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Im Orbit um Koron III
#21
Die Zahnrädchen der Befehlskette griffen ineinander wie ein gut geöltes Uhrwerk. Jeder Bereich übernahm die ihm gegebene Aufgabe, sammelte Daten, prüfte, verglich, bereitete vor und meldete zurück.
Die Abtastprotokolle der Funkbaken wurden kopiert uns akribisch ausgewertet. 
Das fraß allerdings Zeit. Es war mühselige Arbeit: Signaturen sammeln, Pings sequenzieren, Zeitstempel abgleichen, gegeben falls die zivilen Verschlüsselungen knacken. 
Nach einigen Stunden ließ sich die Liste der Raumfahrzeuge weitgehend entmüllen: Viele Einträge gehörten zu unproblematischen Frachtern – Materialtransporter, Versorgungsschiffe, nicht selten kleine Träger, die regelmäßig zwischen Tallay und Koron 3 pendelten. Diese wurden ausgesiebt, ihre Bewegungen in die zweitrangige Übersicht verbannt. Daneben tauchten aber auch dubiosere Signaturen auf. Einige Schiffe hatten auf Abfragen nur verzögert reagiert, sendeten fragmentarische Identifikatoren oder nutzten wechselnde Rufzeichen. Sie kamen nicht immer von den Zentralwelten des Systems. Manche Einträge verrieten Muster, die an Schmugglerkonvois erinnerten: kurzfristige An- und Abmeldungen bei den Baken, Abrisse in der Telemetrie, ungewöhnliche Kurskorrekturen kurz vor Landeannäherungen, wenn Schiffe der Flotte oder zu viele zivile Zeugen in der Nähe waren. Es war naheliegend, dass einzelne Betreiber oder Vorsteher Erzumladungen und Ressourcen «abzweigten» – Korruption und illegale Profitmechanismen, wie man sie erwarten musste. 
Selbst so nah an einer Zentralwelt. 
Die Analysten vermerkten das als plausiblen, unschönen Alltag. 
Allerdings hatte keines dieser Schiffe das Potenzial eine Niederlassung ungeschoren zu beschießen. Ganz wehrlos waren die Bergbaustationen nämlich auch nicht. Laserbatterien und Raketenstellungen gab es durchaus, um sich gegen Piraten und ähnliches Geschmeiß zu wehren.

Die drei koronischen Kriegsschiffe, ließen sich nur so ungefähr lokalisieren – was in kosmischen Maßstäben freilich dem Versuch gleich kam, einen einzelnen Fisch im Ozean zu finden, von dem man wusste, dass er zwischen zwei Kontinentalmassen sein musste. 
Sie sendeten zwar ihre Hauptidentifikatoren, setzten ihre Signalprofile jedoch nicht in der sonst üblichen, geschlossenen Flottenformation ein. Sie waren ein auffallend kleiner Verband, der obendrein noch separat voneinander opperierte. Sie flogen operative Schleifen, verstärkten punktuell ihre Funkbakenübertragungen und nutzten immer wieder Relay-Baken, die Daten verschleierten. 
Offiziell: keine Verletzung des Protokolls. Inoffiziell: seltsam. 
Die Muster deuteten auf ein bewusstes «anders operieren» hin: zu vorsichtig für reguläre Flottenbewegungen, zu inkonsequent für eine einfache Routinepräsenz. So bewegte sich ein unterlegener Verband in einem feindlichen Sektor. Die Formulierungen in den Lageberichten lauteten vorsichtig: „Ungewöhnliche Disposition; operationsbedingt erklärbar (vielleicht Manövertätigkeit), jedoch auffällig.“
Der Wunsch von Schanz eine geballte Datenlage zu bekommen musste derweil genau dies bleiben. Ein frommer Wunsch. Eine zusammengeführte, einheitliche Logdatenbank wie sie in großen, zentralen Flottenarchiven existieren könnte, gab es hier nicht; die Sektorverwaltung lief offensichtlich dezentral und die Minengesellschaften protokollierten weitgehend privat. Für viele Aktivitäten existierten nur proprietäre Logs, die erst angefordert und – teils mit juristischer Schleife – ausgewertet werden mussten. Die Abtastprotokolle der Baken waren daher die verlässlichste, wenn auch mühsam zu verarbeitende Quelle.

