gewöhnlich. Vor etwa dreihundert Jahren hatte es einen Weltkrieg gegeben, bei dem eine Fraktion beteiligt gewesen war, die sich der Ketzerei im großen Stil schuldig gemacht hatte.
Ungewöhnlich war eine Raumschlacht gegen die Tau, aus welcher die imperialen Kräfte als Sieger hervorgegangen waren. Das war in der Tat bemerkenswert, denn die Xenos operierten fast nie so weit von ihrem Kollektiv entfernt. Es gab einige Spekulationen darüber, was hinter der Sache steckte, aber alle Untersuchungen seiner Kollegen hatten nur lose Enden offenbart.
Ansonsten wenig Spannendes. Einige Helden, einige Heilige und einige Schurken.
Bemerkenswert war bestenfalls noch das auffällige Interesse des Mechanicus an Koron 3. Dabei hatten sie keine übermäßige Präsenz vor Ort. Gleichwohl tauchte der Planet einige Male in Gesprächen und Konferenzen auf, die abzuhören ihre Organisation für nötig befunden hatte.
Der Planet stellte keine Truppen für die Imperiale Armee, wohl aufgrund eines Formfehlers nach der Befreiung durch das Imperium. Ein Fehler, den nicht zu beheben, man sich einige Mühe zu machen schien. Warum, war unklar.
Aber in der Konsequenz hatte Koron 3 eine sehr starke und verhältnismäßig gut ausgerüstete planetare Verteidigungsarmee. Durch den föderalen Charakter der Welt, mit verschiedenen Ländern und Nationen, war sie zwar etwas fragmentiert, aber dennoch wohl ganz brauchbar.
Er: Habe die Daten angesehen. Was ist mit dieser Welt?
Separat schickte sie ihm ein weiteres Datenpaket, damit vorschnelle Vermutungen nicht seinen Ersteindruck beeinflussten. In diesem Dokument ging es um einige Ereignisse der letzten zweihundert Jahre im Allgemeinen und der letzten Jahre im Besonderen.
Organisierte Kriminalität. Waffenschmuggel, Kultaktivitäten und dann Anschläge und Aufruhr.
Er: Du vermutest eine Infektion durch Genräuber?
Sie: Meine Gedanken gehen in diese Richtung, ja.
Er: Wer hat dich kontaktiert?
Sie: Der Gouverneur des Planeten. Gedenkst du, dir diese Angelegenheit anzusehen?
Er: Warum machst du es nicht?
Sie: Ich bin in anderer Sache disponiert.
Sie: Gallianos, es wäre eine Möglichkeit für dich, das Heft des Handelns wieder aufzunehmen.
Er: Ich müsste ein neues Team zusammenstellen. Am besten vor Ort.
Sie: Ich sehe, die alten Lebensgeister sind wieder geweckt. Ich werde schauen, ob ich dir auch noch ein paar Leute zusenden kann.
Er: Das wäre gut. Ich werde noch etwas organisieren müssen, mache mich dann aber auf den Weg.
Sie: Schön, dass du wieder da bist.
Er tippte: Es wurde Zeit.