Mehrere automatische Aufklärungsdrohnen wurden in den Orbit über Tallay entsandt; kleine, schnell rotierende Scouts für thermische und LIDAR-Scans, größere Plattformen mit Multispektralsensorik. Parallel ging eine unbemannte Telemetrie-Boje in Richtung der betroffenen Station, positionierte sich in sicherer Distanz und begann zu schnorcheln: Funkdaten, lokale Kurzstreckenübertragungen, strukturelle Vibrationen.
Die Sonde lieferte binnen kurzer Zeit ein klares Bild: Der Streifen sah surreal aus, eine bebautes Stück abgetrotzten Lebens, oder eher noch Überlebens. 
Zwischen einer Halbkugel ewiger Schwärze und einer aus brodelnder Gluthölle. Der Augurenoffizier hätte es natürlich niemals laut ausgesprochen und sich damit der Lächerlichkeit preisgegeben, aber die Anlagen dort unten wirken wie Spukhäuser, aus billigster Schundliteratur. Perlen gleich auf einer Kette aufgefädelt. Selbst die beleuchteten Anlagen, die hier und da Betriebsamkeit erahnen ließen, muteten unheimlich an. 
Die Niederlassung, der sein Hauptaugenmerk galt, die Förderanlage der Dunwell Extraction & Recovery Incorporated, erinnerte eher an ein aufgebrochenes Grab. Die Anlage wies Beschädigungen auf, die sowohl von außen als auch von innen erklärbar waren. Es ließen sich klare Struktureigenheiten ehemaliger, Thermale Hotspots an der äußeren Hülle nachweisen. Diese korrelierten mit Schockwellenmustern, die auf punktuelle Einschläge hindeuteten. Gleichzeitig zeigten verschiedene Sichtmodi Auffälligkeiten, die auf interne Druckabweichungen hindeuteten. Es stand zu vermuten, dass innerhalb der Anlage Sektionen explodiert oder implodiert waren. Technisch plausibel: äußere Treffer konnten Sekundär-Explosionen in Lagerräumen, Druckkammern oder Transformatoren auslösen. Die Schlussfolgerung, die der Offizier schließlich unter seinem Bericht zweimal unterstrich: Kombiniertes Schadensbild; potentielle externe Beschusswirkung verstärkt durch interne Detonationsfolgen.

Währenddessen liefen die Vorbereitungen für die Hilfsabwürfe auf Hochtouren. In den Frachtdecks herrschte kontrolliertes Chaos – das metallische Klirren von Verankerungen, das Zischen hydraulischer Kupplungen, die Kommandos der Deckoffiziere hallten über die Lautsprecher. Ein Logistikträger wurde mit medizinischen Containern, modularen Reparaturequitmernt und standardisierten Nahrungspaketen beladen. Alles wurde in gepanzerten Halterungen verkeilt, gekoppelt und an autonome Navigationssysteme angeschlossen, die den Abwurf eingeschränkt selbstständig steuern konnten.
Diese System waren für den Gefechtsabwurf in Kampfgebiete gedacht, nicht unbedingt in die geschlossenen Anlage einer Station. Die Landehülsen konnten durchaus Schaden anrichten, wenn sie einschlugen. Wie genau die Hilfsgüter letztlich abgeliefert werden sollten, musste vor Ort entschieden werden – abhängig von den Ergebnissen der laufenden Scans und der Sicherheitslage im Zielgebiet. Für den Moment hieß es warten.
Parallel zu dem dafür vorgesehenen Bomber, der zum Transporter umfunktioniert wurde, wurden zwei Begleitjäger startklar gemacht. Ihre Piloten befanden sich bereits in Bereitschaft, angeschnallt in den engen Cockpits, die Maschinen auf minimalem Standby, die Displays gedimmt. Der Geruch von Schmieröl und Ozon lag in der Luft, vermischt mit dieser elektrischen Spannung, die vor einem möglichen Einsatz immer herrschte.

Geheimdienstliche Untersuchung & forensische Rekonstruktion
Die Cyberforensiker der Kaisers-Greif setzten spezialisierte Filter an die Funkaufzeichnungen. In einem Wust aus Rauschen, fragmentierten Paketströmen und überschriebenen Daten wurden sie fündig: Spuren von nachträglich gelöschten Nachrichten – Bruchstücke, unvollständige Header, fragmentierte Tonsequenzen. Mit algorithmischer Rekonstruktion und statistischen Heuristiken ließen sich Teile wieder stabilisieren. Da waren zum einen die schriftlichen Löschungen. Es gab Ladelisten, die nachträglich verändert worden waren, nachdem man sie vom Planeten an die Funkbarken im Orbit gesendet hatte.  Nun mochte man denken, dass hier tatsächlich krumme Geschäfte verschleiert werden sollten. Aus 5000 Tonnen Erz wurden 4800 und der Rest wurde anderweitig verscherbelt. Aber so war es nicht. Im Gegenteil, der überwiegende Teil der Frachtlisten war mit dem Vermerkt "Norm Übererfüllung" versehen. Die Ungereimtheiten fanden sich in den Personallisten. Es hatte den Anschein, dass mehr Arbeiter in die Niederlassungen gebracht wurden, als wieder hinausging. Nicht immer, nicht so, dass es jemandem auffiel, der nicht konkret nach Auffälligkeiten suchte. Aber über die letzten Jahrzehnte geschah dies offenbar mit einiger Regelmäßigkeit. Dann gab es noch eine Tonspur oder das was davon übrig geblieben war. Es ließ sich hineinhören, aber da war nicht mehr, als ein paar abgehackte Wortfragmente. “wir”, “könne”, “brauchen”, dazwischen so viel statisches Rauschen und überlagerung, dass zu angestrengtes Hören alles mögliche in diese Geisterstimmen hineininterpretieren konnte. Man konnte allerdings den Titel der Botschaft klar wiederherstellen. “S.O.S - D.E. & R.I. / Notruf auf allen Frequenzen. /Angriff auf Niederlassung” und das Datum. Es ließ sich auf einen Zeitraum von vor sieben Jahren zurückverfolgen. 
Soweit der erste Lageüberblick. Die Ergebnisse waren genug, um die Vorsicht zu rechtfertigen: kein klarer Beweis für eine Invasion von außen, aber definitiv ein zusammengesetztes Schadensbild, verschleierte Signaturen und Fragmente einer manipulierten Notrufkette, die eine interne Eskalation nahelegen. Die Kaisers-Greif verblieb in erhöhter Bereitschaft; die Hilfslieferungen standen bereit – doch der eigentliche Schritt nach unten würde erst erfolgen, wenn ein klares Kommando erfolgen würde.
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Nachrichten in diesem Thema
[Kein Betreff] - von - 09-19-2012, 03:10 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 09-28-2024, 05:42 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 10-09-2024, 05:28 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 10-12-2024, 12:29 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 10-21-2024, 02:26 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 12-01-2024, 08:15 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 12-12-2024, 03:44 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 12-15-2024, 12:47 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 01-08-2025, 02:30 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 04-12-2025, 08:53 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 04-28-2025, 02:26 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 06-27-2025, 11:48 AM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 07-07-2025, 11:22 AM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 07-21-2025, 05:09 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 08-21-2025, 03:57 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 09-20-2025, 01:53 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Zacharias - 10-04-2025, 01:07 PM
RE: Im Orbit um Koron III - von Die Stimme - 10-09-2025, 02:16 PM
[Kein Betreff] - von - 09-21-2012, 11:29 AM
[Kein Betreff] - von - 09-22-2012, 10:58 PM
[Kein Betreff] - von - 09-25-2012, 12:40 PM

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